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„Weil-laß es gut sein", fiel Marie ein, die dieser
Bemerkung ihres Mannes nichts entgegensetzen konnte und wohl wußte, daß sie jene Wolle mehr zur Beruhigung, als aus vollkommener Ueberzengung gesagt hatte — „laß es gut sein und glanbh mir, dann wirst Du mit mehr Muth und Vertrauen weiter streben, und das ist es, was uns allein Helsen kann, Helsen muß."
Sie umarmte ihren Mann und verschloß seinen bereits zur Erwiederung geöffneten Mund mit einem herzlichen Kusse.
Indem trat der Bciesbote ein: „Aus Amsterdam, zweiundzwanzig Kopeken", sprach er und hielt einen Brief hin. -
„Von Herrmann!" rief Marie, jubelnd darnach , langend. „Der wird sogleich das Siegel der Bestätigung auf meine Worte drücken. (Hieb nur acht", sagte sie, indeß Thomar das Porto mühsam herbeisuehte;. „gicb nur acht!"
Sie hatte gar nicht nach der Adresse gesehen, hielt den Brief neckend unter ihrer Schürze und fuhr, als,der Bciesbote sich entfernt hatte, scherzend fort:
„Ich könnte Dich für Deine Zweifel nun gleich bestrafen, aber nein, um sie noch größer zu machen, sollst Tu noch ein Weilchen arrf den Inhalt warten."
Thomar wollte ihr schäkernd den Brief entreißen. „Nichts da", rief sie. „Tu wirst zeitig genug zur Abbitte gelangen!" Indem zog sie aber, die Hand erhebend, den Brief mit hervor, so daß . die Aufschrift ihr sichtbar wurde. „Das ist eine fremde Hand", rief sie nun erschrocken, und ließ den Brief zur Erde fallen. „Herr- mann' wird doch nicht krank — O mein Gott, nein, nur das nicht, nur das nicht, lieber Gott!"
Thomar hatte den Brief erheben und das Siegel betrachtet.
— Ihre Seelen mußten sich in einer dunkeln, wenn auch nicht ganz gleichen Vorahnung begegnen; denn auch Thomar zögerte, den Brief zu erbrechen, er ließ die Hand Herabsinken, es durchzuckte ihn ein unbekanntes Etwas, dessen Grund er nicht anzugeben vermochte Tie Augen richteten sich auf sein Weib, als ob sie erst gebieten solle das Siegel zu eröffnen, wenngleich die Briefadresse seinen Namen trug. Aber Marie war keines Wortes mächtig, sie schwieg wie er.
' Es gibt Momente, wo wir ein großes Unglück vorcmpfinden, wie das Herannahen eines schweren Gewitters. Dieses macht unsere Kräfte erschlaffen. Jenes lähmt nicht nur die Körper, nein, arrch die Geisteskraft und macht uns selbst unmächtig des Sprachgebrauchs. Wir vermögen es den Schleier zu erheben, der es noch verhüllt und wagen es doch nicht, um der schrecklichen Gewißheit ja nicht früher in's Auge zu schauen, als es sein muß.
Ein solcher Moment war cs, welcher jetzt die physischen und geistigen Kräfte der beiden Eheleute lähmte, so allgewaltig lähmte, daß sie minutenlang sich stumm und lautlos gegenüber standen, ohne daß noch-irgend welcher Grund zu dieser Situation vorlag Plötzlieb.fuU Marie empor. Was in ihrer Seele eigentlich vorgegangen war sprach sich in den Worten aus: „den Bruder laß mir Allgütiger' — dann verhänge was Du willst!"
ThvMar -hatte ganz Anderes gedacht, wenn gleich auch der Schwager-Hewnann-das Hauptmotiv dieser Gebauten war. Ihn batte mehr die.zukünftige Existenz seiner Familie beschäftigt. Ein Schlag, cher'hier. traf,-war für ihn der vernichtende. Erstarrte dcßhalk». fragend-feine Gattin an. Diese aber hatte ihre alte Entschlossenheit nun-völlig wieder gewonnen. „Ich muß Gewißheit haben"-riss-sie,-mahm den. Brief schnell aus ihres Mannes Hand, riß hastig Las Siegel'auf, und entfaltete zitternd das Papier.
Als ob sie die Zeilen nicht zu entziffern vermöge, so starrten die Augen, völlig aus ihren Höhlen hervorlretend, daraus hin. Das Zittern ihrer Hand vermehrte sich, theilte sich dem ganzen Körper -mir, schüttelte sie jetzt wie Ficberfrost. Meine ar — men
— Kinder st" stammelte .sie — ließ den Brief zur Erde fallen und sank laut schluchzend in einen Stuhl.
— —Thomar-wußte nicht was er thun sollte, cs zog ihn zu dem geliebten Weibe — es zog ihn zu erfahren, was die sonst so Starte also bewältigen konnte.. Letzteres behielt die Oberhand, er beugte sich in Hast'nach dem Briefe herab und las unwillkürlich laut:
Leider Mbd mir die traurige Nothwcndigkcit zu Theil, Ihnen anzeigen zu müssen, daß Ihr Schwager Herrmann Lange, welcher -.. -.seit nwhleren'Jahren im hiesigen Handlungshause Marlow coudi- t tiLNirko,'-dMchZmißglückte Spekulationen sieb genöthigt gesehen, mit
Hinterlassung beträchtlicher Schulden, nach Amerika zu entfliehen. Derselbe hat mir, seinem Haupt-Creditor, eine Erbschasls-Vollmachr aus fünf Tausend Thaler, welche aus das bisher von Ihnen verwackele Grundeigenthmn seines seligen Vaters hypothekarisch stehen geblieben sind, gerichtlich cedirt. — Meine Verhältnisse gestatten mir leider nicht, diese Summe noch länger stehen zu lassen, und sehe ich mich deßhalb genölhigt, hiermit die Kündigung Dieses Capital» binnen 3 Monaten zu vollziehen. Wahrscheinlich werde iw im Laufe des nächsten Monates in dortige Grgend kommen und Ihnen dann weitere mündliche Mittheitungen machen. Bis dahin empfiehlt sich Ihnen mit Achtung und Ergebenheit
. Earl Nein er, Schiffsmakler.
Thomars anfangs erhobene Stimme war immer schwächer geworden, der Name Reiner kam nur noch wie ein Hauch über seine Lippen. Die ganze Trostlosigkeit seiner Lage trat so grell an ihn heran, daß die Hände schlaff herabsanken und er regungslos wie ein Steinbild dastand. Nur Mariens fortwährendes lautes Schluchzen verrieth, daß noch Leben in beiden Gestalten war.
Dieser Schlag war für die ohnedicß schwer Geprüften der entscheidende. Wohin sic auch, nachdem sie sich etwas von demselben erholt Hallen, blicken mochten: dichte Finsterniß starrte ihnen, überall enlgegen, -nicht der kleinste Hoffnungsstrahl erglänzte, ein offener Abgrund des Elends und der Verzweiflung lag vor ihnen, ihr Sturz in denselben war unvermeidlich.
Selbst wenn Thomar Jemand gefunden hätte, welcher ihm ein Darlehen geben wollte, so war das ganze Eigenthum, in seinem jetzigen Zustande, laum mehr Werth, der Credit der Tho Marschen Eheleute aber so tief gesunken, daß auf Verpfändung ihres Wortes Niemand etwas gab. Der frühere Haß und Neid hatte auch noch nicht ausgewuchert. Statt die natürlichen Gründe ihres Jurückfommens anzuertennen, war man bemüht, sie zu verdächtigen, jeden Besuch des Wirthshauses zu Hintertreiben. Was aber Haß, Neid und Bosheit vermögen, wer hätte das nicht schon an sich selbst oder Andern erfahren? Diest Giftpflanzen sind die schrecklichsten, denn sie zerstören langsam init unendlichen Qualen nickt nur Len Körper, sie erfüllen auch die Seele mit unendlicher Verzweiflung, rauben ihr den Glauben an Gott und Menschen und fuhren oft Dinge herbei, die gräßlicher sind als der Verlust des Lebens.
Die Hoffnung auf bessere.Zeiten war bisher die Oase in der dürren Sandwüste ihres Lebens gewesen; jetzt versank auch diese plötzlich. Verlaus des Eigenthums war das einzigeMettungsmitstl — dieser, wie sie sich auch sträubten, mußte Hereinbrechen und ivas blieb ihnen dann? — Der Bettelstab! —
Solche Augenblicke machen den Menschen unschlüssig, unfähig zu deuten, nnsähg zu handeln, verzagt und lraftlos wagt er nichts zu unternehmen, weil er doch' immer alles verloren geben muß. r
So verging auch im Thomar'schen Hause ein Tag nach dem andern, eine Woche nach der andern und der Ankunslstermin des Gläubigers rückte näher und näher, ohne daß das Geringste in der Sache geschehen wäre. Sie ließen rathlos das Unglück an sich herankommen.
War auch Mariens Hoffnung auf menschliche Hilfe versunken: da ihr Bruder fort, also tovt für sie war und nur von diesem ihnen Hilfe kommen konnte, so hatte sie doch ihr Gottvertrauen bewahrt. Sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß er sie, die von Kindheit aus so treu au ihn gehalten, ganz verlassen werde. Sie baute fest auf seine Hilfe in der höchsten Noth. Nur in der Einsamkeit allein mit ihren Kindern, vermochte sie sich nicht ganz aus dieser Glaubenshöhe zu erhalten; wenn sie diese ansah und auf ihre Lage blickte, dann ergriff sie eine augenblickliche Verzweiflung, sie umfaßte sie mit Thränen und rief schmerzlich: „Was wird aus Euck werden, Ihr armen schuldlosen Opfer?!" Aber auch diese Schwäche währte nicht lange; erhob sie ibr Gottvertrauen auch nicht ganz wieder, so wendete sie sich doch wieder bittend zu ihm: „Um dieser willen laß uns einen Menschen in unserm Gläubiger finden, Vater, der uns nicht unbarmherzig ganz zu Grunde richtet", betele sie inbrünstig. ,. .,
(Fortsetzung fgtst-).
Vedigirt, gedruckt und verlegt von A.Ocl schlag er.
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