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und l/nrahe wäre er selbst in das Feuer umgesunken. „Gott vergebe dir, Morten!" stöhnte er aus, „so habe ich es nicht gemeint — Gott verzeihe mir die große Sünde! — allein, nickt wahr, Ihr wollt mick bloß erschrecken? Ich bin nun weit her, weit jenseits Hamburg hergewandert, und habe kein Sterbenswort davon gehört. Ihr, Herr Pfarrer, seid auch der Erste, der mick wieder erkennt; ich habe mick noch keinem Andern entdeckt; als ich aber durch Weilby kam und fragte, ob der Pfarrer noch am Leben sei, erhielt ich zur Antwort: Ja!"
„Der Neue allerdings!" versetzte Herr Jens, „allein derjenige nicht, den Ihr und Euer gottloser Bruder um das Leben gebracht habt."
Da fing Niels an die Hände zu ringen, zu ächzen und zu heulen, so daß der Pfarrer deutlich inne wurde, wie jener nur ein blindes Werkzeug in der Hand seines teuflischen Bruders gewesen; ja ec begann sogar einiges Mitleid mit ihm zu fühlen. Er nahm ihn daher mit sich in sein Scklafzimmer, redete ihm Worte des Trostes zu, und cs gelang ihm auch, Niel's Gemüth in so weit zu beruhigen , daß er dem Pfarrer alles, dieses Bubenstück der Hölle Betreffende nach und nach auseinandcr- setzte und erklärte.
Morten BrunS, Niel's älterer Bruder, hatte, wie wir schon wissen, von der Zeit an, wo ihm der Pfarrer Quist in Weilby die Hand seiner Tochter verweigert hatte, einen tödt- lichen Haß gegen diesen gefaßt. Es traf sich, daß der damalige Kutscher des Pfarrers dessen Dienste verließ. Da bewog Morten seinen Bruder Niels, daß er sich um den erledigten Dienst bewarb. „Und gib nur wohl Acht," sagte er zu ihm', „wenn sich Gelegenheit zeigt, wollen wir dem schwarzen Herrn einen Possen spielen, an den er lange genug denken soll. Es soll dein Schade nicht sein." Niels, der von Natur eigensinnig, naseweis und überdies von Morten ausgehetzt war, bekam bald Händel mit seinem Brodherrn, und sobald er die erste Züchtigung erhalten, vergaß er nicht, es seinem Bruder anzuzeigen.
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Darauf geschah es, daß er im Garten Streit mit dem Pfarrer anfing, und darauf unverzüglich zu seinem Bruder nach Aalsöe lief und diesem den Vorfall erzählte. „Hat dich Jemand auf dem Wege hierher gesehen?" fragte der Bruder. — Niels meinte: „Nein!" — „So wollen wir," sagte Morten, „ihm einen Schrecken einjagen, den er in den ersten vierzehn Tagen nicht verschmerzen soll." Hierauf führte er Niels heimlich in sein Haus, wo dieser sich bis zum Abend versteckt hielt. Sobald sich Alles zur Ruhe begeben hatte, gingen die Beiden zu einem Grenzstein, wo die Felder dreier verschiedener Eigenthümer zusammenstießen; hier war zwei Tage zuvor die Leiche eines Selbstmörders, eines Burschen von Niel's ungefährer Größe, Alter und Aussehen, begraben worden. Derselbe hatte in Aalsöe bei Morten Bruns gedient, und aus Verzweiflung — die Einen sagten, wegen Mortens. tyrannischer Behandlung, Andere wegen eines unglücklichen Liebesverhältnisses — seinem Leben mit eigener Hand ein Ende gemacht. Diese Leiche nun gruben die beiden Brüder wieder aus, so ungern auch Niels an dieses grauenhafte Geschäft ging, der von Morten förmlich dazu gezwungen wurde, und schleppten sie nach Hause, denn der Hof, welchen Morten bewohnte, lag ganz in der Nähe. Nun mußte Niels sich vollständig entkleiden und die Kleider Stück fücHStück der Leiche anzichen, sogar seine Ohrringe müßte er hergeben. Darauf versetzte Morten dem Todten mit einem Spaten einen Streich in das Gesicht, einen andern an die Schläfe, und verbarg ihn dann in einem Sacke bis zum nächsten Abend, dann trugen sie Sack und Leicke in den Wald, der dicht an Weilby grenzte.
Niels hatte freilich mehrere Male seinen Bruder gefragt, was er im Sinne hege und was alle diese Vorkehrungen bedeuten sollten. Dieser aber hatte ihm immer darauf crwie- dert: „Darum brauchst du dich nicht zu bekümmern; laß das meine Sorge sein." Im Walde angekommen, sagte Morten zu seinem Bruder: „Nun holst du mir einen der ge
wöhnlichen Hausanzüge, am liebsten den langen grünen Schlafrock, in welchem ich ihn öfter des Morgens gesehen habe." — „Das wird nicht wohl angehen", gab Niels zur Antwort, „denn des Pfarrers Kleider hängen alle in seinem Schlafzimmer." — „Dann besorge ich das selbst," versetzte der Bruder. „Gehe nur du indessen von hinnen und kehre nie wieder zurück. Da hast du einen Beutel mit hundert Thalern; sie werden wohl hinreichen, bis du südwärts von hier eine neue Heimath gefunden hast; aber weit weg von hier, hörst du, wo keine Seele dich kennt! Lege dir einen andern Namen bei und setze nie mehr deinen Fuß auf dänischen Boden. Wandere nur des Nachts und verbirg dich den Tag über in den Wäldern; hier ist der Brodsack, den ich von Hause mitgenommen habe; der wird dich sät tigen, bis du jenseits der Grenze unseres Königreiches angekommcn bist. Mache dich jetzt nur eilig auf den Weg und kehre nicht wieder, sofern dein Leben dir lieb ist."
Niels gehorchte, und damit trennten sich die beiden Brüder; auch haben sie sich seit dieser Stunde nie wieder gesehen. Der Flüchtling hatte in fremden Ländern viel ausstehen müssen, war als Soldat angeworben worden, hatte viele Jahre gedient, und war in mehreren Feldzügen gewesen, wo er seine körperliche Rüstigkeit verloren hatte. Arm, kränklich und elend, kam es ihm endlich doch in den Sinn, die alte Heimath wieder aufzusuchcn, und er hatte sich so, unter vieler Noth und Beschwerde, vom Rheine bis über die Eider durckgebettelt, bis er wieder nach Aalsöe, seinem Geburtsorte, gelangte. —
So lautete in den Hauptpunkten der Bericht des fatalen Mannes, an dessen Wahrhaftigkeit der Pfarrer leider nickt zweifeln konnte. Und so wurde es denn dem letziern nur allzu klar, wie fein unglücklicher Mit- bcuder, als ein Opfer der ungeheuersten Bosheit, der Verblendung der Zeugen und des Richters, und — wie er aus den vertraulichen Mitthcilungen dcö Amtsvogts ersehen — auch der eigenen lerchtgläu-