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Montag, de» 22. Februar 1926.
100. Jahrgang.
Dr. Stresemann in Köln.
Vefreiungsfeier der Universität Köln.
TU Köln, 22. Febr. Die Kölner Stridentenschaft veranstaltet« am Samstag abend einen Kommers zur Feier der Befreiung Kölns, der unter der Devise „Freiheit, Heimat, Vaterland" stattfand. Der Niesensaal der Bürgergesellschaft war bis auf den letzten Platz gestillt. Am Ehrentisch sah man unter anderem Reichsautzenminister Slrejemaim, Neichsjustizminister und Minister für di« besetzten Gebiete Dr. Marx und als Vertreter der preußischen Staatsregierung Kultusminister Dr. Becker, ferner den österreichischen Konsul, der von der Versammlung besonders stürmisch begrüßt wurde, die Rektoren der Universitäten Marburg und Frankfurt a. M. und Vertreter vieler anderer deutscher Hoilfschuleu. Im Verlaufe der Feier ebhriss Sieichsaußenminijter Dr. Stresemann das Wort zu folgenden Ausführungen:
In der deutschen akademischen Jugend bestehen, wie im deutschen Volke, verschiedene Einstellungen gegenüber dem Reich und seiner Fortentwicklung. Die einen verfallen in Träume der Resignation über alte Größe und Herrlichkeit, die anderen warten auf ein Wunderbares, das sie mit heißem Herzen ersehnen, ohne zu wijseu, woher es lommr und wer «S schaffen soll. Wieder andere glauben, daß es für Deutschland wichtig sei, die Entwicklung der Welt abzuwarten und sich dann erst mit aktiver Politik in diese Entwicklung einzustellen. Für diejenigen, die für die Reichsentwicklung verantwortlich sind, gibt es nur einen Weg, das ist die
Politik tätigen Mitschafse»s
nach innen und nach außen. Diese Kärrnerarbeit mag manchen als eine ideallose erscheinen. Sie ist es nicht, denn nur aus dem langsamen Fortschreiten in stetigem Kampf ergibt sich der Fortschritt, und sieht man den Weg, der zurückgelegt ist. Gegenüber allen Kritiken über manche nicht erreicht« oder manche getäuschte Hoffnung, über manche geistige Einstellung, die sich nicht schnell genug in Taten auswirkt, darf doch das eine gesagt werden: Wer gurückschaut aus die Politik der letzten Jahre in Deutschland, der muß mit Blindheit geschlagen oder von schlechtem Willen beseelt sein, wenn er nicht anerkennen wollte, daß wir ein gutes Stück vorwärts gekommen find in der Konsolidierung nach innen und deutscher Geltung nach außen. In dem Kampf zwischen Rechtsanspruch und Machtgefühlen hat schließlich doch in der Befreiung der nördlichen Rheinlandzons dcr Gedanke des Rechts gesiegt. Jede weitere deutsche Politik kann nur das Ziel haben, auf diesem Wege fortzuschreiten. Deutschland wird stets bereit > sein, im Geiste des europäischen Wiederaufbaues mit offener Empfänglichkeit für di« gegenseitigen Armugenie Verhandlungen über seine Stellung zu anderen Mächten zu führen. Aber wenn der Geist von Locarno Sinnbild künftiger europäischer
Politik ist, daun muß seine weithin sichtbare letzte Auswirkung schließliche
Zurückziehung der Truppen aus dem besetzten Rheinlan" sein. Ich kann mir nicht denken, daß man im Lager unserer «henurligen Gegner darüber anders denkt. In dem großen Saal des Foreign Office in London, in dem die Verträge von Locarno unterzeichnet wurden, hing, für diesen Tag herbei geschafft, das Gemälde von Lord Lastlereagh Wenn dieses Symbol eine über den Tag hinausgehende Bedeutung haben soll, dann kann es doch nur die sein, daß das England der Gegenwart mit den Verträgen von Locarno dieselbe Politik treiben will, die einst Englands Vertreter auf dem Kongreß in Aachen 1818 gegenüber Frankreich getrieben hat, als er den Gedanken vertrat, Frankreich wieder als Großmacht in den europäischen Konzern aufzunehmen, und dafür zum Zeichen, die Truppen der damals Frankreich besetzenden Mächte von Frankreichs Boden zu rückzuziehen. Diese Frage dieser Zurückziehung muß eine Frage der Verhandlungen, eine Frage der Technik sein; aber sie ist die logische Auswirkung einer neuen europäischen Situation, die das Problem der Sicherheit der Länder auf anderem Wege lösen will, als durch den der militärischen Gewalt. So gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß die Glocken am Rhein nicht zu lange schweigen müssen, um die weitere Freiheit deutschen Bodens zu verkünden, um der so schwer getroffenen Bevölkerung der Rheinland« die Möglichkeit zu geben, mit ganzer Freude sich als Glieder eines freien Deutschland zu fühlen, das in Friede und gegenseitigem Verstehen mit der Welt zu leben gedenkt.
*
Reichspräsident v. Hi »den bürg hat auf ein Begrüßungstelegramm, das die Kölner Studentenschaft auf dem Befreiungskommers an ihn gerichtet hat, folgend Antwort gegeben: Die deutschen Grüße vom Besreiungskommers der Kölner Studentenschaft erwidere ich aufs herzlichste, v Hindenburg.
Ein amerikanischer Vorstoß gegen den Versailler Vertrag.
TU Newyork, 22. Febr. Der Abgeordnete Berger brachte im Repräsentantenhaus« eine Entschließung «i«, in der Präsident Loolidge ersucht wird, ein« internationale Konferenz zur Revi. sion des Versailler Vertrages einzuberusen. Die Bereinigten Staaten, so führte Berger aus, beherbergen nur noch einige Menschen, die des Glaubens seien, daß der Krieg für die demokratische Freiheit und die Ausgabe des Militarismus geführt worden sei. Di« Regierung Frankreichs habe seit dem sogenannten Versailler Frieden eine Lügensabrikation unterhalten. Die größte Lüge sei Deutsch!anvs Alleinschuld am Kriege. Der Versailler Vertrag sei a»f dieser ungeheuren LLSe ausgebaut worden.
Die Frage der Ratsfike.
Komplikationen in der Völkerbundkrise?
- TU London, 22. Febr. Die Berichte der englischen Blätter über den Stand der Völkerbundsfrage sind rech widerspruchsvoll. Im Observer sind zwei verschiedene Auffassungen vertrete». Wie der Korrespondent des Blattes aus Paris meldet, vertritt inan dort die Meinung, daß Polen nur einen Sitz erhalten würde. Die französische Regierung verschlösse sich nicht dem Argument, daß Polen keinen Anspruch auf einen Sitz habe, weil diese Bedingung bet den Locarnoverhandlungen nicht ausdrücklich gestellt worden sei. Der diplomatische Korrespondent des Obscrvcr weist dagegen auf das angebliche Abkommen zwischen Jouvenel und der türkischen Regierung hin. Obschon derZu- smmnenhang zwischen dem französisch-türkischen Abkommen und der Völkerbundsfrage nicht ohne weiteres deutlich sei, sei dieser Zusammenhang dennoch vorhanden. Die Dinge lägen so, daß Frankreich mit diesem Abkommen falls die darüber zirkulierenden Gerüchte zutreffen sollten, einen gewissen Druck auf England ausüben könnte. Es würde damit aus der Vöfferbundsfrage ein Problem dcr englisch-französischen Beziehungen. Da der Quai d Orsay häufig auf die Tatsache der französischen Unterstützung Englands hingewicsen hätte, ergebe sich daraus ein Zusammenhang, denn Austen Chamberlain habe vor der Abreise Jouvenels mit diesem eine Unterredung gehabt, worin er ganz bestimmte Zusagen gemacht hätte. Wenn, sage man in Frankreich, Austen Chamberlain Frankreich in der Polenfrage betrügen sollte, warum sollte Frankreich unter diesen Umständen das Abkommen über den nahen Osten seinerseits einlösen? Mese Entwicklung, sagt der Berichterstatter, enthält zweifellos ein Körnchen Wahrheit. Sie erkläre die Behutsamkeit und Zurückhaltung mit der die englische Regierung der Kontroverse wegen der Verfassung des Völkerbundes gegenübersteht. Die Berichte
über das Abkommen mit der türkischen Regierung seien zwar vorläufig noch etwas undeutlich, wäre es aber wahr, daß Frankreich einer Grenzberichtigung zugestimmt habe, wobei die Bagdadbahn unter türkische Oberhoheit käme, dann wären englische Interessen in der Tat sehr stark beteiligt. In amtlichen Kreisen Londons mißt man den Dingen vorläufig noch keinen Glauben bei. Auch in Frankreich erheben sich Stimmen, daß diese Dinge nicht richtig seien. Man erwartet aber unter diesen Umständen nähere Aufklärungen mit einer gewissen Spannung.
Die französische Presse zu den Erklärungen Stresemanns im Ausschuß fiir auswärtige Angelegenheiten.
TU Paris, 22. Febr. Die Mehrzahl der französischen Blätter hält die Zuteilung eines nicht ständigen Sitzes an Polen so gut wie gewiß, da durch die Wahl Spaniens zum ständigen Völkerbundsratsmitglied ein nicht ständiger Sitz frei werde. Allerdings sei das Ergebnis der geheimen Abstimmung, zu der die Völkerbundsversammlung über die neue Besetzung der Sitze schreiten werde, nicht im voraus gesichert. Man nimmt jedoch an, daß die polenfreundliche Stellungnahme Italiens ausschlaggebend sein werde. Dcr „Temps" wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen die Erklärung Stresemanns vor dem Reichs- lagsausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Dem Blatt zufolge enthält der Briefwechsel zwischen der Rcichsregierung und de mVölkerbundsrat nicht ein einziges Wort, das den Schluß zuliebe, daß Deutschland einen ständigen Sitz für sich unter Ausschluß anderer Mächte in Anspruch nehmen könne. Stresemann ließe sich eine bewußte Irreführung zuschulden kommen, wenn er einen anderen Standpunkt vertrete und von Versprechen rede, die nie gegeben worden seien. Die Reorganisation des Völkerbundsrats, fährt der Temps fort, sei eine Frage, die bereits seit mehr als 2 Jahren Gegenstand zahlreicher Besprechungen in Völkerbundskreisen und Presseerörterungen bildeten. Das Blatt macht sich weiter die von polnischer Sette vertretene Auf-
Tages-Spiegel.
Im befreiten Köln fand am Samstag eine eindrucksvolle Feier der Studentenschaft v,r Universität statt, au welcher Reichsaußenminister Dr. Stresemann teilnahm.
Im Reichstag wurden am Samstag die Kompromißbeschliijs« über die Erhöhung der Erwerbsloseusürsorge und die Kurz» arbeiterfrage angenommen.
Im handelspolitischen Ausschuß des Reichstages wurde "as deutsch-französische Handelsabkommen vom 12. Februar mit 14 gegen 7 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.
Die Finanzkommission des französischen Senats hat am Sonntag das gesamte Finanzprojekt angenommen.
Im amerikanischen Kongreß brachte Viktor Berger einen Antrag auf Revision des Be-sailler Vertrages ein.
»
Am Jahrestag vo« Verdun kam es in Frankreich zu starke» deutschfeindlichen Kundgebungen.
fassung zu eigen, nach der eine Erweiterung des Rates de» Stärkung seines Ansehens und der Wirksamkeit seiner Beschlüsse dienlich sein werde._
Aus dem Reichstag.
Zustimnrung zur Erhöhung der ErwerbSlosenunterftützung.
In der Samstagssitzung des Reichstags, der letzten vor der einwöchigen Pause, wurden die Vorschläge des Haushaltsaus- schuffes über die Erwerbslosen- und Kurzarbeiterunterstützung angenommen, nachdem vorher in der Aussprache die Sozialdemokraten durch den Abgeordneten Dihmann erklären ließen, daß st« mit dieser Regelung nicht einverstanden sein könnten und ein« Erhöhung für die Hauptunterstützimgsempfänger um 30 Prz. und für die Familienzuschläge um IS Prz. verlangen müßten. Nach dem jetzigen Beschluß werden die Unterstützungssätze fiir die Ortsklassen A, B und T mit sofortiger Wirkung erhöht:
1. für alleinstehend« Erwerbslose unter 21 Jahren um 20 Prz.i
2. für alleinstehende Erwerbslose über 21 Jahren um 10 Proz.;
3. für alle übrigen Hauptunterstützungssmpfänger, sofern sie bereits 8 Wochen nacheinander unterstützt worden sind, ebenfalls um 10 Prz. In einer Entschließung wird die Rcichsregierung ersucht, mit allem Nachdruck bei den Ländern dahin zu wirten, daß eine unberechtigte Benutzung der Erwerbsloscnfürsorge bekämpft und jede Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme wahrgenommen wird. Die Kurzarbeiterrmterstützung erfolgt für den 3., 4. und S. ausgefallenen Arbeitstag zum Tagessatz, den der Kurzarbeiter als Vollerwerbsloser erhalten würde. Angenommen wurde noch in zweiter und dritter Lesung der vom Steuerausschuß empfohlene Gesetzentwurf zur Vereinfachung der Lohnsteuer, und das deutsch-französische Handelsabkommen vom 12. Februar 1926. Vom deutschnationalen Abgeordneten Hemeter wurde ein von den Völkischen bis zum Zentrum gemeinschaftlich etngebrachter Antrag begründet, der verlangt, daß di« Erwerbslosenunterstützung in wesentlich erhöhtem Maße, insbesondere in Roggenbrot, Kartoffeln und Milch, zu gewähren sei, dadurch würde die Landwirtschaft in di« Lag« versetzt werden, ihre Erzeugnisse stärker abzusetzen. Der Antrag Hemelers ging dem sozialpolitischen Ausschuß zu, worauf das Haus dann die zweite Lesung des Etats des Reichsarbeitsministeriums fortsetzte und sich hauptsächlich mit dem Krankenkassenwesen und dem Schlichtungswesen beschäftigte. Vertreter fast aller Parteien kamen zu Wort, ohne daß sie wesentliches zu sagen hatten. Unmittelbar vor der Vertagung empfahl der Kommunist Bertz einen Mißbilligungsantrag gegen den Reichsarbeitsmim- ster, dann trab das Haus in die ernwöchige Pause und vertagte sich auf den 1. März.
Die Bedenke« der Länver.
Der Reichsrat beschäftigte sich unter dem Vorfitz des Reichsarbeitsministers mit der Verordnung über die Kurzarbeiterfürsorge. Die Eesamtverordnung wurde nach den Ausschutzbeschlüssen angenommen. Einstimmig angenommen wurde ferner folgende Entschließung:
„Den Ländern ist es nicht möglich, die neuen Lasten zu tragen, die ihnen durch Einführung der Kurzarbeiterunterstüt« zung und die Erhöhung der Sätze der Erwerbslosenfürsorge auferlegt weiden. Der Reichsrat ersucht deshalb die Reichs- rogierung, unverzüglich mit den Ländern in Verhandlungen über eine den Dedürfirisjen der Länder entsprechende Neuregelung dieser Lasten einzutreten. _
Friedensmiete erst ab 1. Juli.
Der Beschluß des Steuerausschusses des Reichstages.
TU Berlin, 22. Febr. Der Steuerausschuß des Reichstages beriet heute über den Antrag, die Heraufsetzung der gesetzlichen Miete von reichswegen auf 100 Prozent vom 1. April 1926 bis zum 1. April 1927 hinauszuschieben. Nach eingehender Erörterung wurde beschlossen, die für die Hauszinssteuer bestehenden Vorschriften, die am 1. April 1926 in Kraft treten sollten, insbesondere auch die Erhöhung der gesetzlichen Miete auf 1?9 Prozent «rst am 1. Juli 1926 in Kraft treten zu lasse».