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schloß das vorrückcnde Gebirge die Aussicht.

In der Woche sah man selten Jemand unter der Linde, als etwa VräunchcS Willem", einen alten Schiffer, der nach Wetter und Ver­dienst auöschautc, und den nahc- wohncndcn dicken Wirth Guntrum mit der weißen Baumwollzipfelmütze und der langen holländischen Thon­pfeife, der auch Mal nach dem Wetter sah selten aber spielende Buben. Nicht einmal ein Douanc oder französischer Zollwächter stand da auf demLuginsland" denn grade vor dem Marktthore batten sic ein breites, hohes Erdbollwerk aufgeworfen, in dessen Mitte eine Roßkastanie stand, und hier war die Hütte erbaut, wo sie späheten, hinab und hinauf, ob's für ihre gie­rigen Fänge Nichts zu fangen gäbe.

Anders war'S an den Sonnta­gen. Da trat dieMaje unter der Linde" in ihr Recht, die Maje, das heißt, die gemächliche Unterhaltung älterer Bürger.

War der Nachmittagsgottesdienst zu Ende und der SonntagSrock mit demSonntagsnachmitagswamms" vertauscht; war die schneeweise, baum­wollene Zipfelmütze mit dem Klunker dran, übergezogen, so griff der Bürger nach der Sonntagspseife, die in der Regel ein silberbescblagenerUlmer" von Holzmasse oder ein ditto Meer­schaumkopf war; das Tabakspackel oder der lange dünne Beutel von dem Felle einer Katze, in dem sich der edle Tabak gut hielt, wurde in den Wammösäckcl gesteckt; nach Zunder, Stahl und Stein gegriffen, und dam­pfend schritt er die Straße hinab, grüßte herzlich nach rechts und links, wo die Leute auf den Bänken Vör­den Thüren saßen, und antwortete, wenn Einer fragte: Wohin, Kum­pane ? Zur Lindenmaje! Ihr wißt's ja, das ist mein Gang!

Bemerken muß ich aber ausdrück­lich, daß sich zurMaje unter der Linde" nur alte Männer einfanden und ein Kreis, der sich, so lange Einer nicht schwer krank war oder über Feld ging, weder vergrößerte

noch verringerte. Junge Männer sah man da nicht, aber immer einen Knaben, der die Spiele seiner Alters­genossen verließ, um stillhvrchend im Kreise der ibn freundlich duldenden Alten bis zur Nachtglocke zn sitzen, und der Knabe war Niemand An­ders, als der, welcher damals nicht daran dachte, daß er einmal, nach etwa einem halben Jahrhundert, dieLin­denmaje" schildern würde. Ehe ich aber einen unvergeßlichen Nachmittag dieser Maje schildere, muß ich einiger hervorragender Gestalten gedenken. Da saß jedesmal der kleine, dünne, aber im Erzählen berühmte Kürschner Schmitz vom Holzmarkt, und seine beiden Nachbarn, der kleine ernste, aber freundliche Schuhmacher Scheib und der alte Zinkgräf, der, aus Ge­wohnheit oder weil er eine Art Ner­venzucken hatte, unaufhörlich den Kopf in den Nacken warf und mit den Schultern aufwärts zuckte.

_(Fetts. felgt.)

Der Vogelsteller.

(Schluß.) *

So verstrich die erste Woche nach dem Ereignisse auf dem Vogelheerde. In der Diesend'schen Familie hatte cs den Anschein gewonnen, als sollte der Frühling beginnen, während drau­ßen in der Natur der Herbst mit dem Winter schon kleine Scharmützel hielt. Es kam der Sonntag, und wie so ganz anders als sein Vor­gänger fand dieser Tag des Herrn den Zustand im Diesend'schen Hause! Vor acht Tagen Kummer, Angst, Thränen, heute Frieden, Gottver- traucn und lachende Augen. Als die Hausgenossen alle um den Kaffee­tisch saßen, schickte der Schuster neues Schuhwerk, der Schneider neue Klei­der und der Fleischer einen stattlichen Rinderbraten, den Diesend TagS zuvor bestellt hatte. Zu nicht ge­ringer Verwunderung der Meisterin zahlte Diesend alles mit baarem Gelde und als der Geselle sich erheben und entfernen wollte, rief ihn der Meister zurück, zahlte ihm den vollen rückständigen Lohn und sagte zu ihm: Hier, Bremer, ist Ihr Geld und

hier meine Hand! Ich danke Ihnen, daß Sie uns treu geblieben und ausge­harrt in schlechten Tagen; cs soll nun besser gehen und von morgen an treten noch zwei Gesellen in Arbeit."

Der Bremer verließ mit stolzem Bewußtsein über solche Anerkennung die Stube; Frau Diesend aber, die daö Alles mit angesehen, trat auf ihren Mann zu und umarmte ihn, indem ein reicher Stroni von Freuden- thränen ihren Augen entquoll; zu sprechen vermochte sie nicht und beide Eheleute standen stumm da. Aber andere Zungen lösten sich in diesem Augenblicke. Von den Kirchthürmen der Stadt erklang sonntägliches Ge­läute und die Glocken ließen den ersten Ruf erschallen, damit die Gemeinde sich versammle.

Diesend drückte seiner Frau noch­mals beide Hände, blickte ihr dabei in die Augen und sagte:Wenn du mir vergeben und wieder Ver­trauen zu mir hast, so wollen wir uns fertig machen, um zur Kirche zu^gehen." Andachtsvoll stimmten die Eheleute in den Gesang der Ge­meinde. Diesend hörte mit Auf­merksamkeit der Predigt zu, aber die Frau vermochte heute nicht, sich zu sammeln und Len Worten des Pre­digers zu folgen. Ihr Herz war zu voll, denn sie war eingedenk der marternden Gefühle, die vor zwei Sonntagen an derselben Stelle ihr Herz schter zu zerreißen gedroht, wie unendlich ihre Seele damals belastet gewesen und wie nun jetzt alles sich so zum Guten gestaltet. Und als sie dem Allmächtigen dafür mit kind­lichem Herzen und gefalteten Händen dankte, da vernahm sie, wie der Geistliche mit erhobener Stimme seine Predigt mit dem letzten Verse des 90sten Psalmen schloß:Und die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns unv fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das Werk unserer Hände wollest du fördern." Beide Eheleute blickten sich an und sagtenAmen."

Auflösung des Näthsels in Mr. 10:

Aufgebot.

veeolglrl, gevruett uns verlegt vvn A. Oel>chläger.