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bewohner. Die Guten unter ihnen nahmen an dem Glück Karl's den frühesten Antheil und die Uebclgesinn- ten, welche Karl mit Ungunst und Neid behandelt hatten, schienen sich ihm mehr zu nähern, da sic wohl erwarteten, daß Karl bald zu den angesehensten, wenn auch nicht zu den reichsten Bauern des Dorfs gehören und sich, wie bisher, auch ferner wenig um sie kümmern werde, wenn sie seine Gunst nicht selbst zu erstreben versuchen würden.
Karl's Wirthschaft ging ganz nach Wünschen. Er sputete sich, um die Felder in noch bessern Zustand zu versetzen, wodurch sein Gütchen nur gewinnen konnte. Die Jahre, welche er auf demselben durchlebte, gehörten für den Landmann zu den glücklichen. Kein Mißgeschick traf Karl als „kleinen Bauer", denn er war mit seiner Frau und den Kindern gesund und hatte bei guten Preisen des Getreides reichliche, gesegnete Ernten.
Freilich dachte er bei Allem, was er vornahm, immer noch: „Spute vich!" Arbeit hatte er nämlich vollauf, weil er und seine Johanna mit Hilfe einer Magd Alles selbst verrichteten.
Die alte Frau Wirker sah mit unendlicher Lust aufdas Glück, welches bas Thun ihres Sohnes begleitete. Dieser aber kannte kein schöneres Vergnügen, als ihr die Jahre ihres Alters auf jede Weise zu erheitern, wobei ihm Johanna wacker bristand. Karl sollte jedoch seine alte gute Mutter nicht lange mehr haben. Sie fühlte sich eines Abends sehr unwohl und eilte, um aus dem Groß- mutterstuhle ins Bett zu kommen. Ihr Uebclbefinden nahm von Stunde zu Stunde zu. Nachts gegen 11 Uhr rief sie ihrem am Bett sitzenden Sohne zu: „Sputet euch, Karl, und kommt Alle zu mir her. Ich möchte euch noch einmal sehen; sputet euch !"
Karl erschrak. Er rief schnell die Seinen ans Bett der Mutter und sendete zugleich die Magd zum Arzte des Dorfs, welcher schon einige mal dagewesen war und den Zustand
der Frau Wirker gar nicht so bedenklich gefunden hatte.
Während Karl's Familie sich um das Bett der Kranken versammelte, athmete diese von Minute zu Minute ängstlicher. Zugleich hatte sich ein heftiger Schlucken eingestellt. Der Arzt erschien und machte eine sehr bedenkliche Miene. Karl fragte ihn nach seinem Urtheile und erhielt ein Achselzucken zur Antwort.
Jst's so sehr schlimm? sprach Karl heimlich zum Arzte.
Dieser sagte dem treuen Sohne leise ins Ohr: „Ergeben Sie sich drein, der Todtenschlucken hat sich schon eingestellt; wahrscheinlich nur einige Minuten noch, nach den Schlägen des Pulses zu urtheilen!"
Karl wurde blaß, wendete sich um und trocknete sich die Augen, um seiner Mutter von seinem innern Schmerze nichts merken zu lassen.
Die Kranke seufzte plötzlich recht tief; alle Lebensgeister kehrten ihr noch einmal zurück, das müde Auge bekam wieder einiges Feuer; sie blickte im Kreise ihrer Lieben umher, reichte allen Umstehenden die Hand und sprach in gebrochenen Sätzen: „Meine Kinder, — es ist Abend geworben für mich, — wir haben hier keine bleibende Stätte, — ich werde nun bald zu Gott gerufen! — Mir ist so bang ums Herz: er kommt bald,
— mein Erlöser! — Ich danke euch
— für eure treue Liebe, — Gott segne euch! — bleibt fromm und gut — haltet Frieden untereinander,
— ich fühl's — der Todcsengel sputet sich, — euch Allen mein Segen
— mein Tank — meine Liebe! — Wir seh'n — uns wieder! — Habt
— gute Nacht! — Dank, Segen —
— Lebt wohl!"
Bei den letzten Worten sank das müde Haupt der Frau Wirker in das Kissen zurück. Sie war verschieden, sanft, wie sie im Leben war. Karl drückte ihr vie Augen zu.
Selten sind so herbe, so bittere Thränen der Wehmuth geweint worden, als am Sterbebette und Grabe der ehrenwerthen Frau Wirker von ihren Kindern vergossen wurden. Es
Nedigirt, gedruckt und verlegt v«'rr N. Del schla
dauerte lange, ehe man sich an ihre Abwesenheit gewöhnte, denn sie bildete ein engknüpfendcs Band in ihrer Familie.
Aber die Zeit lindert Alles und mit ihrem Verlaufe nahm auch aufs neue die Heiterkeit unter den Nachgelassenen wieder Platz. In Karl's Hause blieb die Liebe und der Friede heimisch und allgewaltig regierte fortan der Zuruf: „Spute dich!"
Das Grab der Frau Wirker wurde von Karl und den Seinen im schönsten Blumenschmucke erhalten, um das Andenken der frommen, seligen Mutter zu ehren und kein Sonntag verging, an welchem nicht Karl oder Johanna mit ihren Kindern einige Minuten auf dem Friedhofe verweilten.
(Forts, folgt.)
Ein durstiges Modell. Der englische Maler Liversadge suchte stets mit einem wahren Heißhunger nach Modellen für seine meist dem täglichen Leben entnommenen Genrebilder. So ging er einst auch aus, einen Menschen zu finden, der ihm für einen betrunkenen Kesselflicker in einer Scene aus „Der bezähmten Widerspenstigen" zum Muster dienen könnte und glaubte ihn in einem alten Schuhflicker gefunden zu haben. Er nahm ihn mit nack Hause, gab ihm die gewünschte Stellung und eine Flasche Schnaps in die Hand rind ermunterte ihn nun, tapfer zu zechen, während er an seinem Bilde arbeite. Der Schuhflicker ließ sich das nicht zweimal sagen und bald war die Flasche leer. Eine zweite, die der Künstler seinem Modell reichte, hatte schnell ein gleiches Schicksal; aber das erwartete Resultat blieb aus. Der Schuhflicker war so nüchtern wie vorher und verlangte mehr Spiritus. „Schert Euch hinaus!" schrie endlich der erboste Maler. „Euch trunken zu machen, dürfte mir leicht mehr kosten, als ich für das ganze Bild kriege!"
er.