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Copha seiner Gondel lag, sprach er zu sich selbst:

Er ist ci» guter Zunge, und hat eine große Liebe zu der Kunst, vabei ist er fleißig, sehr gesittet, uuv hängt mit warmer Anhänglichkeit an mir.

Meine Beatme ist eine zarte Taube, und cs ist gut, wenn sie in seiner Brust einen Plaz findet. Wie er daö Ge­mälde betrachtete!

Wenn seine Bewunderung des Ori­gmals nur halb so groß in, so wird der Zunder bald in Flammen sein.

^ Er ist übeidieS eine hübscher Jun­ge!" mit diesen und ähnlichen Gedan­ken beschäftigte sich Titian während seiner kurzen angenehmen Fahrt nach Lido.

Indessen betrachtete sein Zögling daS Bild noch länger als zuvor, nnb wurde dadurch in seiner ansänglichen Meinung noch mehr bestätigt, daß es nicht allein ein Werk der Kunst sei, sondern einen wirklichen lebenden weib­lichen Charakter darstelle, reizender, als er je eine» in Venedig getroffen.

Das Portrait war das eines schö­nest jungen Mädchens, das ein massi­ves Kästchen in ihrer Hand hielt und alle die cS betrachteten, mit einem lä­chelnden, himmlischen Blicke beglückte.

Das Gesicht war von außerordent­licher Schönheit, dabei vereinigte sich dessen natürlicher, eiusacher und herzli­cher Ausdruck mit einem Zuge von Scharfsinn der eS weit über eine ge­wöhnliche Schönheit erhob, und die Liebenswürdigkeit der Gestalt in einem Vereine so reizender körperlicher und geistiger Persönlichkeit darstellte, wie es unter dem schönen Geschleckte nur selten aiizulrefftn ist "Der junge Künstler bewunderte daö Bild noch geraume Zeit, Van» verfiel ek, bei ihm etwas scbr Ungewöhnliches, in eine ernstere Stimmung, denn wenn auch gleich ein geborncr Spanier, so war er dock mit einem jener lebhaften Temperamente begabt, bei denen sich ernstere Gedanken selten vor dem rei­feren Manneöalter rinfinde».

Ter Jüngling sann und sann, starr vör dem Bilde sizenv, und als Titian zurückkehrte, fand er ihn schlafend in dieser Stellung, fest auch noch die ge­schlossenen Augen mit gedankenvoller Miene ans daS Bild gerichtet.

Titian rüttelte ihn an den Schultern, und Giulio starrte ihn an.

Welch' unangenehme Störung! eine Siesta ist doch einem Spanier etwas Unentbehrliches, zudem war der Lag schwül, eS war so langweilig allein zu sein, und wen» mau voueubö die Wahrheit sagen will, so Halle Giulio, der die Augen eines Malers sur alles Sckönc hatte, die halbe Nacht damu zublingen mufft,i, einer hübschen Dame Serenaden zu bringen, deren glänMve Auge» den Abend vorher Eineiuek aist ihn gemacht halten, als er unter den Fenstern ihres väterlichen Palastes spazieren ging.

Giulio Mantoni war seit seckS Mo­naten Titians Zögling, und ohne be­sondere Einfühlung unter seine Schü­ler ausgenommen worden, als welcher er eine große Lumme für den Unter riebt bezahlce.

Nach kurzer Zeit hatte er durch sei­ne artigen Sitten, seine Liebe für die Kunst, und seine außerordeiilllchen Fort- schlirte in derselben den Meister so sehr sur sich einzunehmen gewußt, daß die­ser ihm, obgleich er im einsamen Witt- werstanvc lebte, seine Wohnung anbot.

Titian lebte ru der Thal einsam, denn sein Sohn, ein wilder Zunge, halte Venedig im Gefolge des Admi­rals verlassen, um mit diesem nach Ey- pern zu selgel», und seine Tochter, sein Licblingökinb, befand sich noch in einer Erziehungsanstalt zu Friuli.

Giulio hatte die Einladung ange­nommen und war 3 Monate vor dem Tage, an welchem uiiscrc Geschickte beginnt, in dem Hause Titians wie dessen eigener Sohn ausgenommen wor­den Er wußte seinen Pinftl so ge­wandt zu führen, und besaß einen sol­chen Eifer, daß sich Titian oft dabei ftiner eigenen Jugend erinnerte.

Einige Tage ginget! vorüber, und daö Portrait blieb ruhig hängen. Giulio sah cs häufig an, sprach aber nie mehr davon, und Titian glaubte nickt zu irre», wenn er dieses Schwei­gen fiir bedeutungsvoll hielt.

Nun kam der grosse Festtag Vene­digs, der« Himmelsahrtötag, an wel­chem der Doge die jährlich wicdcrkch- rende Feierlichkeit der Vermählung mit dem Meere vornahm, bei welcher be­

kanntlich Venedig sich dadurch als Be­herrscherin der Meere bezeichnest, daß der Doge einen goldenen Fingerring i» dle Fluthc» des adliatischen MeercS warf.

Zu dieser stolzen Feier versammelte sich gewöhnlich die ganze Bevölkerung Venedigs, und somit war mit Sicher­heit daraus zu zähle», daß die schön­sten seiner Töcklcr au einem solchen Tage nickt zuiück bleiben winde».

Die kurze Fahrt des Dogen vom Kai des-herzoglichen Palastes bis an die Grenzen Lidos und MalamokaS ging stets rn jenem prachtvollen Fahr­zeuge, der Bucentaur genannt, vor fick, bas beinahe eben so alt als der Gebrauch selbst war.

Dieses prächtige Sckiff trug außer dem Dogen verschiedene Personen, na­mentlich den Rath der Zehn, die höch­ste» Beamten der Staalsinquisilion, und dann den Hasenadmiral» welcher an diesem Tage den Dienst eines Loot- seu versehen wußte, und mit einem Ei­be verpflichtet war, daS Sckiff wieder an seine Stelle im Hafen zuriickzubrin- gen.

Es befanden sich ferner die Gesand­ten der verschiedenen Länder an Bord, welche mit der Republik in Verbind­ung standen, und neben andern Nobi- lis, auck der große Maler Titian Vcr- celli, dessen unsterblicher Pinsel nock größeren Ruhm über die Vaterstadt verbreitete, als aller übrige Glanz Venedigs.

Giulio folgte mit andern seines Al­ters dem feierlichen Zuge, denn cS blieb immer eine großartige Scene, voll Glanz und Pracht, und wohl der Aufmerksamkeit eines Malers würdig.

(Fortsezung folgt).

Vermischtes.

Der gefährliche Prrdigrr:

Predigt d^r FuckS von Treu nnd Glauben,

So verstecke deine Tauben.

Redakteur: Gnüav Riviiiiv».

Druck ark Bertay der Sistiuiu-'scher, Dnch- drvckerei in Calw.