234
Copha seiner Gondel lag, sprach er zu sich selbst:
„Er ist ci» guter Zunge, und hat eine große Liebe zu der Kunst, vabei ist er fleißig, sehr gesittet, uuv hängt mit warmer Anhänglichkeit an mir.
Meine Beatme ist eine zarte Taube, und cs ist gut, wenn sie in seiner Brust einen Plaz findet. Wie er daö Gemälde betrachtete!
Wenn seine Bewunderung des Origmals nur halb so groß in, so wird der Zunder bald in Flammen sein.
^ Er ist übeidieS eine hübscher Junge!" mit diesen und ähnlichen Gedanken beschäftigte sich Titian während seiner kurzen angenehmen Fahrt nach Lido.
Indessen betrachtete sein Zögling daS Bild noch länger als zuvor, nnb wurde dadurch in seiner ansänglichen Meinung noch mehr bestätigt, daß es nicht allein ein Werk der Kunst sei, sondern einen wirklichen lebenden weiblichen Charakter darstelle, — reizender, als er je eine» in Venedig getroffen.
Das Portrait war das eines schönest jungen Mädchens, das ein massives Kästchen in ihrer Hand hielt und alle die cS betrachteten, mit einem lächelnden, himmlischen Blicke beglückte.
Das Gesicht war von außerordentlicher Schönheit, dabei vereinigte sich dessen natürlicher, eiusacher und herzlicher Ausdruck mit einem Zuge von Scharfsinn der eS weit über eine gewöhnliche Schönheit erhob, und die Liebenswürdigkeit der Gestalt in einem Vereine so reizender körperlicher und geistiger Persönlichkeit darstellte, wie es unter dem schönen Geschleckte nur selten aiizulrefftn ist "Der junge Künstler bewunderte daö Bild noch geraume Zeit, Van» verfiel ek, bei ihm etwas scbr Ungewöhnliches, in eine ernstere Stimmung, denn wenn auch gleich ein geborncr Spanier, so war er dock mit einem jener lebhaften Temperamente begabt, bei denen sich ernstere Gedanken selten vor dem reiferen Manneöalter rinfinde».
Ter Jüngling sann und sann, starr vör dem Bilde sizenv, und als Titian zurückkehrte, fand er ihn schlafend in dieser Stellung, fest auch noch die geschlossenen Augen mit gedankenvoller Miene ans daS Bild gerichtet.
Titian rüttelte ihn an den Schultern, und Giulio starrte ihn an.
Welch' unangenehme Störung! eine Siesta ist doch einem Spanier etwas Unentbehrliches, zudem war der Lag schwül, eS war so langweilig allein zu sein, und wen» mau voueubö die Wahrheit sagen will, so Halle Giulio, der die Augen eines Malers sur alles Sckönc hatte, die halbe Nacht damu zublingen mufft,i, einer hübschen Dame Serenaden zu bringen, deren glänMve Auge» den Abend vorher Eineiuek aist ihn gemacht halten, als er unter den Fenstern ihres väterlichen Palastes spazieren ging.
Giulio Mantoni war seit seckS Monaten Titians Zögling, und ohne besondere Einfühlung unter seine Schüler ausgenommen worden, als welcher er eine große Lumme für den Unter riebt bezahlce.
Nach kurzer Zeit hatte er durch seine artigen Sitten, seine Liebe für die Kunst, und seine außerordeiilllchen Fort- schlirte in derselben den Meister so sehr sur sich einzunehmen gewußt, daß dieser ihm, obgleich er im einsamen Witt- werstanvc lebte, seine Wohnung anbot.
Titian lebte ru der Thal einsam, denn sein Sohn, ein wilder Zunge, halte Venedig im Gefolge des Admirals verlassen, um mit diesem nach Ey- pern zu selgel», und seine Tochter, sein Licblingökinb, befand sich noch in einer Erziehungsanstalt zu Friuli. —
Giulio hatte die Einladung angenommen und war 3 Monate vor dem Tage, an welchem uiiscrc Geschickte beginnt, in dem Hause Titians wie dessen eigener Sohn ausgenommen worden Er wußte seinen Pinftl so gewandt zu führen, und besaß einen solchen Eifer, daß sich Titian oft dabei ftiner eigenen Jugend erinnerte.
Einige Tage ginget! vorüber, und daö Portrait blieb ruhig hängen. Giulio sah cs häufig an, sprach aber nie mehr davon, und Titian glaubte nickt zu irre», wenn er dieses Schweigen fiir bedeutungsvoll hielt.
Nun kam der grosse Festtag Venedigs, der« Himmelsahrtötag, an welchem der Doge die jährlich wicdcrkch- rende Feierlichkeit der Vermählung mit dem Meere vornahm, bei welcher be
kanntlich Venedig sich dadurch als Beherrscherin der Meere bezeichnest, daß der Doge einen goldenen Fingerring i» dle Fluthc» des adliatischen MeercS warf.
Zu dieser stolzen Feier versammelte sich gewöhnlich die ganze Bevölkerung Venedigs, und somit war mit Sicherheit daraus zu zähle», daß die schönsten seiner Töcklcr au einem solchen Tage nickt zuiück bleiben winde».
Die kurze Fahrt des Dogen vom Kai des-herzoglichen Palastes bis an die Grenzen Lidos und MalamokaS ging stets rn jenem prachtvollen Fahrzeuge, der Bucentaur genannt, vor fick, bas beinahe eben so alt als der Gebrauch selbst war.
Dieses prächtige Sckiff trug außer dem Dogen verschiedene Personen, namentlich den Rath der Zehn, die höchste» Beamten der Staalsinquisilion, und dann den Hasenadmiral» welcher an diesem Tage den Dienst eines Loot- seu versehen wußte, und mit einem Eibe verpflichtet war, daS Sckiff wieder an seine Stelle im Hafen zuriickzubrin- gen.
Es befanden sich ferner die Gesandten der verschiedenen Länder an Bord, welche mit der Republik in Verbindung standen, und neben andern Nobi- lis, auck der große Maler Titian Vcr- celli, dessen unsterblicher Pinsel nock größeren Ruhm über die Vaterstadt verbreitete, als aller übrige Glanz Venedigs.
Giulio folgte mit andern seines Alters dem feierlichen Zuge, denn cS blieb immer eine großartige Scene, voll Glanz und Pracht, und wohl der Aufmerksamkeit eines Malers würdig.
(Fortsezung folgt).
Vermischtes.
Der gefährliche Prrdigrr:
Predigt d^r FuckS von Treu nnd Glauben,
So verstecke deine Tauben.
Redakteur: Gnüav Riviiiiv».
Druck ark Bertay der Sistiuiu-'scher, Dnch- drvckerei in Calw.