Arbeitseinstellungen zeitweilig der Arbcit und dcS Verdienstes beraubt sind; man lehrt die Jüngeren sich durch häusliche Sparsamkeit gegen selche uns ähnliche Wechsclfälle sicher zu stellen; hier gibt cs Spenden zur Abhilfe der Annuth, dort um derselben vorzubeugcn. Die wirksamste Mildthätigkeit ist diejenige, der cs gelingt, den Arbeiter vom Rande jenes Abgrundes entfernt zu halten, ihm durch leibliche und geistige Fürsorge über die ^gefährlichste Altersstufe hinwegzuhelfen, und dadurch, daß man ihn befähigt sich zu genügen, ihm den Genuß vorbereitet, ernstenS seinerseits anderen Menschen helfen zu können.
Hier erblickt man ein junges elegantes Weib, das alle Sonnabende in-ci- rwm der Zimmer ihrer schönen Behausung die jungen Arbeiterinnen der benachbarten Fabrik empfangt. Sie kommen in dieses HauS, auf einen Augenblick das ihrige, um einer religiösen Vorlesung zuzuhören, welche die Herrin mit vertraulichen Erläuterungen begleitet. Sobald die den Arbeiterinnen gewidmete Stunde geschlagen hat, hört jedes Vergnügen und jede Zerstreuung auf; zu gewissen Zeiten im Jahre werden an die Aufmerksamsten Preise aus- getheilt, ohne daß deßhalb jene, die minder anfmersam waren, mit leeren Händen davon gehen. Hierin verrälh sich ebenfalls ein Zug zartsinuiger Liebe, bei ungleichen Verdiensten und bei gleichen Bedürfnissen, daS Verdienst zu belohnen zu verstehen, ohne daß cS den Anschein hat, als bringe man das Bedürfniß um siinc Hoffnungen Die Preise bestehen gewöhnlich in Beklei- dungsgegenständcn. Mehrere jener jungen Mädchen verdanken dem Fleiß und der Aufmerksamkeit, die sie in diesen Uebungsstunden bewiesen haben, einen anständigen Anzug, der dazu beiträgt, sie in ihren eigenen Augen zu erhöhen.
Anderswo nimmt mau die kleinsten Ersparnisse entgegen, welche die jun- gen Arbeiterinnen von ihrem Tagclohn machen; man legt sie werbend au — so sagt man ihnen zum Wenigsten — und beim Hcrannahen der schlechten Jahreszeit kauft man ihnen Kleidungsstücke, die sie bezahlt zu haben glauben, da man ihnen verhehlt, was die Mildthätigkeit ihrer Bankhalter zum Kapital und zu den Interessen hinzu-
gelegt hat; mau läßt es lieber darauf ankommeii, daß sie minder erkenntlich sind, wenn sie sich nur vorsorglich bezeigen. Ich war bei einer jener großen Familien zum Besuch, die in England so zahlreich sind, wo dieses Kassageschäft der Armen von den Töchtern deS Hauses verwaltet wurde. Es waren vier Schwestern neben einer Fa- miiienmuttcr von zehn Kindern.
EiucS TageS erblickte ich aus dem Grasplaz vor dem Hause die vier Schwestern sizend, inmitten von auf dem Rasen ausgebrcileten Baumwollstoffen und Wollcuzeugeu. „Welchen Zweck hat diese Ausstellung?" srug ich. „Es sind das," antworteten sie mir, „Win- tcrgegenstände für unsere jungen Ar- beiterinnen, wir breiten sie ander Sonne auS, um sic vor den Schaben zu bewahren. Sie erblicken da die Frucht von einzelnen Pfennigen, welche diese Mädchen allwöchentlich bei Seite legen, und die wir bestens zu verwenden »nS angelegen sein lassen." „Was," rief ich aus, „mit so Wenigem vollbringe» Sie so Großes?" „Nu», sie glauben es doch," war die Antwort," „und wir hüten uns wohl, sie zu enttäuschen. Uns genügt cö, wenn sie überzeugt sind, ihr Geld gut angelegt zu haben."
Unter Allem, was ich von Englands moralischen Zuständen wahrgenommcn habe, ist mir nichts mehr ausgefallen als die Aufmerksamkeit, welche mau den unteren Ständen widmet.
Das graue Hans.
(Zortsezung).
Ich ging. Durch einen glücklichen Zufall fand ich Antonie im Erkerzimmer allein. Sie erscbrack sichtlich, als sic mich erblickte, venu ich mochte freilich wohl bleich und verstört genug auö- sehcn. Sie flog mir entgegen und zitternd, beide Hände mir cntgcgcnstre- ckend, rief sie aus: „Baldrian, Gott im Himmel, was ist dir — gewiß ist
ein Unglück geschehen!."
„Ja wohl, ein Unglück, Antonie, und ein schweres — „du hintergchst deine Mutter!" crwiederte ich.
Leichenblaß wurde das arme Mädchen, und warf einen wilden, scheuen Blick umher, als ob die drohende Gestalt ihrer Mutter rächend schon dicht hinter ihr stünde. „Ach mein Heiland, woher weißt du, Baldrian" — stammelte sie, indem sie mit krampfhafter Heftigkeit meine Hand ergriff.
„Also wahr! wirklich wahr!" seufzte ich, denn meine lezte Hoffnung, daß ich mich getäuscht haben könne, schwand bei Antonies Antwort dahiu. „Und jczt, Antonie —wer ist dieser Mensch? Sage mir, wie er heißt! Sage mir Alles, wenn du nickt willst, daß ich mit deiner Mutter spreche.
„Um Gotteöwillen nickt, lieber, lieber Baldrian!" rief sie und brach händeringend in einen Strom von Thrä- ncu aus. „Die Mutter — du kennst sic nickt — sie würde mir fluchen und mich aus dem Hause stoßen. Nein, nein, lieber magst du Alles wissen! du bist mein Freund, du wirst mich nicht verreichen!"
Nun erzählte sie. Ihr Geliebter hieß Theobald und war ein Theatersänger. Antonie hatte ihn auf dH Bühne gesehen und ei» unglückliches Verhüngniß sie mehrmals auf einsamen Spaziergängen mit ihm zusammengefühlt. Er war erfahren in der Kunst zu berücken — Antonie war hübsch, und koketter, als sie hätte sein sollen. Sie verliebte sich in ihn, Theobald schwur ihr, daß er sie anbete, und das arme Kind glaubte ihm. Den zufälligen Zusammenkünften folgten verabredete, und Antonie wurde immer tiefer in die Schlingen des Verführers verstrickt. Mit Thräiien gestand sic ein, daß sie den Gedanken nicht ertragen könne, von ihm zu lassen.
„Aber was soll daraus werden?" sagte ick. „Nun und nimmer wird deine Mutter zugebcu, daß du dich an einen Schauspieler wegwirfst. Tu weißt wohl, sie hält alle Schauspieler für liederliches Gesindel, und in Bezug auf Theobald hat sie Reckt. Er ist ein schlechter, nichtswürdiger Mensch."
„Nein, » nein!" sagte sie und hob bittend ihre Hände zu mir auf — „er ist gut, und er liebt mich so schr!f'
„Ja, bis er dick in's Elend gestürzt haben wird," crwiederte ich mit Bitterkeit und Härte. „Sichst du denn