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kann, und halten will, und darin hat er Unrecht. ES kommt eine Magd und bringt einen Arm voll Bücher; sie richtet einen Gruß oder ein Komp­liment von der Herrschaft aus, und man verlasse sich darauf, daß die- cher in 14 Tagen fertig werden. Es soll nicht fehlen, sagt er; wie aber die Magd zur Thüre hinaus ist, sagt er für sich hin: in 4 Wochen istö auch noch Zeit! und legt die Bücher aus die lange Bank. Nach 14 Tagen kommt die Magd und fragt nach den Büchern Der Meister deutet auf die Presse, in welcher freilich Bücher sind, aber an­dere und sagt: dort sind sie schon, cs fehlt nur noch der Ueberzug. Aber jezt ists Zeit, sagt er hintennach zu seinem Sohne, der bei seinem Vater das Handwerk lernt, mach nur, daß heute noch die Bücher ins Leimwasser kommen, sonst verliere ick einen guten Kunden. S'ist eine Rothlüge, denkt der Sohn und lernt vom Vater nicht Llos das Plamrc'n, Falzen, Heften und Binden, sondern auch das Lügen, Alles umsonst, ohne Lehrgeld!

Aber die Stadtleute verstehen nicht allein, wie man die Kinder zum Lügen gewöhnt; auf dem Dorf versteht man's auch.

Wir kehren im nächsten besten Bauren- vderTaglöbnershause ein. Der Vater ist im Taglobn und die Mutter in der Küche ; die Kinder aber sind auf der Straße und werfen mit Schneeballen, auf einmal fliegt eine Kugel ins Fen­ster, und eine Scheibe geht in Stücken. Die Mutter Horts, und sagt: daß nur Der Vater nichts merkt! Aber eh der Glaser die Scheibe gemacht hat, kommt der Vater heim.

Wer hat die Scheibe eingeworfen? Niemand! der Niemand zerbricht Alles im Hause. Warum? jwcil der Vater sich vor Zorn nicht zu helfen weiß, wenn etwas zerbrochen wird und Ohr­feigen austheilt rechts und links, so verhehlen cs die Kinder, wenn eS ein Unglück gegeben hat, und die Mutter hilft dazu. Viel nüzt freilich das Lü­gen und Läugnen nicht, denn meistens schlägt der Vater Eins nach dem An­dern, und es kommt manchmal auch an die Mutter wenn der Niemand et­was zerbrochen hat; doch ist's meint die Mutter, besser als wenn der

Zorn über Eins allein hinaus muß.

So lehrt und lernt man in der Stadt und auf dem Dorf das Lügen und der böse Feind freut sich darüber: denn wer ans Lügen gewöhnt ist, der ist ihm schon halb verfallen. (D. B.)

Der Landprediger.

(Fortsezung).

Schweren Herzens verließ er seine Familie, die geliebte Milly der Obhut deS himmlischen Vaters und der be­sorgten Mutter anbcfchlcud. AlS er den christlichen Tempel betrat, empfin­gen ihn die Töne der vollen Orgel in der Wirklichkeit. Nickt bloS im Trau­me der Phantasie erblickte er die ver­sammelte Gemeinde, angethan mit ih­rem besten Sonntagsstaat. Er bestieg dieselbe Kanzel, an deren Fuße er so schreckliche Stunden verseufzt hatte, und Aller Augen richteten sich auf ihn, den die Schauer der Erinnerung an die vergangene Nackt mächtig anwehe- ten. Von ihr ergriffen begann er seine Predigt, die von dem guten Hirten handelte. Ach, wie gern wäre er nicht blos ein Miethling gewesen! Mit im­mer größerem Feuer legte er die Pflich­ten eines guten Hirten auS, dessen rastloses Streben dahin geht, alle Schafe, auch die weit verirrten, in den sicheren Stall zurückzuführen. Am Schlüsse seines Vortrages wurde seine Stimme bewegter, als er sprach:Mei­ne geliebten Zuhörer in dem Herrn! Die verwicbcne Nacht, so wie jdieseS christliche Gotteshaus, sind Zeugen ei­ner schwarzen That gewesen, welche drei Schafe, die wohl nickt auS un­ser,» Stalle sind, verübt haben. Zwar bin ick überzeugt, daß die drei Verirr­ten, welche unsere Kirche so frech be­raubt haben, gegenwärtig nicht unter nnö weilen. Auch wird meine Stim­me wohl schwerlich ihr Ohr erreichen. Vermochte doch selbst des Herrn Wort, durch den Mund seines geringen Die­ners in der vergangenen Nacht gespro­chen, nicht ihre versteinerten Herzen zu er­weichen. Aber des starken und eifri­gen Gottes Arm wird sie, früh oder spät, ereilen mit aller Macht, obschon die Uebelthäter ihre Namen verändert

und ihre Gefickter geschwärzt hatten. Nickt den Herrn aller Herren haben sie bestohlen, in dessen Auge Sammet und Seide, Gold und Silber, Perlen und Edelsteine nichts sind als Staub und Asche, wie Alles aus der Erde. Sie haben durch ihre That einen ge­beugte Familienvätern beraubt, einem schuldlosen Säuglinge den zarten Le- bcnSfadcn zerschnitten, sie haben sich die eigene Seligkeit gestohlen! Bittet, ja bittet mit mir den Herrn, daß er fick der Verlorenen erbarme und sie wieder zusühre ihrem ewigen Hirten, Christo'. Schließet aber auch ein in Euer Gebet den scbwerbctrübten Vater, dessen größ­ten Reicbthum, dessen schönstes Erden­glück ihm in seinen Kindern erblüht. Ach, während er hier vor Euch steht und spricht, kämpft sein jüngstes Töch­terlein vielleicht seinen lezten, seinen schwersten Kampf. O barmherziger Gott! ist es anders dein guter und gnädiger Wille, ach, so erhalte mir die, welche du mir zur Freude gegeben hast. Amen."

Still betete nun die Gemeinde mit ihrem Hirten, der ein Miethling und doch auch wiederum keiner war. Von ihren besten Segenswünschen begleitet, verließ der Vikar, wundersam gestärkt, das Gotteshaus. Als er heim kam, lag Millp still in ihrer Wiege und blickte ihren Vater mit gebrochenen Au­gen an; denn sie war todt. Derselbe hatte schon so etwas aus den dickver­weinten Augen der Seinigen gelesen und darum lieber gar nickt erst fragen mögen. Still kniecte er neben der Wie­ge nieder und befahl die schuldlose Seele der Verstorbenen ihrem himmlischen Va­ter. Dann sprach er unter sanftem Weinen zu den trauernden Seinigen: Was weinet ihr dock, Geliebte? Freuet euch-vielmehr, daß unsre Milly so schnell der Erden Last und Müh' enthoben ist. UnS wird sie nun ein unsichtbares Band, welches uns mit der Ewigkeit verbin­det. Wie viel freudiger werden mir einst den Todcsengel begrüßen, wann er kommt, uns in das Land der Seli­gen hinübcrzurufen, wo unser die zum Engel des Lichts verklärte Milly jauch­zend harret. Liebe Frau, würden wir cs nicht für ein großes Glück ansehen, nähme eine vornehme Lady oder wohl gar eine Prinzessin eine unserer Töch-