Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw

'»»6

98. Jahrgang

Nr. 282

LR«

WM

ÄÄiL

»-,»-,nu>:«rwt,,«: kmol wdchcnMch. Änz.tg-npnt, ! Dt« Mle w G°t«vr-nntgk. s-mii'-n- l Samstag, den 29. November 1924.

t- «"-Pi. RNU>m;n so G. Pi. Lut Sam,mi-N,et,-N I-mm t «in Ruilbla» »on INN'/, _I

VezuaSprel»: Hn der Stadt mit LrÜgerlohn 40 Goldpfenntg wöchentlich PoftdezugSpretL 40 Goldpfenmg ohne Bestellgeld. Schluß der Anzeigenannahme 8 ühr vormittags.

Krise im Kabinett Herriol.

Bestechung von Kabinettsmitgliedern während der letzten Wahlkampagne.

Veröffentlichungen d r Liberte.

Paris, 29. Nov. Der ALg. Taittinger macht in der .Libertö" neue aufsehenerregende Angaben über die Bestechung von Mit­gliedern des Kabinetts Herriot während der letzten Wahlkam- pagne. Von Rainaldy behauptet er, daß dieser am 6. November 1923 von dem Senator Bilhiet, dem. Vorsitzenden der rechts ge­richteten Vereinigung der Wirtschastsinteressenten einen Scheck (Nr. 32 291) über 10 009 Franken zur Vorbereitung der Wahlen entgegengenommen habe. Rainaldy hatte darauf das Programm der Vereinigung der Wirtschastsinteressenten restlos gutgeheißen. Es ist unverkennbar, daß die Enthüllungen Taittingers in po­litischen Kreisen starken Eindruck gemacht haben. Die Stellung des Kabinetts Herriot gilt, wie auch derJntransigeant" zu ver­stellen gibt, als erschüttert. Es wird damit gerechnet, daß die Mitarbeiter Herriots, die Gelder aus der Wahlkasse des Sena­tors Bilhiet erhalten haben, aus dem Kabinett ausscheiden. In der heutigen Kammersitzung nimmt die Mehrheit gegen diese Möglichkeit Stellung. Alles deutet darauf hin, daß die Aus­sprache die Entscheidung bringen wird. Der sozialistische Abge­ordnete Jean Felix verlangt in längerer Rede, die beständig von Zwischenrufen unterbrochen wird, Auskünfte von der Regie­rung über die Enthüllungen derLiberia". Die Erregung im den Wandelgängen ist ungeheuer. Man betrachtet die Situation als kritisch und erklärt, daß Herriot große Geistesgegenwart an den Tag legen muffe, um das Prestige seines Kabinetts zu retten.

Die Außemandersetzung in der franz. Kammer.

Paris, 29. Nov. In der Kammer ist es gestern nachmittag wegen der Enthüllungen des Abgeordneisn Taittinger zu einer befugen Auseinandersetzung gekommen. Der Handelsminister bestreitet nicht die gegen ihn erhobene Beschuldigung, er erklärt aber, daß er 1923 dem republikanisch-demokratischen Verbände angehörte, der ihn an die Vereinigung der wirtschaftlichen In­teressen, in der Senator Bilhiet den Vorsitz führte, verwiesen habe. Ein Interpellant beannagt die Einsetzung eines Unter­suchungsausschusses. Der Handelsminister und Herriot schlossen sich dem Antrag an.

Der Beschluß der französischen Kammer in der Angelegenheit Ler Wahlgelder.

Paris, 29. Nov. Der Antrag des Abg. Felix auf Einsetzung eines UntersuchungsaussLusses zur Ermittlung der näheren Um­stände, unter denen die Bereinigung der wirtschaftlichen Intex- esien sich in dem Wahlfelözug 1924 mit finanziellen Mitteln be­teiligt hat, wurde von der Kammer einstimmig angenommen. Loucheur brachte folgenden Zusatz ein: Die Kommission hat die Herkunft der Beträge festzustellen,.die allen Parteien 1924 zur Verfügung gestellt wurden. Ein Abgeordneter der Rechten schlug vor, daß die Untersuchung sich auf die Zeit von 1919 bis 1924 erstrecken solle. Blum protestierte dagegen. Der Vorschlag wurde mit 209 gegen 246 Stimmen abgelehnt. Die gesamte Tagesord­nung gelangte mit S31 Stimmen zur Annahme. Im Verlauf der Debatte betonte Herriot. daß die Untersuchung sich aus sämt­liche Parteien, also auch auf die radikal-sozialistische Partei, er­streckt. Man werde feststellen, daß die Radikalsozialisten während des letzten Wahlfeldzugs sich in einem Zustande großer Armut besandcn. _

Die WirlschafLsverhandlungen.

Der Stand der deutsch-englischen Verhandlungen.

London, 29. Nov. In dem bisher erzielten Stand der deutsch-englischen Handelsvertragsverhandlungen hat Eng­land, wie dieTimes" schreibt, nicht nur das Recht der meistbegünstigten Nationen, sondern auch gewisse Garan­tien erhalten wegen der Beschränkung von Ausfuhren nach Deutschland. Das hauptsächlichste Zugeständnis Groß­britanniens ist, daß die britische Regierung ohne Ver­zögerung dem Parlament ein Gesetz unterbreiten soll, das alle Bestimmungen über die Deutschen in England als ehe­malige feindliche Ausländer aufgibt, mit der Wirkuna daß kein Unterschied mehr gemacht werden soll zwischen "deut­schen Staatsangehörigen und anderen Ausländern Die Frage der 26prozentigen Abgabe für Einfuhren aus Deutschland bleibt noch unerledigt. Der deutsche Vorschlag geht dahin, daß das System der Einkassierung der Nepa- rationsabgabe, die bisher in der Weise erfolgte, daß der englische Käufer der deutschen Güter diese Abgabe bet seiner Zahlung an den deutschen Exporteur berücksichtigte und die Abgabe in jedem einzelnen Falle von der engli­schen Regierung einkassiert wurde, nunmehr durch eine monatliche Abrechnung zwischen den beiden Regierungen ersetzt werden soll. Die deutsche Regierung soll der briti­schen eine Summe in Koldmark gutschreiden, die den 26 Prozent gleichkommt. Die Einwendungen gegen dieicn Vorschlag gehen dahin, daß er vollkommen gegen die Be- iu.unnungen des Dawes-Planes wäre und gegen die Absicht Gilberts, die dieser auch in seinem Brief an die deutsche Regierung am 14. November ausgedrückt hat.

Der Arbeitsplan der deutsch-französischen Verhandlungen.

Paris, 29. Nov. Die Sachverständigen der deutschen Schwer­industrie haben gestern vormittag mit ihren französischen Kol­legen Fühlung genomnien. Am Nachmittag hat dann eine offi­zielle Vollsitzung unter Hinzuziehung der Sachverständigen statt­gefunden. Es wurden allgemeine Fragen erörtert. Außerdem ist das Perhandlunasprpgramm für die nächsten Tage festgesetzt worden. Heute treffen sich die Sachverständigen des Maschinen­baus und der Eisenverarbeitenden Industrie. Sonntag ist eine Ruhepause. Am Montag findet eine Vollsitzung der beiden Ab­ordnungen unter Hinzuziehung der Sachverständigen des Ma­schinenbaus statt. Am Dienstag ist eine Vollsitzung, zu der die Sachverständigen der Schwerindustrie eingeladen sind und am Mittwoch eine weitere Vollsitzung unter Hinzuziehung der Sach­verständigen der Eisenverarbeitenden Industrie.

Gilbert vor der Reparationsksmmi fron

Paris. 29. Nov. Die Reparationskommission hat gestern vormittag den Generalagent für die Reparationszahlun­gen gehört. Laut einer offiziellen Mitteilung berichtete Gilbert über seine Arbeiten in Berlin und gab Aufschlüsse über die Buchführung. Daran schloß sich ein Meinungs­austausch zwischen den Mitgliedern der Kommission und Gilbert über verschiedene Fragen, zu deren Losung eine Zusammenarbeit der Reparaiionskonsipission mit dem Generalagenten erforderlich ist. Weiter hat die Nepa- rationskommission einem Auftrag zugestimmt, der die Ein­fuhr von 2300 Tonnen Stickstoff und 300 Tonnen Schwefel« amoniak nach Frankreich auf Reparationskonto für die Monate November und Dezember 1924 vorsieht. Später hat die Reparationskommission laufende Angelegenheiten erledigt. Nach Auskünften, die der Vertreter der Tele- graphen-Union erhalten hat, betonte Gilbert den guten Willen der deutschen Regierung. Die Ausführung des Sach­verständigenberichtes vollziehe sich planmäßig und die Monatsleistungen lau-en pünktlich ein. Gilbert bat sogar Beträge zu seiner Verfügung, deren Verwendung ihm nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Es wird die Aufgabe der interalliierten Finanzminister sein, im Verlause «ihrer Be­sprechungen Ende nächsten Monats die genaue Verteilung der einzelnen Beträge zu regeln. Bis dahin beabsichtigt der Generalagent aus diesen Betrügen u. a. die Nück- erst-ittu>'a der Wprozentigen Abgabe zu bestreiten, die er künftig direkt an die deutschen Kaufleute leisten wird. Weiter hat sich der Generalagent ausführlich über kom­plizierte Buchführunassragen geäußert. Bei der Frage der Kohlsnlieserunoen betonte Gilbert, die Schwierigkeiten der genauen Verrechnung der bereits geleisteten Lieferungen- Er deutete die Möglichkeit an, daß gewisse Nationen mehr als ihnen zustehe an Kohlen erhalten hätten; auch in dieser Frage werde die Konferenz der interalliierten Finanzminister Klarheit schaffen mästen. Gilbert wird wahrscheinlich morgen nach Berlin zurückreisen, da er am kommenden Sonntag an der Sitzung des Uebertragungs- ausschustes in Berlin teilzunehmen beabsichtigt.

Die Laqe in Aeaypten.

Meuterei in Chartum. -

London, 28. Nov. Nach einer Reutermeldung aus Kairo meu­terten heute 2 Abteilungen des 11. sudanesischen Bataillons in Chartum. überfielen das Militärhospital und töteten einen eng­lischen Offizier und 2 syrische Aerzte. Die englischen Truppen feuerten auf die Meuterer, die ernstliche Verluste erlitten.

Die ägyptischen Truppen wallen den Sudan nicht räumen.

London, 28. Nov. Nach einem amtlichen Bericht aus Kairo weigern sich die ägvptischen Offiziere und Truppen in Chartum, den Sudan zu verlassen. Der diensttuende Kommandant habe geäußert, er müsse erst den Befehl der ägyptischen Regierung abwarten. ehe er den Sudan räumen könne. Infolgedessen haben die englischen Truppen die ägyptischen Truppen des Sundans um­zingelt. Die Verwaltung von Chartum hat Befehle aus Kairo erbeten.

Der ägyptische Völkerbundsprotest angenommen.

Paris, 28. Nov. Das Sekretariat des Völkerbunds hat sich entschlossen, den Protest der ägyptischen Kammer zur Kenntnis des Präsidenten des Völkerbundsrates, Hymans, zu bringen. In London wird angenommen, daß dieser Entschluß auf den aller­schärfsten französisch-italienischen Druck zurückzuführen ist.

Ein Protest des ägyptischen Senates in Genf.

Genf, 29. Nov. Beim Eeneralsekretariat des Völkerbundes ist gestern ein« Protestnote des ägyptischen Senates eingegangen,

Neueste Nachrichten.

Das Kabinett Herriot erlitt durch Veröffentlichungen derLi­berte", worin die Bestechung mehrerer Kabincttsmitgüeder während der letzten Wahlen äusgedeckt wird, eine schwere Er­schütterung.

*

Die englischen Behörden in Aegypten fahren mit scharfen mili­tärischen Maßnahmen und Androhung von Verhaftung-a fort.

*

In Chartum, der Hauptstadt des Sudans, haben gestern Teile eines gemischten ägyptisch-sudanesischen Regiments gemeutert, wobei drei britische Aerzte getötet wurde».

*

Das Völkerbundesekretariat hat den ägyptischen Protest an den Völkerbundsvorsitzenden Hymans weitergeleitct.

Sowohl England wie Rußland sind bereit, nach Verwerfung des von Macdonald abgeschlossenen Vertrags neue Verhandlungen über ein Abkommen ernznleiten.

Das llntersuchungsverfahren des Reichsgerichts Leipzig zur Re­habilitierung des Generals Nathusius ist bereits im Gang.

in der ähnlich wie in der Note der Kammer gegen das völker­rechtswidrige Vorgehen Englands in Aegypten Protest erhoben wird. Von einer Intervention des Völkerbundes erwähn: die Note des Senates nichts.

Die französischen Sozialdemokraten zur ägyptische« Frage. Paris, 29. Nov. Der Ausschuß der Sozialdemokratischen Par­tei hat gestern an die englische Arbeiterpartei ein Telegramm gerichret, in dem er sie zu ihrer mutigen und entschlossenen Hal­tung beglückwünscht die sie in der Frage des englisch-ägqpt,sichen Konflikts eingenommen hat. Die französischen Sozialisten ver­sprechen den englischen Arbeitern, heißt es in dem Telegramm, sie bei jeder Gelegenheit zu unterstützen und eventuell durch Vor­stellungen bei der englischen Regierung zu verhindern, daß Nord­afrika Gegenstand kapitalistischer Ausdeutung und Anlaß zu einer drohenden Kriegsgefahr werde.

Die Türkei und d« englisch-ägyptische Zwischenfall. London, 28. Nov. DieTümes" melden aus Konstantinopel: Das Blatt Tewbid-il-Efriam schreibt: Die britische Aktion in Aegypten bedeutet einen Angriff auf den Islam und sieht vor­aus, daß der Kampf für die Unabhängigkeit wie in Spanisch- Marokko weitergehen werde. Das Blatt Akisham schreibt, daß die Bestrafung einer ganzen Nation für das Verbrechen eines einzelnen ein Rückfall in die Barbarei sei und daß die Türken, die eine britische Okkupation erlitten hätten, volles Mitgefühl mit den Aegyptern hätten.

Ehrung Dr. Eckeners in Berlin.

Berlin, 28. Nov. Im Marnrorsaal des Zoo fand heute abend in Gegenwart des Reichspräsidenten, der Vertreter der Reichs­regierung, der Länder, zahlreicher Behörden, der Wissenschaft, Kunst und Presse die große Eckener-Feier statt, die vom Neichs- verband der Deutschen Presse veransülltet wurde. Dem Vortrag Dr. Eckeners gingen künstlerische Darbietungen des Philharmo­nischen Orchesters voraus. Nach dem Meistersinger-Vorspiel be­grüßte der Direktor des Reichsvcrbandes der Deutschen Presse, Chefredakteur Gustav Richter, Herrn Dr. Cckener und ließ ihm unter dem jubelnden Beifall der Zuhörerschaft einen Lorbeer­kranz mit den Farben der Stadt Flensburg überreichen. Pize- kanzter Dr. Jarres entbot dem Führer des Z. R. III im Namen des Reichspräsidenten und der Reichsreaierung den Gruß des deutschen Volkes. Ihre Tat. sagte der Minister, war ein Licht­blick im düster» deutschen Tal, auch wenn die vertragsmäßige Ablieferung des stolzen Luftschiffes bittere Gedanken in jedem Deutschen erwecken mußte. Aus dieser Tat schöpfen wir und das vernünftig denkende Ausland die Zuversicht, daß die Fesseln fal­len werden, die der Friedensoertrag und vielleicht noch mehr seine Auslegung unserer Luftschiffahrt auferlegt haben. Die Mitarbeit am friedlichen Fortschritt darf uns nicht versagt blei­ben. Bei unserem Dank an Sie, Herr Dr. Eckener, und ihre Mitarbeiter gedenken wir auch des großen Mannes, der unbeug­sam seinen Plan durchsetzte, des Grafen Zeppelin. Im Namen des alten Reichstags feierte Vizepräsident Dr. Rießer die Fahrt über den Ozean als einen Sieg des Zusammenwirkens deutscher Technik, Wissenschaft und Industrie. Als nun Dr. Eckener selbst das Podium betrat, erhob sich das Publikum und der Be- arüßungssturm nahm erst ein Ende, als Dr. Eckener heftig mit den Händen abwehrte. Zu Beginn des Vortrags nahm Dr. Eckener den ihm gespendeten Dank für die Erbauer des Schiffes und für den in Friedrichshafen noch immer lebendigen Geist des Grafen Zeppelin in Anspruch. Ich habe, fuhr er fort, bei der ganzen Fahrt von Anfang an die Mentalität des deutschen Vol­kes bewundert. Luftschiffe sind doch schon zu Hunderten gebaut worden, aber mit diesem Schiff flogen die deutschen Hoffnungen mit in die Welt hinaus. Diese Fahrt ist für mich nicht nur ein Sieg der deutschen Technik, sondern auch ein politischer Erfolg gewesen. Meine Kameraden und ich sind natürlich nicht darauf eingestellt gewesen, diese Wirkung zu erzielen, aber wir sind stolz darauf, dem deutschen Volk einen Dienst erwiesen zu haben. Wir haben die Fahrt über den Ozean nie als ein Wagnis be­trachtet. wir wußten ganz genau, daß wir siegen werden. Dr. Eckener gab dann in manchmal mit Humor gewürzten Worten eine Schilderung der Fahrt und des Aufenthalts in Amerika»