Niederschrift über die 5. Sitzung des Kreistags am 15.05.1995

Ich habe volles Verständnis dafür, daß ein Oberbürgermeister und ein Gemeinderat sich über Zukunftskonzepte ihrer Stadt unterhalten und sich auch mit zuständigen Stellen darüber beraten. Absolut kein Verständnis haben wir jedoch dafür, daß klammheimlich ohne Information der Öffentlichkeit, vorbei an den in ihrer Exi­stenz Betroffenen, den Standort Calw durch das Angebot, das Gelände für Zwecke der Stadt zu nutzen, indirekt zur Auflösung angeboten wurde.

Hiervon erfuhr ich durch die Pressemitteilung des Staatsministeriums vom 31.

März 1995. Wäre das Staatsministerium nicht an die Öffentlichkeit gegangen, hät­ten wir möglicherweise nichts oder deutlich später von diesem Calwer Coup gegen die Schwarzwaldbrigade erfahren. Mit meinem Schreiben an Ministerpräsident Teu­fel vom Sonntag, 2. April habe ich mit einer ausführlichen Begründung die Erhal­tung des Standortes Calw oder Nagold gefordert.

Soweit mir bekannt, kämpfen alle Bürgermeister und Gemeinderäte der von der Stillegung bedrohten Standorte bundesweit um den Erhalt. Nur Calw stellt seinen zukunftsorientierten Standort zur Disposition. Die Gründe liegen nach meiner Be­urteilung in einer völligen Fehleinschätzung der menschlichen und sozialen Gege­benheiten der betroffenen Bürger, wie der Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Folgen, Zahlen und Fakten. Calw gibt ein wertvolles Pfand aus der Hand und dies, ohne erkennbare Gegenleistung. Hier wurden nach meiner Beurteilung gegen die In­teressen der Stadt, der direkt betroffenen Soldaten, der Zivilbediensteten und ihrer Angehörigen, sowie der betroffenen Wirtschaftskreise in der Stadt und im Landkreis gehandelt. Ministerpräsident Teufel schrieb mir bereits am 4.04.1995: "Ich habe der Stadt Calw zugesagt, daß sie für die Entwicklung auf dieser Fläche im Rahmen des geltenden Rechts und im Rahmen vorhandener Programme (und ich füge hinzu, nach Maßgabe des Haushaltes) gefördert werde. Konkrete Zusagen habe ich keine gemacht. Insbesondere habe ich die Haltung der Stadt nicht durch irgendwel­che Versprechen beeinflußt."

Wie wir inzwischen aus den Verlautbarungen der Presse unter Mitteilung der Lan­desregierung, die mir zugehen, wissen, hat die Landesregierung das Angebot von Calw angenommen, denn die Bundeswehr hat unmißverständlich gesagt, daß sie einen Standort in Baden-Württemberg nur dann halten könne, wenn aus Baden-Württemberg ein anderer Standort angeboten werde. Die Landesregierung konnte locker zugrei­fen, da sie ohne erkennbare Gegenleistungen Calw sich als Retter eines anderen Standortes - wahrscheinlich Pfullendorf - wird feiern lassen können.

Nach allen mir zur Verfügung stehenden Informationen hat Nagold aus diversen mi­litärischen Gründen (es fehlt z.B. an Gelände und Einrichtungen für die Fall­schirmmelder usw.) kaum noch eine Chance, anstelle von Calw erhalten zu werden.

Sollte Calw aufgelöst und der Standort nicht nach Nagold verlegt werden, dann wird der Kreis Calw bundeswehrfrei mit verheerenden für die betroffenen Soldaten mit ihren Familien sowie die Zivilbediensteten, die keine Ausweichmöglichkeiten haben, weil alle Standorte im erreichbaren Umkreis von Calw und Nagold bereits aufgelöst sind. Nach meiner Beurteilung hätte es auch verheerende wirtschaftli­che Folgen für zahlreiche Betriebe und ihre Beschäftigten im Raum Nagold und Calw. Weite Teile der Bevölkerung in Calw und Umgebung stehen hinter der Bundes­wehr. Innerhalb von drei Tagen wurden 6 200 Unterschriften gesammelt, die dem Bundesverteidigungsminister, dem Ministerpräsidenten Teufel sowie den Bundes­tags- und Landtagsfraktionen samt Pressespiegel zugeleitet wurden.