NACHRICHTENBLATT
DER MILITÄR-REGIERUNG FÜR DEN KREIS CALW
AVIS DU GOUVERNEMENT MILITAIRE, DU LANDRAT ET DE TOUTES LES AUTORITES DE L'ARRONDISSEMENT DE CALW
CALW 3. November 1945 N r . 30
Der Gouverneur sprach zu den Bürgermeistern
In einer Bürgermeisterversaminlung im großen Rathaussaal in Calw sprach der Herr Gouverneur, Commandant Frenot, in umfassender Weise über die derzeit aktuellen Probleme und gab den vollzählig versammelten Ortsvorstehern hierbei wertvolle Aufschlüsse. Nachdem der Gouverneur sich die 47 neuernannten Bürgermeister des Kreises hatte vorstellen lassen, führte er u. a. aus:
Seit etwa vierzehn Tagen wird Württemberg wieder von einer deutschen Regierung verwaltet-, für die französische Zone ist ein Staat ..letariat in Tübingen errichtet. Die Müh.irregierung für Württemberg gibt diesem Staatssekretariat ihre Weisungen, das letztere vermittelt sie den Landräten und diese wiederum den Bürgermeistern; die Bürgermeister unterstehen also einer deutschen Behörde. Ihre Ernennung erfolgt durch den Landrat n£ch Genehmigung durch den Gouverneur. Die Militärregierung überwacht die ^Durchführung der Verordnungen, unter-
f * "itzt die deutschen Behörden in jeder eise und bestraft jede Uebertretung bzw. chtbefolgung. Der Kreisvertrauensrat, ©in nichtoffizielles Komitee, berät den Gouverneur in allen personellen Fragen. In seiner Zusammensetzung entspricht er bereits dem künftigen politischen Bild des Kreises. Die nächstwichtigste Aufgabe für <)ie Gemeinden ist jetzt die Bildung von Gemeinderatkomitees, die Öls Vorläufer der zu wählenden Gemein- (leräte anzusehen sind. Sie umfassen je hach Größe der Gemeinde 2—8 Mitglieder find müssen sofort ins Leben gerufen werden. Diese Gemeinderatkomitees sind bereits eine politische Einrichtung; in ihnen sollen sich die politischen Parteien (zugelassen sind die Sozialdemokratische Partei, die Kommunistische Partei, eine demokratisch - liborale Partei und eine aus dem früheren kath. Zentrum und dem ehern, prot. Christlichen Volksdienst bestehende Christlich-soziale Partei) wider- epiegeln. Die Kandidaten für die Gemeinderatkomitees werden von den Bürgermeistern vorgeschlagen und nach Prüfung ihrer politischen Vergangenheit vom Landrat ernannt
In absehbarer Zeit nehmen die politischen Parteien ihre Tätigkeit wieder auf. Sie werden Versammlungsfreiheit erhalten. Verboten sind lediglich jede Kritik der Besatzungsmächte und ihrer Anordnungen sowie das Aufstellen von Parteiprogrammen. statthaft hingegen eine sich in den Grenzen des Anstands haltende antinazistische Propaganda. Der Bürgermeister muß als Amtsperson neutral sein; er ist als Polizeichef für die Ordnung verantwortlich und darf keine Partei begünstigen. In einem Wort an die abtretenden Bürgermeister sagte der Gouverneur, daß eich ihre Abbeiufung in_keiner Weise gegen ihre Person noch gegen ihre Befähigung richte Wir ha'en eine neue Zeit und sie sollen beweisen, daß sie sie verstehen.
Zur Ernährungslage bemerkte der Gouverneur, es habe jetzt eine Verbesserung erzielt werden können. Während der arbeitende Mensch früher normal 2400 Kalorien verbrauchte, erhält er heute in Deutschland 1000 Kalorien. In Landkreisen ist die Lage aus begreiflichen Gründen eine günstigere. Zum Vergleich führte Commandant Frönot an, daß in Frankreich während der Besetzung die offizielle Kalorienmenge 1200 nie überschritten habe und in den Städten höchstens 800—900 Kalorien .zugeteilt werden konnten. Die Militärregierung habe nun-
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Kreis Calw
Sammeleingaben verboten!
Das Gouvernement Militaire teilt mit, daß kollektive Eingaben, Ansuchen und Beschwerden verboten sind und infolgedessen nicht bearbeitet werden.
Der L a n d r a t.
Dank an die Einwohnerschaft Calws Die 2 Tage lang vermißte Fahne ist wieder aufgefunden worden. Wir danken der Cajwer Bevölkerung für ihre tatkräftige und erfolgreiche Mithilfe. Die ausgesetzten 5000 RM. und die Schwerarbeiterzulagekarten sind heute dem Finder Bowie den übrigen Mithelfern ausgehän- fligt worden.
Landrat Wagner. Bürgermeister Göhner.
mehr eine Erhöhung der Kalorienmenge auf 1500 Kalorien genehmigt; die Erhöhung beziehe sich auf die Brot- und Fleischzuteilung. Unser Kreis, so fuhr der Gouverneur fort, ist bei einer Zuteilung von 200 Gramm Brot pro Tag bis 31. März hinsichtlich der Brotversorgung gesichert. Ein Uebergehen auf die zulässige, neue Quote von 9 kg Brot im Monat (300 g pro Tag) würde das aufgestellte Versorgungsprogramm umwerfen, d. h. die Versorgung über den Winter angesichts der bestehenden Transportschwierigkeiten in Frage stellen. Wir werden aus diesem Grunde vorschlagen, die Brotration momentan nicht zu erhöhen, dafür aber eine kleine Mehlzuteilung (1 kg pro Versorgungsabschnitt) einzuräumen. Die Fleischration wird auf 100 g in der Woche erhöht, d. h. verdoppelt. Unser Kreis muß dafür einen weiteren Eingriff in seine Viehbestände in Kauf nehmen; im November sind 250 Tiere zu Schlachtzwecken abzuliefern. Der Gouverneur forderte in diesem Zusammenhang, daß der Viehaufzucht alle Aufmerksamkeit geschenkt wird und sagte allen hierzu dienenden Maßnahmen seine volle Unterstützung zu. Die Fettration bleibt unverändert.
Den Bemühungen des Herrn Gouverneurs ist es gelungen, in Verhandlungen mit der amerikanischen Besatzungsmacht eine Zuschußleistung für die 12 000 in unserem Kreis lebenden, in Städten der amerikanischen Zone beheimateten Evakuierten zu erwirken. Die erste, Fleisch, Fett und Mehl umfassende Lieferung wird in Calw zentralisiert und im Dezember als bescheidene Weihnachtszuteilung ausge- geben. Dem Herrn Gouverneur ist ferner zu verdanken, daß durch eine Zuckerlieferung aus der amerikanischen Zone Kinder bis zu 6 Jahren mit einer Zuckerzuteilung bedacht werden können, im Zusammenhang mit der Evakuiertenfrage w.ies Commandant Frenot darauf hin. daß derzeit 9 Millionen Deutsche aus dem Osten als Evakuierte auf der Rückwanderung sind. Nordwürttemberg und Nordbaden müssen von diesen Obdachlosen über 500 000 aufnehmen.
ln der Versorgung der Besatzungstruppe, so fuhr der Herr Gouverneur fort, ist eine Erleichterung eingetreten, nachdem die letztere von 8000 auf 5600 Mann verringert worden ist. Ihre zusätzliche Verpflegung erfolgt bekanntlich durch vom Gouvernement Militaire ausgestellte Einkaufsscheine. Es ist Sache der Bürgermeister darüber zu wachen, daß die einschlägigen Bestimmungen überall korrekt eingehalten werden; tun sie
dies nicht, machen sie sich strafbar. Requisitionen und Käufe ohne Bons d’aehat der Militärregierung sind und bleiben strengstens verboten. Die Deportierte n f r a g e ist mit dem Abtransport der Russen fast erledigt. Die Polen sind disziplinierter geworden. Der Gouverneur forderte den nötigen Takt in der Behandlung der Deportierten, die keineswegs freiwillig nach Deutschland kamen sowie sofortige Meldung etwa auftretender Schwierigkeiten. Zur Futtermittelfrage führte der Gouverneur aus, daß die Anforderungen an den Kreis bezüglich der Aufbrin-, gung von Hafer, Preßstreu und Stroh verhältnismäßig groß seien. Er wolle sich für Erleichterungen einsetzen. Die Besatzungsanforderungen innerhalb des Kreises selbst seien gering. Die Versorgung der Land- und Forstwirtschaft mit Pferden ist nach wie vor schwierig.
Zur Lage des Transportwesens führte der Gouverneur aus: Die Fahrbereitschaft wird neu organisiert. Möbeltransporte mit Lastwagen sind vorerst selbst auf Leerfahrten verboten. Die Lebensmittelversorgung geht in diesen Wochen vor und duldet keinerlei Störungen im Transportwesen. Den Anweisungen der Fahrbereitschaft muß unbedingt Folge geleistet werden, andernfalls wird das Gouvernement Militaire mit scharfen Strafen durchgreifen. Die Kohlen Versorgung ist, da der Bahnverkehr immer noch unterbrochen ist, unzulänglich. Wir müssen uns in diesem Winter mit Holz helfen. Kritisch ist die Lage in der Elek- t r i z i t ä t s Versorgung; der Stromverbrauch muß auch' in unserem Kreis um ein Drittel herabgesetzt werden.
Die Lage der deutschen Kriegsgefangenen streifend, fuhr der Gouverneur fort, habe bedeutende Verbesserungen erfahren. England, Frankreich, Amerika und Deutschland haben die Genfer Konvention unterzeichnet. Ihre Bestimmungen einzuhalten, war bei den Millionenziffern der Gefangenen seither praktisch nicht möglich. Sie kommen nunmehr zur Anwendung; entlassen werden zunächst Landwirte, fiisenbahnbeamte und Staatsbeamte. Das Einsetzen, von Arbeitskommandos deutscher Kriegsgefangener ist nicht Sache des Gouvernement Militaire, sondern der Ortskommandanten und Zivilbehörden.
Hinsichtlich der Besatzungskosten treten ab-1. November insofern Erleichterungen ein. als die Entlohnung des Zivilpersonals (Bedienung) rückwirkend ab 1. Oktober zu Lasten der Truppe geht. Bei Beschlagnahme von Hotels bezahlt der Besitzer das Personal, da hier die Bedienungsleistungen eingeschlossen * sind.
Ablieferung von Brotgetreide und Brotgerste
Drusch- und Ablieferungsprämie
Die Mehlversorgung des Kreises" Calw verlangt sofortigen Drusch und Ablieferung von, Brotgetreide und Brotgerste an die Mühlen oder Getreideverteiler (Wüwa-Lagerhäuser). Mit wesentlichen Zuschüssen aus Gebieten außerhalb des «Kreises kann im Augenblick nicht gerechnet werden. Die Versorgung ist daher zunächst fast ausschließlich mit kreiseigenem Getreide zu bewerkstelligen.
Zur Sicherstellung der notwendigen Getreidemengen muß daher Zwangsdrusch angeordnet werden. Gemäß Erlaß des Landesernährungsamtes Württemberg - Hohenzollern und mit Zustimmung der französischen Militärregierung ordne ich daher an:
Bis zum 15. November 1945 müssen vom Umlagesoll der Gemeinden mindestens
30 Prozent an Brotgetreide und 30 Prozent an Brotgerste gedroschen sein und unter allen Umständen abgeliefert sein. ~
Als Drusch- und Ablieferungsprämie erhält jede Gemeinde für je 10 dz bis /um 15. 11. 1945 abgeliefertes Brotgetreide einschl. Brotgerste einen Bezugsberech- 'tigungssehein über 1 dz Kalkstickstoff und für jede weitere Tonne, abgeliefert in der Zeit vom 16. bis 30. November 19 4 5, einen Bezugsberechtigungsschein über 0,5 dz Kalkstickstoff.
Die Mühlen und die Getreideverteiler (Wü-Wa-Lagerhäuser) haben die aufgenommenen Mengen unter gleichzeitiger Vorlage der Ablieferungsbescheinigungen bis zum 17. Nov. 19 4 5 bzw. 2. Dez.
1945 dem Kreisernährungsamt zu melden. Tauschgetreide (Weizen gegen Roggen) zu Mahlzwecken kann nur derjenigen Gemeinde angerechnet werden, die den Weizen abgeiiefert hat.
Die Bürgermeister werden ersucht, für ihre Gemeinde so-fort Zwangsdrusch anzuordnen und die sofortige Ablieferung des Brotgetreides sorgfältigst zu überwachen.
Calw, 29. Oktober 1945.
Der Landrat
— Kreisernährungsamt — Die Genehmigung von Frachtbriefen Möbeltransporte mit Lastwagen verboten
Das Gouvernement Militaire hat wegen der schwierigen Transportlage die Inanspruchnahme von Lastwagen aller Art für den Abtransport von Möbeln grundsätzlich verboten und teilt mit. daß alle direkten Ansuchen an das Gouvernement Militaire völlig zwecklos sind. Bei Zuwiderhandlungen erfolgt Wegnahme des Beförderungsgutes. Fahrer werden streng bestraft, dem Fahrzeughalter wird das Fahrzeug genommen und die Fahrerlaubnis auf Dauer entzogen.
Es häufen sich in letzter Zeit Gesuche um Abstempelung von Frachtbriefen. Das Gouvernement Militaire sieht sich wegen des starken Verlangens nach Eisenbahnwaggons genötigt, die Genehmigung von Frachtbriefen zu rationieren. Außerdem wird das Gouvernement Militaire nur Frachtbriefe für solche Orte genehmigen, welche eine Bahnstation liaRen.
Sämtliche Gesuche und Frachtbriefe sind über mich einzureielien.
Der Lamlrat.
Von dem Recht der Truppe, Wohnungen zu beschlagnahmen, wird weiterhin Gebrauch gemacht werden, da mit dem Zuzug von Familien französischer Offiziere und.Unteroffiziere zu rechnen ist. Die Bevölkerung muß Verständnis haben und zusammenrücken. Da Offiziere und Unteroffiziere den Mietpreis für 'ihre Wohnungen künftig selbst bezahlen, werden sich die Anforderungen in Grenzen halten. Diesbezügliche Anordnungen werden folgen. Im Anschluß an seine Ausführungen beantwortete der Herr Gouverneur einige Anlagen von Bürgermeistern.
Landrat Wagner gab seiner Freude über die das Wohlwollen für den Kreis bekundende Ansprache des Herrn Gouverneurs Ausdruck. Der Kreis dürfe sich glücklich schätzen, in Commandant Frdnot einen Gouverneur von Format zu besitzen, der sich wie ein Vater um den Kreis annehme und zu dessen Wohl weder Arbeit noch Mühe scheue. Der Landrat sprach sodann zu den Bürgermeistern, die ihr Amt neu übernehmen, über ihre Pflichten und Rechte, und gab in Ergänzung der Ausführungen des Gouverneurs einen kurzen Ueberblick über die wichtigsten Fragen des Kreises. Von besonderer Bedeutung war die Mitteilung, daß das Land Württemberg sich zur Ueber.nahme von 75 Prozent der Besatzungskosten bereitgefunden hat. Anschließend hielten 3 Sachbearbeiter des Landrats kurze Referate. Rechtsanwalt Rheinwald sprach über das Soziale Hilfswerk und die Ablieferung nationalsozialistischer Literatur, Kreisamtmann Rebmann zur Ernährungslage und über Beamtenfragen und Regierungsoberinspektor Walter über die Aufgabe des Bürgermeisters als Standesbeamter und über Steuerfragen.
Internierungslager
Das Gouvernement Militaire teilt mit;
Die Militärregierung hat für die aus politischen Gründen verhafteten Personen männlichen Geschlechts , ein Internierungslager bei Althengstqtt geschaffen. Dieses Lager entspricht allen hygienischen Anforderungen. Die Internierten werden einer strengen Lagerordnung unterworfen, aber menschlich und anständig behandelt. Die Internierungsdauer jedes Einzelnen wird durch eine Kommission geregelt, welcher der Herr Militärgouver-. neur vorsteht. In schwereren Fällen entscheidet das Gouvernement Mjjitaire Regional in Tübingen. Jeder Fall wird nach einer gewissen Zeit überprüft und allmonatlich werden Entlassungen erfolgen. Jedes Gesuch um Entlassung ist zwecklos und wird nicht bearbeitet. Interventionen sind unstatthaft, Anwälte unzulässig, da es sich nicht um Justizfälle handelt.
Jeder Internierte hat das Recht, einmal im Monat auf H Stunde seine Familienangehörigen zu sehen, begrenzt auf Frau, Kinder, Eltern, Geschwister, nie mehr als 2 Personen für einen Besuch. Die Gesuche sind von den Angehörigen an den Cornmis- saire de la Surete, Lieutenant Gaffrey, Gouvernement Militaire Calw, zu richten, der eine schriftliche Bewilligung ausstellt. Besuchszeit 13—15 Uhr. Die Besuchstage sind Samstag, Sonntag, Mittwoch und Donnerstag, begrenzt auf zehn Internierte pio Besuchstag.
Jeder Internierte hat das Recht, einen Brief im Monat zu schreiben und einen zu erhalten. Jeder Internierte hat das Recht auf 2 Paketp im Monat. Verboten sind: Alkohol in jeder Form, Tabak, Bücher, Zeitungen, schriftliche Mitteilungen jeder Art, Medikamente, Konserven jeder Art. Die zwei Pakete und der Brief sind beim Wachkommando des Lagers abzugeben, wo Kontrolle und Zensur erfolgt.
Jeder Internierte hat das Recht, bei Rückgabe der Verpackung seiner Pakete seine Wäsche zum Waschen mitzugeben und bei Erhalt seiner Pakete die gewaschene Wäsche zu erhalten.
Jede Ueberschreitung der Vorschriften für Besuche, Post und Pakete wird mit Entzug dieser Vergünstigungen bestraft, vorbehaltlich einer Disziplinarstrafe.
Die Annäherung an das Lager ohne Bewilligung der Militärregierung, mit Ausnahme der bewilligten Besuche und Pa- ketauflieferungen, ist strengstens verboten. Die Wachposten eröffnen auf je- don, der sich dem Lager auf mehr als 500 m nähert, das Feuer. Personen, welche man ohne Bewilligung innerhalb der 500- Meter-Zone antrifft, werden verhaftet und bestraft. Der I-amlrat.