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NACHRICHTENBLATT

DER MILITÄR-REGIERUNG FÜR DEN KREIS CALW

AVIS DU GOUVERNEMENT MILITAIRE, DU LANDRAT ET DE TOUTES LES AUIORITES DE L'ARRONDISSEMENT DE CALW

CALW

22. September 1945

Nr. 19

Unsere Aufgabe

von Hans Ballmann, Calw / Mitglied des Kreisvertrauensrates

Fast 6 Monate sind vergangen seit dem endgültigen Zusammenbruch des Nazi­systems. Trotzdem gibt es Leute, die diese Tatsache anscheinend noch nicht richtig begriffen haben, und es ist deshalb drin­gend nötig, hier einmal ein offenes Wort zu sprechen. Dank dem Entgegenkommen des Militärgouvernements haben wir wie­der ein Nachrichtenblatt, sodaß jeder das Wichtigste, das unseren Kreis betrifft, er­fahren kann. Es ist einesteils verständ­lich, daß ein Volk, das 12 Jahre lang so be­logen und betrogen wurde, die nackte Wahrheit um so bitterer empfindet, je mehr es die Tatsachen selbst klar erkennen muß. Ersle Voraussetzung ist deshalb, daß jeder einzelne doch endlich einsehen muß, daß unsere heutigen schwierigen Verhältnisse einzig und allein die Folgen eines verbre­cherischen NaziSystems sind, wozu die mei­sten, die über unsere derzeitigen Verhält­nisse glauben schimpfen zu müssen, selbst beigetragen haben und sei es nur dadurch, daß sie Hitler und sein System gewählt haben. Wer das heute noch nicht einsehen will und die Konsequenzen daraus zieht, dem ist nicht mehr zu helfen.

Es ist deshalb auch unverantwortlich, denjenigen einen Vorwurf machen zu wol­len, die dieses bankerotte Nazi-Erbe über­nommen haben, und die ihre ganze Kraft einsetzen, um das Volk vor dem völligen Chaos zu bewahren Kritisieren kann schließlich jeder Dummkopf, es aber besser machen, ist eine andere Sache. Gerade die Kritiker müssen zuerst beweisen, daß sie gewillt sind, auf welchem Platz sie auch stellen, mitzuhelfen an der Erfüllung der dringlichsten Aufgaben. Es geht heute nicht um die Sonderinteressen des Einzel­nen, sondern es geht um das Wohl und die Interessen der Allgemeinheit. Unzufrie­dene wird es immer geben, aber jeder hat bis jetzt das Notwendigste zu seinem Lebensunterhalt bekommen, und die fran­zösische Besatzungsbehörde trägt ihr Mög­lichstes dazu bei, daß dieses auch aufrecht erhalten und besser werden kann. Wenn man des öfteren die Meinung hört, daß die Lebensmittelversorgung unter den ameri­kanischen Besatzungsbehörden besser wäre, was bei Fleisch und Brot auch zu­trifft, so kann bei uns doch in manchem anderem etwas ausgeglichen werden. Eines aber darf dabei nie vergessen wer­den: daß Frankreich fast 5 Jahre lang von dem deutschen Militarismus fast restlos ausgeplündert wurde, daß Frankreich mit eines der Länder war, welches am meisten unter dem Krieg zu leiden und zu erdulden hatte, und wir dürfen noch zufrieden sein, daß hier nicht Gleiches mit Gleichem ver­golten wird.

Gewiß, gar manches wird als Härte emp­funden, was aber wäre geschehen, wenn dieser verbrecherische Wahnsinn des Wi­derstandes nur noch kurze Zeit fortgesetzt worden wäre? Unsere Häuser wären Rui-

Bekanntmachung

des Oberbürgermeisters der Stadt Pforzheim

Verbot des Zuzugs und der Rückwande­rung der Flüchtlinge nach Pforzheim

Auf Befehl der Militärregierung gebe ich bekannt:

In Uebereinstimmung mit der allgemei­nen Politik der Militärregierung für das besetzte Deutschland, betreffs der Reise­beschränkungen für die Zivilbevölkerung, ist hiermit allen Zivilpersonen der Zuzug nach Stadtkreis Pforzheim verboten. Die­ser Befehl ist wirksam ab 1. August 1945. Dieses bezieht sich auf jede Person, die von Pforzheim evakuiert war oder aus irgend einem andern Grunde nicht vor dem 1. August 1945 in diesem Gebiet an­wesend war. Es bezieht sich außerdem auf Personen, die Häuser in Pforzheim be­sitzen.

Personen, die diesem Befehl entgegen handeln, erhalten keine Lebensmittelkar­ten und keinen Wohnraum.

Personen, die jetzt im.Stadtkreis Pforz­heim wohnen und jemanden helfen oder unterstützen bei der Ueberschreitung die­ses Befehls, müssen sich vor einem Ge­richt der Militärregierung verantworten.

Etwa erforderliche Auskünfte über die­ses Verbot erleben die zn c ( v, idigen Be­zirksvorsteher. Anfragen dürfen nicht an die Mi!itä"re' T ierung gerichtet werden.

Der ühe.bürgermcljter.

nen und unsere Anwesen Schutthaufen. Die Ueberlebenden wären bedauernswerte Bettler, wie es in tausenden von Städten und Dörfern der Fall ist. Auch sie waren einst Besitzende und wenn es nur ein bescheidenes Heim^war, heute sind sie Besitzlose und stehen vor dem völligen Nichts. Angesichts dieser Tatsachen sollte man doch annehmen, daß die egoistische Denkweise Vieler nicht mehr in Erschei­nung treten sollte und daß alle mithelfen müssen; sozial zu denken und zu handeln, um diese Notzeit zu überbrücken. Jahre­lang hat man uns gezwungen, die größten Opfer zu bringen, sei es durch alle mög­lichen Abgaben, sei es durch den Verlust

1. r 'r Angehöriger im Felde, in der Hei-- ni".t oder im Konzentrationslager. Still­schweigend wurde das hingenommen, jetzt aber müssen wir zeigen, daß wir Opfer zu bringen vermögen aus sozialem Ge­rechtigkeitsempfinden, weil fast alle sagen müssen: mea culpa, mea maxima culpa!

Wenn jeder in diesem Sinne sein Teil da­

zu beiträgt, der Landwirt seine Abliefe­rungspflicht voll erfüllt, damit jedem der notwendigste Lebensbedarf gesichert ist, Geschäftsleute und Gewerbetreibende ihre Waren gerecht verteilen, Schwarzhandel und Preisüberschreitungen unterbleiben, die Reicheren den Ärmeren beistehen, dann haben wir die berechtigte Aussicht, auch wieder bessere Tage zu erleben Sollte der Egoismus aber fortbestehen, dann brau­chen wir uns über einen weiteren Nieder­gang und^ die daraus entstehenden Folgen nicht zu 'wundern. Wir müssen der Welt zeigen, daß wir aus der Vergangenheit gedernt haben, w r ir müssen beweisen, daß wir das Vertrauen der Völker wieder gewinnen wollen und daß wir alle mit dazu beitragen, an dem Aufbau einer wah­ren und freien Demokratie zum Wohle unseres Volkes und der gesamten Menschheit. Wenn wir unsere Aufgabe in diesem Sinne betrachten und erfüllen, dann brauchen wir nicht verzagen und können getrost einer besseren Zukunft entgegen­sehen.

Die Versorgung der Kriegsopfer

Die Auswirkungen des verlorenen Krie­ges mit ihren umwälzenden Veränderun­gen auf allen Gebieten haben auch die Landesverwaltung für Arbeit und Sozial­versicherung vor die Lösung gewaltiger Nachkriegsprobleme gestellt. Eine ihrer dringlichsten ist die Erfüllung der Ehren­pflicht des ganzen Volkes, die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinter­bliebenen im Rahmen des Möglichen wei­terzuführen.

Dabei besteht neben der Versorgung mit Rente eine der Hauptaufgaben der mit der Betreuung der Kriegsopfer betrauten Ver­sorgungsdienst stellen (Versorgungsämter, Versorgungskrankenhäuser und -Kuran­stalten) darin, die Gesundheit und Ar­beitsfähigkeit der Kriegsbeschädigten im Wege der Heilfürsorge und der Versor­gung mit orthopädischen Hilfsmitteln so weit wie möglich wieder herzustellen und ihnen damit die Grundlage für einen zweckmäßigen Arbeitseinsatz zu schaffen.

Während auf diesem Gebiet auf Grund der bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für die Kriegsopfer weiter gesorgt wer­den kann, mii en vorläufig die Renten­bezüge einer stärkeren Einschränkung unterzogen werden.

Dies ist vor allem dadurch bedingt, daß die Militärregierung alle Ausgaben für Pensions- und Reritenbeziige aus zu irgend einer Zeit geleisteten Diensten verboten und nur genehmigt hat die Zahlung von Versorgungsgebührnissen wegen körper­licher Gebrechen, welche die Arbeitsfähig­keit vermindern, sowie die Zahlung sol­cher Gebührnisse an Witwen und Waisen oder andere Verwandte verstorbener Mi­litärpersonen. Dabei dürfen auch diese Gebührnisse nach der Anweisung der Mi­litärregierung nur gezahlt werden wenn der Versorgungsberechtigte außer den

Versorgungsgebührnissen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts keine anderen Mittel hat und tatsächlich auf die Versor- gungsgebührnisse angewiesen ist.

Neben dieser Anweisung der Militär­regierung verlangt aber die derzeitige Fi­nanzlage zwangsläufig den Wegfall von Gebührnissen, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch läßt es sich vorerst nicht vermeiden, die Rentenansprüche der Leichtbeschädigten mit einer MdE. von 30 und 40 v. II. sowie der Versehrten der Stufe I allgemein ruhen zu lassen.

Maßgebend für die Bewilligung von Ver­sorgungsgebührnissen an Beschädigte, Witwen und Waisen sind die von ihnen abzugebenden Erklärungen über ihre per­sönlichen und. wirtschaftlichen Verhält­nisse. Die Vordrucke zu den Erklärungen sind, solange der allgemeine Postverkehr noch nicht aufgenommen ist, von den Ver­sorgungsberechtigten bei den Bürgermei­sterämtern, am Ort der Versorgungs­ämter bei diesen abzuholen und nach Voll­zug beschleunigt über das Bürgermeister­amt und die Bezirksfürsorgestelle an das zuständige Versorgungsamt zuriiekzu- geben.

Die bewilligten Zahlungen, die durch die örtlichen Postanstalten erfolgen, gel­ten bis zur gesetzlichen Neuregelung der Gebührnisse als Abschlagszahlungen.

Die Versorgungsdienststellen werden alles daran setzen, die bestehenden Schwie­rigkeiten zu überwinden und unsere schwer betroffenen Kriegsopfer im Rah­men des Möglichen aufs beste zu betreuen. Andererseits darf von den Versorgungs­berechtigten erwartet werden, daß sigder durch den verlorenen Krieg bedingten schwierigen Lage der betreuenden Dienst­stellen und den ihnen gesetzten Grenzen Verständnis entgegenbringen.

Verhütet Brandsdiäden!

Alljährlich verlieren in Deutschland Hun­derte von Menschen durch Brand das Leben, noch mehr werden zu Krüppeln und Siechen, Millionenwerte aller Art fallen Schadenfeuern zum Opfer. Besonders folgende am häufig­sten vorkommende Mißstände sind zu ver­meiden:

1. Rauchen und Gebrauch von offenem Feuer und Licht in Stall, Scheune usw.,

2. vor Nässe und Beschädigungen nicht ge­schützte elektrische Anlagen, fehlerhafte Anschlußkabel, Steck- und Abzweig­dosen und Lichtschalter,

3. Heißlaufen von Dresch- und sonstigen Maschinen,

4. Funkenflug aus Lokomobilen und Zug­maschinen,

5. Überhitzen und Nichtausschalten von elektrischen Bügeleisen,

6. unverwahrte Streichhölzer, insbesondere in Kinderhänden,

7. durchbrochene Brandmauern, fehlende und unvorschriftsmäßige Brandmauer­türen,

8. fehlende Schornsteinverschläge,

9. schadhafte Schornsteine ünd Schornstein­köpfe, fehlerhafte Feuerstätten,_

10. Lagerung von-Heu und Stroh auf Böden von Wohnhäusern und in der Nähe von Schornsteinen,

11. offene und undichte Reinigungstüren der Schornsteine,

.12. in Scheunen und Schuppen untergebrachte Kraftfahrzeuge,

13. Ascheablagerung in der Nähe brennbarer Gegenstände,

14. Selbstentzündung von Heu (rechtzeitig Heustocksondentrupp anfordern!)

ln der gegenwärtigen Zeit ist bei aller Wichtigkeit, die der Feuerversicherung zu­kommt, aber auch zu bedenken, daß vernich­tete Lebensmittelvorräte und Hauseinrichtun­gen durch Geld nicht ersetzt werden können, und auch Gebäudeschäden aus Mangel an Material und Transportmitteln meist nicht sofort wieder behoben werden können.

Anzeigen

für das Nachrichtenblatt werden entgegen­genommen

in Calw: Landratamt Zimmer i in Altensteig: Geschäftsstelle

desSdiwarzwald-Verlag Im übrigen sind die Bürgermeisterämter bei der Übermittlung von Anzeigen behilflich. Es er­geht jedoch die Bitte, Anzeigen nur in wirklich dringenden Fällen aufzugeben und die Anzeigen­texte so kurz wie möglich abzufassen.

Keine Dolchstoßlegende

Von Prof. Dr. Friedrich Meinecke Un.Berlin,Dr.jur. h.c.Bonn,Litt. Dr.h. c.Harvard

Der folgende Beitrag stammt aus der Feder des 82jährigen deutschen Histo­rikers Prof. Dr. Friedrich Meinecke.

So viel schwerer auch diesmal die Nie­derlage, so viel größer auch damit das Un­glück Deutschlands ist als im ersten Welt­kriege, ein Gutes ist, aufs schrecklichste erkauft, damit doch verknüpft Es kann keine neue Dolchstoßlegende wieder gras­sieren und das deutsche Volk vergiften.

Was war das Wesen der Dolchstoß­legende? Daß sie eine geschichtliche Tat­sache fälschte und eine- geschichtlich® Schuld damit verschob. Fälschung war es, zu behaupten, daß wir ohne die Novem­berrevolution und die vorhergegangene revolutionäre Zersetzung von Heimat und Heer den ersten Weltkrieg gewonnen haben würden. Nein, denn wir hatten ihn rein militärisch bereits verloren durch das Scheitefn der Julioffensive von 1918 und die dann folgenden Rückschläge im August 1918. Bis zur Julioffensive aber war die kämpfende Front immun geblieben gegen die Versuche revolutionärer Zersetzung. Erst in dem am Siege schon verzweifeln­den Heere vermochten sich im Herbst 1918 hier und da schon Spuren jener Zer­setzung zu zeigen. Nicht der Anblick je­ner Spuren, sondern die rein militärische Aussichtslosigkeit zwang dann Ende Sep­tember 1918 die Oberste Heeresleitung zu der bitteren Einsicht, daß man Schluß ma­chen müsse, auf deutsch gesagt, daß der Krieg verloren sei. Er war verloren be­vor die Novemberrevolution ausbrach. Wohl mag dann diese ungünstig einge­wirkt haben auf das Detail der Waffen- stillstandsverhandlungen. Aber das war unwesentlich gegenüber der Haupttat­sache, daß wir bereits mehrere Wochen vorher durch das Ersuchen um Waffen­stillstand uns als die militärisch Besiegten bekannt hatten.

Indem nun aber durch die Dolchstoß­legende die Ursachen unserer Niederlage vom militärischen Gebiet auf das inner- politiseh-moralische Gebiet verschoben wurden, erschien nun auch die aus der Niederlage entspringende politische Neu­ordnung Deutschlands, und damit auch das Werk der Weimarer Nationalversammlung in efnem ganz falschen Licht. Die neue Demokratie wurde geschmäht als sei sie die Folge des Dolchstoßes, den die Heimat dem kämpfenden Heere versetzt habe, ja als sei sie überhaupt die Ursache jenes Dolchstoßes gewesen. Die Demokratie also sei an all unserem Unglück schuld.

Das war der vergiftete Boden, auf dem die Saat aufging, die Adolf Hitler nun streute. Die Dolchstoßlegende ist viel­leicht sein wirksamstes Propagandamittel gewesen, um die Menschen irre zu machen an dem Ziel, eine auf Freiheit und Gleich­berechtigung aller Schichten beruhende demokratische Volksgemeinschaft zu schaffen, um sie empfänglich zu stimmen für die hochstaplerischen Experimente Hitlers. Die Dolchstoßlegende eben konnte nur dadurch einen trügerischen ScheinA'on Wahrheit annehmen, daß die kämpfende Front im Augenblick des Waffenstillstan­des noch nicht durchbrochen war und viel­leicht noch kurze Zeit hätte halten kön­nen. Sie hätte den Krieg etwa verlängern, aber keineswegs mehr gewinnen können.

W T as dabei herauskommt, wenn man den Krieg zwar verlängern, aber nicht mehr gewinnen kann, und ihn sogar bis zum Weißbluten verlängert, haben wir jetzt mit Schaudern und Entsetzen erlebt. Die Partei hat alle Volkskräfte bis aufs letzte ausgepumpt, hat die letzten militärischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, bis zum wahnsinnigen Kampf um die Reiehs- hauptstadt hin ausgebeutet und kann nun nicht mehr behaupten, daß ein Dolch­stoß aus den eigenen Reihen sie um den Endsieg gebracht habe. Der Krieg war seinem innersten Wesen nach längst vor­her schon verloren, eigentlich schon von dem Augenblick an, wo er begonnen wurde. Denn das weit stärkere Potential der Gegner bedurfte nur der Zeit, um sich zu entwickeln.

Märehendichter mag es wohl immer ge­ben, die diese harten Tatsachen wieder zu verwischen zu suchen werden. Aller die Ruinen unserer Städte sprechen eine Sprache, die nicht widerlegt werden kann.