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Freitag, de» Sff. Jännap 1928.

SS. Fahrgang

Die Wandlung Herriots.

Das Echo der Hetzrede.

Herriot der Ueberpoineare.

Paria, 28. Jan. Nach seiner gestrigen Rede wurde Herriot tn den Wandelgängen der Kammer, wie der diplomatische Kor­respondent der.Daily Mail" hört, der Ehrentitel eines Ueber- pojncarS zuerkannt, den der Ministerpräsident sich durch seine gestrige Rede durchaus verdiente. Wenn er die Absicht hatte, sich die Gunst der Rechten mit seiner gestrigen Ansprache zu erwerben, so ist ihm dies vollauf geglückt.

So uneingeschränkte Begeisterung LberVHerriat herrschte

sttt Mitte Juni, als er die MnMerpräsidentschaft anrraf, nicht mehr

in den Spalten der Pariser Presse, wobei voN den regierungs­freundlichen Blätter» vollkommen abgesehen werden kann. 8^ genügt, von den Müttern der Rechten, die Herriot in der stärk­sten Weise bekämpft und sogar beschimpft hatten, einige anzu- führen, um zu.zeigen,

welche Wendung sich Hestern vor aller Welt in dem Minister­präsidenten vollzog.

das heffzr, eine Wandlung, die er innerlich bereits seit einigen MoNaten vorbereitet batte uüd die er nunmehr öffentlich be­kannte. DerFrgaro" sudelt, daß Herrrot endlich seine Pflichtest begriffen habe. Er habe einmutiges Schuldbekenntnis" ab­gelegt, sodatz man seine Irrtümer vergessen könne, weil man desto mehr seinen Wünsch bewundern wolle, diese Irrtümer wie­der gutzumachen. Gestern sei die französische Einigkeit wieder- heraestellt worden. Die wunderbare Rede werde nicht nur ein parlamentarisches Kabinettstück bleiben.

Nunmehr müsse eine Politik verfolgt werden, die der Poinrarös gleiche.

DasEcho r>« Paris", det heftigste Gegner Herriots, erkennt an, daß er gestern bester inspiriert gewesen sei, dag et gestern eiste Rede ohne den Sozialisten Blum gehakten habe, das fei eine Rede Poincarvs. Atich dasEcho dt Paris" will Hetriot seine Vergangenheit verzeiken.den Preis, daß er seine ganze Vergangenheit ständig, v-das >-e and die heilige Einig­keit, die sich gestern in der Kain<*. "^gezeigt habe, weiterhin be­stehen bleibe. DerEclair" hat den Eindruck, das, man die großen Tage vom August 1914 wieder durchlebe. Histriot habe seine Irrtümer spät wahrgenommen insbesondere habe er erst spät erkannt. Laß müst nichts dabei gewinne wen» man Deutschland schone. Aber er habe eine durchaus Närionalö Rede gehalten und deshalb sei kein Anlaß mehr an stiNe Vet- aäNgenheit zu erinnern, rdeil man einen Gegner, der sich dem Block national nähere, Nicht beleidigen wolle. Allerdings müsse man fragen, was Herriot fetzt tun wolle, lim Deutschland zur Vernunft zu bringe». (!)

Wohl bleibe er io Köln, aber das allein genüge nicht.

Auch dieses Blatt erklärt, daß die Rede von Poincarä hätte gehalten werde» können. Ader dann hätte sie nickt den Erfolg gehabt, wie gerade jetzt, da Herriot.sie hielt. Der ..Avenir' erklärt ebenfalls, daß man einer Rede Poincaräs angewohnt habe, und stellt bereits die Frage, ob man vor der Bildung eines neuen Bloc national steh«. In Herriot dürfe man nicht nur eine Persönlichkeit, sondern zwei oder drei erblicken. Jedenfalls sei aber der Herriot dem man gestern Beifall klatschte, Nicht der schlechteste von allen.

DerFigarö" stellt übrigens noch fest, daß einig« Sozialisten mit der Rede unzufrieden gewesen seien. Ihr Korrespondent kann hinzufugen, daß dazu vor allem. Reinaudel gehört, aber Paul Boncour war natürlich begeistert.. Läon Blum hatte der Sitzung nicht beigewohnt. Selbstverständlich kannte ei den In­halt der Rede des Ministerpräsidenten vorher und da er an­scheinend nicht so sehr bereit ist, alles zu verleugnen, was er bisher getan hat. zog. er es schamhaft vor ferNzuolciben. Aber die große Frage wird sich nunmehr etgeben, ob Läoit Blutn Herriot nach dieser Rede weiter treue Gefolgschaft leisten kann Me bisher und ob man nicht fetzt

vot einer vollkommenen Umgestaltung der Mehrheit in det französischen Kammer

steht. Gestern war die Rechte mit Herriot außerordentlich zu­frieden und der General Saint Just, der auf der äußersten Rechten ist, gab imMer wieder düs Zeichen zum Bestall. Aller­dings wird ja noch bei d«t EinzelveiatuNg des Budgets für Kuswäriige AngelegenWten das Kapitel 9 beit, die Botschaft

beim Vatikan, zu besprechen sein, und bei dieser Gelegenbett wird möglicherweise die Rechte von Herriot Meder abschwenken, wenn sie sich nicht sagen sollte, daß sie allen Anlaß habe, dem Ministerpräsidenten einige iNnStpolitstche Radikauen z» vier-

^ckachdem er antzenpokttisch so sehr kn das cha»oknffttsche HorN gestoßen hat.

DieDakky MaA" behauptet, daß Hetriot der Schlußberichk der interalliierten MilitarkontrollkommisfioN Vorgelegen habe. Herriot sei demselben Blatt zufolge über di« deutscheHart­näckigkeit" bei den Handelsverttagsverhandlnngen erbittert ge­wesen, und verschiedene Geheimberichte französischer diplomati­scher Agenten im Ausland hätten ebenfalls zu seiner Erregung beigettagen. Aber die Hauptursache der Rede Herriots wird wohl darin gekegen hüben, daß er neuerlich den Alliierten und den Amerikanern Nachweisen wollte, wie aesährlich fl) Deutsch­land sei, und Laß mfülgedessen Frankreich Beistand geleistet werden müsse. Ob Herriot klug beraten war.,sein« AeoeipotN- catärede zu halten, wird er mit sich selbst abzumachen haben.

Herriots Kammerrede öffentlich angeschlagen.

Paris, 29. Jan. In der französischen Kammer wurde heute nachmittag über den Antrag, die Rede Herriöts öffentlich an- zufchlagen, abgestimnit. Der Antrag wurde Mit 341 gegen. 32 Stimmen artgenoMmeN. Der MiNksterptäsideitt bemerkte, daß seine gestrige Rede als ein Apell an sämtliche Demotratest vvr allem auch an die Deutsche Demokratie aufzusassen sei und Saß es falsch wäre, seine Rede für eine Polemik in der franzöfischßn Presse zu verwenden.

Der Kanzler wird antworten.

Berlin, 28. Jait. Reichskanzler Br. Luther wird »nör­gelt ah«n8 beim Empfaftg det ausliistvischeN Presse Ge­legenheit nehmen, eingehend aus die Rede des französischen BkinisterpriKdenten Herrtot in der Kamme, zu antwor­ten. Drr Reichskanzler hätte es nieder gesehen, wenn e» vor dem Plenum des Reichstages die Antwort hätte er­teilen können. Da der Reichstag erst am 3 Februar «1« zamMcNtritt, wird der Reichskanzler dio nächste sich bie­tende Gelegenheit Nehmen. Die Antwort witd fSchl'ch und würdig sein, bei aller EntfchiedeNhett in der Anrkickwerfnng der Ungerechten Botwiirfe.

Die gestrige Rede des französischen MlnistetprtistdeUteik hat in Berlin atößes Äussehsst kriegt. Matt weist dakauf Hill, daß ttotj iytes pkövozietenden Ehakäkters Ruhe und Sachlichkeit äuch weiterhin geboten ist. Da der genaue Wortlaut der Rede noch nicht Dorliegt, ist eine amtliche Stellungnahme heute noch nicht möglich. Man darf aber annehmen, daß der Reichskanzler morgen, anläßlich des Empfangs der ausländischen Presse, den Anschuldigungen Herriots mit aller Entschiedenheit entgrtzengetreten witkb Was Herriot über die Kriegsschuld gesagt hat, so kann als selbstverständlich gelten, daß der Reichskanzler, unter Betonung der Gültigkeit der Verträge uüd ihrer weiteren JnnehaltuNg, den vom ganzen Volk als schweres Anrecht empfundenen Vorwurf der Schuld am Kriege ztttückweilen wird. Mas die angeblichen Verfehlungen angeht, sie Deutschland in der EnttvafHttuNgsfrage sich habe zuschulden kommen lassen, so darf festgesleltt werden, dah Herriot nicht fair gehandelt hat, wenn er Material diskutiert, das der Gegenseite nicht bekannt ist. Wenn er zur Dis­kussion dieses Themas auffordert, dann ist es selbstve? stündlich, daß das Material hiefür der Gegenseite bekannt und der gesamten Öffentlichkeit zugänglich gemacht sein mutz. Nichts anderes ist von deutscher Seite immer wieder gefordert worden. ZUk Beilegung der Streitpunkte dürfte die London mit Erfolg anyewandltz Methode der offe­nen und freundschaftlichen Verhandlungen bester zum Ziele fühten, als einseitige pvineatistischx TitvdeN.

Die Handelsvertragskrife.

Beratungen des Neichskabtnetts.

Berlin, 29. Jan. Da Staatssekretär von TrrndclcN- burg heute Abend in Berlin eintristf, wird sich das Reichs- kabinett am Freitag vormittag mit den Pariser!Wirt- schastsverhandlungen beschäftigen. Ge«Nstand der Bera­tungen wird insbesondere die Rote Raynaldis sein, die künntlich nennenswerte Zugeständnisse abtehnt und die drutschen Waten einer differenzierten Behandlung bei det Verzollung ünterwütfen wissen will. Es ist nicht ausge­schlossen, datz das Kabinett sich mit dem sranzössschen Vor­schlag einet friedlichen Unterbrechung det Handelsver- ttagsoerhandlungen befassen wird, zuntal «lan sowohl i« amtlichen wie auch ln wirtschaftlichen Kreisen sich keiner­lei Verständigung mehr verspricht. Sollte d«» Kabinett auch Anhören des Berichtes Trrndelenbutgtz zu der Auf« sassung kommen, datz »ine Fortsetzung der Verhandlungen

uitziveNmätzig erscheint, daß er also das beste sei, den fran­zösische« UnterbtechuNgsvoiWag zu akzept'ertn, dann r»a,f w»hl damit gerechnet «etdea, d«h Trendrlenburg noch ein­mal Nach Paris zurii»kehrt, «m mit Rnynazvt de» rerm'N für die Wiederaufnahme tt«uer Bespeechungen skstzustheN, aber auch Bindungen datüber zu verlangen, daß Frank­reich sich während dieser Zwischenzeit ebenso wie Deutsch­land jeglicher wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen eNthält- Beantwortung det französische,1 Note bis Montag.

Paris, 89. Jan. Vor seiner Abreise aus Paris ver­ständigte Staatssekretär Trendelenburg den französischen Handrlsminister Raynaldi, datz er ihm aus Berlin bis zum nächsten Montag eine Antwort auf seine letzte Note zugehen lassen werde.

Die Berliner Berichterstatter der Pariser Blätter ver­öffentlichen über die Absicht Deutschalnds bei den Hanvels- vertragsverhandlungen sehr widersprechende Nachrichten.

Neueste Nachrichten.

Reichskanzler De- Luches wkich- Freitag abenp beim Empfang de, ausländisch«« Pressevertreter aus »t« Red« Herriots <mk woeteu.

Herriot» Kamvierrebe hak dien Neijau ber weazr« chauvinisti­schen Press« gesunde«. S, Metz als z»««« PaMearö be­zeichnet,

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Dle kränMfche Kammer beschloß «lt 341 gegen 32 Stimme« de« -sselttlkcheN Anschlag der.Rebe Herrlok».

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Staatssekretär TrendÄenburg wird heute vormittag in «>ner Kabinettssitzung über den Etanb drr W'rtschastsverhandlnnae« Bettchk «rstlNtea.

Die preußische Regierungskrise sit auf dem toteu Punkt ange­langt, Ein« VerMeMng der Wckht des Ministerpräsidenten

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Die gestern vorgeitommenr hessische Slaakspriisidentenwahl ver- lles ergebnislos, da keiner der Kandidaten die absolut« Skim- memnehkhett erreichte.

Del Berichterstatter desJournal" akaubt an eine Untrr-- brechüng der Verhandlungen für mehrere Monate. Deutsch­land wolle die Verantwortung hierfür Frankreich zusch e- beN. Der Berichterstatter desEcho de Paris" glaubt, drtz Staatssöktekär Trendelendurg wieder nach Paris komnrrn werde. Dis Verhandlungen wäre» bereits vor mehreren Tagen abgebrochen worden, wenn die neue Regierung nicht Furcht gehabt hätte, di« Verantwortung für diese Handlung zu Übernehmen. (!) Der Berichterstatter be­hauptet, datz Frankreich Deutschland neue Zugeständnisse gemacht Hab«, was durchaus Unrichtig ist. Deutschland wvüe keinen Haudelsvertag abschlietzen. Nach der Ruhrbesetzung sei es nur zu glücklich, um einen Teil seinerRevanche" ausüben zu können. Insbesondere Wünsche Deutschland die Unzufriedenheit in Tlsatz-SothtiNgen ztr ertegen, weil dessen Industrie eines wichtigen Absatzgebietes beraubt sei.

Die SpitzenverbSnde dee Wirtschaft gegen eine höhere Aufwertung.

..Berlin, 29. Jan. Am 28. Januar 1925 sind die Spitzenoer- bäckde der Landwirtschaft, der Industrie, des Großhandels, des Einzelhandels, der Schiffahrt, des Handwerks und des Bank­wesens bei dem Reichstoirtschaflsminister vorstellig geworden, um dessen Auftlierssanikeit auf di« wtrtschafts- und währnnas- politischen Wirkungen zu lenken, di« sich aus einer über sie dritte Cieuernotverordirung hinausgehsnden Aufwertung von Hypotheken, Jndustrieobltgationen und sonstige» privaten Forde­rungen sowie auch der uferlosen Erweiterung des Kreises der aufwertungsfähigen Privatfordcrungen ergeben müsse. Unter Zustimmung des Vertreters des Reichsbankdirettoriums wurde von allen Verbänden betont, daß eine Erweirerung der Aus­wertung die Grundlage der Wityrungsstabilisierung sowie die

det Bevölkerung vor unerfüllbare An prüche gestellt wird. Es wurde dürgelegt. daß die Rufwertungsmöglichkelt für die meisten der hie, in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse an der für den Schuldner bestehenden rechtlichen, technischen und wirtschaft­lichen Unmöglichkeit scheitern muß, von seinen privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Schuldnern Aufwertung zu erlangen. Dir Verbände stellten die Forderung, daß dieser Gegenstand ausschließlich vom Standpunkt der Interessen der Grsamtwirt- schast ultd der Gesamtbevölkerung behandelt wird. Sie verlang­te» ferner alsbaldige Schaffung einer klaren, all« Zweifel aus- schlteßenden, Rechtslage, die diese Verhältnisse den Zufällig­keiten des richterlichen Ermessens im Einzelnen entzieht und namentlich davon absteht, durch rückwirkendes Eingreifen in erledigte und abgrwickeltt Schuldverhöltnisse Verwirrung und Unordnung in dös gesamte Wirtschaftsleben zu tragen. Bet einer solchen Regelung muß. nach der Ueberzcugung der ver­tretenen Verbände an der Grundlage der dritten Stcuernoivrr- ordnung unter allen Umständen festgehalien werden. Dir Ver­bände richteten an den Reichswirlschaftsminister die Bitte, dem Reichstag ihren Wunsch zu übermitteln zur Vertretung ihrer Aufsagung vor dem Aufwertungsauvschuß des Reichstages Ge­legenheit zu erhalten. .

Kleine politische Nachrichten.

Roch kein« Entscheidung de» Zentrums.

Berlin, 29. Jan. Die Zentrumssraktion des preußischen Land­tags beschäftigte sich auch am Nachmittag noch Mit der durch den Rücktritt des Kabinetts geschaffene Lag« und erörterte einge­hend die Fratze der Regierungsneu-ilsuna. Die Aussprache konnte nickt beendet werden, da nicht alle Mitglieder anwesend waren. Dle Abstimmung übet eine Entschließung, die noch vor­bereitet witd. konnte «egen des Fehlens von 12 Mitgliedern heute noch nickt stattfinden und wird erst am Freitag ersolgen. Die anderen Fraktionen drs Landtags kamen ebenfalls noch zu keinem Entschluß, da ihre endgültige Stellungnahme von der Haltung der Zentrumsfraktiün aohLngt. In den spaten Abend­stunden war noch eine interfraktionelle Besprechung zwischen Zentrum Sozialdemokraten und Demokraten vorgesehen.