Die Justiz in der Besatzungszeit Hermann Scheurer- Nagold A) Die Militärgerichtsbarkeit im Kreis Calw Zu den vorrangigen Maßnahmen der Militär­regierung nach der Besetzung gehörte die Neuordnung des Justizwesens. In seinem ersten AufrufAn das deutsche Volk vom 7.5.1945 kündigte der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Eisenhower, unter anderem folgendes an:Alle deutschen Gerichte, Schulen und Universitäten innerhalb der besetzten Gebiete werden einstweilen geschlossen.(..) Die Wiederaufnahme der Tätigkeit der Straf- und Zivilgerichte wird genehmigt, sobald die Bedingungen es zulassen.(..) Die höchsten gesetzgebenden, richterlichen und voll­ziehenden Befugnisse und Gewalten in dem besetzten Gebiete stehen mir als dem obersten Befehlshaber der alliierten Streitkräfte und als Militärgouverneur zu. Die Militärregierung ist eingesetzt, um diese Gewalt unter meiner Leitung auszuüben. In der unmittelbaren Folgezeit wurden grund­legende Änderungen im Justizwesen verfügt. Dazu gehörte die Aufhebung des national­sozialistischen Rechts. Alle wesentlichen, seit dem 30.1.1933 erlassenen Gesetze, sowie alle Ergänzungs- und Ausführungsgesetze wurden für ungültig erklärt. Auch die Auslegung oder Anwendung des bereits früher bestehenden Rechts nach nationalsozialistischen Lehren wurde verboten. Anklagen durften nur erhoben, Urteile nur erlassen und Strafen nur verhängt werden, wenn ein zur Zeit der Begehung der Handlung in Kraft befindliches Gesetz die Handlung ausdrücklich für strafbar erklärt hatte. Aber selbst dann konnte die Militärregierung in die Strafverfolgung eingreifen, wenn es ihr erforderlich schien. Eine Besonderheit der Militärgerichtsbarkeit waren die Kollektivstrafen. So konnte der Bürgermeister oder sonstige Repräsentant einer Gemeinde als Vertreter der Bewohner dieser Gemeinde wegen jeder strafbaren Handlung angeklagt und verurteilt werden, für welche, wie es hieß,die Einwohner oder eine erhebliche Zahl derselben vermutlich kollektiv verant­wortlich sind. Die Gemeinde kann mit einer Gesamtgeldstrafe belegt werden, falls die genannten Personen in ihrer Vertretereigen­schaft verurteilt worden sind und Gesamt­verantwortlichkeit festgestellt worden ist. So wurde die Stadt Calw am 7.Juni 1945 mit einer Geldstrafe von l0 000 Mark belegt, weil ein deutscher Soldat sich in der Stadt aufhielt, der sich nicht vorschriftsgemäß gemeldet hatte. In einem andern Fall ebenfalls in Calw wurde der Stadt eine harte Bestrafung angedroht, weil eine französische Fahne verschwunden war. Die Stadt setzte für den Finder eine Belohnung von 5 000 Mark aus. Nach 2 Tagen wurde die Fahne wieder aufgefunden. Der Finder erhielt außer seinem Lohn noch eine Schwerarbeiterzulage, was damals eine wichtige Sache war. Der Calwer Bürgermeister forderte im ersten Nachrichtenblatt vom 7.Juni die Bevölkerung eindringlichst auf, jede feindselige Handlung oder jedes Nichtbeachten der Anordnungen der Militärbehörden zu unterlassen. Dies könne zu schwerwiegenden Repressalien gegenüber der Einwohnerschaft führen und sei keine Helden­tat, sondern entweder Dummheit oder Ver­brechen. Jedermann habe die unbedingte Pflicht, Elemente, welche die öffentliche Ordnung stören, rücksichtslos zur Anzeige zu bringen. Natürlich bestand dabei auch die Gefahr der Denunziation. Im Juni 1945 wurden noch folgende weitere Anordnungen für das Rechtswesen erlassen: 1) Alle Sondergerichte zum Beispiel Volks­gerichtshof und so weiter werden abgeschafft. 2) Die ordentlichen und Verwaltungsgerichte werden vorübergehend geschlossen. 3) Die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit wird durch die Militärregierung bestimmt. 4) Niemand kann als Richter, Staatsanwalt, Notar oder Rechtsanwalt amtieren, wenn er 32