Schreiben von Landrat Wagner an die Bürgermeister des Kreises vom 21.12.1945 (Stadtarchiv Nagold) Calw, den 21. Dezember 1945. Meine Herren Bürgermeister! Ich möchte das Jahresende nicht vorübergehen lassen, ohne ihnen allen aufs Herzlichste für die treue Mitarbeit in diesem ablaufenen Jahre zu danken. Ich weiß, dass die Ansprüche, welche meine Verwaltung an Sie stellen muss, das Mass des Erträglichen weit überschreiten. Sie wissen aber selbst mit mir, dass es jetzt gilt, unseren Kreis und unser Vaterland wieder aufzurichten, die Bevölkerung vor den Nöten und Sorgen der Gegenwart so sehr wie möglich zu schützen. Da ist es denn unausbleiblich, dass einzelne Männer ihre Kraft, ihre Energie und ihre Zeit in ganz besonderem Masse einsetzen müssen und das sind nun eben jetzt in erster Linie die Beamtungen und die Bürgermeister. Sie dürfen überzeugt sein, dass sich meine Verwaltung die grösste Mühe gibt, Ihnen zu helfen, wo sie kann. Ich habe aus diesem Grunde auch die Zahl der Verwaltungsaktuare ganz wesentlich erhöht, damit Sie wenigstens von der Rechnungsarbeit persönlich weitgehendst entlastet sind. Trotz alledem dürfen wir aber mit der Entwicklung welche die Dinge im Kreise seit Beginn der Besetzung genommen haben, sehr wohl zufrieden sein, wenn wir uns mit anderen Kreisen der französischen besetzten Zone vergleichen, denn in unserem Kreis herrschen Ruhe und Ordnung. Auf dem Sektor der Ernäherung ist es dank der energischen und zielbewussten Mithilfe des Herrn Gouverneurs gelungen, die Ernährung sicherzustellen. In Kartoffeln konnten wir, wie Sie wissen, eine reichliche Ernte in unserem Kreis bergen, welche bis zur neuen Ernte ausreicht. In Getreide sind wir bis Ende März zuverlässig versorgt. Die Mengen, welche uns bis zur neuen Ernte fehlen, sind bereits in Europa eingetroffen. Unsere Industrie ist wieder im Anlaufen. Die Zahl der Beschäftigten ist seit August um 80% gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist gering. Infolge der schlechten Transportlage, der Kohlen- und Stromknappheit konnte ich die Belebung der Industrie, des Handels und der Gewerbe nicht in dem Masse betreiben, wie ich dies im Interesse eines höheren Steuer­aufkommens gerne getan hätte. Die Transport­lage hat dadurch eine entscheidende Verbes­serung erfahren, dass die Züge wieder unbe­hindert von Rottweil bis nach Dillweißenstein fahren können und wir nach Wiederherstellung der Brücken jetzt den Anschluss an das grosse Verkehrsnetz wieder gefunden haben. Durch Bildung des Bürgermeister-Comitées haben wir die Möglichkeit, alle Nöte und Sorgen des Kreises durch bewährte Bürgermeister dem Herrn Gouverneur unmittelbar zur Kenntnis zu bringen. Durch Schaffung des Staatssekretariats in Tübingen wurde unsere eigene Verwaltungs­hoheit in weitgehendem Masse wiederher­gestellt. Fürs nächste Jahr erwarten uns eine Reihe von Problemen, welche in irgendeiner Form gelöst oder vorwärts getrieben werden müssen. Ich möchte die Wesentlichen nur ganz kurz erwähnen: 1. Evakuierung. 2. Die Unterbringung der Ostflüchtlinge. 3. Der Wiederaufbau unserer zerstörten Dörfer. 4. Die Sicherung der Ernährung. 5. Die Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugung. 6. Die Belebung von Handel, Industrie und Gewerbe. 7. Die Ansiedlung neuer Industrien. 8. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. 9. Die Unterbringung der heimkehrenden Soldaten. 10. Die Regelung der Kriegsschäden. 11. Die Betreuung der Kiegsbeschädigten. 12. Die Aufzucht von Nutz- und Schlachtvieh. An all diesen Problem arbeitet meine Ver­12