Berlin, 4. Okt. Der „Vorwärts" erfährt aus zuverlässiger Quelle, daß Frhr. v. Hammerstein sich schon vor einiger Zeit in Havre auf einem Salon- dampserder Tronsatlantischen Gesellschaft nach Amerika eingeschifft habe. Man nimmt an, daß er sich dort nach Washington begeben werde, woselbst ein Verwandter von ihm, Legationsrat Kettler, im Reichsdienst thätig ist.
Berlin, 5. Okt. Die christlich-soziale Partei hatte auf gestern Abend eine Versammlung einberufen, die von etwa tausend Personen besucht war. Unter diesen waren hauptsächlich Antisemiten Böckel'scher Richtung vertreten, die durch häufige Zwischenrufe stürmische Auftritte heroorriefen. Hofprediger a. D. Stöcker sprach über: „Regierung, Mittelparteien und Sozialdemokratie." Die in letzter Zeit gegen ihn in Szene gesetzte Agitation bezeichnete Stöcker als eine Theater-Komödie. An der Debatte beteiligten sich zwei Pfarrer und der württembergische Landtagsabgeordnete Schrempf, sämtlich im Sinne Stöckers. Zum Schluß entstand ein unbeschreiblicher Tumult, als Böckel, der sich zum Wort gemeldet hatte, dies nicht erhielt, weil er sich gerühmt hatte, daß Stöcker es ihm zu verdanken habe, daß er nicht mehr im Reichstag sitze/ Rufe, wie: Mache, Frechheit, Feigheit! ertönten. Der Vorsitzende schloß, nachdem er noch über eine Resolution hatte abstimmen lassen, die Versammlung unter Protestrufen und großem Tumult. Am Ausgange ging man Dr. Böckel und seinen Anhängern zu Leibe!
Aus Friedrichsruh. Der Berliner Berichterstatter der Augsb. A.-Z. schreibt: Der Gesundheitszustand des Fürsten Bismarck wird als ein durchaus zufriedenstellender bezeichnet. Der greise Fürst macht wie früher seine gewohnten Spazierfahrten und unternimmt auch täglich einen kleinen Spaziergang im Parke, jedoch nicht mehr von so großer Ausdehnung wie früher; denn die Müdigkeit stellt sich doch rascher ein als sonst, und man merkt es dem Fürsten an, daß auch das Alter bei ihm seine Rechte geltend macht. Ueberraschend ist nur, wie geistig frisch sich der Fürst erhält, denn in dieser Hinsicht ist noch keine Spur von Alter bemerkbar. Wenn seine Umgebung darauf bedacht ist, jede Aufregung von ihm fern zu halten — und eine jede Ovation ist mit einer solchen verbunden — so läßt sich dies aus der Natur der Sache erklären, da in diesem Jahr schon mehr als hinreichend demFürsten Ovationen gebracht wurden.
Der Hofprediger a. D. Stöcker hat seine Besprechungen über seinen berühmten Brief nunmehr geschlossen. Die Hauplstelle des Briefes lautete: „Man muß prinzipiell wichtige Fragen, ohne Bismarck zu nennen, in der allerschärfsten Weise benützen, um dem Kaiser den Eindruck zu machen, daß er in dieser Angelegenheit nicht gut beraten ist. und ihm den Schluß auf Bismarck überlassen. Merkt der Kaiser, daß mau zwischen ihm und Bismarck Zwietracht säen will, so stößt man ihn zurück. Wir müssen also, ohne uns etwas zu vergeben, doch behutsam sein". Stöcker resümiert sich nun in seiner langen Erklärung dahin, er habe niemals den Abgang des Fürsten Bismarck gewünscht noch betrieben. Die Auffassung, er habe Zwietracht zwischen dem Kaiser und Bismarck säen wollen, sei böswillig. Jener Satz könne auch hedeuten, daß vor dem Säen der Zwietracht gewarnt wird. Und das Wort „merken" braucht nicht als ein Entdecken von Heimlichkeiten, es kann im Sinne von „bemerken" gemeint sein.
Frankreich
In Paris glaubt man sich schon im Besitze Madagaskars. Das Kolonialamt hat sich bereits mit der künftigen Finanzordnung der Insel beschäftigt. Vorerst rechnet man nur auf 5 Millionen Zolleinnahme, erwartet jedoch weitere Erträge von Bergbaubefugnissen.
Italien.
Anläßlich der Nationalfeier in Rom soll es zwischen hervorragenden Persönlichkeiten im Vatikan zu weitgehenden Meinungsverschiedenheiten gekommen sein.
Belgien-Holland.
Brüssel, 3. Okt. In Gent, wo gegenwärtig ein großer Arbeiterausstand herrscht, haben die Arbeiter die bittere Erfahrung gemacht, daß die Niederlegung der Arbeit ein zweischneidiges Schwert ist. Nachdem sie nämlich aus mutwilligen Gründen und von ihren sozialistischen Führern verhetzt, die Arbeit in den Metallfabriken eingestellt hatten, wollten sie dieselbe eines schönen Tages, des unnützen Hungerns müde, wieder ausnehmen, fanden aber die Werkstätten bis auf Weiteres geschlossen. Die Arbeitgeber erklären, daß sie auch für sich das Recht in Anspruch nehmen, die Arbeit einzustellen, so oft dies ihnen beliebt, und so bleibt den Arbeitern nichts übrig, als den leicht
sinnig heraufbeschworenen Ausstand fortzusetzen. Vielleicht wird diese bittere Erfahrung die Arbeiter für die Zukunft vorsichtiger machen.
Brüssel, 5. Okt. „Soir" veröffentlicht heute eine sensationelle Meldung, nach welcher die Reise König Leopolds nach Paris von der deutschen Regierung mißfällig ausgenommen worden sei. Man glaube^ daß die deutsche Regierung über diese Reise vom belgischen Ministerium Aufklärung fordern werde, da dieselbe unleugbar einen politischen Zweck gehabt habe.
Serbien.
Belgrad, 4. Okt. Königin Natalie trifft am 15. November hier ein und verbleibt den ganzen Winter über hier.
England.
London, 5. Okt. Der Sturm an der Küste hat sich erneut. Es treffen Nachrichten von vielen Schiffbrüchen ein, wobei viele Menschen verloren wurden. An der Westküste gingen 8 Segelschiffe verloren. Die norwegische Brigg „Haabet" litt bei Jlfracombe Schiffbruch; die Bemannung und ein Mädchen wurden mittels Raketen gerettet. Auf der Höhe von Lizard hatte ein großer österreichischer Dampfer in Not signalisirt; ein Schleppdampfer und ein Rettungsbot wurden zur Hilfe ausgesandt. Zwei auf der Höhe von Scelly in Not geratene Dampfer wurden eingeschleppt.
Türkei.
Konstantinopel, 3. Okt. In der Vorstadt Kassin-Pascha am goldenen Horn haben zahlreiche Verhaftungen, die während der Nacht vorgenommen wurden und von denen viele einen blutigen Ausgang nahmen, eine große Panik hervorgerufen. Die Bevölkerung flüchtet in großer Anzahl in die Kirchen. Die Aufregung ist im Steigen begriffen, besonders in der armenischen Bevölkerung, welche die allerdings nicht nachzuweisende Behauptung aufstellt, daß die Türken bei den Waffenhändlern ausfällig große Käufe machen. Sonst bietet das Stambuler Straßenleben, abgesehen von der Sperrung einzelner armenischer Geschäfte, ein fast unverändertes Bild.
Konstantinopel, 3. Okt. Auf^eine vor den letzten blutigen Vorfällen von einem Mädchen in der Kathedrale Kum-Kapu an den Patriarchen gehaltene Ansprache erwiderte dieser: Er kenne die Not und Wünsche der Nation vollständig. Sein Herz blute, wenn er Nachrichten darüber erhalte; er thue sein Möglichstes. Der Patriarch schloß mit den Worten: „Beruhigt Euch, vertrauet mir und hoffet, daß ich Eurer Stimme bei der Pforte und den Mächten Gehör verschaffen werde. Vergesset jedoch nicht, daß wir Christen sind, und daß uns unser Erlöser Geduld befahl. Harret also aus und kehret heim. Gott schütze und segne Euch."
Konstantinopel, 4. Okt. Zu den vorgestrigen Unruhen wird dem „Berl. Tagebl." noch gemeldet, daß der Patriarch die erregte Menge aufgehetzt habe und daß bei den verhafteten Armeniern über 1500 Revolver und unzählige Patronen gefunden wurden. Die Revolver sind alle englischen Fabrikats und vollkommen neu, sowie ein und dasselbe Kaliber. Der Kampf dauerte 4 Stunden und zog sich durch den ganzen Stadtteil bis zum Bahnhofe hin, wo es zu besonders blutigen Szenen kam. In der nächsten Umgebung der Pforte wurden mehrere verkleidete Armenier gefangen genommen, welche in die hohe Pforte eindringen wollten.
Kleinere Mkttellnngen.
.) Tübingen, 5. Okt. (Schwurgericht.) Im 6. Fall war des Totschlags angeklagt der led. Weingärtner Karl Brodbeck von Tübingen, welcher im Juli seinen Bruder anläßlich eines Streites erstochen hatte. Die Anklage vertrat Staatsanwaltsgehilfe Seeger. Die Geschworenen verneinten die Frage auf Totschlag, bejahten Körperverletzung mit nachgefolgtem Tod, sowie mildernde Umstände, worauf der Vertreter der Staatsanwaltschaft 2 Jahre 3 Mon. Gefängnis beantragte. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Sailer, bat um ein niedrigeres Strafmaß. Das Gericht erkannte auf 1 Jahr 1 Mon., wovon ein Monat für erlittene Untersuchungshaft abgerechnet wird.
Tübingen, 4. Okt. Das Gasthaus zum Anker ging durch Kauf um 84 000 ^ an einen Hamburger Herrn über.
Stuttgart, 4. Okt. Gestern nachmittag schwebte der Herr Minister Dr. v. Riecke in großer Gefahr. Als er mit Dekan Demmler von Eßlingen zur Beerdigung seines Verwandten, Prof. Dr. Wilhelm, auf den Pragfriedhof fuhr, gingen die Pferde durch und der Wagen wuroe umgeworfen, zum Glück aber brach die Deichsel und der Wagen blieb liegen. Die beiden Herren kamen mit dem Schrecken davon und konnten sich zu Fuß auf den Friedhof begeben. Der Diener des Herrn Staatsministers war vom Bock geschleudert worden.
Cannstar-, 3. Okt. Der Bierkonsum auf dem Wasen hat in den vier Tagen des Volksfestes insgesamt rund 4000 bl betragen.
Bruttenhausen, OA. Münsingen, 2. Okt. In New- Dork starb vor einigen Monaten der von hier gebürtige Herr Adolf Bernheimer, der seit Jahrzehnten hiesige unbemittelte Verwandte sehr reichlich unterstützte. Zum ehrenden Andenken an diesen hochherzigen edlen Mann stiftete dessen Bruder, Kommerzienrat L. Bernheimer in München, der hiesigen Gemeinde die Summe von 40000 welche zu einer gemeinnützigen Anstalt verwendet werden soll; das Grundstück, worauf diese errichtet werden soll, ist bereits angekauft. (Schw. B.)
Aus Baden-Baden, 3. Okt., schreibt man: Am 1. Okt. betrug die bisherige Fremdenfrequenz unseres Kurortes 60000 Personen. Am 1. November des vor. Jahres hatte dieselbe nur die Ziffer 58300 erreicht. Am 10. d. M. werden der Großherzog und die Großherzogin auf Schloß Baden zu längerem Aufenthalt eintreffen.
Schmalkalden, 4. Okt. Die hessische Brandversicherungsgesellschaft setzte den Gesamtschaden bei dem großen Brande in Brotterode endgültig auf 1734 714 fest.
Ein für Landwirte und Gemeindeverwaltungen beachtenswertes Ergebnis hatten in Nidda zwei Versteigerungen. Die gesamten 195 Morgen städtischer Wiesen ergaben infolge der Trockenheit und des reichen Fultervorrats des Vorsommers nur einen Erlös von 43.80 „E, während ein einziger Baum, 17 Jahre alt, einen Erlös von 45.20 ^ brachte. Der Gesamterlös für städtisches Obst war 1600 ^ Es wird immer mehr anerkannt, daß der Obstbau, rationell betrieben, dem Landmann eine der reichsten Erwerbsquellen werden kann.
„Fürst Bismarck — ein Tscheche." Unter dieser Spitzmarke schreibt das Neuhauser Lokalblatt: „Einer unserer Bekannten fuhr unlängst nach Reichenberg und kehrte daselbst in einem vornehmen Gasthaus ein. Er setzte sich an einen Tisch und aus dem an einem Nachbartische geführten Gespräche erkannte er, daß es eine tschechische Gesellschaft sei. Ein Arzt, ein Doktor der Rechte und ein Fabrikant sprachen von Bismarck. Einer von ihnen sagte, daß der Urahne Bismarcks aus Böhmen stamme, daß er Duscheck hieß, daß er in einer Gemeinde in der Umgebung von Nachod wohnte, und daß er sich die Abstammung Bismarcks in den Pfarr- matrikeln in der Nachoder Gegend herausfinden ließe. Der Arzt fügte hinzu, daß auch „die Form des Bismarck'schen Schädels" auf die slavische Abstammung hmweise. Es wäre nicht uninteressant, sicherzustellen, ob der Mann von Blut und Eisen, der Einiger Deutschlands, wirklich tschechischer Herkunft ist.
Der Bock als Gärtner. Eine hübsche kleine Anekdote erzählt die „A. P." bei Besprechung des jüngsten Vorstoßes des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, in diesem Falle besonders des Bieres. Ein im Schwabenland gebildeter Mäßigkeitsverein wählte einen beliebten Arzt zum Vorstand. Derselbe erhob sich nach Bekanntgabe des Wahlresultats und erklärte: „Ich nehme die Wahl an, aber das sage ich geich, meine vier halbe Bier lasse ich mir nicht nehmen."
Aachen, 3. Okt. In dem Prozesse gegen Bruder Heinrich beantragte der Staatsanwalt in seinem Plai- doyer die Freisprechung des Angeklagten, da der Nachweis, daß er einen wissentlichen Meineid oder einen fahrlässigen Eid geschworen habe, nicht erbracht sei.
Aachen, 3. Okt. Die Geschworenen sprechen den Bruder Heinrich nicht für schuldig, worauf der Gerichtshof denselben freisprach, auch seine sofortige Haftentlassung anordnete. Die Kosten, auch diejenigen für die Zeugenladung des Bruder Heinrich wurden der Staatskasse auferlegt-
Der „heilige Heinrich." Russische Blätter berichten über folgenden Vorfall, der sich vor einem Friedensrichter abgespielt hat. Ein Freund klagt über den andern, weil er die geliehene Summe von 50 Rubel nicht zurückerhalten kann. Bei der letzten Mahnung hatte der Schuldner geäußert, er werde die Schuld am Tage des „heiligen Heinrich" (den man in Rußland nicht kennt) zahlen. Nun wurde er vom Freund verklagt. Der Friedensrichter fragte, ob der Schuldner die Aeußerung in Betreff des „heiligen Heinrich" wirklich gethan habe. Auf Bejahung hin ließ der Friedensrichter sich einen Kalender reichen und sagte dann mit größter Ruhe: In einigen Tagen haben wir den „Allerheiligentag," unter ihnen muß also der „Heilige Heinrich" mit inbegriffen fein, folglich hat der Schuldner an diesem Tag unbedingt seinen Gläubiger zu befriedigen. (Er hätte den 3. Okt. nehmen können, da an diesem Tage „Bruder Heinrich" freigesprochen wurde. Die Red.)
Paris, 4. Okt. Während des gestrigen Tages haben sich mehr als 10 000 Personen nach dem Institut Pasteur begeben. Die Polizei hielt die Ordnung mit großer Mühe aufrecht.
Allerlei.
— Schutz der Saatfrüchte gegen die Mäuse. Ich möchte meinen Fachgenoffen ein Mittel empfehlen, das ich vor einigen Jahren bei einem zwischen zwei Futterfeldern gelegenen Acker als probat erfunden habe. Ich schüttete den Saatdinkel (pro // Hektar der Mäuse wegen 3 Hektoliter) in einen großen Zuber, überbrauste dann denselben mit zwei Gießkannen voll Wasser (ü 20 Liter), in dem ich je 50 Gramm reine Karbolsäure aufgelöst hatte, unter fortwährendem Umschaufeln. Die so behandelte Saatfrucht verbreitete einen intensiven Karbolsäuregeruch, so daß die Mäuse kein Korn verzehrten, ja den Acker ganz mieden, bis auf einige Stellen, die ich mit Mäusefallen bald säuberte, indem ich die gefangenen toten Mäuse wieder in ihre Löcher verbringen ließ. Wegen des Verwesungsgeruchs mieden die Mäuse die betreffenden.