Gesetz bestimmt im wesentlichen in Art. 1. Es wird 3ter Jahrgang von Perikopen, Evangelien u. Episteln für die Sonn- und Festtage eingeführt. Art. 2. Für die Feiertage (einige ausgenommen) ist die Textwahl frei. Nach Art. 3 soll die Hinzufügung von altrestamentl. Texten zu Perikopenjahrgängen künftig erfolgen. Dr. Braun erstattet in längeren Ausführungen Bericht über die Kommissionsverhandlungen. Abel begrüßt die Einführung eines dritten Jahrganges von Perikopen mit Freuden hat übrigens noch einige Wünsche. Wurm ist für freie Texte. Der 3te Perikopenjahrgang müßte ja nicht obligatorisch sein. Die Entfernung von alttestamentl. Texten wünscht Redner nicht. Nach kurzer Debatte geht man zur Einzelberatung über. Art. 1 wird, nachdem eine längere Debatte vorausgegangen war mit einigen redaktionellen Aenderungen angenommen. Die Kommission beantragt nunmehr einen Artikel 1 u, welcher bestimmt einmal innerhalb 6 Jahren in der Trinitatiszeit freie Textwahl zuzulassen. Abg. Hieber beantragt in 2 vom Consist. zu bestimmenden Jahren innerhalb von 6 ganz freie Textwahl zu gestatten, und begründet denselben eingehend. Redner kritisiert die Weglassung von alttestamentl. Texten. Dr. Braun entgegnet dem Abg. Hieber und verteidigt den Antrag der Kommissionsmehrheit. Prälat v. Müller spricht gegen die freie Textwahl und giebt eine Uebersicht, wie die Frage des freien Textes in den einzelnen deutschen Staaten geregelt sei. Hienach überwiegt die Perikopenord- nung. Eine fortlaufende Reihe alttestamentl. Texte wollen die Gemeinden nicht. Ein Argwohn gegen die Geistlichen besteht nicht. Mit dem Antrag der Kommissionsmehrheit kann sich das Kirchenregiment einverstanden erklären, dagegen nicht mit dem Antrag Hieber. Die Sitzung wird hierauf (1, -2 Uhr) abgebrochen. Nächste Sitzung: morgen 9 Uhr. Fortsetzung der Beratung.
Stuttgart, 31. Okt. In der gestrigen Verhandlung gegen Eich Hofs und Ajgster wegen Beleidigung des Oberlandesgerichtsrats a. D. Bücher wurde der letztere als Zeuge vernommen. Er bestritt die von den Angeklagten egen ihn erhobenen Beschuldigungen. Die heutigen Ver- andlungen wurden vormittags und nachmittags ausgefüllt durch die Plaidoyers und Repliken der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Die beiden Angeklagten erhielten das letzte Wort noch nicht. Am nächsten Freitag ',F Uhr ist eine neue, voraussichtlich nur kurze Verhandlung anberaumt, an die sich die Urteilsberatung und Urteilspublikation anschließen wird. Die Staatsanwaltschaft beantragte gegen beide Angeklagte eine Geldstrafe von je 500 Befugnis zur Publikation des Urteils im „Staatsanzeiger," in der „Schwab. Tagwacht" und „Neckarzeitung," sodann Einziehung und Unbrauchbarmachung der noch vorhandenen Exemplare der „Schwab. Tagwacht", soweit sie die unter Anklage gestellten Artikel enthalten. Der Verteidiger Hauß- mann beantragte nach 3* Fündiger Rede für den Fall der Nichtanwendung des tz 193 R.-St.-G.-B. (Wahrung berechtigter Interessen) geringe Geldstrafe, ein Antrag, dem sich der Verteidiger Dr. Schickler anschloß.
Ueber die Verhandlungen der stimmführenden Mitglieder des Bundesrats wird der „Köln. Ztg." aus München gemeldet: Die vertrauliche Besprechung der leitenden Minister der deutschen Einzelstaaten unter dem Vorsitze Caprivis fand am Donnerstag nachmittag im Rechtsamt des Innern statt und dauerte mehrere Stunden. Sämtliche Anwesenden nahmen das Wort, um die Ansichten ihrer Regierungen auszudrücken. Beschlüsse wurden, dem Charakter einer vertraulichen Besprechung gemäß, nicht gefaßt. Die Vertreter Bayerns machten ihren bekannten Standpunkt geltend, wobei sie hinzufügten, das bayerische Strafgesetz von 1861 habe, so lange es in Geltung gewesen, in Betreff von Angriffen gegen Familie, Ehe und Gesellschaftsordnung eine wirksame Schutzwehr dargeboten. Außer den Maßregeln gegen die Umsturzparteien wurden nebenbei andere Themata gestreift, worüber jedoch hier Schweigen beobachtet wird. Am Donnerstag folgte ein Essen beim Reichskanzler. Am Freitag vormittag machten die bayrischen Minister Abschiedsbesuche bei dem damals die Krisis noch nicht ahnenden Reichskanzler v. Caprivi.
Leipzig, 31. Okt. Dem „Leipziger Tagebl." wird aus Berlin gemeldet: „Aus wohlunterrichteter Quelle verlautet, daß hier einleitende Schritte zur Errichtung eines Nationaldenkmals für den General- Feldmarschall Grafen Moltke gethan sind." Danach scheint ein Ausruf bevorzustehen.
Gegen das Urteil in Sachen des Kanzlers Leist dar die Vorgesetzte Behörde Berufung an den Dis- ztplinarhos eingelegt.
Der preuß. Jnstizminister v. Schelling soll
die Absicht haben, mit dem 12. Dezember d. I., an dem er sein SOjähriges Dienstjubiläum feiert, in den Ruhestand zu treten.
Berlin, 30. Okt. Der Kaiser vollzog heute nachmittag eine Kabinettsordre, durch die Staatssekretär Frhr. v. Marschall unter Belastung in seiner bisherigen Stellung zum königlich preußischen Staatsminister ernannt wird. Diese Ernennung beweist, schreibt die „Köln. Ztg.", daß auch der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst dem vielangefeindeten Staatsmann, der in den vergangenen parlamentarischen Kämpfen stets auf der Bresche gestanden und mit großem Geschick und bestem Erfolg seine Sache vertreten hat, volles Vertrauen schenkt. Es ist übrigens nicht das erstemal, daß auf diese Weise nichtpreußische Staatsangehörige zu Mitgliedern des preußischen Staatsministeriums ernannt werden.
Berlin, 31. Okt. Die Nationalztg. berichtet: Professor Leyden, der den Beginn seiner Klinik in der Charite für den 29. Okt. angekündigt hatte, hat an seinen Assistenten Dr. Klemperer aus Livadia ein Schreiben gerichtet, das dieser bei der gestrigen Eröffnung der Klinik mitteilte und das die Nachricht enthielt, daß Pros. Leyden unter den obwaltenden Verhältnissen den Zeitpunkt seiner Rückkehr vorläufig noch gar nicht bestimmen könne, daher er seine Assistenten einstweilen mit dem Halten seiner Vorlesungen betraut habe.
Wie aus Berlin gemeldet wird, ist Fürst Hohen- lohe-Langenburg zum Statthalter der Reichslande ernannt worden. Fürst Hermann v. Hohenlohe- Langenburg, Graf von Gleichen, ist auf politischem Gebiet, wenn er auch noch nicht eigentlich im Vordergrund gestanden, kein Neuling mehr. Er hat schon den württ. X. Wahlkreis im Reichstag vertreten und war auch dessen Vizepräsident. Zweifellos darf er als eines der hervorragendsten Mitglieder der Kammer der Standesherren, deren Vizepräsident er ist, bezeichnet werden. Ein gewandter Redner, greift er hier gern in die Debatten ein und zeigt er namentlich in Fragen der Verwaltung große und gründliche Sachkenntnis. Dieser Umstand mag dazu beigetragen haben , daß bei Besetzung des Straßburger Postens die Aufmerksamkeit auf ihn gefallen ist. Was seine politische Richtung anbelangt, so steht der Fürst auf dem Standpunkt der norddeutschen gemäßigten Konservativen. Im Uebrigen bringt Fürst Hermann, der im 62. Lebensjahr steht, alles mit, was ihn geeignet erscheinen läßt, den Statthalterposten zu übernehmen, vor allem auch eine vornehme und gewinnende Persönlichkeit. Da seine Schwester die Mutter der Kaiserin ist, steht der Fürst in einem sehr nahen verwandtschaftlichen Verhältnis zum kaiserlichen Hofe. Durch seine Gemahlin ist er auch mit dem badischen Herrscherhaus verwandt und gilt für sehr reich. Er ist preuß. General L In, snito. Chef des Hauses Langenburg wurde er infolge des Verzichts seines älteren Bruders in Folge von dessen Heirat mit einer Bürgerlichen, die später Frau von Bronn wurde.
Berlin, 1. Nov. Schon seit Vormittags 11 Uhr waren hier Gerüchte über den Tod des Zaren verbreitet. Zuverlässige Nachrichten wurden aber erst nach 7 Uhr bekannt. Die Todesnachricht erregte hier trotz des bekannten gefährlichen Zustandes des Zaren allgemeines Interesse. Hunderte von Personen befanden sich den ganzen Nachmittag vor der russischen Botschaft unter den Linden und fragten fortwährend um Bestätigung der verbreiteten Gerüchte an. Kurz nach 7 Uhr fuhr der Minister Frhr. v. Marschall vor dem Botschaftsgebäude vor, um dem russischen Botschafter einen Kondolenzbesuch abzustatten.
Berlin, 1. Nov. Das „Berl. Tagebl." erfährt, Handelsminister v. Berlepsch beabsichtige jetzt ebenfalls seine Entlassung zu nehmen. Das Blatt hört ferner, Geheimrat Döring, bisheriger Chef der Reichskanzlei werde seinen Abschied nehmen und sich ins Privatleben zurückziehen.
Frankreich.
Paris, 1. Nov. „Soir" behauptet, das von den Blättern bezeichnete Gerücht, daß ein französischer Offizier Hochverrat begangen, sei wahrheitsgemäß. Der Offizier heiße Dreyfuß, sei Artilleriehauptmann und dem Kriegsministerium attachiert. Er habe einem italienischen Spion Geheimpapiere ausgeliesert. Die Bestätigung des Gerüchts bleibt trotzdem abzuwarten.
Asien.
Tientsin, 31. Okt. .Kapitän Hanneken reiste nach Peking und wird vom Kaiser empfangen werden, der den gegenwärtigen Zustand der chinesischen Armee und der Flotte zu erfahren wünscht. Hanneken wird dem Kaiser eine Denkschrift überreichen, welche eine Reform des Heeres und der Marine anrät.
Yokohama, 31. Okt. Reuter meldet: Stach dem Siege bei Kuli-ent-scheng eroberten die Japaner Antung, wo sie 20 Kanonen, eine Menge Flinten und Munition vorfanden. Eine japanische Abteilung nahm Tatung-Kao ein. Auf die Nachricht, daß die chinesischen Schiffe Wei-Hei-Wai verließen, nahm das japanische Geschwader die Verfolgung auf.
Afrika.
Kaiserliche Spenden. Aus Porto Alegre (Brasilien) wird geschrieben: Unter den hiesigen Deutschen hat es große Freude errregt, daß von Kaiser Wilhelm auch in diesem Jahre die hiesigen deutschen Unterrichtsanstalten mit namhaften Beihilfen bedacht worden sind. Nicht nur hat die Knabenschule des deutschen Hilfsvereins wiederum ein kaiserliches Geschenk von 2000 empfangen, sondern es hat der Kaiser auch zum ersten Male der höheren Töchterschule 2000 -.A bewilligt. Diese Zuwendungen wissen die hiesigen Deutschen um so höher zu schätzen und um so dankbarer anzuerkennen, je weniger sie durch Anteilnahme seitens der alten Heimat verwöhnt sind.
Kleinere Mitte rinn gen.
Stuttgart, 1. Nov. Wie verlautet, hat der in Avignon wegen Verdachts der Ermordung des Drahtziehers Ramson bei Neckarems verhaftete Ziegler Bester bis jetzt die Thal nicht eingestanden. Vielmehr hat derselbe bisher nur zugegeben, das; er an dem fraglichen Tage mil Ramson zusammengewesen sei.
Aalen, 1. Nov. Als gestern abend der von Stuttgart kommende Zug um 5 Uhr in den Bahnhof einlief, schoß sich ein in dem Zuge befindlicher junger Mensch mit einem Revolver in die linke Brust. Der Selbstmordkandidat, Eugen G. aus Tübingen, ist 17 Jahre alt und bei Werkmeister Fritz hier in Stellung. Seine Verwundung war nur derart, daß er sich noch selbst zum Arzt begeben konnte. G. hatte die Absicht, sich zu erschießen, schon öfters ausgesprochen.
Karlsruhe, 30. Okt. Der unverheiratete Diener einer hiesigen Studentenverbindung, namens Wagner, aus Altensteig, ging heure Nacht in angetrunkenem Zustande mit einem Licht in den Abort und schlief ein. Dabei gerieten die Kleider in Brand und verletzten den Unglücklichen derartig, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird.
Trauung im Löwenkäfig. Kürzlich vermählte sich in Jnterlaken (New-Jersey) der Menagerie-Direktor Jonathan Sch mith mit der Löwenbändigerin M ä r y in Meykort. Das Brautpaar hatte den Einfall, sich im Löwenkäfig trauen zu lassen in Gegenwart von sechs Löwen, die sich während der feierlichen Handlung sehr anständig benahmen. Der Pfarrer blieb vorsichtigerweise draußen vor der Käfigthür stehen und zitterte trotzdem am ganzen Leibe. Als kurz vor Beendigung der Trauung eine junge Löwin, der die ganze Geschichte offenbar höchst langweilig war, zu gähnen ansing, lief er vor Schreck davon und konnte nur mit Mühe bewogen werden, den Trauakt zu Ende zu führen.
Amerikanische Scherze. Aus Trimole (Tennessee) schreibt man der „New-Iorker Staatsztg.": Ein schlechter „Witz," den sich „Bob" Jellow mit seinem Freund „Jim" Harper erlaubte, hat für beide unerwartet unangenehme Folgen gehabt. Während die Genannten mit anderen jungen Leuten vor einem Kramladen saßen, zog Jellow ein Brennglas aus der Tasche und ließ die konzentrierten Sonnenstrahlen auf Harpers unbedecktes Haupt fallen. Dieser war soeben aus einer Barbierstube gekommen und sein mit „Bayrum" reichlich befeuchtetes Haupthaar geriet durch die Hitze in Brand. Er lief davon, während sein Kopf in Flammen stand. Ein anderer von den jungen Männern eilte ihm nach und hielt ihn fest, während einige Kameraden die Flammen erstickten. Harper wandte sich dann gegen Jellow und würde diesen ermordet haben, wenn ihn seine Bekannten nicht davon abgehalten hätten. Heute hat Harper' gegen Jellow, der sehr wohlhabend ist, eine Entschädigungsklage für 15000 Dollars anhängig gemacht. Aerzte behaupten, Harpers Schädel werde sich niemals wieder „mit frischem Grün" schmücken.
Handel L Verkehr.
Weinpreise. Kleinheppach, 29. Okt. 1 Kauf zu 91 und Käufe von 100—115 p. 3 Hl. Noch 100 Hl. Vorrat, wozu Käufer eingeladen sind. Letzte Anzeige. — Strümpfelbach, 30. Okt. Käufe zu 65—70 ^ Noch guter Vorrat. Käufer freundlich eingeladen. - Aspsrg, 30. Okt. Verkauf stockt. Borrat 150 Hl. — Eschenau,
29. Okt. Lese beendigt. Käufe zu 50—51 Noch, gute
Reste seil. Käufer freundlich eingeladen. — Cannstatt,
30. Okt. Käufe von 75—100 „L Preise für Mittelgewächs gehen etwas zurück. Ziemlich Vorrat. _
Hiezu das Unterhaltungsblatt Nr. 44 u. eine Beilage.
Redaktion, Truck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung (Emil Zaiser) Nagold.