im Namen der Mehrheit des Kollegiums die Erklärung ab, der Gemeinderat habe eine Angabe an das Oberamt gerichtet, in der er um Dienstenthebnng bitte. Oberbürgermeiste Hegelmaier erwiderte, er würde diesen Schritt sehr bedauern und glaube, daß irgend welche Gründe dafür nicht vorhanden seien. Die früheren Vorgänge seien von ihm vollständig vergessen und er möchte bitten, daß dies auch seitens der Kollegien geschehe. Als hierauf einige Gemeinderatsmitglieder ums Wort bitten, hebt Hegelmaier unter Hinweis auf die vorgerückte Stunde die Sitzung auf.
In der Untersuchung wegen Landsriedensbruch rc. in Ravensburg sind bis jetzt lOO Personen unter Anklage vor das Gericht gestellt.
Ulm, 1. Juni. Gestern wurde bei einer erneuten Haussuchung in der Wohnung des Schächters Bernheim ein blutiges Messer aufgefunden. Dasselbe war im Kleiderkasten in einen! Geheimfach aufgehoben. Bernheim leugnete, daß das Messer ihm gehöre.
Ulm, 1. Juni. Die Leiche des ermordeten Paul Müller wird nun beerdigt werden, da sich die Zersetzung des Körpers nicht länger hintanhalten läßt.
Hannover, 2. Juni. Die städtischen Kollegien verliehen dem Oberpräsidenten Rudolf v. Bennigsen zu seinem 70. Geburtstag das Ehrenbürgerrecht der Stadt Hannover mit allen gegen 8 welfische Stimmen.
Berlin, 31. Mai. In der vereinigten Sitzung beider Häuser verlas Ministerpräsident Graf Eulenburg die kön. Botschaft, laut der die Session des Landtages geschlossen wird. Mit einem Hoch auf den Kaiser schloß die Sitzung.
Berlin, 1. Juni. Der „Reichsanzeiger" bringt folgende von den Aerzten Bergmann, Leuthold und Schlange, Neues Palais, 1. Juni, 11 Vormittags, unterschriebene Mitteilung: Auf Befehl des Kaisers haben die Unterzeichneten heute morgen eine kleine Beschlaggeschwulst aus der linken Wange des Kaisers entfernt. Die Operation wurde ohne Narkose in wenigen Minuten vollzogen.
Berlin, 1. Juni. Im Prozeß Thüngen erkannte der Gerichtshof auf Schuldig gegen Baron v. Thüngen und Redakt. Oberwinder, auf Freisprechung Memmingers. v. Thüngen wurde zu 600 ^ Geldstrafe, Oberwinder zu 150 ^ bezw. 40 oder 10 Tage Haft verurteilt. Frhr. v. Thüngen bestritt in der Verhandlung, daß seine Ausführungen Beleidigungen enthalten. Der Staatsanwalt führte aus, zur Anklage stehe lediglich der in Berlin erfolgte Abdruck der beleidigenden Erklärung; die Zuständigkeit des Gerichtshofes sei also zweifellos. Der Ausdruck „Cadavergehorsam" und die Vorwürfe der Pflichtverletzung und des mangelnden Muts seien unzweifelhaft ehrenkränkend; H 193 sei nicht anwendbar. Frhr. v. Thüngen erklärt, der Staatssekretär Frhr. v. Marschall habe ihm Unwissenheit vorgeworfen, dies habe ihn zum Widerspruch gereizt. Nachdem Frhr. v. Thüngen sich längere Zeit über den Vertrag mit England über Sansibar verbreitet, beschloß der Gerichtshof, ihm das Wort zu entziehen, falls er weiter so allgemein sich über Kaiser und Reichskanzler verbreitete, v. Thüngen verzichtete darauf auf das Wort.
Ein Probe-Exerzieren der kaiscrl. Prinzen vor der großen Frühjahrs-Parade hat am Dienstag in der Kaserne des 1. Garde-Reg. z. F. stattgefunden. Der Hann. Kur. berichtet darüber: Der Kaiser exerzierte seine 3 ältesten Söhne, den Kronprinz, Prinz Eitel Fritz und Prinz Adalbert. Da die beiden Ersten als Offiziere des 1. Garde-Reg. bei der Frühlingsparade eintreten müssen, wurden alle Einzelheiten der Parade durchgenommen. Prinz Adalbert, der am 14. Juli d. I. 10 Jahre alt wird, und erst dann als Offizier in das Regiment eingestellt wird, machte das Exerzitium mit. Ein Zug der Leibkompagnie des 1. Garde-Reg. unter dem durch seine Körpergröße allbekannten Hauptmann v. Plüs- kow und dem Premierlieut. Carolath bildete die Paradetruppe, mit der die Prinzen exerzierten. Zuerst erschien die Kaiserin, um aus einer im Erdgeschoß belegenen Stube den Exerzitien ihrer Söhne zuzuschauen. Gleich darauf trat der Kaiser ein. Stramm salutierten die Prinzen, als sich der Kaiser der Truppe näherte. Als der Kaiser das Zeichen zum Beginn des Exerzierens gab, zogen die Prinzen den Degen und marschierten an ihre Plätze. Der Kronprinz als „rechter Flügeloffizier", Prinz Eitel Fritz und Prinz Adalbert als „Schließende" hinter dem Zug.
Allerliebst sah es aus, wie die Prinzen 5mal im Parademarsch nach der Regimentsmusik vor dem Kaiser vorbeimarschierten; da sie aber mit den „langen Kerls" der Leibkompagnie nicht gleichen Schritt halten konnten, so hüpften sie mehrere Schritte. Bei jedem Vorbeimarsch salutierte auch der Kaiser. Nach dem Parademarsch ließ derselbe die ganze „Kompagnieschule" Griffe, Wendungen, Marschbewegungen im Tritt, mit Ab- und Einschwenkungen mit Sektionen, in Reihensetzen, Aufmarschieren und schließlich auch einen Sturmangriff durchmachen und bei allen diesen Bewegungen die Prinzen eintreten; alles klappte vorzüglich. Nur zuletzt beim Sturmangriff konnten die Prinzen den mit „Hurrah" voreilenden Grenadieren nicht folgen und gerieten in die Linie der schlagenden Tambours. Zum Schluß folgte ein Parademarsch. Der Kaiser, der bei kleinen Fehlern sofort helfend und verbessernd eingriff, war voll befriedigt von den Leistungen seiner Söhne. Als „Weggetreten" kommandiert wurde, eilten die Prinzen freudestrahlend ihren Eltern entgegen.
Potsdam, 1. Juni. Vormittags wurde der dritte kaiserliche Prinz Adalbert in das erste Garde- Regiment eingestellt, wobei der Kaiser, umgeben von dem Kronprinzen, dem Prinz Eitel Fritz und anderen, Prinzen, eine Ansprache hielt, die Oberst Kessel mit mit einem Hoch auf den Kaiser erwiderte.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 1. Juni. Graf Kalnoky beriet heute mittag eine Stunde lang mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Wekerle. Letzterer hat sodann eine halbstündige Audienz beim Kaiser; hierauf wiederum eine Unterredung mit Kalnoky.
Wien, 2. Juni. Der Kaiser nahm die Demission Wekerles an. Mit der Kabinettsbildung wurde Graf Khuen Hederoary betraut.
Pest, l. Juni. Gestern fand im Nationaltheater eine große Kundgebung statt; gelegentlich einer Anspielung in dem gegebenen Stücke erhob sich das Publikum mit den Rufen: „Elfen Wekerle!" Die Vorstellung konnte erst nach einer Viertelstunde fortgesetzt werden.
Die Nachricht von der Demission Wekerle's verbreitete sich in Pest mit Blitzesschnelle und rief eine fieberhafte Erregung hervor. Auf den Straßen entrißen die Menschen einander die Extrablätter; überall erschollen Rufe: „Eljen Wekerle!" Der liberale Klub zog in seiner Gesamtheit an den Bahnhof, um die Minister zu empfangen. Graf Khün- Hedervary dürfte schwerlich mit seiner Kabinets- bildung Erfolg haben.
Frankreich.
Paris, 1. Juni. Der Deputierte Leherissä hatte gestern in der Kammer eine Interpellation wegen der Affaire Turpin eingebracht. Der Kriegsminister Mercier erklärte, Turpin sei keineswegs der Erfinder des Melinits, er habe nicht einmal dessen Zusammensetzuug gekannt; er habe Freycinet und andere Leute getäuscht, denen er unter dem Namen Melinit Pikrinsäure angeboten habe. (Bewegung.) Es handle sich offenbar bei dem jüngsten Vorgehen Turpins um einen Erpressungsoersuch. Nach längerer Diskussion wurde ein vom Kriegsminister genehmigtes Vertrauensvotum mit 416 gegen 102 Stimmen angenommen.
Spanien.
Ein Artikel der „Nordd. Allg. Ztg." bezüglich eines bevorstehenden Zollkriegs ruft in Madrid Beunruhigung hervor. Die Regierung erfährt heftige Angriffe wegen ihrer Haltung gegenüber Deutschland.
Italien.
Rom, 31. Mai. Gestern abend 10'N Uhr ist auf einer Fensterbrüstung des Erdgeschosses in deni Seitenflügel des Justizpalastes, der nach der Straße Divino Ämore zu gelegen ist, mit starkem Knall eine Bombe explodiert. Es ist niemand verletzt worden, auch der' angerichtete Materialschaden ist gering. Nach der Explosion waren die Behörden und eine zahlreiche Menschenmenge herbeigeeilt.
England.
London, l. Juni. Die Polizei verhaftete gestern abend einen deutschen Anarchisten Namens Fritz Brall, in dessen Wohnung ein Menge wichtiger Dokumente, Explosivstoffe und Werkzeuge zur Prägung von Münzen vorgefunden wurden. Brall erschien heute vor dem Polizeirichter, allein die Verhandlung wurde sofort vertagt.
London, 2. Juni. Die Probe mit dem Maximischen Panzer ist glänzend verlaufen. Das Ge
schoß vermochte den Panzer nicht zu durch schlagen. Maxim erklärte, der Panzer bestände aus einer dünnen, besonders temperierten Stahlplatte.
Bulgarien.
S o f i a, 2. Juni. In einer Kaserne wurde eine beträchtliche Menge Dynamit gefunden. Das Palais des Fürsten wird streng bewacht.
Amerika.
Aus San Francisko trifft die Nachricht ein, daß in Folge einer großen Flußüberschwemmung die Riesenbrücke der Canada-Paeificbahn und zahlreiche kleinere Brücken eingestürzt sind.
Die Streikkrawalle in den Vereinigten Staaten von Nordamerika nehmen eine größere und größere Ausdehnung an, es kommt zu immer blutigeren'Ausschreitungen, zu deren erfolgreicher Verhinderung eine genügende Macht nicht bereit ist. Schwere Wirren sind zu erwarten. — Der Konflikt zwischen Brasilien und Portugal steht jetzt auf dem Aussterbeetat, man nähert einander schon und und erkennt, daß Vertragen denn doch besser ist, als sich schlagen. Ein Wiederaufleben des brasil. Aufstandes ist übrigens keineswegs ausgeschlossen, die Lage ist prekär, die Unzufriedenheit groß.
Kleinere Mitteilungen.
Krieg den Feldkatzen! Der Nutzen der Katze im Hause ist unbestritten ein großer, so bald sie aber dem Hause den Rücken wendet, wird sie zur Feldkatze und richtet durch ihre Jagd auf Vögel und Vogelnester großen Schaden an. Das ist schlimm und sehr zu bedauern. Gerade unsere nützlichen Vögel, die lieblichen Sänger und Jnsektenvertilger, werden an Zahl unleugbar immer geringer. Woher kommt's? Wohl werden leider die Brutstätten dieser Vögel durch das Entfernen von Hecken und dichtem Gesträuch immer seltener, auch gibts immer noch kleine und große Buben, die den Vögeln nachstellen: aber die größten Verheerungen in der Vogelivelt richten neben einigen Raubvogelarten die Katzen an, die den Sommer über, entfernt von den Wohnsitzen der Menschen, umherstrolchen. Eine Maus zu fangen, fällt ihnen gar nimmer ein. Nein, sie suchen Nest um Nest auf und berauben es seines Inhalts! Vogelfleisch ist für diese Räuber angenehmer als Mäusebraten. Kehrt die Feldkatze im Winter wieder unters schützende Dach zurück, so pflegt sie träger Ruhe, läßt sich füttern und sieht zu. wie die Hausmäuse hantieren. Mit diesen Behauptungen fordert man allerdings den Widerspruch der Katzensreunde heraus. Sie sehen auch noch in der Feldkatze eine gute Mauserin und halten sie für die Vogelwelt harmlos. Aber Zahlen beweisen. Im „Praktischen Ratgeber" erzählt Dr. Böcker, ivie er vor 9 Jahren auf eine Zuckerfabrik gekommen sei, die 1 bis 2 Kilometer von Dörfern entfernt und von 2 Morgen parkartigen Gartenanlagen umgeben ist. Sowohl in diesem als im sehr großen Nachbargarten war zwar viel Gebüsch und Ungeziefer, aber mir einige Hänflinge und ein Amselpaar hatten sich häuslich niedergelassen. Die Behauptung der Leute, die Vögel finden hier scheints nicht genug 'Nahrung und zögen deshalb immer bald wieder weiter, fand B. mit Stecht als ein oberflächliches Geschwätz; Er stellte Beobachtungen an und entschloß sich bald zur Katzenjagd. Im ersten Jahr erlegte er 20 Stück dieser Misse- thäterinnen, im zweiten Jahr belebten sich die Anlagen schon mit weit mehr nützlichen Vögelein. Nachdem so einige Jahre mit Pulver und Blei und noch erfolgreicher und müheloser mit Lauffallen der Katzenkrieg geführt worden war, tonnte B. zu gleicher Zeit nicht weniger als 110 Vogelnester zählen: Grasmücken, Mönche, Meisen. Rot- und Weißkelchen, Gartenrotschwäuze, 'Nachtigallen, Mütterchen u. s. w. hatten sich eingestellt und führten erfolgreichen Krieg gegen das schädliche Ungeziefer, und Obst und Frucht gedieh aufs üppigste und reichlichste.^ Darum Krieg den Feldkatzen, wie auch den Raben, Hähern, Elstern, und anderen den Singvögeln nachstellendem Raubzeug. Möchten doch Jäger und Jagdinhaber bei ihren Gängen durch Feld und Wald ab und zu durch einen wohlgebrachten Schuß die Interessen der Landwirtschaft helfen fördern.
Redaktion, Druck und Verlag txr 8. W. Zaiser'schen Buchhandlung (crinil Zaiser) Nagold.
HesteUmrgei» auf den „Gesellschafter" fiir den 'Monat Juni nehmen jede Postanstalt u. die Postboten immer noch entgegen.