Kissingen, 10. Aug. Die Studentenauffahrt verlief bei prächtigem Wetter großartig. Bei der Ueberreichung des Ehrenhumpens sagte Fürst Bismarck: „Möge Deutschland im Innern einig sein, dann kann es den Teufel aus der Hölle treiben. Hüten Sie sich vor der itio io partes!" Bei dem Festkommers brachte der Fürst einen Trinkspruck auf die Damen aus und erregte einen unbeschreiblichen Jubel. Beim Semesterreiben konstatierte der Fürst, daß er 119 Semester zähle.
Fürst Bismarck über die Getreidezölle. Der konservative Reichstagsabgeordnete Herr Lutz aus Heidenheim ist bei dem Fürsten Bismarck in Kissin- aen zu Besuch gewesen. Herr Lutz hat folgende Aeußerung des Fürsten mitgenommen: „Sie können es jedem sagen: ich halte jede Herabsetzung unserer Getreidezölle für ein vaterländisches Unglück !" Fürst Bismarck wird in diesem Sinne auch im Reichstage sprechen.
Wie die „Köln. Volkszeitung" meldet, sind zur Ausstellung des heiligen Rockes in Trier jetzt schon 600 000 Pilger angemeldet.
Aus Arnstadt wird geschrieben: Der von der Sozialdemokratie verlangte achtstündige Arbeitstag ist nun früher eingetroffen, als Manchem erwünscht sein wird. Durch die fortgesetzten sozialistischen Wühlereien und wiederholten Streiks macht sich im Geschäftsleben eine Flauheit und Unsicherheit geltend, welche in denkbar nachteiligster Weise auf Handel und Wandel einwirkt. Unter dieser Unsicherheit. für welche in erster Linie die sozialdemokratischen Volksverführer verantwortlich zu machen sind, leiden alle Geschäfte und so haben sich auch kürzlich verschiedene Schuhfabriken Thüringens genötigt gesehen, die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden herabzusetzen, andere haben die Absicht, in nächster Zeit zu folgen und die Arbeitszeit noch mehr herabzusetzen. Ob die Sozialdemokraten nun zufrieden sind?"
Kiel, 10. Aug. Der Reichskanzler General v. Caprivi ist in der vergangenen Nacht hier eingetroffen und hatte heute vormittag bei dem Kaiser Vortrag.
Der Kaiser und die Kaiserin werden bis zum 18. August in Kiel bleiben; beide Majestäten beziehen nicht das dortige Schloß, sondern bleiben an Bord der Jacht „Hohenzollern". Am Sonntag hielt der Kaiser wieder den L-chiffsgottesdienst ab. Später fand ein Frühstück statt, zu welchem verschiedene Einladungen ergangen waren.
An der Berliner Börse war am Sonnabend das Gerücht verbreitet, die russische Regierung hätte die Getreideausfuhr verboten, weil der Ernte-Ertrag zu gering sei. Aus Petersburg wird jetzt amtlich diese Meldung für falsch erklärt. Es sind im Gegenteil schon bedeutende Korn-Transporte nach Deusch- land unterwegs.
Aufbesserung der Lehrergehälter. Wie von verschiedenen Seiten verlautet, soll die Gleichstellung der Lehrer an höheren staatlichen Lehranstalten in Preußen mit den Amtsrichtern im Gehalt (Anfangsgehalt 2400 Höchstgehalt 6000 mit dem neuen Etatsjahre ins Leben treten. Die Verhandlungen des preußischen Unterrichtsministeriums haben schon vor mehr als 14 Tagen in diesem Sinne ihre Abschluß gesunden. Es werde vermutet, daß die Re gelang der Avancementsfrage sich unmittelbar daran anschließen wird; im Interesse des leichteren lleber- gangs aus einer Provinz in die andere werde man sich wahrscheinlich für das Aufrücken nach dem Dienstalter durch den ganzen preußischen Staat entscheiden, was dem Wunsche der überwiegenden Mehrzahl der Lehrer höherer Lehranstalten entsprechen würde.
Die Fr. Ztg. meldet aus Berlin: Die Verletzung des Kaisers besteht hauptsächlich in einer Verrenkung der Kniescheibe und Zerrung der Bänder des Kniegelenks und machte eine mehrwöchige Schonung immerhin nötig; das übrige Befinden ist vortrefflich. Der Kaiser kehrt keinesfalls vor dem 21. August nach Berlin zurück; am 22. ds. findet die Parade statt, die der Monarch, falls sein Befinden das Reiten nicht gestattet, im Wagen abnimmt.
Nachdem sich in Berlin eine Eisenbahn-Gesellschaft für Deutsch-Ostafrika gebildet hat, soll mit dem Bau der geplanten Linie thunlichst bald begonnen werden. Der Bau dürfte etwa ein Jahr in Anspruch nehmen.
Ein Kommandanturbefehl verbietet der Garnison
Spandau den Besuch von sieben Lokalen, wo der Berliner Vorwärts aufliegt.
DeÜerreich-Angarn.
Die Polizei verhaftete gestern in Wien ein Ehepaar, welches dienstjuchende Landmädchen an sich lockte, in der Umgebung Wiens in den Wald lockte und erschlug. Zwei Fälle sind demselben bereits nachaewiesen.
Italien.
Rom, 10. Aug. Von maßgebender Seite wird versichert, die von Bern aus verbreitete Meldung, daß die Handelsvertragsverhandlungen mit der Schweiz gescheitert seien, entbehre jeder Begründung, da der einzige noch strittige Punkt nur die Position Vieh betrifft.
Wie über Triest aus Genua gemeldet wird, werden Heuer an den italienischen Küsten Haifische in besorgniserregender Zahl gesehen; aus 17 Orten seien hierauf bezügliche Nachrichten eingelaufen. In Genua badeten zwei Arbeiter beim Molo Nuovo, als Plötzlich einer derselben, unter entsetzlichem Jammergeschrei das Meer blutig färbend, verschwand. Bei Messina riß ein angeblich 7 Meter langer Haifisch einen 15jährigen Knaben aus der Mitte der zahlreichen Badenden. Bei Mare Grosso verschlangen Haifische einen Maultiertreiber mit seinem Tier, das er im Meer badete. In Messina wurden hohe Prämien auf den Fang der Haifische ausgesetzt und das Baden ist außerhalb der Schwimmanstalten behördlich untersagt.
Frankreich.
Paris, 10. Aug. Die Blätter melden, Carnot komme zum Empfange des Königs von Serbien hierher, um den Besuch des Königs sofort erwidern zu können. Der Tcmps bekämpft anscheinend offiziös die Uebertreibung der ruffophilen Kundgebungen, insbesondere die Absicht des Pariser Munizipalrats, den Admiral Gervais festlich zu empfangen. Ein solcher Uebereifer könne die Kronstädter Ergebnisse nur abschwächen und die Interessen und die Würde Frankreichs beeinträchtigen.
In den französischen Provinzialstädten dauern, obwohl der Flottenbesuch in Kronstadt längst zu Ende ist, die russenfreundlichen Kundgebungen doch ungeschwächt fort. In Theatern, Konzerten rc. verlangt man die russische Nationalhymne zu hören und ergeht sich dann in endlosen Hochrufen und wo man eines Russen ansichtig wird, kann er sich vor Liebkosungen kaum retten. In Paris selbst ist die Stimmung viel kühler. Es sind nach und nach gewisse Einzelheiten bekannt geworden, welche erkennen lassen, daß der Zar durchaus nicht gesonnen ist, mit Frankreich in jeder Beziehung durch dick und dünn zu gehen; man weiß also nur zu gut, daß an praktische Folgen der heutigen turmhohen Freundschaft fürs Erste nicht zu denken ist. Die Pariser Sozialisten wollen kommende Woche eine große Volksversammlung gegen die Kriecherei vor dem Zaren, den sie mit dem Namen eines „blutigen Henkers" und anderen Ehrentiteln belegen, abhalten. Falls die Polizei die Demonstration nicht verbietet, kann es zu den schönsten Kravallen kommen. — Ende dieses Monats beginnen unweit der deutschen Grenze die diesjährigen großen Manöver, an welchen fast hunderttausend Mann teilnehmen und in welchen die besten französischen Generale kommandieren. Es handelt sich bei der Manöver-Idee darum, festzustellen, welche Folgen der Marsch einer fremden Armee auf Paris haben könnte, resp. auf welche Schwierigkeiten dieselbe stoßen würde.
Ein neuer Hufbeschlag ist nach der „Straßenbahn" von der Pariser Tramway-Gesellschaft eingeführt worden, deren Pferde täglich je 20 Kilom. zurücklegen. Die neuen Eisen sind den alten ähnlich, jedoch aus Bessemer-Stahl verfertigt. Dieselben werden ohne Anwendung von Nägeln auf den beschnittenen Huf kalt aufgelegt; sie sind mit einem gebogenen Hebel versehen, dessen gerade stehender Arm bis zur Mitte der Hornwand in die Höhe reicht. An den Enden der Hufeisen ist ein stählerner Ring angebracht, welcher um die Hornwand läuft und an dem Hebel festgehakt wird. An der Innenseite der Eisen befinden sich drei stählerne Spitzen, welche in den Huf eindringen und das Verschieben des Hufbeschlags verhindern. Zum Abnehmen des Hufeisens genügt die Lösung der an dem Hebel befindlichen Ringe. Für die deutschen Pferdebahnen mit einer Geleiselänge von 1 200 000 Meter, auf denen ein
jedes Pferd im Durchschnitt nach dreijährigem Gebrauch abgenutzt wird, ist die Verbesserung des Hufbeschlags vielleicht ein Gewinn, dessen Bedeutung sehr hoch zu veranschlagen ist. Dasselbe Blatt ist ferner in der Lage, mitteilen zu können, daß die Goldberg'schen patentierten Papier-Hufdeschläge nach vielen Proben sich nunmehr vollständig gebrauchsfähig erweisen und demnächst in den Handel kommen werden.
Portugal.
Einer Meldung vom 6. ds. aus Lissabon zufolge hat ein Wirbelsturm auf den Azoren große Ueberschwemmungen hervorgerufen. Die Staaten sind weithin vernichtet und zahlreiche Gebäude zerstört.
England.
London, 10. August. Nach einer Meldung des Standard aus New-Iork wird der Ertrag der Getreideernte in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf 600 Millionen Scheffel geschätzt, von denen 200 Millionen für die Ausfuhr bestimmt sind. Chicago allein speichert siebenmal so viel Getreide auf wie 1890: fünfmal so viel Roggen und zweimal so viel Gerste. Die Preise seien indessen nicht wesentlich gesunken.
Rußland.
Petersburg, 10. Aug. Die Kreisstadt Bryansk (Gouvernement Örel) ist fast gänzlich niedcrgebrannt.
Petersburg, 10. Aug. Auf unmittelbaren Befehl des Zaren erhielt General Tschernajeff wegen seines kriegerischen Trinkspruches in Moskau einen strengen Verweis.
Der Rausch plaudert's aus. Auf dem Bankett zu Ehren der französischen Offiziere in Moskau hat der General Tschernajow in stark bekneiptem Zustande folgenden Toast ausgebracht, der die Herzensmeinung so vieler russischer Offiziere auf das Beste enthielt. Er schrie: „Ruft man bei Ihnen in Frankreich: Bürger, zu den Waffen, so geschieht das auch bei uns. Wir werden unsere Bataillone von der Weichsel bis zur Kanschatka formieren. Ich trinke auf das ritterliche französische Volk, es lebe Paris, die Hauptstadt der zivilisierten Welt!" Die niedere russische Bevölkerung brüllt die nun wieder polizeilich verbotene Marseillaise, so daß die Behörden ihre liebe Not haben, diesen Folgen des Franzosenbesuches ein Ende zu machen. Den Altrussen ist diese Erscheinung in hohem Maße peinlich. So schreibt der „Grashdaniu": „Wie nach dem Jahre 1812, schnell ihre Selbstwürde vergessend, die russische Intelligenz die französische Kultur anbctete, ebenso sei man jetzt von der Rückgabe von Kirchenuhnen, die im Krimkriege geraubt wurden, begeistert. „Gestohlene Kirchenfahnen zurückgebcn", sagt das Blatt, wie ritterlich, und unser Enthusiasmus, wie leichtgläubig! Frankreich muß fast glauben, wir betteln um seine Freundschaft. Rußland braucht aber keinerlei Bündnisse, am allerwenigsten das des republikanischen Frankreich."
Während des Franzosenfiebers sind in Petersburg wiederholt Deutsche in öffentlichen Lokalen verspottet und mißhandelt worden. Dazu schreibt nun im „Grashdanin" Fürst Meschtscherski: Die Deutschen, diese Gerechtigkeit ist man ihnen schuldig, haben sich während dieser ganzen Zeit in St. Petersburg tadellos und voll Taktgefühl gezeigt: sie verhielten sich still und ließen nichts von sich hören, als wären sie gar nicht da; aber manche Russen haben sich äußerst unwürdig benommen, wie z. B. im Zoologischen Garten, wo sie über einzelne Deutsche herfielen, z. B. deswegen, weil diese, während man die Marseillaise spielte, die Hüte nicht abnahmen . . . Schon die Thatsache, daß ein ganzer Haufe über zwei, drei schutzlose Deutsche herfällt, ist an und für sich ein Zeichen niedriger Gesinnung, welche ganz unvereinbar ist mit der vornehmen Natur der Russen; sodann aber — welche Albernheit, welche Unanständigkeit — von Deutschen oder irgend Jemand im Garten, sei er, wer er wolle, verlangen, daß man sein Haupt während der Marseillaise entblöße; als ob diese Radaumacher offen erklären wollten, daß unsere Nationalhymne und die Marseillaise für uns den gleichen Wert hätten! Selbst die „Nowoje Wremja" stellt den Deutschen gelegentlich Mitteilung einer Reibung, die in Riga zwischen Deutschen und Franzosen vorgekommen sein soll, ein rühmendes Zeugnis aus. Sie seien „taktvoll gewesen und wenn sie auch nicht mit einstimmten in die Willkommenrufe zu Ehren der Franzosen, so hätten sie ihre Kehlen