haben den Altreichskanzler durchaus munter und sehr kampfbereit gefunden. Das Anerbieten des Herrn v. Stumm, dem Fürsten im Reichstag einen Platz zu belegen, lehnte dieser dankend ab, doch erklärte er, daß er bestimmt im Herbst im Reichstag er- scheinen werde.

Hamburg, 10. Mai. DieHamb. Nachr." erinnern in einem Leitartikel an das Attentat Blind's auf den Fürsten Bismarck, das gestern vor 25 Jahren stattfand. Sie erzählen zunächst die damaligen Vor­gänge, besprechen alsdann die gegnerischen Anstren­gungen, um den König zur Entlassung Bismarck's, desFriedenstörers", zu veranlassen und betonen, wie nötig, ja unentbehrlich Bismarck gewesen sei. Die Erfolge der preußischen Armee hätten seinerzeit einen Siegestaumel erzeugt, der selbst den König fortzureißen gedroht habe, so daß man von der Annexion österreich. Schlesiens und Böhmens und der Lostrennung Ungarns sprach. Hier habe Bis­marck der Militärpartei gegenüber die Integrität Oesterreichs energisch verfochten. Diese Dämpfung einer chauvinistischen Strömung in Verbindung mit einer großartigen Mäßigung habe den Grundstein gelegt zur Versöhnung des eben besiegten Oesterreich mit Preußen; diese Thatsache werde die Geschichte wahrscheinlich einst als eine der größten Thaten Bismarck's aufzählen. Bismarck's Stern stieg am politischen Himmel, alles verdunkelnd empor. Der glänzende Friedensschluß mit gewaltiger Vergrößerung Preußens, die Beilegung des inneren Konflikts durch die Erteilung der Indemnität für die budgetlose Verwaltung, der glorreiche Krieg mit Frankreich, die Einigung Deutschlands unter der Kaiserkrone, eine 20jährige Periode politischer Macht und Herrlichkeit, wie sie seit Barbarossa's Zeiten ungekannt war stehen Bismarck zur Seite. Und im Mittelpunkt dieser gigantischen Schöpfung, selbst ein Gigant des Geistes, am Steuer Europas stand Bismarck. Mensch­licher Unverstand und die erbärmlichste kleinlichste Parteisucht haben ihn auf Schritt und Tritt gehemmt. Wenn gesagt werde, Bismarck habe Glück gehabt, so könne man das nur oum grano galm verstehen. Er habe einen großen, edlen und neidlosen Mo­narchen, große Feldherrenan der Hand gehabt, aber geistig überragte er sie alle, er allein wird einst neben Wilhelm I. als der Gründer des Deutschen Reiches auf den Geschichtstafeln stehen. Der alte, große Kaiser ist tot, sein einziger Sohn ebenfalls, ebenso alle Paladine, die den Kaiserthron umgaben, erst vor einigen Tagen hat man den großen Schweiger zu Grabe getragen.*" Noch eine hohe.Säule zeugt von verschwundener Pracht. Fern ist Bismarck vom Thron, fern von der Stätte seines Wirkens, einsam im Sachsenwalde weilt der größte Mann unserer Zeit, der größte Sohn, den die deutsche Erde gezeugt. An Europas Himmel ziehen sich schwere Wolken zusammen; des Mannes, der sie 20 Jahre lang zu dannen gewußt hat, Hilfe wird in den nahen schick­salsschwangeren Stunden an entscheidender Stelle nicht gesucht, sein Rat nicht begehrt werden! 25 Jahre sind dahin, daß Gottes Gnade Bismarck aus Mör- hand errettet hat. Was in diesen 25 Jahren ge­schaffen, ist ein Tagewerk, wie es kein Menschenleben aufweisen kann. Wenn er denn durchaus zur Ruhe, zur Thatenlosigkeit verurteilt sein soll, so darf er es doch wenigstens mit Stolz und zufriedenem Sinne thun. Wahrlich, auf Bismarck passen Schiller's herrliche Worte:Denn wer den Besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten."

Berlin, 8. Mai. Da das Gesetz wegen der Unterstützung der zu den Friedensübungen Ungezo­genen Reservisten und Landwehrleuten noch erledigt werden soll, so erfolgt die Vertagung des Reichstags erst Montag oder Dienstag. Das Gesetz bestimmt: Bedürftige Familien der Eingezogenen erhalten pro Tag die Frau im Sommer 20 im Winter 30, ein Kind 10

Berlin. Bei der Fortsetzung der Verhandlun­gen über den neuen Zolltarif stellte ein Redner die Behauptung auf, Deutschland sei in handelspo­litischer Beziehung auf Frankreich angewiesen und könne darum nichts gegen Frankreich beginnen. Diese Anschauung beruht denn aber döch auf einer gewal­tigen Illusion. Wir sind nicht mehr auf Frankreich angewiesen, als unser westlicher Nachbar auf uns. W'll man nichts mehr aus Deutschland nach Frank­reich hineinlassen, nun so kann auch das Deutsche Reich recht gut ohne Frankreich fertig werden.

Der oft geäußerte Wunsch, daß die verschiedenen, im preußischen Staat bestehenden Buß- und Bettage vereinheitlicht werden möchten, wird nun endlich in Erfüllung gehen. Dem Abgeordnetenhaus ist ein Gesetzentwurf zugegangen, nach welchem die in den verschiedenen Landesteilen bestehenden Buß- und Bettage fortan nicht mehr als allgemeine Feiertage gelten und an ihrer Stelle dem Freitag nach dem letzten Trinitatis-Sonntag, als dem künftigen Landes- Buß- und Bettag, die Geltung eines allgemeinen Feiertags beigelegt wird. Nun wäre nur noch zu wünschen, daß die übrigen Staaten dem Beispiel Preußens folgen und auch auf diesem Gebiet die Einheit auf ganz Deutschland ausdehnen möchten.

Berlin, 11. Mai. Eine sehr zahlreich be- suchte Schriftsetzerversammlung beschloß denTarif für ganz Deutschland" zu kündigen. Nach Kündi­gung desselben wollen dann die Schriftsetzer mit neuen Forderungen hervortreten. (In Wien strei­ken 3000 Buchdrucker behufs Herabsetzung der Ar­beitszeit auf 9 Stunden.)

DerVorwärts" nimmt über die Maifeier den Mund außerordentlich voll. Er behauptet, die Beteiligung an derselben sei dreimal so groß gewesen, wie im vorigen Jahre und schließt seinen Artikel in folgender poetischer Weise:In den ersten 3 Mai­tagen dieses Jahres ist ein internationales Weltfest gefeiert worden, wie die Welt noch keines gesehen hat. (?) Und das Weltfest der Arbeit ist eine dauernde Einrichtung. Es wird noch gefeiert werden, wenn die Orgien des Kapitalismus längst schonein Mär­chen aus alten Zeiten" sind."

Emin Pascha hat, wie aus Hamburg gemeldet wird, neuerdings abermals Elfenbein im Werte von fast 2 Millionen aus dem Innern nach der deutschen ostafrikanischen Küste geschickt.

Brfterrrich-Angarn.

Wien, 9. Mai. Seit gestern abend streiken 2500 Buchdruckergehilsen. Die größten Firmen haben beschlossen, die Forderungen der Streikenden energisch abzulehnen, die bereits fälligen Löhne als Schadensersatz einzuziehen und eventuell die Etablisse- ments zu sperren. Nur 24 kleinere Firmen nahmen die Forderungen (9stündige Arbeitszeit) an.

Wien, 9. Mai. Bei der Wahl der Stadträte gaben die Antisemiten Stimmzettel mit Zeichnungen von Eselsköpfen, Kälbern, Galgen u. dergl. niedlichen Dingen ab.

Frankreich.

Nach einer Pariser Meldung soll eine neue französische Expedition, deren Ausrüstung bisher geheim gehalten worden ist, in Levango ausgeschifft sein, um den deutschen Unternehmungen im Hinterlande von Kamerun zuvorzukommen.

Italien.

Rom, 8. Mai. Ein vom Bahnhofe Allerona (Provinz Rom) behufs Materialienladung nach dem Steinbruch von Rivalcale fahrender Eisenbahnzug wurde durch den austretenden Strom aus den Schie­nen gerissen. Viele Arbeiter sprangen ins Wasser, um sich zu retten, alle jedoch ertranken.

In Rom sind einige deutsche Studenten, welche Vorlesungen des sozialistischen Professors Labriola hörten, verhaftet worden. Bei einem derselben, einem gewissen Körner aus Köthen, sollen Bildnisse deutscher und französischer Anarchisten und kompro­mittierende Papiere gefunden worden sein.

Belgien.

Brüssel, 8. Mai. Die belgische Regierung hofft von Tage zu Tage, der Bergarbeiterstreik werde er­löschen, aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist vielmehr zu erwarten, daß heute Freitag die gesamten Bergleute die Arbeit ruhen lassen. Sie fordern den Achtstundentag, höhere Löhne, und das allgemeine Wahlrecht. Zu befürchten ist, daß die Industrie- Arbeiter der großen Städte sich dem Streik anschließen. In Brüssel haben bereits die Maschinenbauer und andere Arbeiter den Generalstreik beschlossen. Zwei Klassen der Bürgergarde sind einberufen. Dynamit- Attentate gegen die Häuser von Arbeitern, welche noch thätig sind, kommen fast jeden Tag vor, iry Uebrigen ist es nur zu bald unterdrückten kleinen Schlägereien gekommen. Die Zahl der Streikenden beträgt gegen 90 000.

Brüssel, 9. Mai. Alle 4 Kohlenreviere befinden sich in vollständigem Ausstande. Die Zahl der Streikenden beträgt jetzt 120 000. Die Arbeiter be­gehen, besonders in der Lütticher Gegend, zahlreiche

Raubanfälle. 120 000 Mann Reserve sind einbe­rufen.

Brüssel, 10. Mai. 200 Streikende machten den Versuch, eine Pulverfabrik bei Lüttich in die Luft zu sprengen. Die Truppen, welche die Ueber- wachung der Fabrik übernommen hatten, gaben Feuer, worauf die Meuterer mit Revolverschüssen antwor­teten. In die Kasernen wurden Proklamationen ein­geschmuggelt, welche die Soldaten auffordern, mit den Streikenden gemeinsame Sachen zu machen und den Offizieren den Gehorsam zu verweigern. Am Sonntag fanden mehrere Tumulte statt.

Brüssel, 11. Mai. Die Lage beginnt für die Industrie verhängnisvoll zu werden. Zahlreiche Fabriken, worunter das Eisenwerk Couillet, welches 5000 Arbeiter beschäftigt, kündigen die Einstellung des Betriebs infolge voll Kohlenmangel an.

Brüssel, 11. Mai. Dem Vernehmen nach ist heute General Boulanger aufgefordert worden, vor den Sicherheitspolizeibeamten zu erscheinen.

Brüssel, 1l. Mai. Der Deputierte Laur kün­digt an, der italienische Botschafter Menabrea habe bei dem Minister Constans angefragt, was Frankreich thun werde, falls Deutschland in Belgien einmarschiere, um die Ordnung wiederherzustellen. Constans habe darauf Nichteinmischung versprochen. Der Redner zeigt eine deutsche Landkarte vor, worauf die belgi­schen und vlämischen Provinzen dem Deutschen Reich einverleibt sind. Ein Anarchist unterbricht den Redner: Was geht das uns an? Nieder mit dem Vaterlande!" Ein Entrüstungssturm bricht aus unter Hochrufen auf Frankreich und das Vaterland.

England.

Die Eröffnung der deutschen Ausstellung in London hat am Sonnaberd unter großem Andrang des Publikums in feierlicher Weise stattgefunden. Zum Schluß der Feier erklangen dieWacht am Rhein", 8g,vs tllo Huoon« undHeil dir im

Siegerkranz." Der Eindruck der Ausstellung wird als ein durchaus würdiger geschildert.

London, 8. Mai. DiePall Mall Gazette" bestätigt die Meldung derTimes", daß das Pariser Haus Rothschild den Vertrag mit der russischen Regierung über die neue Anleihe zurückgezogen habe, vermutlich wegen der Bedrückung der Juden in Ruß­land. Die Londoner Rothschilds haben von vorne- herein nichts mit der Anleihe zu thun gehabt.

Lyon, 8. Mai. Ein Korporal eines Infante­rieregiments entwendete Pläne der vorgeschobenen Forts von Lyon; er ist beschuldigt, dieselben an den deutschen Generalstab verkauft zu haben. (?)

Rußland.

Petersburg, 8. Mai. Auf höheren Befehl wurden die Juden-Ausweisungen in Moskau ein­gestellt.

Tokio, 11. Mai. In der Nähe von Kioto wurde der Thronfolger Rußlands von einem Japaner durch einen Schwertstreich verwundet. Die Verletzung ist nicht lebensgefährlich. (Kioto ist eine Stadt von 275780 Einw. in West-Nippon.)

Amerika.

Die letzten k is zum 15. v. Mts. gehenden Be­richte aus Chile bestätigen die Nachricht von der Niederlage, oder besser gesagt, der Flucht der Re­gierungstruppen unter Oberst Camus. Dieselben hatten die Aufgabe, den wichtigsten Hafen Antofa- gosta bis aufs äußerste gegen die Insurgenten zu verteidigen, zogen es jedoch vor, über die Nichtbe­zahlung ihres Soldes entrüstet, teils zum Feinde überzugehen, teils auch auf bolivianisches oder argen­tinisches Gebiet zu flüchten. Aus Mendoza wird gemeldet, daß die Truppen in und um Santiago und Valparaiso gleichfalls keinen Sold empfangen haben. Die Nahrungsmittel sind knapp und so teuer, daß die ärmeren Klassen sie nicht mehr er­schwingen können und infolge dessen große Leiden ausstehen. Die Anhänger des Diktators betrachten ihre Sache als halb verloren.

Valparaiso, 8. Mai. Einer Reutermeldung zufolge fand ein Attentatsversuch gegen die Mitglieder der chilenischen Regierung durch eine auf die Straße geworfene Bombe statt.- Das Attentat blieb er­folglos.

Die Ortschaft Allistown in Kanada ist durch eine Feuersbrunst vollständig zerstört worden. Der Schaden ist sehr erheblich.