Aus Baden, 15. Jan. Eine merkwürdige Maßregel hat der Großh. badische Obcrschulrat ge­troffen und dadurch in beteiligten Kreisen Erbitterung hervorgerufen. Künftighin soll jeder Lehrer an Gymnasien, Real-, Töchterschulen und decgl. von jedem übernommenen Privatunterricht nicht bloß bei der Direktion Anzeige machen, sondern auch die Dauer desselben und insbesondere das Honorar pro Stunde bei Strafvermeiden genau angeben. Hier­über hat jede Direktion geordnete Listen zu führen, die nicht blos jedesmal bei Inspektionen vorzulegen ist, sondern auch jezuweilcn von der Behörde ein- vcrlangt werden kann. Wie wir vernehmen, gedenken sich die Lehrer direkt an den Landesfürsten zu wen­den, um die Aufhebung dieser Verfügung zu er- wirken.

Köln, 17. Jan. Wie die K. Ztg. aus bester Quelle erfährt, hat der Reichskanzler auf Antrag des Staatssekretärs des Rcichspostamts genehmigt, daß der Telegraphengebührensatz im deutschen Reichs­postverkehr von 6 aus 5 A für jedes Wort und die Mindestgebühr für jedes Telegramm von 60 auf 50 ermäßigt wird, und zwar bereits vom 1. Februar d. I. an.

Berlin. Der Reichstag hat seine Verhand­lungen wieder ausgenommen und zwar mit einem Arbeitsthema, welches heute alle Welt interessiert, mit den von der freisinnigen und sozialdemokratischen Partei eingcbrachten Anträge auf Ermäßigung resp. Aufhebung der Gctrcidezölle. Die verschiedenen In­teressen von Stadt und Land platzten bei diesen Erörterungen ziemlich heftig aufeinander, und es ist ja auch erklärlich, daß der Städler recht niedrige Getreideprcise, der ländliche Grundbesitzer aber mög­lichst hohe wünscht. Von den verschiedenen Stand­punkten aus betrachtet, sind diese Wünsche nur na­türlich. Wie im Reichstage die Dinge liegen, ist heute dort eine Mehrheit für gänzliche Aushebung der Getreidezölle nicht vorhanden; auch wenn die Reichsregierung eine solche Vorschlägen wollte, würde sie nicht damit durchdringen. Aus einer Erklärung, welche der Reichskanzler von Caprivi zum Beginn der Verhandlungen abgab. ergiebt sich, wenn dies auch nicht mit deutlichen Worten ausgesprochen wurde, daß die Verbündeten Regierungen einen Mit­telweg einschlagen wollen. Herr v. Caprivi sagte, die Reichsregierung erkenne ihre Pflicht, für Er­leichterung der Volksernährnng zu sorgen, sie erkenne aber auch ihre andere Pflicht, auf die Landwirtschaft Rücksicht zu nehmen, deren Gedeihen für den Staat von außerordentlicher Wichtigkeit sei. Der Reichs­kanzler fügte hinzu, daß die schwebenden Handels­vertragsverhandlungen mit Oesterreich-Ungarn einen guten Erfolg versprächen, doch sei er noch nicht in der Lage, über den Inhalt des Vertrages Mitteilung zu machen. Die ganze Rede läßt aber erkennen, was der neue Handelsvertrag bringen wird: wert­volle Zugeständnisse Oesterreich-Ungarns auf indu­striellem Gebiet und eine, sich in gewissen Grenzen haltende Herabsetzung der deutschen Getreidezöllc. Die vorliegenden Anträge verwarf die Reichstags­mehrheit, den späteren Handelsvertrag genehmigten sie. Das sind die Aussichten, auf welche mit großer Sicherheit in Zukunft gerechnet werden kann.

Der neue Reichsgerichtspräsident. Der Bundes­rat hat in seiner am Donnerstag abgehaltenen Si­tzung beschlossen, dem Staatssekretär im Reichsjustiz, amt, von Oehlschläger, für den Posten des Präsidenten des Reichsgerichts beim Kaiser in Vorschlag zu bringen. Die Ernennung ist zweifellos. Der Amts­antritt des neuen Präsidenten wird am 1. Februar erfolgen.

Berlin, 15. Jan. Fürst Bismarck erklärte laut derKöln. Zig." gegenüber der den Ehren­bürgerbrief übcrbringenden Bernburger Deputation, 1851 seien ihm mehrfach Ministerpräsidentenposten in nichtpreußischen Staaten angeboren worden, auch von Hanndvrr; er lehnte ab, weil seine Ansichten andere waren, als die des Königs Georg.

Der Präsident des evangelischen Oberkirchenrates in Berlin, Dr. Hermes, hat sein Rücktrittsgesuch eingcreicht. Damit ist die sog. Hosprediger-Partci erloschen. Dr. Hermes ist erst 65 Jahre alt.

Berlin, 17. Jan. Dem Reichstagsabgeord­neten Dr. Windthorst wurden heute anläßlich seines 80. Geburtstages nach der kirchlichen Feier als Be­trag der in den Wahlkreisen veranstalleien Samm- lung 43 000 Mark für die Marienkirche in Han­nover übergeben.

Der anhaltende, strenge Winter, die stark verminderte Banthätigkeit und auch die plan- und ziellosen Streiks baben einen großen Notstand unter der Berliner Arbeiterbevölkerung hcrvorgerufen. Auf den Leihämtern ist, wie dieNational-Zcitung" be­richtet, fortgesetzt ein gewaltiger Andrang von Ar­beiterfrauen, welche die letzte Habe versetzen: in den kleinen Vorkostkcllcrn des ON. und NO. werden ausschließlich von den Arbeitern Kartoffeln begehrt, und die auch noch meistens auf Kredit. Bei den Pferdebahndepots fanden sich am Morgen des ersten großen Schncefalls Tausende ein, welche um Ar­beit nachsuchten; in der Zimmerstraße, wo dasJn- telligenzblatt" ausgegeben wird, mehren sich von Tag zu Tag die Reihen der blaßwangigen Frauen und Männer, die mit fast fieberhafter Eile die Stel­lengesuche durchfliegen; Leute, die mit der Arbeiter­bevölkerung engste Fühlung unterhalten, behaupten, daß speziell unter den Malern, Tischlern und Mau­rern die Not am größten ist, wenngleich solche Zu­stände, wie sie aus dem Osten Londons gemeldet werden, uns zum Glück erspart geblieben sind. Den notorischen Notstand wollen die Sozialdemokraten zu Agitationszwecken ansnutzcn; es sollen Versamm­lungen von Arbeitslosen stattfindeu. Am Dienstag haben bereits die beiden ersten derartigen Versamm­lungen stottgefunden. Hoffentlich werden die Agi­tatoren den Arbeitslosen sagen, daß die von sozial­demokratischer Seite inscenicrten Streiks zum großen Teil den Notstand mitverschnldet haben!

Berlin, 15. Jan. In vollem Gegensatz zu Virchow spricht sich neuerdings Professor Baccelli, ein intimer Freund desselben, über das Koch'sche Heilmittel aus. Wohl findet der hervorragende rö­mische Arzt es natürlich, vielleicht sogar gerecht, daß dem anfänglichen Enthusiasmus für Koch jetzt eine Reaktion folgt. Trotzdem ist es nach ihm unmöglich, die Wahrheit zu leugnen, und diese Wahrheit ist, daß bei Lupus die Koch'sche Lymphe geradezu glän­zende Erfolge erzielt. Um dies einzuschen, brauche man nicht erst Arzt zu sein. Hülfe aber die Lymphe allein gegen Lupus, so wäre Koch's Entdeckung schon deshalb eine epochemachende. Was die Lungentu­berkulose betrifft, so weist die römische Klinik sichere Beispiele für durchaus ermutigende Resultate ans. Baccelli, der stets von allzugroßem Enthusiasmus wie von feindlichen Vorurteilen abriet und ruhige Prüfung empfahl, will vorerst seine Kasuistik nicht publizieren, eben weil er glaubt, die Antwort der Römischen Klinik müsse von größtem Ernste sein. Allein er erkennt zunächst aus das Entschiedenste die großartigen Verdienste Koch's bei Infektions- Krankheiten an. Darum will Baccelli auch, unbeirrt durch alle Angriffe auf Koch, unerschütterlich mit seiner ruhigen, ernsten Experimentierung mit der Lymphe fortfahren. Was die gehässigen Angriffe gewisser französischen Aerzte gegen Koch betrifft, so seien dieselben durch das ernste Urteil und die Re­sultate der Versuche in der Römischen Klinik völlig ausgewogen.

Professor Dr. Robert Koch hat jetzt die Zu­sammensetzung seines Heilmittels gegen die Schwind­sucht veröffentlicht. Dasselbe ist ein Glyzerin-Extrakt aus den Reinkulturen der Tuberkelbazillen. Worin das Heilmittel besteht, weiß auch Koch nicht, den Aerzten bleibt also noch sehr viel zu erforschen übrig; gewiß ist aber nach Kochs Ansicht die Heilwirkung, wenn die Krankheitsverhältnisse nicht zu ungünstig liegen. Trotz dieser Bekanntgabe ist das Heilmittel aber noch lange nicht ohne weiteres herzustellen. Das wäre etwa so, wenn man einem Schriftsteller sagen wollte:Hier ist Tinte, Feder und Papier, nun dichte, wie Göthe und Schiller". Auf Grund von Kochs Mitteilungen werden aber sicher weitere Forschungen angestellt werden und der leidenden Menschheit zum Segen gereichen.

Aus Hamburg wird gemeldet: 8 Dampfer auf der Untereibe sind im Eise eingeschlossen. Der nor­wegische Dreimastschoner Mimmie ist bereits zertrüm­mert. Unter den Hasenarbeiten herrscht große Not.

Frankreich.

Der PariserFigaro" hat sich aus Berlin berichten lassen, die Freunde Kochs hielten den Vortrag, den Prof. Dr. Virchow über die Wirkun­gen der Koch'sche» Lymphe und die Gefahren ihrer Anwendung kürzlich gehalten hat, für einen Akt der Eifersucht." Dieser häusliche Zwist habe die ärzt­lichen Kreise Berlins in zwei feind,iche Lager geteilt: in die Anhänger Kochs un ^ in jene Birchows.

Koch, den ich zu sehen Gelegenheit hatte", schreibt der Korrespondent desFigaro" weiter,bleibt voll­kommen ruhig. Auch er erblickt in der Art, wie Virchow seine Wahrnehmungen vorbrachte, einen Ausfluß von Gehässigkeit und bleibt unentwegt dabei stehen, daß sein Heilmittel in keinem Fall seine Wirkung versagt habe. Er beabsichtigt nunmehr eine Reise nach dem Süden zu unternehmen, um die Wirkung der Lymphe unter den verschiedenen Klimaten zu beobachten." Vielleicht sind die Ver­öffentlichungen Kochs eine Folge des Virchow'schen Vortrags.

Treille, Professor der medizinischen Schule in Algier, will den Bazillus des Wechselfiebers ent­deckt haben.

In der französischen Kammer ist am Dienstag ein Bericht des französischen Botschafters in Berlin, Herbette, über die deutschen Arbciterverhältnisse verteilt worden, der uns natürlich nicht weniger in­teressieren muß wie die Franzosen. In demselben giebt Herbette zunächst einen Ueberblick über die Stellung des Staates zur Arbeiterfrage und die Forderungen der sozialistischen Partei. Der deutsche Arbeiter sei mit einer großen Passivität behaftet, welche ihn veranlasse, sich mit schlechter und unzu­reichender Nahrung zu begnügen unter größerem Verbrauch von Branntwein, dessen Mißbrauch selbst bei jungen Arbeiterinnen beobachtet werde. Der Bericht konstatiert, daß der Preis der Lebensmittel in Demschland nicht so hoch sei, wie in Frankreich, dagegen seien auch die Löhne geringer, die Kinder zahlreicher und die Frauen von geringerer Geltung, als die französischen, sowohl als Hausfrauen wie als Familienmütter. Ohne den Schluß zu ziehen, daß die deutschen Arbeiter, die am schlechtesten ge­stellt seien, wird doch behauptet,, daß der deutsche Arbeiter sein Leben unter schwierigen und unsicheren Bedingungen friste, als der französische Arbeiter, welcher doch die Aussicht habe, einen höheren Lohn zu erreichen. Der deutsche Arbeiter könne selbst unter günstigen Umständen nicht zu dem Wohlbe­finden des französischen Arbeiters ge'äugen. Vieles in diesem Bericht entspricht den thatsachlichen Ver- hältnihen und zeugt von eingehenden Studien über die einschlägigen Fragen; manches erscheint aber auch unter einem so spezifisch sranzösichen Gesichts­winkel, daß man sich wohl fragen muß, ob bei der Arbeit des Herrn Hcrbctte überall die erwünschte Objektivität gewaltet habe. Namentlich wird Jeder, der die Verhältnisse auf beiden Seiten des Rheins kennt, nicht umhin können, hinter den Passus, bezüg­lich der deutschen Frauen, ein großes Fragezeichen zu setzen.

Belgien.

Charleroi, 16. Jan. Die Bergarbeiter des Kohlenbeckens von Charleroi beschlossen, einen Tag in der Woche zu feiern, um den Koh'envorrat zu verringern und die Direktionen der Gesellschaften zu zwingen, mehr Arbeiter anzustellen.

L ü r k c i.

Konftantinopel, 16. Jan. Major v. Hülsen trat gestern Abend die Rückreise nach Berlin an, nachdem er am Nachmittag vom Sultan huldvollst in einer Abschiedsaudicnz empfangen worden war. Der Sultan sandte den drei ältesten Söhnen des Kaisers drei kleine arabische Pferde zum Geschenk.

Amerika.

Aus New-Iork: Nach einem Telegramm aus Pineridge wird der Jndianerkrieg dort im Allgemeinen als beendet angesehen. Fast alle Häuptlinge haben sich dem General Milas nach der letzten großen Niederlage bedingungslos unterworfen und sich zur Auslieferung der Waffen bereit erklärt. Nur ver­einzelte Banden verüben noch Ausschreitungen.

Kleinere Mitteilungen.

Eßlingen, 14. Jan. Gestern früh sprang ein Reisender, der in Obertürkheim aussteigen sollte, aber aus Versehen sitzen geblieben war, während der Fahrt aus dem Wagen; beide Füße wurden ihm abgefahren.

Von jetzt ab erhalten die ärmeren Schulkinder in Konstanz jeden Morgen vor dem Schulgange im Hause zum roten Löwen eine Tasse warme Milch nebst Brot auf Stadtkosten verabreicht.

Pirmasens, 16. Jan. Infolge der Mac- Kinley-Bill haben 4 der bedeutendsten Schuhfabriken in der Pfalz die Arbeit eingestellt.