Lille, 12. Mai. Bei dem gestrigen Bankett hielt Boulanger eine Rede, in welcher er auf die Ohnmacht und Unfähigkeit der Kammer hinwies und die gegen ihn gerichteten Borwürfe als eine Insur­rektion der Kammer gegen die Wähler bezeichnete. Die 50 Nichtsthuer in der Kammer müßten ein tie­fes Bewußtsein von ihrer Unpopulärität haben, um sich wegen der geringsten Handlungen eines entwaff- neten Mannes, wie er es sei, Sorge zu machen. Seine Wahl im Norddeparrement habe Frankreich aufgerüt­telt. Die WorteAuflösung und Revision der Ver­fassung" haben das Parlament gezwungen, aus seiner Letargie herauszutreten. Er werde das Werk der Re­form mit Ruhe und Stetigkeit weiter verfolgen; das aber sei nicht möglich bei einer Verfassung, welche die Ministerien ganz und gar der Verfügung unmorali­scher Koalitionen überantworte. Die Abgeordneten würden gewählt, um sich mit dem Lande zu beschäf­tigen; statt dessen beschäftigen sie sich mit sich selbst. Nach dem Bankett kam es zu Reibereien, die jedoch keinen größeren Umfang annahmen.

Paris, 14. Mai. Boulanger zog in Va- lenciennes im Triumph ein. Er wurde mit Jubel empfangen und sein Wagen mit Blumen überhäuft. Vor der Mairie von Auzin wollten 10000 Bergleute Boulanger's Hände schütteln; Mütter brachten ihre Kinder. Boulanger mußte alle küssen, eist wahres Freudendelirium herrscht; dieselben Szenen wiederhol­ten sich in Denain und den Dörfern auf der Durch­fahrt. Boulanger verwahrt sich in jeder Rede gegen die Absicht der Diktatur.

Valencinnes, 14. Mai. Bei dem gestern ihm zu Ehren gegebenen Festessen beteuerte Bou­langer seine Ergebenheit für das Vaterland und die Republik; er protestierte gegen die Beschuldigung, die Diktatur anzustreben und den Angriffskrieg zu wün­schen, an welchen nur ein Verbrecher oder ein Wahn­sinniger denken könnte.

Italien.

Rom, 13. Mai. Heute morgen wohnten die deutschen Pilger zugleich mit den Pilgern aus Mexiko der Messe des hl. Vaters in der sixtinischen Kapelle an. Bei der Audienz am Abend waren 300 Pilger anwesend. Der hl. Vater wurde im Tragsessel an allen vorübergetragen. Am Schluffe der Audienz dankte der Fürst von Löwenstein dem hl. Vater für die den deutschen Pilgern bewiesene Güte. Der Papst antwortete, er kenne die Anhänglichkeit der deutschen Katholiken und freue sich, sie sehen und segnen zu können.

England.

In militärischen Kreisen Englands ist neuer­dings eine lebhafte Bewegung gegen die Regierung angefacht und im Gang erhalten worden. Das Va­terland, heißt es, sei in Gefahr, die Armee sei ohne Waffen, die Schiffe feien ohne Kanonen, England und besonders London sei offen für einen Angriff. Es scheint, als ob man sich vor Boulanger fürchtet.

In Leeds haben 1200 Schneider die Arbeit niedergelegr, weil die Arbeitgeber sich weigerten, die Arbeitszeit zu kürzen. Zwischen 20003000 Per­sonen sind ohne Beschäftigung.

Nirgends sind die Pächter von Grundstücken übler daran als in Irland. Die Grundbesitzer sind meist englische Lords und Fabrikbesitzer und gegen diese wird seit Jahrzehnten von einem großen Teil dec Irländer Krieg geführt mit Brand und Mord. Zahlt ein Pächter seinen Zins nicht, so wird er von dem Eigentümer aus Haus und Pacht an die Luft gesetzt, zahlt er aber seinen Zins, so dringen irische Banden nachts oder oft auch am Hellen Tage ein und verwüsten ihm alles, wobei es oft zu Mord und Totschlag kommt. Die Leute wollen aber doch leben und arbeiten, nicht lumpen und betteln wie ihre Geg­ner. Gewiß ein trauriges Dasein für solche!

RutzlüNS.

Moskau, 15. Mai. Am Sonntag fand auf einer Strecke der Moskau-Kursker-Bahn bei dem Bahn­hof Galytsino ein großer Eisenbahnunfall statt, wobei 29 Waggons des nach Moskau gehenden Zu­ges sich loslösten und gegen einen Güterzug stießen, wobei 11 Reisende getötet und 27 verwundet wurden, darunter 18 schwer.

Türkei.

Der Sultan überhäuft das deutsche Reich mit Liebenswürdigkeiten. Während er für andere Länder bei ähnlichen Gelegenheiten noch nie mehr als 200 türkische Pfund als seinen Beitrag zu Wohlthätig- keitskonzerten gespendet hat, hat er bei einem kürzlich

in Konstantinopel zum Besten der Ueberschwemmten in Norddeutschland veranstalteten Konzert die Summe von 500 türkischen Pfunden 11 500 Franks ge­geben, obwohl er der Sammlung für den gleichen Zweck bereits die gleiche Summe zugewendct hatte. Da die Paschas und hochgestellten Effendis dem Bei­spiel ihres Herrn nach Kräften gefolgt sind, so ift die Einnahme eine verhältnismäßig sehr bedeutende gewesen.

Ein Nomadenhäuptling nahm den durch Kleinasien reisenden Grafen Stroganow, dessen Schwester Fürstin Tscherbaotow und deren Ge­mahl mit 150 Mann Bedeckung gefangen und fordert ein riesiges Lösegeld. Ein Befehl des Sultans, die Russen sofort freizulaffen, wurde von dem Scheikh verlacht. Die Türkei hat nun mit der Entsendung von Truppen gedroht, wenn die Freilassung nicht alsbald erfolge. Die Antwort steht noch aus.

Bulgarien.

Sofia, 14. Mai. Die bulgarische Regierung sucht bessere Beziehungen zu Rußland anzubahnen und findet in Petersburg einiges Entgegenkommen. Bereits erhielten russische Lieferanten die Bewilligung, 30000 Berdan-Gewehre an Bulgarien zu liefern.

Während Prinz Ferdinand seine Rundreise durch Bulgarien unter der üblichen Begeisterung der Bevölkerung fortsetzt, bilden sich in Serbien und Rumänien Banden mit der Absicht, in Bulgarien einzufallen und die Regierung des Coburgers zu stürzen. Der aus der Verschwörung gegen den Prin­zen Alexander von Battenberg bekannte Bendereff soll in Rumänien eingetroffen sein, um die Leitung des Aufstandes zu übernehmen. Vorderhand scheint derselbe allerdings keinen beunruhigenden Charakter zu haben.

Amerika.

Am Montag abend wurde das in der Nähe New-Iorks gelegene Holzlager von Lombard Ayres u. Eo. ein Raub der Flammen. Der Verlust wird auf 500000 Doll, geschätzt.

Aus Panama wird berichtet: Der Stadtrich­ter von Cucuta im Departement Santander ließ die Leiter dreier deutscher Handelshäuser (Möller u. Co., van Dießel, Thieß u. Co., Bremer u. Co.) ins Ge­fängnis abführen unter dem Vorwände, dieselben seien als Hehler bei einem angeblich vor 9 Jahren aus­geführten Diebstahl von Aktien der Cucuta-Eisenbahn beteiligt. Sobald die Regierung von dieser Verhaf­tung Kenntnis erhielt. ließ sie die deutschen Reichs­angehörigen der drei Handelshäuser, die einen jähr­lichen Umsatz von mehr als zwei Millionen Thalern haben, sofort wieder in Freiheit setzen. Gegen den Richter wird wahrscheinlich ein Strafverfahren einge­leitet werden.

Kleinere Mitteilungen.

Stuttgart, 14. Mai. Gestern Abend wollte in der Wirtschaft Forststraße Nr. 55, der 18 Jahre alte Taglöhner Johann Rentschler ans Spiclberg, welcher dem Wirt Geld schuldete, diesen von neuem um die Zeche prellen und dem­selben durch den Abort entschlüpfen. Bei dem Sprung aus dem 3 Meter hohen Abortfenster verletzte er sich jedoch so unglücklich, daß er nach einer Viertelstunde den Geist aufgab.

InBinsdorf wurde ein Gansei erbrütet, aus wel­chem ein Junges mit 4 Füßen, zwei Hinterleibern, dagegen mit nur 1 Schnabel und 2 Flügeln herauskam. Dasselbe lebt und ist lebensfähig.

(Es geschehen noch Wunder.) Ein höherer Mi- nistcrialbeamter in München schrieb, wie die Augsb. Abendztg. meldet, am letzten Zieltage seinem Hausherrn, er fände den Mietpreis seiner schönen Wohnung den Zeitverhältnissen und gegenwärtigen Mietverhältnisscn nicht mehr entsprechend, wes­halb er den Mietpreis eigenmächtig um 200 per Jahr erhöhe. Dieses seltene Vorkommnis wurde nun durch das noch seltenere übertroffen, daß der Hausherr, ein Magistrats­rat, die eigenmächtige Steigerung des Mieters abwics. Vi­vat! Lt vivant segnölltvZ!

Würzburg, 8. Mai. DemNürnb. Anz." wird ge­schrieben: Einen würdigen Kollegen erhielt der Obcrjäger Prem in der Person des Vizewachtmeisters Peter Göddcl vom 5. Chevauxlcgerregiment in Saargemünd, geboren zu Einöden bei Kaiserslautern. Derselbe ist angeklagt, einer ganzen Reihe von Ausübung des Mißbrauchs der Dicnstge- walt. Seine Opfer, soweit sie noch leben, sitzen in 22 Per­sonen auf der Zeugenbank. Unter seinen vielen Reaten soll nur hervorgehoben werden: Er hieb dem nunmehr verstorbe­nen Gemeinen Vollmer seiner Eskadron derart mit dem Sä­bel auf seinen mit dem Helm bedeckten Kopf, daß letzterer blutete. Den verstorbenen Gemeinen Gaul ließ er so lange Laufschritt machen, bis er erschöpft zusammenbrach. Derselbe mußte ferner ohne Zügel und Bügel Hindernisse nehmen, bis er nicht mehr atmen konnte. Den Gemeinen Obcrkirchner schlug er aufs Ohr, daß das Trommelfell zersprang. Sol­daten, die Tabak kauten, und die er erwischte, mußten ihn hinunterschlncken. Andere ließ er, weil sie auf der Stallwache schliefen, mit Pferdekot besudeln, und wenn sic aufwachten, mit einem Strohwisch waschen. Kurzum sein Maß ist zum Ueberlaufen voll. Sonderbar aber ist, daß die nun auftre- , tenden Zeugen erst jetzt, nachdem sic vom Militär entlassen

sind, Anzeige machten und sich nun erst getrauten, gegen solche empörende Behandlung aufzutreten. Göddel selbst scheint, was seine Person anlangt, ein proprer und schneidiger Mann zu sein. Göddel wurde wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Dienstgewalt zu 1 Jahr und 1 Monat Ge­fängnis, Degradation und in die Kosten verurteilt. Das Ur­teil wurde abends halb 9 Uhr gefällt.

Köln, 9. Mai. Unsere Feuerwehr war gestern zu einer ganz außergewöhnlichen Thätigkeit berufen. Es handelte sich nämlich um die Rettung einer Schwalbe aus Lebensgefahr. Der Vorsteher einer Feuerwache sah nämlich, wie am Turme der Martinskirche eine Schwalbe sich in einen Faden ihres Nestes verwickelt hatte und sich vergeblich zu befreien suchte. Der Feuerwehr-Feldwebel telegraphierte an die Zentralstation, ob es gestattet sei, daß die Wache für Rettung einer Schwalbe ausrückc und der Branddirektor antwortete bejahend, zumal er ja die ganze Sache als eine Hebung an sehen konnte. In wenigen Minuten war ein Kommando Feuerwehrleute mit Leitern zur Stelle und die schon mit dem Tode ringende Schwalbe alsbald aus ihren Schlingen befreit. Dem Feuer­wehrmann, welcher sich der ziemlich gefahrvollen Arbeit un­terzog und den Turm hinaufkletterte, wurden seitens des zahlreich angesammelten Publikums sehr lebhafte Bravorufe gespendet.

In Uesdorf, einige Minuten von dem durch sein Römergrab bekannten Weiden bei Köln, wurden vor etwa 14 Tagen einer Katzenmnttcr die Jungen weggenommcn. Dieselbe holte sich aus dem benachbarten Felde zwei junge Häschen, welche sie seit der Zeit säugt. Die Alte scheint ihre Katzen­natur vollständig cingebüßt zu haben und auch ihre Pfleg­linge zeigen vorläufig noch keine Lust, das sonderbare Hasen­nest zu verlassen.

Der Bierbrauer Geisel in Neustadt, ein Pfälzer Krischer und Mann bei der Spritze, äußerte am Osterfeiertag im Gespräch:Für das Kaiser Wilhelms-Denkmal gebe ich keinen Groschen, aber wenn ihr dem Engen Richter ein Denk­mal setzt, gebe ich einen halben Morgen Land und 1000 .L obendrein." Wegengroben Unfugs" vor Gericht gestellt, wurde er zu 100 Geldstrafe verurteilt.

In Bernau hat die verehelichte Töpfermeister Wiese iu einem Anfall von Wahnsinn ihre beiden Kinder getötet und zwar so, daß sie ihnen mit einem scharfen Brotmesser den Hals durchschnitten hat. Die unglückliche Mutter legte sie dann in die Wiege und deckte sie zu. Darauf holte sie Bekannte und zeigte denselben zu aller Entsetzen die Leichen der Kinder. Als Grund für die That gab sie an, daß sie ein gutes Werk gethau habe, denn der liebe Gott habe ihr offenbart, daß ihr Ehemann und sie sterben würden, und um nun die Kinder nicht in fremde Hände zu geben, habe sie sie lieber getötet. Frau Wiese ist vorläufig in dem städti­schen Krankenhaus untergcbracht, zeigt aber keine Spur von Reue, sondern rühmt sich noch ihrer That anderen gegenüber. Der Mann, der schon vor dem Unglück auf Arbeit gegangen war, fiel bei der traurigen Mitteilung sofort in Krämpfe u. ist so verzweifelt, daß er unter fortwährender Aufsicht steht. Frau Wiese soll früher schon öfter geistig gestört gewesen sein, namentlich nach dem Tod ihres ersten Ehemannes.

Kaiser Wilhelm und seine Urenkel. Das Berl. Fremdenbl. erzählt: Die kleinen Urenkel waren das ganze Entzücken Kaiser Wilhelms. Mit freudig leuchtenden Mienen horchte er auf, wenn sie wie ausgelassene Füllen zu seinem Arbeitsgcmach angestürmt kamen uud Einer den andern über­holen wollte, um zuerst dem Urgroßvater guten Tag zu bieten. Dann mußten sie sich in einer Reihe aufstellen uud er fragte Jeden nach seinem Namen, seinem Alter und Ge­burtstag. Vor Lachen wollten sie sich ausschüttcu, wenn regelmäßig die Erkundigung folgte:Warum habt Ihr denn Euren jüngsten Bruder nicht mitgebracht. Nicht wahr, Ihr seid ihm gewiß wieder zu schnell fortgelaufen?" Wahrer Lachkrampf und endlich kaum vernehmbar:Aber, Urgroß- papa, der kann ja noch gar nicht laufen."Ja so, das hatt' ich vergessen, und da wolltet Ihr wohl nicht warten, bis cr's gelernt hat?"Nein, nein, nein, aber er kommt auch bald!" Und nachdem Jeder ein kleines Geschenk erhal­ten, trollten sie wieder von dannen, denn das litt der Ur­großvater trotz aller Liebe nicht, daß sie in seinem Zimmer spielten. Mit der Ordnung wäre es dann bald vorbei ge­wesen. Wie besorgt der greise kaiserliche Herr stets und überall um seine Urenkel ivar, zeigte sich deutlich bei der im vergangenen Frühjahr stattgehabten großen Parade über die Potsdamer Garnison. Als nach derselben in den Räumen des Potsdamer Stadtschlosses das übliche Parade-Diner stattfand, erhob sich der Kaiser plötzlich von der Tafel und schritt nach einem Nebensaale, wo seine Urenkel an einem besonderen Tischchen saßen, um zu sehen, ob für sie auch ge­sorgt sei.Aber Ihr habt ja nichts zu trinken," rief er aus und nun fragte er Jeden, was er trinken wolle, zunächst die kleine Prinzessin Feodora von Meiningen.Schokolade!", lautete prompt die Antwort. Der Kaiser lachte:Gewiß, Du bekommst Chokölade!", dann sich zu den Söhnen des Prinzen Wilhelm wendend:Und Ihr?"Auch Choko- lade!" Und der Kaiser:I freilich, Ihr bekommt auch Scho­kolade!", darauf zu den beiden ältesten Söhnen des Prinz- Regenten Albrecht von Braunschweig gerichtet:Und Ihr, was wünscht Ihr Euch denn?", und seine Frage selbst be­antwortend:Wißt Ihr, was Ihr bekommt? Ihr bekommt Champagner!" Und sofort mußte ein Diener mehrere mit dem schäumenden Trank gefüllte Gläser bringen, und dec Kaiser stieß selbst mit den Prinzen an, winkte mit dem Glase auch ihrem Vater zu, dessen Gesicht vor lauter Freude erstrahlte.

Prof. Virchow hat bei seiner Heimkehr aus Aegypten dem Berliner Aquarium eine Wüsten-Eid exe (Waran) zum Geschenk gemacht. Sic wurde in der Sahara iu einem alten Grah gefangen, ist 1 Meter lang, hellgelb gefärbt mit dunkeln Qucrstreifen. Sechs Wochen lang hat sie nichts gefressen und ihre Fastenzeit erst im Aquarium iu Berlin beendigt, wo sie sofort eine Maus verzehrte.

Wenn Einer eine Reise thut, so kann er was erzählen. Ein Breslauer Arzt, der im Orient war, erzählte von dem Ansehen Bismarck's, das er gefunden. Ein chinesischer Han-