Berlin, 2. Sept. Wie der „Nat.-Ztg." von zuverlässiger Seite gemeldet wird, hat das Finanz- Konsortium, welches die Aktiengesellschaft für Spiritusverwertung begründen wollte, in einer gestern abend abgehaltenen Beratung beschlossen, die Verhandlungen abzubrechen, ohne das Resultat des neuen Versuches des Vorstandes des Spiritusfabrikanten-Vereins, eine größere Beteiligung der Brenner herbeizuführen, abzuwarten. Die Spiritus-Koalition ist damit endgil- tig gescheitert.
Berlin. Welch böses Blut der projektierte „Sprit-Ring" namentlich im Ausland gemacht hat, dürfte daraus entnommen werden können, daß die russische Regierung ihre Exportvergütung um 2°/» erhöhen wird.
Die große Herbstparade des preußischen Gardekorps hat am Donnerstag vormittag auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin stattgefunden und wurde von dem kommandierenden General v. Pape befehlt. Das erste Treffen umfaßte 37 Bataillone, das zweite 40 Schwadronen und 100 Geschütze. Ein glänzendes militärisches Schauspiel, das vom schönsten Wetter begünstigt war. Tausende von Schaulustigen waren herbeigeeilt. Alle in Berlin und Potsdam anwesenden Fürstlichkeiten, die Kaiserin, Prinz und Prinzessin Wilhelm von Preußen, die Prinzessin Friedrich Karl rc. waren zugegen. Die Hauptsache für das tausendköpfige Publikum war aber doch die große Frage: Kommt der Kaiser? Dicht umsäumt von Menschen waren alle Straßen vom Palais bis zum Tempelhofer Feld. Um 10 Uhr verkündeten donnernde Hochrufe die Anfahrt des Kaisers, der, in einer vierspännigen offenen Equipage sitzend, mit freundlichem Gesicht unaufhörlich für die enthusiastischen Begrüßungen dankte. Auf dem Tempelhofer Felde begrüßte der Kaiser zunächst die fürstlichen Herrschaften und fuhr dann unter den Klängen des „Heil dir im Siegerkranz" die Fronten ab, worauf ein zweimaliger glänzender Vorbeimarsch folgte. Der Kaiser sprach dem kommandierenden General wiederholt seine Anerkennung aus und fuhr dann ins Palais zurück, wo ihm noch wiederholte stürmische Ovationen bereitet wurden. Am Nachmittage fand das übliche Parade-Diner statt, am Abend war Galaoper. Dem Kaiser ist der Tag, soweit bekannt, gut bekommen.
Berlin, 3. Sept. Wie der „Reichsanzeiger" offiziell meldet', hat der Kaiser noch an den Folgen des Ausgleitens zu leiden und ist durch örtliche Schmerzen am Ellbogen und an der Hüfte in der Nachtruhe beeinträchtigt worden. Der Kaiser hat daher zu seinem großen Leidwesen die Reise nach Königsberg aufgeben müssen.
Das anfangs unsicher auftauchende Gericht von einer Begegnung unseres Kaisers mit dem Zaren gewinnt an Glaubwürdigkeit. Kaiser Wilhelm, welcher seiner Jahre ungeachtet den großen Manövern in Ostpreußen beiwohnt, wird am 12. Sept. von Danzig nach Stettin kommen. Der Zar soll ebenfalls an diesem Tage von Kopenhagen in Stettin cintreffen. Er wird eine Nacht Gast des Kaisers sein, am nächsten Vormittage einer großen Parade auf dem Krekower Exerzierplatz und einem Mahl beiwohnen und abends nach Kopenhagen zurückkehren. Alles das steht in den Einzelheiten noch nicht fest, aber die Zusammenkunft selbst scheint bestimmt zu sein. Ihre Bedeutung würde auf der Hand liegen. Sie würde vor Allem in Paris verstanden werden. Die persönliche Verehrung des Zaren für seinen greisen Großoheim ist zwar bekannt, aber eine Zeitlang schien es doch, als wenn die panslavistischen Hezer sich Hoffnung machen bürsten, ihre friedebedrohenden Pläne an entscheidender Stelle zum Siege zu bringen. Reicht der Zar jetzt unserem Kaiser, wie in früheren Jahren, die Hand, tritt der Kaiserbegegnung von Gastein diejenige von Stettin zur Seite, so steht das eine fest: die Rachereisenden der Patriotenliga haben vergeblich Rußland durchzogen, mit dem französisch-russischen Bündnis ist es nichts, die Hezereien der panslavistischen Presse sind für die Politik des Zarenreiches nicht maßgebend und der Friede des Weltteils steht noch auf guten Stützen.
Trier, 1. Sept. Die Katholikenversammlung nahm folgende Resolution des Abg. Dr. Lieber an: „Das katholische Volk Deutschlands hat das Recht und die Pflicht, nicht zu ruhen, bis alle sonstigen Uebcrbleibsel und Folgen der Kulturkampfgesetze, insbesondere auch jegliche Beschränkung des ungehinderten Aufenthaltes und der vollen segensreichen
Wirksamkeit aller katholischen Ordensgenossenschaften beseitigt sind.
Bei einem Besuch, den 30 Elsäßer, welche gelegentlich der Katholiken-Versammlung in Trier sich aufhielten, dem Bischof Dr. Korum, ihrem vormaligen Erzpriester, abstatteten, — eS waren auch viele Geistliche unter den Besuchern — kam Dr. Korum auch auf das Verhältnis der Elsässer zu Deutschland und Frankreich zu sprechen, und ermahnte seine Landsleute, sich auf den Standpunkt der gottgewollten Ordnung zu stellen. Die Gewalt, welche von der Vorsehung zur Herschast berufen, erscheine auch von der Vorsehung als mit der Gabe versehen, die Geschicke ihrer neuen Unterthanen in geeigneter Weise zu führen und zu verwalten.
Etwa 30 Sozialdemokraten sind in Dortmund verhaftet worden. Es handelt sich um einen angeblich von Sozialdemokraten kürzlich erfolgten Angriff in dem benachbarten Dorfe Lüttringhausen, wobei nicht nur die übrigen Gäste mißhandelt, sondern auch Wirtschafts-Utensilien von Wert zerstört und mehrere Diebstähle ausgeführt worden sind.
Der deutsch-italienische Handelsvertrag, dessen Außerkraftsetzung allgemein zum 1. Febr. 1888 erwartet wurde, bleibt bis 1. Februar 1892 zu Recht bestehen. Hätte er schon nächstes Jahr seine Giltigkeit verlieren sollen, so würde jetzt die Kündigung haben erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen.
Oesterreich-Ungarn.
Aus Wien telegraphiert man der „Franks. Ztg.", die Pforte solle die Absicht haben, den Fürsten Bismarck um seine Vermittlung zwischen Rußland einerseits und Oesterreich-Ungarn, Italien und England andererseits anzugehen. In diplomatischen Kreisen drücke man die Ueberzeugung aus, daß die etwaige Verwirklichung dieser Absicht an der Sachlage praktisch nichts ändern würde, da Fürst Bismarck aus der wohl erwogenen Zurückhaltung der Pforte zuliebe kaum heraustreten dürfte; die Pforte habe übrigens dabei selber wohl nur die Absicht, Zeit zu gewinnen.
In Mähren haben am Donnerstag vor dem Kaiser Franz Joseph die großen Manöver begonnen. Generalquartiermeister Graf Waldersee wohnt denselben im Gefolge des Kaisers bei. Er ist der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. — Deutlicher kann wohl die politische und militärische Intimität zwischen Oesterrreich und Deutschland nicht illustriert werden, als durch diesen kameradschaftlichen Verkehr der bedeutendsten und einflußreichsten Persönlichsten der beiderseitigen Armeen, just in einer Zeit, in welcher in allen Militärstaaten bezüglich der Einladung und Zulassung fremder Militärs zu den heimischen Einrichtungen eine fühlbare Zurückhaltung eingetreten ist. Der Vertreter der deutschen Armee verkehrt mit den Vertretern der österreichischen Armee und des Kriegsministeriums in der, man darf sagen, vertraulichsten Weise, und daß der Vorgang auch in politischer Beziehung von großer Bedeutung ist, beweist unter anderem eine Aeußerung der Kreuzzeitung, nach welcher die Anwesenheit des Grafen Waldersee in Oesterreich Sensation erregt, indem die Einladungen zu den Manövern in Mähren in sehr beschränkter Anzahl ergangen seien.
Frankreich.
Ueber den Beginn der Mobilmachungsprobe wird der Boss. Ztg. telegraphiert: Den ersten Mobilmachungstag füllte die Zustellung der Einberufungsordres aus. Manche Dorfmaires sollen dabei sehr geringe Geschäftskenntnis bekundet haben und gezwungen gewesen sein, von den Vorgesetzten Behörden Unterweisung zu erbitten. Ein Maire widersetzte sich der Requisition eines Mönchsklosters zur Truppeneinquartierung, wurde aber zur Vernunft gebracht. Die Spionenriecherei ist mächtig entwickelt und nimmt die drolligsten Formen an. Man besichtigt truppweise die Häuser, in denen Spione wohnen sollen. Der Korrespondent einer Pariser Zeitung wurde als Spion verhaftet. Das Jonrnal „Justice" schreibt, die Süddahn habe, um die nötige Waggonzahl im Mobilmachungsgebiet zu vereinigen, die Gebiete des 16. und 18. Armeekorps total von Waggons entblößt, so daß im Ernstfall großer Wagenmangel geherrscht hätte. Alle Blätter bringen endlose Berichte über die Stimmung der Bevölkerung, die aber sehr widerspruchsvoll sind.
Paris, 1. Sept. Während sich die famose Mobilmachung vollzieht, wird die Jagd auf deutsche
Spione mit verstärktem Eifer fortgesetzt. Ein Berichterstatter der „Liberte" schreibt darüber: „Ich telegraphierte Ihnen gestern, daß man eine Verhaftung vorgenommen habe. Der vermeintliche Deutsche war aber ein elsässischer Händler und die Agenten ließen ihn sofort frei. Uebrigens wittert man, wie immer, überall deutsche Spione. Gestern wurde der Zeichner eines Pariser illustrierten Blattes verhaftet, weil er einen Feldbackofen abzeichnete. Italiener, die sich auf einer Bank der Allee Lafayette in ihrer Landessprache unterhielten, wurden für — Deutsche gehalten. Wenn das so fortgeht, werden wir schöne Dinge erleben, denn die Zahl der hicrhergekommenen Fremden ist sehr groß."
Paris, 1. Sept. Die Untersuchung in Sachen des „Figaro" ist geschlossen; das Pariser Gericht hat dem Kriegsminister mitgeteilt, daß es genötigt sei, den „Figaro" zugleich mit den Schuldigen zu verfolgen; Art. 31 des Gesetzes über das Spionen- wesen sei in dieser Sache vollständig anwendbar.
Das Journal „Figaro" kündigt an, daß es in seinem Depeschensaale eins der neuen deutschen Repetiergewehre ausstelle, in dessen Besitz cs gelangt sei.
Belgien.
Brüssel, 3. Sept. Der „Nord" sagt, materielle Schwierigkeiten verlängerten die Dauer der Unterhandlungen bezüglich Bulgariens. Es sei nicht die Rede davon, einen russischen General nach Sofia zu entsenden; das könnte erst an dem Tage geschehen, wo es der Türkei gelungen sei, die gesetzmäßige Lage der Dinge gegenüber den Verletzungen des Berliner Vertrags zur Geltung zu bringen.
Italien.
Der Schah von Persien wird im nächsten Jahre bekanntlich eine Rundreise durch Europa unternehmen. Er will auch Rom besuchen und dem Papste Geschenke zu seinem Jubiläum überbringen.
England.
London. Anläßlich ihres 50jährigen Regierungs-Jubiläums hat die Königin Viktoria durch Gnadenerlaß vom 17. Juni d. I. allen fahnenflüchtig gewordenen Angehörigen des britischen Landheeres Amnestie gewährt; dieselbe ist jedoch an die Bedingung geknüpft, daß die Betreffenden sich auf schriftlichem Wege bei ihrem früheren Truppenteil melden.
London, 2. Sept. Wie dem Reuter'schen Bureau aus Sofia telegraphiert wird, sei der bulgarischen Regierung die offizielle Mitteilung der Pforte zugegangen, wonach letztere die Mission des Generals Ernroth acceptiert habe. Unter dem Vorsitze des Prinzen habe der gestrige Ministerrat sich mit dieser Angelegenheit beschäftigt.
Der deutsche Kronprinz überreichte vor seiner Abreise aus Braemar in Schottland dem Hotelier, bei welchem er gewohnt, eine mit Diamanten besetzte, goldene Busennadel und der Gattin des Wirtes sein Bildnis. Die Ankunft der kronprinzlichen Familie in Toblach in Tirol ist für den 4. September angesagt. König Humbert von Italien soll dem Kronprinzen das einige Meilen von Neapel gelegene prachtvolle Schloß von Caserta zum Aufenthalte angeboren haben.
L o n d o n , 3. Sept. Dr. Mackenzie wurde in Anerkennung seiner Verdienste um den deutschen Kronprinzen in den Ritterstand erhoben.
Der Sarkophag, in welchem die Gebeine des verstorbenen Kaisers Napoleon III. so viele Jahre in der St. Marienkapelle in Chislehurst geruht haben, wurde dieser Tage nach dem in Farnborough von der Kaiserin Eugenie errichteten Mausoleum übergeführt, wo er zur Seite des Sarkophages des kaiserlichen Prinzen beigesetzt wurde.
Spanien.
In Spanien äußert sich der „Jmpercial", eines der am besten geleiteten Blätter Spaniens, über „Spiritusmonopolbank" unter anderen: „O Völker, verteidigt euch. — Das wird das Feldgeschrei sein in diesem unbegreiflichen wirtschaftlichen Kriege, welchen Deutschland gegen die ganze Welt erklärt hat." — Den Schluß des Artikels bildet das Bedauern über den Niedergang Deutschlands von seiner sittlichen Höhe. Es heißt darin: „Wir sehen mit Kummer, wie dieses Deutschland, welches so viel geleistet hat in der Verbreitung der Kultur, in Kunst und Wissenschaft, und welches von aller Welt bewundert wurde als ein Volk von Denkern und Gelehrten, herbeiläßt, seine großen Denker in Krämer zu verwandeln , die ihre Handelserfolge nicht durch kaufmännisches Vorgehen erzielen wollen, sondern durch