'Versailles, 5. Juni. Biel bemerkt wurde auf der Dr- plomaten-Tribüne, daß Gambcita gestern, als Eissey das Projrci für die Befestigung der Ostgrcnzen vortegle, ansrief:Das ist die wahre Velsöhnnng!" und die Linke Beifall klatschte.

Eine sehr lebhafte Szene spielte sich am 2 Juni in Versailles ab, als Henri Brisfon (Linke) gegen den Ein­tritt in die Berathung des neuen Wahlgesetzes sprach. Er sagte: Ihr, die Mandataren des allgemeinen Stimmrechis dürfet es nicht verstimmet», Ihr, wenn Ihr Konservative sein wollet, dürfet nichts ihan, was das Bott der Revotunon oder dem Plebiszit in die Anne treiben müsste. Ihr dürft nicht 'Waffen einer heillosen Partei geben, welche strantreich vom 2. Dezemver nach Sedan geführt Hai . . . . (Gnttoni d' Iftria: Diese Partei, deren ungeheure Popnlaniäi Euch erschreck!, straf! Euch mit Verachtung! Gooini: Ihr habt Eure Proben abgelegt, die Männer des 4 September sind gerichtet! Lever:: Ihr habt also Furcht vor uns? Wir werden uns vor dem Lande wieder finden, wir werden Euch eines Tages schweigen lehren!) Briison: Einer Partei, die ungeachtet Ihres Absttznngsdeichtnsses vom 4. März l87l ihre strafbaren verbrecherischen Geüstie offen be­kennt. (Prax Paris: Ihr seid die Verbrecher, Ihr habt die Preußen nach Paiis hinein geführt! Lever:: Ihr habt eine Revolution aus eine Invasion gepflanzt, habt Euch mit den Preußen verbunden, um die Regierung zu stürzen ) So ging es fort. Der' Präsident Buffet verwies den Bonapartisten ihr tumultnarisches Gebühren in keiner Weise. Man kann daraus sehen, wie hoch dieselben den Kopf bereits wieder tragen. Der Antrag Brissoil wurde bekannttlich mit 384 gegen 307 Stimmen abgelehnt und in die Berathung eingetrelen.

London, 4. Juni. Der Verein der Eisenwerksbesitzer von Schottland haben beschlossen, die Hochöfen nicht wieder an- zuzüuüen, so lange nicht die Arbeiter die L o h n h e r a b s c tzu n g angenommen haben. Die Arbeiter zweier großen Werke haben die Arbeit wieder ausgenommen zu einer Lohnherabsetzung von 40 pEt (S. M.)

Die Petersburger Zeitungen bcrichlen ausführlich über eine Gerichtsverhandlung auf dem Landgule Rumis in Finnland. Alexandra M i k a e l s d o ch te r, ein bildschönes Mädchen von 24 Jahren, Schlüsselbewahrerin auf dem Gute, war angeklagt, ihre acht Kinder nnmiltelbar nach der Geburt ermordet zu haben. Sie war geständig und wies die Plätze nach, an welchen die Skelette der Kinder gesunden wurden. Der Vater der Kinder war der Gutsherr Sederberg, er will nichts von dem Verbrechen gewußt haben und wurde nicht bestraft. Die Mörderin erhielt lebenslängliche Feslnngsstrafe. Alexandra wird von den Peters­burger Berichterstattern als ein Wunder von Schönheit geschildert als eineschlanke Blondine mit reichem goldglänzendcm Haar, einem wahren Madonnengesicht, großen dunkelblauen Augen mit unvergleichlichem Aufschläge von Liebreiz" n. s. w. und doch eine achtfache Mörderin! Ans Grund ihrer Verbrechen gab sie an, ich durfte als Mädchen doch nicht Mutter sein.

Eia Stückchen illtramontaner Ausbeutung des Volks wird aus Rakel gemeldet, woher das polnische Blatt Ognisko schreibt, daß dort in ultramontanen Kreisen Geld für Don Carlos gesammelt werde. Der Schreiber klagt gewiß mit Recht, daß man sich in der Provinz nicht scheut, Almosen für denKönig von* Spanien" zu erbetteln, wo Tausende von Kindern wegen Mangels an Kleidungsstücken nicht die Schule besuchen können.

Nom, 3. Juni. Das Fieber, das den Papst seit einigen Tagen heimsuchte, tritt, wie verlautet, unter sehr besorg- nißeriegenden Anzeichen auf, über die sich die Aerzte selbst nicht klar sind. Die Umgebung des Papstes verhehlt sich nicht, daß der Zustand des heil. Vaters ein sehr bedenklicher ist. In den Zwischenzeiten, wo das Fieber etwas nachläßt, treten dann wieder Anzeichen von Störung, der Geisteskräfte auf, welche die Be­stürzung der zur Pflege des Kranken anwesenden Prälaten noch erhöhen. Vorgestern soll Pius IX. ernstlich darauf gedrungen haben, daß man seine sämmllichen Verwandten kommen lasse, da er sie alle vor seinem Ende nochmals sehen wolle. Um den Kranken zu beruhigen und zu zerstreuen, rielhen die Aerzte, einige bei Sr. Heiligkeit besonders gern gesehene Personen vorzulassen, was zu dem Gerüchte Veranlassung gab, der Papst sei bereits wieder vollständig vom Fieber genesen und fähig, Audienzen zu eriheilen.

New-Dort, I. Juni. Roche fort und zwei seiner Freunde sind gestern Abend hier eingetrosten, haben aber den Empfang, welchen die Kommunisten und Mitglieder der Jnter- naiionale ihnen bereite» wollten, abgclehnt. Heule hat Rochesort einen Brief veröffentlicht, in welchem er die Einführung der Pariser Kommune auf Grund der monarchischen Gesinnungen des Versailler Kabinets entschuldigen will. Er billigt das Nieder- brenuen und die sonstige Zerstörung von Eigenthum und die Hinrichtungen, welche die Kommunisten ins Werk setzten, da sie nur Akte der Wiedervergeltnng seien. Er gibt eine Beschreibung der Leiden, welche die kommunistischen Gefangenen aus ihrer Reise nach Reukaledonien zu erdulden gehabt, sowie in ihrem Exil auf jener Strafkolonie, welche er als grauenvoll schildert. Er klagt

das Verhalten Mac Mahon's aufs Bitterste an und e>klärt, daß dessen Amtszeit bald abgelaufen sein werde. Er betrachtet die Auflösung der gesetzgeb. Versammlung als unvermeidlich und glaubt, daß die allgemeinen Wahlen zur definitiven Befestigung ver republ. Negiernngsform in Frankreich führen werden.

30 unabhängige B ü r g e ri n n e n der Vereinigten Staaten, im Alter von 2040 Jahren, sind unter der Führung einer in Dentschtand geborne» Matrone in Berlin eingelrosten, um dort, m Paris und Florenz je einen Monat laug Sprach­studien zu betreiben, wenn es, wie man sich unter dem Siegel der Verschwiegenheit mittheilt, der Liebenswürdigkeit eines deut­schen, französischen oder ttalienischen Eroberers nicht gelingen sollte, die eine oder die andere von ihnen mit Herzensbanden und Roseukelteu für immer an die östliche Halbkugel zu fesseln.

In Amerika wendet der Drognenhändler Hemdel unge­heures Geld aus Inserate in die Zeitungen. Vor 18 Jahren begann er mit einem Capital von 2000 Dollars und jetzt gibt er wöchentlich ziemlich 10.000 Doll, für Inserate ans. 2700 Zeitungen stehen uns seiner Jnseratenliste und manche einzelne Inserate kosten 15003000 Doll. Für eine Seite in der Zeirnng New 'Jork-Herald bol er einst vergeblich 500 Doll., vergeblich, weit die Depeschen von dem Fall Richmond's den

Raum einnahmcn.

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Allerlei.

Wir D e u tsch e n sind immer, in guten, wie in schlimmen Zeitläuften Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit für andere 'Rationen gewesen z freilich war diese Aufmerksamkeit oft nicht gerade der Ausfluß von Gunst und Wohlwollen. Eine hübsche Reihe von sprachlichen Denkmälern gibt Zeugniß von diesen nationalen Herzensbeziehungen. Wir beginnen bei den höflichen Franzos eil, die namentlich in neuerer Zeit stets voran marschiren, wenn es gilt, die Sieger von 1870/71 mit Kolh zu bewerfen,Brussicms, autrielüsns ot ll'antrss eickons" (Preußen, Oesterreichcr und andere Hunde) pflegt der Welsche z» sagen, glaubt mit diesem wohlfeilen Wortspiel den Inbegriff alles Ad- Ichens gegeben zu Haben und zur Abwechslung wirft er dem ver­haßten Grenzmacher auch noch eintöim earro ' (Auerkopf) zu. Ganz ähnlich wie der En g l än d e r, der uns mit seinemZorman blocRlwull" (Deutscher Dickkopf) unfern Ehrenplatz auweist. Oani reäesolü" (Deutsche Hunde) wüthet der Jtatieneiz lrotvAos nsiust" (Dummer Tölpel) schimpft der Ungar; scWvab (verächtlicher Mensch; auch Ungeziefer) geifert der Pole. Der Holländer, der Gott weiß aus welchem Grunde auch gern scheel auf die Deutsche» bückt, erleichtert sein Her; mit dem Wort 41ut1tE, dessen Bedeutung ihm selber nicht klar ist, in das man aber alles gelegt denken kann, was das Gegentheil von Liede anszubrnten im Stande ist. Und der Russe? Wie könnte er fehlen, ivo Andere vorangegangen? Eine ganze Auswahl von Zärtlichkeiten hat er uns ersonnen, z. D.IcalkitMüIW (Wniiimacher), auch führte er ein Sprichwort, das unsere Schwäche geiseln soll: ^8okto ruslcomn rctarorvo^ to meinen smortB d. h. was den Russen gesund, ist des Deutschen Tod. Der Däne endlich hat den Ansdruck: nuirensekiter, mit dessen Verdollmetschung wir uns Anstands halber nicht befassen können n. s. f. Diese Liste ist durchaus nicht vollständig, zeigt aber doch zur Genüge, wie freundschaftlich unsere Rachbar» sich unser annehmcn und wie gut wir im Allgemeinendraußen" angeschrieben stehen. Haß und Reid sollen häufig auf einem Ast wachsen und sich be­neidet zu sehen, thul immer ein wenig wohl.

Zur Zeit der Stockprügel schrieb ein Soldat an seinen Schatz:Liebes Mädchen! Ich konnte gestern nicht zu Dir kommen; denn ich bin v e r h i nt ert worden." u. s. w. Buch- stäbtich wahr; denn er hatte Hiebe bekommen.

(Jenseits des großen W assers") hat ein junger Amerikaner seinen Vater ans 10,000 Dollar Schmerzensgeld verklagt wegen einiger ihm wegen Schwänzens der Schule von väterlicher Hand applicirter Ohrfeigen. Ein anderer hoffnungs­voller junger Pankec hat seinen Schuldirector auf eine Entschä­digung von 40,000 Dollars verklagt, weil derselbe ihn durch Zurückweisung vom Abiturienten-Examen empfindlich in seiner Earriere beeinträchtigt habe. Die amerikanische Justiz wird nicht ermangeln, die Rechtsverletzung wieder anszugleichen.

(Zur Erklär ung) der Stelle Math. 19, 14:Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in das Himmelreich komme", ist bemerkenswerth, was Ludwig Völler über Palästina schreibt; er sagt Folgendes: Lord Rugent, welcher das heilige Land bereiste, ging mit einem Freunde am Hebron spazieren. Sie kamen vor das große Thor, als ein Zug Kameele ihnen begegnete. Da sprach der Lord: Komm, laß uns durch das Nadelöhr gehen" eine kleine Thür, jo genannt nach dem Sprachgebrauche des Landes, die neben dem Pfosten ist, an welchem das große Thor hängt, eben groß genug, um eine Person »ach der anderen hereinzulassen." Dieser Vorfall dürfte die treffendste Erläuterung des biblischen Wortes sein."