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und Ulrike , ein liebliches Geschwisterpaar mit langen blaßgoldi- gen Locken, tiefblauen Augen und fein geschnittnen Gesichtchen, der Erste zehn Jahre, die Letztere acht Jahre all, nannten Herrn Jonas Torkelson ihren Oheim. Niemand weiter kannte ihre näheren Verhältnisse, und unter den Hausgenossen und Nach­barn nannte man sie nur: die schönen Schwedenfinder, wenn von ihnen die Sprache kam.

Rudolph, ein frisch aussehcnder Bube von Olavs, und Bertha, ein holdes, rothwangigcs Mägdlein von Ulrikens Alter, waren die Sprößlingc Herrn Bertolds nnd seiner tugendsamen Hausfrau, der seligen Else. Seitdem der Schwede Torkelson in ihres Vaters Haus wohnte, waren sie die unzertrennlichen Gespielen von Olav und Ulriken. Auch heute, am Vorabend des heiligen Nikolaus, hatten sich die Kinder, unter Aufsicht Eilcheus, einer hübschen und aufgeweckten Dirne, zusammen ge­funden , um mit froher und zugleich banger Ungeduld St. Niklas zu erwarten, der alljährlich sich an diesem Abend in Gestalt eines gräulichen Putzenmummcls einznfinden und mit seiner ge­wichtigen Ruthe Schläge, und aus seinem Zwergsack Aepsel, Nüsse, Mantelschm'tten und Nürnberger Honigkuchen auszuthci- len Pflegte.

Nach langem Harren ließ sich endlich draußen ein Gepolter nnd Schellengetön vernehmen, cs rappelte au der Klinke, die Thüre flog auf und mit tiefem Gebrumme galvppitte der un- beimliche Popanz herein, reitend auf einem ausgestopften Ese­lein, in der Hand die gefürchteten Birke,ireiser schwingend und hinter sich einen gefüllten Zwergsack.

So beherzt die kleine Gesellschaft im Anfang den Mum­menschanz berbeigewünscht hatte, so hielt sie doch den Anblick des Fürchterlichen nicht aus. Rudolph verschwand schnell unter einem großen Himmelbett und blinzelte furchtsam drunter her­vor, Bertha versteckte sich laut schreiend hinter Eilchen und die kleine Ulrike suchte zitternd Schutz hinter Olav, der allein Stand hielt und furchtlos sein Gebetlein hersagte, welches der Heilige von ihm forderte. St. Niklas öffnete nun seinen Zwergsack, und heraus strömte die Fluth der lachenden Aepsel, klappern­den Nüsse und der braunen Honigkuchen mit den weißen, großen, süßen Mandelkernen.

Die Lüsternheit überwog die Furcht, die Kinder fielen ju­belnd über die lecker» Schätze, die Buben füllten die Taschen ihrer kleinen Pumphosen, und die Mägdleins ihre Schürzcheu. Während dem machte sich der Heilige an die hübsche mnut're Eilchen, begrüßte scherzend ihren Rücken mit einigen gelinden Ruthenstreichen, öffnete ein wenig die verhüllende Kaputze, gab der Dirne verstohlen einen derben Kuß, und steckte ihr einen großen mächtigen Honigkuchen zu. Jetzt mischte er sich wieder in den Jubel der Kinder, ermahnte sie sein, fromm, ehrbar und sittsam zu sein und die gebenedeitcn Heiligen inbrünstig zu verehren, sonst würde er ihnen übers Jahr nur Ruthenstreiche statt Aepsel» und Nüssen mitbringen, und brummend galloppine er wieder zur Stubenthüre hinaus.

Draußen, aus der Hausflur warf Haus Torkelsohns Knecht denn er hatte den Heiligen vorgestellt seine Vermummung ab und kehrte in das Zimmer zurück, wo er nun mit komischem Ernst erzählte, der heilige Nitlas sei ihm begegnet, und habe ihn derb durchgcprügelt. Lärmend und jubelnd umringte ihn die kleine Gesellschaft und wieß ihm die Geschenke, welche St. Niklas beschecrt hatte. Am meisten hatte der kühne Olav er­beutet, aber großmüthig vertheilte er seinen Ueberfluß an die Gespielen; das Beste gab er der kleinen braungelockten Bertha, zu welcher hin ihn eine innige Neigung zog.

Laßt uns spielen!" ries der lebhafte Schwedenkuabe. Ich bin Kaiser Wenzeslav von Bpheim, und Du, Bertha, sei mein holdseliges Gemahl. Und wir richten ein großes Mahl, und laden Euch und Hans nnd Eilchen zur Tafel."

Nein, ich will Kaiser sein," protestirte Rudolph,und Ulrike sei mein Gemahl. Aber Du, Olav, sollst der Baieru Herzog sei».

Während nun die beiden Knaben sich stritten, wer Kaiser oder Vasall sein sollte, und die klebrigen in Demuth ihre Dia­deme und Kronen erwarteten, erhob sich auf der Straße, unter den Fenstern des Hauses, ein dumpfes Getöse und Gemurmel

vieler Stimmen.Er wurde ermordet auf der Straße zwischen Vilbel und Dürkelwcila gefunden," tönte es laut und vernehm­lich aus dem verworrenen Lärm.

Still!" rief, bleichwerdend, Hans in den Lärm der Kin­der. Da unten sprechen sie von Mord."

Jesus Christus!" ließ sich die Stimme des Hausherrn vernehme».Laus Einer zum Medikus Meister Wolf von Luzern, vielleicht ist noch zu helfen."

Wer verlangt nach mir? Hier bin ich! Was gibl's denn da?" rief beantwortend eine starke Stimme.

Kommt herbei Meister, und seht hier den Zustand des ichwedischen Mannes, meines Hausgenossen!"

Der Manu ist todt, und kein Arzt der Welt wird ihn mehr erwecken," war die kurze rauhe Antwort des Medikus.

Maria und Joseph, Herr Jonas ist erschlagen!" rief entsetzt Hans, und raunte zur Stubenthüre hinaus. Tie Kin­der sahen Erschrocken nnd zitternd sich an. Eilchen, abnend, was vorgesallen sein könnte, nahm das Licht zur Hand »nd führte die Kinder sogleich in des Wollenwebers Wohnung, zu Jungfrau Guda, ihrer Gebieterin. Olav entwischte ans der Treppe der Wärterin und eilte Haus nach. Unten in der Haus­flur angelangt, stellte sich ihm ein Bild dar, das den Knaben in ciii starres weißes Marmorbild verwandelte.

-Man war so eben beschäftigt, die Flügel der HauSthüre zu öffnen. Eine dichte Volksmasse hatte sich im engen Halb­kreis davor gedrängt, einige Kienfackelu beleuchteten mit ihren düster» Flammen das granscnhaste Gemälde auf seiner schlechten Trage. Von Baumästen nnd Zweigen uothdürflig zusammenge- sügt, lag der Schwede Jonas Torkelson, mit Blut überströmt, und mit den gebrochnen glanzlosen wcitgcöffneten Augen gräß- licki hinaus ins ungewisse Weite starrend. Au seiner Schläfe öffnete sich klaffend und gähnend eine fürchterliche Wunde, sein Koller war aus der Brust von mehreren Dolchstichen durchbohrt. Die Rechte hatte noch den Griff des lange», abgebrochenen schwerstes fest umfaßt, die Linke war krampfhaft zusammen­geballt.

Durch die dichte Menge drängte sich jetzt die kolossale Gestalt des Wechselherrn, Mateo Vaniuis. Seine schwarzen Augen hafteten starr nnd durchbohrend ans dem Antlitz des Er­mordeten.So hatte ich mich dcuu nicht betrogen? Er ist es! Beim Blut Christi, er ist eS!" murmelte er vor sich hin.

Dankt es Eurem guten Gestirn, Meister Mateo!" ries Wirhänser dem Lombarden zu,daß Ihr mit so heiler Haut davon gekommen seid. Wäret Ihr nickt zufällig bei Eurer- Heimkehr von Friedberg von der Heerstraße abgekommeu, so möchtet Ihr der blutigen Rotte, die heute wieder einmal ihr Wesen stark trieb, sicherlich nicht entgangen, und Euch dasselbe Geschick wie diesem Fremdling hier zu Theil geworden sein."

Aller Blicke richteten sich bei diesen Worten des Wvllwe- bers aus den bleichen Lüstern Italiener. Auch der kleine Olav iah in stinem starren thränenloscn Schmerz nach ihm aus und blickte in ein Antlitz, welches wie ein wohlbekanntes Traumbild in seiner jugendlichen Erinnerung austauchte, ohne daß er zu klarem Bewußtsein gelangen konnte, wo und wann diese dro­hende Gestalt seine noch so junge Lebensbahn durchschritten habe.

In der Wohnung des Schweden, wo noch vor wenigen Augenblicken muntre Kinder und verliebte Dienstboten getollt hatten, war es öde und still. Die Stubenthüre hatte Eilchen in der Angst weit aufstehen lassen, und die Kälte drang frostig in den leeren Raum. Der Mond war am Himmel aufgezogen, und warf seine bleichen Strahlen durch die kleinen runden Fen- stericheiben, die Gegenstände umher nur schwach beleuchtend. Da huschte etwas leise und schnell zur Thüre herein, eine lange, dunkle Gestalt eilte gespenstig an der Wand hin und verlor sich in der anstoßenden Kammer. Ein Geräusch wurde drinnen hör­bar, wie wenn Jemand ein Schloß öffnet nnd wieder schließt. Nach wenigen Minuten schlüpfte die unheimliche Gestalt eben so schnell, wie sie gekommen war, wieder zur Thüre hinaus, und gleich darauf hörte man den blutigen Leichnam des Schwe­den herauftragen. (Forts, folgt.)

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