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Nr. 168

Donnerstag, den 21. Luli 1932

Jahrgang 105

v. Papen Reichskommissar für Preußen

Die Minister des geschäftssührenden Preußenkabinetts ihrer Aemter enthoben Militärischer Ausnahmezustand über Berlin und Brandenburg

TU. Berlin, 21. Juli. Reichskanzler von Papen empfing gestern vormittag die preußischen Minister Hirt- sieser nnd Severing. Im Verlause der Unterredung teilte der Reichskanzler mit, daß sich die Reichsrcgierung entschlossen habe, den bisherigen Oberbürgermeister von Es­sen, Bracht, znm kommissarischen Innenmini­ster in Preußen einzusetzen, und zwar ans Grund des Artikels 18, Absatz 2, der Reichsversassung, während Reichs­kanzler von Papen zum Reichskommissar ernannt wird.

In der Unterredung mit dem Reichskanzler hat sich der preußische Innenminister Scvering geweigert, die Verord­nung des Reichspräsidenten anzuerkennc« und erklärt, er wetchennrderGewalt. Der Reichspräsident hat daraus eine zweite Verordnung erlaffen, wonach über Berlin «nd Brandenburg der militärische Ausnahmezustand erklärt wird. Die vollziehende Gewalt ist daher sür Berlin und Brandenburg ans den Befehlshaber -es Wehrkreises Ul, General Rnndstedt» übcrgegangen. Ihm untersteht auch die Berliner und Brandenburger Polizei.

Die Begründung für die Einsetzung -es Reichskommiffars.

Von der Reichsregierung wird zu dem Vorgehen des Reiches in Preußen folgendes festgestellt: Durch die Verord­nung des Reichspräsidenten vom 29. Juli 1932 ist der Reichs­kanzler zum Kommissar für Preußen bestellt worben. In dieser Eigenschaft hat er auf Grund der ihm erteilten Voll­machten den Ministerpräsidenten Braun und den Minister des Innern Severing ihrer Aemter enthoben. Die Befugnisse und Aufgaben des preußischen Ministerprä­sidenten sind auf den Reichskanzler als Reichskommiffar übergegangeu. Die Selbständigkeit Les> Landes Preußen im Nahmen der RetchSvcrfaffung wird nicht angetastet. Die Reichsrcgierung erwartet vielmehr, daß alsbald eine Beendigung des auf Grund der Notverordnung geschaffenen Zustandes eintreten wird.

Die blutigen, von kommunistischer Seite hervorgerufenen Unruhen haben die Reichsregierung vor die schwere Auf­gabe gestellt, von sich aus für Ruhe und Sicherheit im größ­ten Teile Deutschlands zu sorgen. In den übrigen deutschen Ländern, in denen die Polizeibehörden straff geleitet werden, besteht keine Befürchtung, daß kommunistische Umtriebe Erfolg erzielen. Die Reichsregierung bedauert lebhaft, daß diese Voraussetzungen für Preußen nicht in dem notwendigen Umfange zutreffen, obgleich die örtlichen Poli­zeiorgane durch Einsatz von Person und Leben der Beamten sich bemüht haben, der offenbar von langer Hand vorbereite­ten Unruhen Herr zu werden.

In Preußen hat die Reichsregierung die Beobachtung machen müssen, daß Planmäßigkeit und Zielbe­wußtheit der Führung gegen die kommuni­stisch e B e w e g u n g f e h le n. Es ist kein Zufall, -atz ge­rade in Preußen die kommunistische Kampfesorganisation am straffsten und erfolgreichsten aufgetreten ist und an den ver­schiedensten Orten ernste und blutige Unruhen hervorgeru- :en hat. Es besteht der begründete Verdacht, daß hohe preu­ßische Dienststellen in Berlin und an anderen wichtigen Punkten nicht mehr die innere Unabhängig- kei t b es itz en. die zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig ist. Dadurch ist in weiten Kreisen der Behörden, der Exe- 'ntivbeamten, sowie der Bevölkerung die staatliche Autori­tät erschüttert. Verstärkt ist dieser Eindruck in der Oeffent- llchkcit durch die ungezügelten scharfen Angriffe SeS ireußischen Ministers des Innern und anderer hoher Beam- er gegen die Neichsregierung. Die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Neichsregierung mb Landesregierung ist durch dieses Auftreten unmöglich gemacht worben. Unter diesen unerträglichen Umständen ist die vorübergehende Zusammenfassung der Machtmittel des Reichs und Preußens in der Hand des Reichskanzlers als Reichskommiffar für Preußen der einzige tzeg zur raschen Befriedung des größten deutschen Landes.

Die Befugnisse des Reichskanzlers in Preußen , Notverordnung -es Reichspräsidenten ist der -.eichskanzler in seiner Eigenschaft als Reichskommiffar in Preußen ermächtigt, die Mitglieder des preußischen Staats- ninisteriums ihres Amtes zu entheben. Er ist wei- ter ermächtigt, selbst die Dienstgeschäfte des preußischen Ministerpräsidenten zu übernehmen und andere Personen Us Kommissare des Reiches mit der Führung der preußi­schen Ministerien zu betrauen. Dem Reichskanzler stehen alle Befugnisse de-s preußischen Ministerpräsidenten, den vvn <hm mit der Führung der preußischen Ministerien betrau­ten Personen innerhalb ihres Geschäftsbereiches alle Be­fugnisse der preußischen Staatsminister zu. Der Reichskanz­ler und die von ihm mit der Führung der preußischen Mini­sterien betrauten Personen üben die Befugnisse des preußi­schen Staatsministeriums aus. >

Sämtliche preußische« Minister sowie -ie Spitze« der Berliner Polizei ihrer Aemter enthoben

Da die bisher nicht abgesetzten preußischen Minister der Einladung des Reichskanzlers zu einer ersten Kabinetts­sitzung unter der neuen Ordnung nicht Folge leisteten, sind sie sämtlich ihres Amtes enthoben worden. Minister Seve­ring wurde gestern abend von seinem Nachfolger Dr. Bracht, der mit polizeilicher Begleitung erschienen war, gezwungen, sein Amtszimmer zu raumen. Ihm wurde er­klärt, daß er abgesetzt sei.

Der Berliner Polizeipräsident Grzesinski wurde zu­sammen mit dem Vizepräsidenten Dr. Weiß und dem Polizeikommandcur Heimannsberg von General von Rundstedt verhaftet und hernach unter Reichswehreskorte zur Militär-Arrestanstalt für Offiziere in Moabit geführt. In der 8. Abendstunde sind sie aber wieder aus der Hast ent­lassen worden, nachdem sie eine Abdankungsurkunöe unter­schrieben hatten. Zum Berliner Polizeipräsidenten ist Dr. Melcher ernannt worden.

An zuständiger Stelle legt man besonderen Wert auf die Feststellung, daß die Verhängung des Ausnahmezustandes nur das Ziel hatte, die Verfügungsgewalt über die Polizei zu erhalten. Man hofft, daß nach den Zwischenfällen bei der Amtsentsetzung Severings und der Leiter der Berliner Poli­zei die Rückkehr zu normalen Verhältnissen sehr bald er­folgen wird.

In der Neichsregierung nahestehenden Kreisen legt man Wert aus die Feststellungen, daß die Maßnahmen des Reiches in Preußen in peinlichster Beachtung ihrer verfassungsmäßi­gen Grundlage durchgeftthrt worden seien und auch weiter­hin durchgeführt würden. Sollten einzelne Beamte wie der bisherige Minister Severing oder der bisherige Polizei­präsident Grzesinski persönlich der Ansicht sein, daß die Maßnahmen des Reiches der verfassungsmäßigen Grundlage entbehrten, so sei es Sache des StaatsgerichtS- hofes, dieses zu entscheiden. Die Verordnungen des Reichspräsidenten werden durch Anrufung des StaatS- gerichtshofes jedoch nicht aufgeschoben. Beamte, die sich ihrer Durchführung widersetzen, setzen sich daher selbst in Gegensatz zu dem verfassungsmäßigen Recht. Im übrigen wird festgestellt, daß sich alle Maßnahmen bisher in völli­ger Ruhe vollzogen haben und daß zu irgendwelchen Besorgnissen nicht der geringste Grund bestehe.

Die Länder wurde« unterrichtet.

Die Schritte Ser Reichsregierung sind, wie dieBoffische Zeitung" meldet, den süddeutschen Ländern gleichzeitig mit der Bekanntgabe an die betreffenden preußischen Stellen mitgeteilt worden. Nach München war mit diesem Auftrag der Freiherr von Lersner entsandt worden, nach Stutt­gart der Reichspostminister Freiherr von Rübenach, nach Karlsruhe Ministerialrat W i e d e m a n n. In den Mit­tagsstunden hat der Reichskanzler die Berliner Vertreter der Länder Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen, Thüringen, Hessen und Hamburg empfangen, um ihnen von den inzwi- schen eingetretenen Maßnahmen Mitteilung zu machen. Der Kanzler versicherte, daß das Kabinett nicht daran denke, ähn­liche Schritte einem der übrigen Länder gegenüber zu er­greifen.

Deutschland fordert Gleichberechtigung in der Abrüstungsfrage

TU. Genf, 21. Juli. Botschafter Nadolny hat dem fran­zösischen Ministerpräsidenten Herriot einen schriftlich formu­lierten Zusatzantrag der deutschen Abordnung zu der von den vier Großmächten am Dienstag ausgearbeiteten Ver­tagungsentschließung überreicht. In dem deutschen Antrag wird die grundsätzliche Forderung auf Aner­kennung -er deutschen Gleichberechtigung in der Abrüstungsfrage erhoben.

Herriot hat sich die Stellungnahme zu diesem deutschen Antrag Vorbehalten. Der deutsche Antrag ist gleichfalls den übrigen Mächten zur Kenntnisnahme über­mittelt worden. Es ist zu erwarten, - die französische Ab­ordnung im Laufe des heutigen Tages ihre Stellungnahme zu dem deutschen Antrag Mitteilen wird.

Ungar« «nd Südslawieu treten dem Bertrauensabkommen

bei.

TU. Bndapeft, 21. Juli. Wie halbamtlich mitgeteilt wird, hat die ungarische Regierung -ie englische und franzö­sische Einladung, sich dem Vertrauensabkommen anzuschlie­ßen, in -«stimmendem Sinne beantwortet.

Auch die südslawische Regierung hat beschlossen, dem Vertrauensabkommeu beizutreten.

Tages-Spiegel

Nach einer Verordnung des Reichspräsidenten ist der Reichs« kanzler zum Reichskommiffar für das Land Preuße« be­stellt worden. Da der preußische Minister Severing die Verordnung des Reichspräsidenten nicht anerkannte, wurde über Berlin «nd Brandenburg der militärische Ausnahme­zustand erklärt.

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Sämtliche Minister des geschäftssührenden Preußenkabinetts sowie mehrere Staatssekretäre sind ihrer Aemter enthoben worden. Auch die Spitze» der Berliner Polizei wnrden znm Rücktritt gezwungen.

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Im Hessischen Landtag beantragte die NSDAP, im Hin» blick auf die Vorgänge in Preußen die Verhängung des Ausnahmezustandes auch für Hessen.

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Bei Stralsund hob die Polizei in einem Walde eine Hundert­schaft Reichsbannerlente aus, die mit Schuß- und Schlag- Waffen versehen waren. Die Polizeibeamte« Wurden, als sie einschritten, beschaffen und mußten das Feuer erwidern. Von den Reichsbannerleute« wurde einer tödlich getroffen.

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Mussolini hat das gesamte italienische Kabinett ne« besetzt. Er selbst übernimmt das Außen- und das Korporations- ministerinm.

Nene preußische Minister.

Die kommissarische Verwaltung des preußischen Landwirt­schaftsministeriums wird der Staatssekretär im Reichsernäh­rungsministerium, Musehl, übernehmen, das Handels­ministerium der Bankenkommissar Ernst und das Finanz­ministerium Staatssekretär Schleuseler. Wegen Ueber- nahme der übrigen preußischen Ministerien wird heute zu­nächst mit den betreffenden Staatssekretären verhandelt werden. Der Staatssekretär im preußischen Innenministe­rium, Abegg, ist auch seines Postens enthoben woroen.

Der Staatssekretär im preußischen Ministerium für Han del und Gewerbe, Dr. Staudinger, der Staatssekretär im preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Krüger, und der Staatssekretär im preußischen In­nenministerium, Abegg, sind bis auf weiteres mit sofortiger Wirkung beurlaubt worden. Der Staatssekretär im preußi­schen Staatsministerium, Dr. Weismann, hat um seine Ver­setzung in den Ruhestand gebeten.

Der Staatsgerichtshos wird angeruse«

Der bayerische Ministerpräsident hat Rechtsverwahrung gegen -ie Vorgänge in Preußen beim Staatsgerichtshof ein­gelegt und dem Reichspräsidenten wie dem Reichskanzler hiervon Kenntnis gegeben. Der Antrag der bayerischen Staatsregierung an den Staatsgerichtshof hat folgenden Wortlaut:Namens der bayerischen Staatsregierung be­antrage ich für das Land Bayern zu erkennen: Einsetzung eines Reichskommissars an Stelle von Landesregierung so­wie Amtsenthebung von Landesmrnistern, wie in der Reichsverordnung vom 20. Juli 1932 vorgesehen, ist mit der Reichsversassung nicht vereinbar. Die Verordnung berührt verfassungsmäßige Rechte aller Länder und ihre verfassungs­mäßige Existenz. Zur Begründung des Antrages nehme ich Bezug auf die Erklärung Bayerns vom 9. Mai 1931 im Ver­fahren vor dem Staatsgerichtshof wegen -es Steuerverein- heitltchungsgesetzes. Weitere Begründung bleibt Vorbehalten. Erbitte Terminbekanntgabe. Ministerpräsident Held.

Auch die Mitglieder des alten Preußenkabinetts haben Rechtsverwahrung eingelegt.

Blätterstimmen zu den Mittwochereigniffen

Zu der Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen und zu der Absetzung aller preußischen Minister nimmt eine Reihe Berliner Bl-tter eingehend Stellung. DerLokal­anzeiger" nennt das Vorgehen einen ersten Schritt. Die Reichsregierung habe wahrhaftig lange genug gezögert und dadurch unzweifelhaft vieles so verschlimmert, daß die Hei­lung jetzt doppelt schwer sei. Die eigentliche Arbeit folge erst jetzt: An -ie Stelle der Parteimänner mühten wieder Fachleute treten. DieGermania schreibt in einem Der Stein rollt" überschriebenen Artikel u. a.: Das sei ein Weg verfassungswidriger Experimente, von dem man nicht wisse, ob er auch wieder zurückführe, oder ob er nicht schließ­lich in noch gefährlicheren Experimenten enden werde. WaS di« Regierung jetzt begonnen habe, das sei keine Orbnungs- maßnahme, sondern ein militärisch-politischer Akt, -er zur Erreichung innerpolitischer Ziele bestimmt sei. DerB o r- wärts" hebt anerkennend hervor, daß Severing nur der Gewalt gewichen sei und betont, daß der Verzicht auf Ans­brüche der Leidenschaft für die Sozialdemokratie -ie Ver­pflichtung enthalte, den Kamps gegen den nationalsozialisti­schen Kurs im Reiche mit verzchntfachter Energie fortzu- setzen. Dieser Kampf könne unter den gegebenen Umständen noch alb Wahlkampf geführt werde«.