Außenpolitische Betrachtungen

Von Otto Seltmann- Ulm.

Bo« de» akute« außenpolitischen Fragen, die Deutsch­land besonders berühren, stehen das Abrüstungs- unö Reparattonsproblein sowie die Frage derSanie - rung der Donaustaatcn heute an erster Stelle. Von Interesse für die deutsche Reparativiispolitik ist die Stellung­nahme der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten r»on Amerika, die schon seit einer Reihe von Jahren den Standpunkt vertritt, daß Amerika in der Kricgsschnldenfrage nur Entgegenkommen zeigen könne, wenn die europäischen Schuldncrstaaten ihren Rüstungsivahnsinn aufgcbcn. Diese Auffassung haben nun in letzter Zeit auch amerikanische Staatsmänner und Politiker zum Ausdruck gebracht. Dieses Problem wird aber nicht nur von der militärischen, sondern auch von der wirtschaftlichen Seite her erschwert, denn selbst das reiche Amerika leidet unter der Weltwirtschaftskrise sehr schwer, so Saß es der politischen Führung schon ans diesem Grunde erhebliche Schwierigkeiten bereiten würbe, von der Volksvertretung einen Verzicht auf die Kriegsschulden der Alliierten zu verlangen. Im Zusammenhang mit dem Still­stände des wirtschaftlichen Lebens in Amerika ist ja auch der Plan aufgetaucht, man solle den KriegSschulönern von Jahr zu Jahr einen Teil ihrer Schulden erlassen, sie aber dafür verpflichten, der amerikanischen Wirtschaft entsprechend Waren abzukanfcn. Auf diese Weise würde man also das amerikanische Wirtschaftsleben wieder ankurbeln. Für Ame­rika hätte eine solche Lösung der Kriegsschulbenfrage zwei­fellos manches für sich, die anderen Industriestaaten aber würden dadurch vielleicht in noch größere Schwierigkeiten geraten.

In England mehren sich Sie Stimmen, die ebenfalls die Reparations- und Kriegsschulbenfrage dadurch gelöst wis­sen wollen, daß Amerika seinen Kriegsschuldneru die Ver­pflichtungen erläßt, um diese in die Lage zu versetzen, ihrer­seits die deutsche»Reparationen" zu annullieren. Lloyd George, einstmals der schärfste Rufer im Kriege gegen Deutschland, hat soeben ein Buch herausgcgebcn mit dem TitelDie Wahrheit über Reparationen und Kriegsschul­den", in -cm er auf Grund seiner Beobachtungen und Er­fahrungen den Nachweis führt, daß die Reparationen heute ein unwiderlegbarer Widersinn seien. Das Hoovermoratorium und der letzte Sachverständigenbericht könnten nur den ersten Schritt zur völligen Strei­chung aller Reparationszahlungen darstcllen. Lloyd George weist in dem Buche darauf hin, daß im Jahre 1821 der da­malige französische Finanzministcr und heutige Staatspräsi­dent Do um er ans der Pariser Reparativuskvnferenz ge­fordert habe, daß Deutschland jährlich 12 Milli­arde» i!j Reichsmark zahlen müsse, die es bei entsprechen­dem Fleiße s!) gut aus seinen Ausfuhrüberschüssen herans- wirtschaften könne. Demgegenüber habe Lloyd George dar­auf htngewiescn, daß Deutschland in der V o r k r i e g ö z e i t für 10 Milliarden Waren ausgeführt und für 11 Milliarden etngeführt habe, daß es also eine passive Handelsbilanz gehabt habe,' Doumer habe darauf nur erwidert, daß ja der Wert des Goldes inzwischen um 50 Prozent gesunken sei. Im übrigen gibt Lloyd George in dem Buche seiner Ueber- zeugnng Ausdruck, daß die eigentlichen Wiederauf­bau kosten von Deutschland schon lange ab­getragen seien, wobei er die Berechnung des Washing­toner Wirtschaftsinstituts, das eine deutsche Gesamtleistung von 38,6 Milliarden feststcllt, als Grundlage benützt. Dem­gegenüber weisen aber die amtlichen deutschen Be­rechnungen eine Gesamtleistung von 68Milliarden nach. Nach der Ansicht Lloyd Georges könne man von Deutschland lediglich noch den Zinsen dienst für Da wes- und Aounganlethe verlangen. Und wenn Frankreich sich auf dieHeiligkeit der Verträge" beruft, so hätten die Alliierten ihre Forderungendurch die schamlose Weigerung ihre eige­nen Verpflichtungen auszuführen", mißkreditiert.

Zweifellos bezieht sich der hier den Alliierten gemachte Vorwurf auf die im Versailler Diktat versprochene Ab - rüstung. Die Meldungen der letzten Tage aus Genf zei­gen ja auch, daß England sich dem amerikanischen und italie­nischen Vorschlag, die schweren Angriffswaffen abznschaffen, angeschlosseü hat. Diesen Vorschlag hat der französische Sozialist Paul-Bvnconr mit der lächerlichen Behauptung bekämpft, daß dadurch dem Völkerbund, wenn er gegen eine» Angreifer Vorgehen müßte nicht entsprechend wirksame Waf­fen zur Verfügung ständen. Der französische Delegierte vcr-

Deuljch-slcmzösischer Zusammenstoß in Genf

Zurückgewiesene Geschichtsklitterun«

TU. Genf, 29. April. Im Flottenausschuß der Ab­rüstungskonferenz kam eS zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vertretern Deutschlands und Frankreichs. Der frühere französische Marineminister Dumont erwähnte in einer etnstttndigcn Rede, daß Frankreich sich in einer besonderen Lage befinde und seine Sicherheitsforderung besonders berücksichtigt werden müsse. Hierbei kam er auf dievier Invasionen", die Frankreich während eines Jahr­hunderts habe erdulden müssen, zu sprechen und ermähnte ferner die Beschießung ungeschützter französischer Städte in Algier sowie englischer Städte durch die deutschen Kreuzer Goeben" undBreslau".

Der deutsche Vertreter, Freiherr von Rheinbaben, trat den französischen Behauptungen sofort mit großen» Nachdruck entgegen. Er wies besonders auf die napolco- nischen Kriege hin, bei denen die schließliche Besetzung Frankreichs nach allgemein feststehender geschichtlicher Er­kenntnis durch einen der größten Angriffe hervorgeruken ivurde, die die Weltgeschichte erlebt habe. Zur Beschießung ungeschützter Städte im Weltkriege stellte Freiherr von Rhci"'"' " sic v", den deutschen MilitärbeiesiiS-

habern zweiiellos in der Annahme vorgenommen wurden«

trat sodann den Standpunkt des Konvenkio»Se..vurfs, den wir schon im letzten Aufsatze gekennzeichnet haben, der also dieAbrüstung" aus der Grundlage des Friedensstandes ver­langt, ohne Berücksichtigung der Reserven und des ent­sprechenden Kriegsmaterials, und der die Anerkennung der Friedensüiktate in bezug auch auf die erzwungene Abrüstung nochmals fordert. Jin übrigen machte der amerikanische Dele­gierte nach den letzten Meldungen der französischen Mächte­gruppe gleichzeitig auch die Konzession, baß er bemerkte, die amerikanische Regierung beabsichtige keineswegs durch ihre Vorschläge die Vereinbarungen einzelner Staaten untereinander zur Erhöhung ihrer Sicherheit zu verhindern. Damit dürsten in erster Linie die Militärbündnisse Frankreichs mit den Staaten der Klei­nen Entente und Polen gemeint sein. Daß übrigens die fran­zösische Mächtegruppe von den s ü d a m e r i k a n i j ch e n Staaten bei der Ablehnung der Abschaffung der schweren An- grifsswaffeu unterstützt wurde, dürfte seinen Grund in der nicht unberechtigten Furcht dieser Staaten vor der militäri­schen Uebermacht Nordamerikas haben

Im Zeitpunkte der Abfassung dieses Aufsatzes ist nun eine erneute Wendung in den Genfer Verhandlungen einge­treten. Es bestand der Plan, einen englisch-amerikanischen Verinittlungsvorschlag cinznbringe». auf dessen Basis Deutschland und Frankreich sich hätten einige» können. Die­ser Plan scheint nun aufgegebcn zu sein, weil der französische Ministerpräsident angeblich so erkrankt ist, daß er an der da­zu notwendigen Konferenz der führenden Staatsmänner nicht tcilzunehmen in der Lage ist. In Genf beurteilt man die Kehlkopfentzündung als eine politische" Krankheit, die es Frankreich ermöglichen soll, seine Entscheidungen über die Kammerwahlen hinauszuschieben. Vielleicht hofft man bis dahin auch ans der Isolierung herauszukommen, in die Frankreich durch Sie Verhandlungen auf der Abrüstungs­konferenz bis heute gedrängt worden ist.

Dieselbe kritische Lage wie das Abrüstungsproblei» zeigt auch die Frage der Sanierung der Donau st aa­len. Hier wie dort ist in erster Linie Frankreich der hem­mende Faktor. Die Franzosen vertreten die Auffassung, daß die Donaustaaten unter sich Vorzugszölle schaffen und so ihren Warenaustausch begünstigen sollen. Oesterreich und Ungarn, die rasche finanzielle Hilfe brauchen, sollen diese durch Frankreich gegen die Gewährung einer Finanz­kontrolle erhalten. Daß diese Kontrolle gleichzeitig auch politischen Charakter hätte, ist selbstverständlich. Weiter wünscht Frankreich, daß alle anderen Nachbarländer der Donaustaatcn, insbesondere Deutschland und Italien, von diesen Vorzugszöllen ausgeschlossen bleiben. Auf diese Weise würde Frankreich nach und nach neben seinen Tra­banten von der Kleinen Entente auch Oesterreich und Ungarn nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch beherrschen.

Von deutscher Seite wird dieser Plan abgelehm. »veil er nicht geeignet ist, den Donaustaaten wirklich zu helfen. Die Agrarstaaten Ungar», Rumänien und Südslaioicn könnten ihren llcbcrschnß in dem Wirtschaftsraum, wie er durch die von Frankreich gewünschte Zollunion geschaffen würde, nicht unterbringen, die Landwirtschaft in Oesterreich und in der Tschechoslowakei würde dabei noch gefährdet, weil sie gegen­über den vorgenannten Staaten gar nicht konkurrenzfähig wäre. Es ist ganz klar, baß die vier Agrarstaaten ihren Ueber- schuß an Nachbarn abgeben müssen, die ihn aufznnehme» in der Lage sind, und daß andererseits ein Warenaustausch all­gemeiner Art zwischen diesen Staaten eine natürliche Folge wäre. Als Aufnahmegebiete für die Agrarprobukte kommen aber nur Deutschland und Italien in Betracht. Wenn also Frankreich diese beiden Staaten, die übrigens die besten Kunden der Donauländer sind, durch die Zollunion von einem natürlichen Warenaustausch ausschließen will, so wird es niemals eine Gesundung der Donauländer erreichen Daß aber Deutschland und Italien sich bereitftnden könnten, die überschüssigen Agrarprodukte ans den Donauländern ohne entsprechendes Entgegenkommen auf andern Wirtschafts­gebieten aufzunehmcn, lediglich um die Donaustaaten mstand- zusctzen, ihre Anleihen bei Frankreich zurttckznzahlen eine solche Selbstcntäußcrnng können die schlauen Franzosen wohl kaum erwarten. Und so wirb wohl der deutsche Vorschlag, der einen Ausgleich der Wirtschaftsgebiete vorsieht, trotz aller politischen Machinationen Frankreichs schließlich doch noch obsiegen müssen.

daß es sich um Plätze von militärischer Bedeutung gehandelt habe oder um solche, die Stützpunkte für militärische Unter­nehmungen waren. Unabhängig hiervon aber gebe es eine so lange Liste von Beschießungen offener und friedlicher Städte auf deutschem Boden durch französische Luftangriffe, daß es ivohl zweckmäßiger wäre, diese Frage an dieser Stelle nicht zu vertiefen. Rheinbaben schloß mit dem Vorschlag, die Erörterung aller derartiger Dinge im Secausschuß auch in Zukunft zu unterlassen, da solche Aussprachen im offenen Gegensatz zu den Aufgaben der Seeabrüstung stünden.

Die Grundbedingung für Lausanne

Keine Zwischenlösung mehr

London, 28. April. Zu den Unterredungen zwischen Stimson MacTonald und Brüning glaubt der diplomatische Korrespondent desDaily Telegraph", daß die drei Staats­männer sich über die Notwendigkeit einig geworden seien, in Lausanne auf eine endgültige und nicht auf eine Zwischen­lösung hinzuarbeiten. Ein weiteres Moratorium von 6 Mo­naten oder von 2 bis 3 Jahren könne keine Losung bringen. Die englische Auffassung stimme mit der deutschen darin über­ein, daß eine ausländische Ueberwachung der deutschen Wirt­schaft und Finanzen nicht in Frage komme, wie das ckma bei einer Verpfändung von Eisenbahnobligationen der Fall sein dürste.

Bombenattentat auf die japanische Generalität in Schanghai

Schanghais. April. Währen- einer japanischen Trup­penschau im Park von Hongkew warf ein Koreaner eine Bvmbc auf die Tribüne des japanischen Gesandten bei der chmemchen Regierung, Schigemitsu. Die Bombe explodierte, -^e Generale schirakakawa, Ujjeda und der Generalkonsul Murai wurden ichwer verletzt. Admiral Nvmura erhielt Ver­letzungen am Kops.

Die Nachricht vvn dem Bombenattentat in Schanghai, wo sofort da? Standrecht verhängt wurde, hat in ganz Japan die größte Erregung hcrvorgerufcn. Von Regierungsseite verlautet, daß nunmehr eine Verzögerung des end­gültigen Abschlusses des Waffenstillstandes n i ch t z ii vermeide n sei, da alle beteiligten japanischen Vertreter verletzt sind. Man hatte in maßgebenden Kreisen die Unterzeichnung des Waffenstillstandes für heute erwartet.

Vorläufig kein Abtransport der japanische» Truppen

Der japanische Kriegsminister erklärte, daß der Anschlag in Schanghai ein bezeichnendes Bild der unsicheren Lage in Ehina gebe. Ein Abtransport der japanischen Truppen aus China komme infolgedessen vorläufig nicht in Frage. Japan werde alle politischen Gruppen bekämpfen, die seine Stel­lung im Fernen Osten schädigen wollen.

Der letzte Kriegvgeiangene heimoekehrl

Jetzt, dreizehn Jahre nach Kriegsende, ist -er deutsche Kriegsgefangene Paul Schwarz nach Deutschland zurück­gekehrt. Schwarz war im Jahre 1821 vom Kriegsgericht in Chalons zu lebenslänglicher Verbannung nach der Tenfels- insel verurteilt morden, weil er als in Frankreich geborener Elsässer den Krieg ans deutscher Seite mitgemacht hatte. Nach langjährigen Bemühungen der NcichSvcreinigung ehemaliger Kriegsgefangener, des deutichen Botschafters in Paris und

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des bekannten Anivalts Prof. Grimm gelang es schließlich, die Begnadigung durch den Präsidenten der französischen Republik zu erwirken. Schwarz war früher Privatlehrer, un­feine erste Aufgabe wird es sein, seine Erfahrungen und Er­lebnisse ans der berüchtigten Teufelsinsel und tn Cayenne der Öffentlichkeit bekanntzugcben, um die Wahrheit über diese französischen Strafkolonien zu verbreiten.

Politische Kurzmeldungen

Im Haushaltsausschub des Reichstages kam zur Sprache, daß tm Jahre 1930 496 000 RM. außerplanmäßigzur Auf­klärung der Bevölkerung über die Absichten und Ziele der Reichsregieruug" verwendet worden waren. Es wurde ei» dentschnationaler Antrag angenommen, der Ausschuß soll für diese Ausgaben der Reichsregterung, die keine genaueren Auskünfte geben will, die Genehmigung versagen. In der kürzlich stattgehabten Sitzung der Reichstagsfraktion der Wirtschaftspartei kam bei der Aussprache über den Ausgang der Länöerwahlcn zum Ausdruck, daß die Partei ihre zusttm- mende -Haltung zum Kabinett Brüning vorläufig nicht zu ändern brauche. Vom Reichsgericht wurden die 4 Führer der ostpreußischen BaiicrnbewegungSchwarze Fahne", die im Frühjahr 1980 Zwangsvollstreckungen gewaltsam ver­hinderte, freigesprochen. Der erste Bundesftthrer des Stahlhelms, Franz Seldte, hielt in Dresden eine Rede, in der er den Standpunkt hcrausstellte, daß der Stahlhelm nicht parteipolitisch, sondern staatspolitisch eingestellt sei. Seldte sagte: Wir denken über Parteien hinweg an Volk und Volks­gemeinschaft. In Wien wird die im Ausland verbreitete Meldung, Oesterreich stehe im Begriff, ein Moratorium zu erklären, amtlich dementiert. Wie in politischen Kreisen verlautet, hat die nationalsozialistische Parteileitung von Oesterreich bei der Regierung dahin interveniert, siir Hitler die Einreisebewilligung nach Oesterreich zn erteilen, die ihm bisher immer verwehrt wurde. Die Nationalsozialist '» zn diesem Zweck eine große Parteiknndgebung in Wien ge­plant, bei der Hitler sprechen soll Der Gesetzgebende Aus­schuß vvn Südwestafrika hat die Zulassung -er deutschen Sprache als Amtssprache neben -Holländisch und Englisch ein­stimmig genehmigt. Das amerikanische Repräsentanten­haus hat Sic von den Demokraten eingebrachte Vorlage über die Zolltarife angenommen, die dem Präsidenten die Voll­macht nimmt, die Sätze der Einfuhrzölle abzuandcrn. Dm- Vollmacht soll wieder dem Kongreß verliehen werden- Die Vorlage ersucht ferner den Präsidenten -H°°ver, ,,ch für die Einberufung einer internationalen Wirt'ch"'tsH>m-renz^- zusetzen, die vor allem eine Senkung der Zolltarife herbei führen soll.