Aus Stadt und Land

Calw, den 16. Februar 1932.

Kommerzienrat Georg Wagner s

Einer der hvchangesehensten Männer der Stadt Calw, Kommerzienrat Georg Wag ne r. ist am Montag früh nach einem arbeits- und erfolgreichen Leben nach schwerer Krank­heit im Alter von 7S Jahren aus dem Leben geschieden. Der Verstorbene wird eine große Lücke in der Stadt hinterlassen. War er doch ein populärer Mann wie kaum ein anderer. Uebcrall in allen Kreisen, bei hoch und nieder, genoß er höchste Achtung und allgemeine Verehrung. Er mar Chef der bekannten Strickwarensabrik Christian Ludwig Wagner. Schon frühe mußte er große Lasten auf sich nehmen, aber mit weitem Blick, großer Arbeit und Umsicht schuf er bald aus kleinen Anfängen heraus ein großes, blühendes Unter­nehmen. bas durch seine soliden Erzeugnisse nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland sich eines hervor­ragenden Rufes erfreute. Die Wagnerschen Produkte fanden überall Absatz. Das Unternehmen vergrößerte sich zusehends, so baß eine große Wasserkraft an der Nagold erworben und Niederlassungen in Württemberg, der Schweiz und Oester­reich gegründet wurden. Es ist bekannt, daß die Fabrik nicht nur Hunderte von Arbeitern beschäftigte, sondern auch Hun­derten von Heimarbeitern das ganze Jahr hindurch lohnenden Verdienst gab. Der Verstorbene genoß großes Vertrauen und bekleidete die wichtigsten Ehrenämter. Biele Jahre lang war er Vorsitzender der Calwer Handelskammer, erster Direktor der Creditbank für Landwirtschaft und Gewerbe. Mitglied des Gemeinderats und Kirchengemeinderats und früher Vorstand der Deutschen Partei. Ueberall wurde sein Rat gesucht. Um das Wohl seiner Arbeiter war er aufs äußerste besorgt, so daß sie ihn wie einen Vater verehrte». Mit dem Verstorbenen, der ein einfaches Wesen liebte und einen sonnigen Humor besaß, ist einer der Besten und ein großer Wohltäter aus dem Leben geschieden. Tie Belange seiner Vaterstadt lagen ihm sehr am Herzen, so das; er bis in seine letzten Tage noch großes Interesse für die Vor­gänge in der Stadt bezeugte. Die Allgemeinheit wie auch Körperschaften und Vereine verlieren außerordentlich viel an ihm. Sein treues Gemüt, sein gewinnendes Misten und seine Bereitwilligkeit zum Helfen werden ihm ein dancrn-- des Andenken sichern.

Deka» a. D. Hermann Neos ß

Wie im Aüenügottcsöienst am Landesbußtag verkündigt wurde, ist an diesem Tage Dekan Noos, der Vater des jetzigen Dekans und früher erster Ttadtpfarrcr und Dekan hier, in Ohmden bei Kirchhcim im Psarrhaui'e seiner Toch­ter, wo er seinen Lebensabend zubrachte, 83 Jahre alt gestorben. Die Traucrnachricht löste tn hiesiger Stadt bei den evangelischen Kirchenglicdern ein inniges Bedauern aus. War doch der Verstorbene etwa 20 Jahre lang bis zum Jahr 1010, wo er in den Ruhestand trat, in der Gemeinde tät'g und wegen seines frommen, edlen Sinnes, seiner gewinnen­den und freundlichen Persönlichkeit, seiner geistvollen Pre­digten. seiner Fürsorge für die Armen und Verlassenen, seiner großen Arbeitskraft und seiner warmstthligen Seel­sorge allgemein beliebt und verehrt. Diese Hochachtung zeigte sich besonders bei der Abschicdsseicr im Badischen Hof, als Dekan-, Noos nach einem arbeitsreichen Leben sein Amt niedcrlegte und nach Eßlingen zog. Unvergessen ist der öffentliche Gottesdienst auf dem Marktplatz, wo Dekan Noos in tiefernsten Worten sich von dem ansmarschicrenden Ne- servcbataillon im August 1014 verabschiedete. Es war eine Feier, die heute noch in vielen Gemütern nachzittert. Am Ernte- und Herüstdanksest des vergangenen Jahres wirkte der Verstorbene noch am Gottesdienst mit, an der Stätte seines früheren Wirkens, um zum letzten Mal mit kraft­voller Stimme das Wort Gottes zu verkündigen. Er war :m allgemeine» ein ruhiger, stiller Mann, konnte aber mit großer Festigkeit austrcten, wenn cs galt, die Volksschüöen beim rechten Namen zu nennen und dem Uebelstand abzu­helfen. Mit großer Milde nahm er sich auch auf dem Rat­haus der Bedürftigen an und hals manche Tränen trocknen. Dekan Noos ivar auch literarisch tätig. Er war ein geschätz­ter Mitarbeiter an der großen Bibclerklärung des Calwer Vcrlagsvereins. Seine Erklärungen zeichnen sich durch große Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit aus. Er war ein Mann, der stets auf seinem Posten stand und mit Sachlichkeit den Vorgängen des Lebens gegenübertrat. Mit Wehmut werden die GcmeindcglicLer seiner gedenken und ihm ein treues Andenken bewahren. Ans dem Lebensgang ist folgendes zu entnehmen: Dekan a. D. Noos ist am 20. April 1840 in Markgröningen geboren und studierte im Stift Theologie. 1878 wurde er Stadtpfarrcr in Oberndorf, 1884 in Eßlingen und 1806 Dekan in Caliv.

Generalversammlung des Reichöbundes der Kriegsbeschädig­ten, Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen

Die Ortsgruppe Calw des Neichsbundcs hielt am ver­gangenen Sonntag ihre alljährliche Generalversammlung ab. Vorstand Rapp old hieß die zahlreich Erschienenen herzlich willkommen und gab einen kurzen Rückblick über das abgclaufene Berichtsjahr. Tie schon bei der letzten Gene­ralversammlung vorausgcsagtcn Verschlechterungen in der Kriegsopfer-Versorgung sind von der Wirklichkeit weit über­troffen worden. Dank der sparsamen Geschäftsführung durch den Vorstand konnten zu Weihnachten 164 Mark an bedürf­tige und erwerbslose Mitglieder verteilt werden. Den Mit­gliedern, dir an der Protestkundgebung im April v. Js. tcilgcnommen hatten, konnten die Fahrgcldauslagen eben­falls aus der OrtSgruppcnkasse ersetzt werden. Trotz der gegenwärtigen ungünstigen Verhältnisse ivar die Vorstand- schast jederzeit bestrebt, ihr Bestes für die Mitglieder zu tun. Kam. Maier dankte namens der Versammlung sin die geleistete Arbeit und beantragte Entlastung des Vor­standes. die einstimmig erteilt wurde. Die Wahlen waren rasch erledigt. Nachdem keine Gegenvorschläge gemacht wur­den, wurde der Gesamtvorstand per Akklamation wieder- gcmählt. Eine lebhafte Anssprache brachte der Punkt Bei- tragsermäßigung. Mit Rücksicht darauf, daß die Ortsgruppe

Ealiv schon seither den niederste» Beitrag im Kreis hatte, wurde beschlossen, den Monatsbeitrag zunächst um 5 Ps. zu ermäßigen. Nach Abwicklung der Tagesordnung konnte der Vorstand mit Dankesworten sür die Mitarbeit die Ver­sammlung schließen.

Die Einbruchdiebstähle aus dem oberen Wald aufgeklärt

Die in letzter Zeit bei Kaufmann Hammann in Zwe­renberg und ebenso bei Kaufmann Hammann in Ober- koll wangen auf sehr raffinierte Weise ausgeführten Einbrüche haben endlich ihre Aufklärung gefunden. Den Landjägerbeamtcn gelang es gemeinsam mir der Kriminal­polizei, die Täter, einen in Horb und einen tn Nordstetten wohnhaften Hausierer, festzunchmcn. Von dem gestohlenen Gut konnte bis jetzt leider nur Weniges beigebracht werden.

Wie ta»t ma» gefrorene Fenster a«f?

Man gibt in OH Liter warmen Wassers eine Handvoll Kochsalz oder Alaun, taucht, sobald dieses aufgelöst ist, einen Schwamm oder Lappe» hinein und bestreicht damit die ge­frorenen Glasscheiben. Das Eis wirb sofort verschwinden. Die Fenster werden alsdann mit einem Tuche abgetrvcknet und sind wieder rein und klar. Oder man nehme auf ein Glas Wasser einen Eßlöffel voll Salz. Man braucht den Schwamm oder Lappen nur etwas in das Gefäß einzutau­chen und schnell damit über die Scheiben zu wischen.

Wetter sür Mittwoch und Donnerstag

Der Einfluß des mit seinem Kern über Großbritannien befindlichen Hochdrucks schwächt sich allmählich ab. Ueber Skandinavien und über dem Mittelmeer befinden sich Tief­druckgebiete. Für Mittwoch und Donnerstag ist zwar noch zeitweilig heiteres und namentlich nachts ziemlich frostiges, aber tagsüber weniger kaltes Wetter zu erwarten.

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SCB. Pforzheim, 15. Febr. In Schellbronn sollte am Samstag vormittag bei einem hiesigen Bürger zwangsver­steigert werden. Dieser hatte einen Prozeß wegen eines Pferdes wiederholt verloren. Als min der Gerichtsvollzie­her erschien, sammelte sich eine große Menschenmenge an. Der Gerichtsvollzieher bat einige Leute, ein einjähriges Rind vom Stall auf den Versteigerungsplattz zu bringen, was aber niemand tat. Auch der Pvlizcidiener verweigerte diesen Dienst, und entschuldigte sich damit, daß er einen kranken Finger habe und zu alt sei. Da der Vollzugsbeamte groben Anrempclnngen auSgesetzt war und auch versteckte Drohun­gen zu hören waren, entfernte er sich vorläufig.

SCB. Frendenstadt, 15. Febr. Dem Gau Stuttgart deS SSB. war zu seiner Skimeisterschaft ein herrlicher Sonntag beschiedcn. Es starteten 143 Teilnehmer: auch waren die Altersklassen dabei gut vertreten. Der Sprunglauf fand nachmittags an der Ochsenschanze statt. Allerdings bedeckte nur wenig Schnee die steile Aufsprungbahn, die zu einem leichten Unglückssall Anlaß bot. Die Entscheidung fiel an Heinz Mackh, Amateur.

SCB. Tailfingen OA. Hcrrenbcrg, 15. Febr. Bei der Vürgermeistcrwahl am Samstag haken von 458 Stimm­berechtigten 416 abgcstimmt. Es erhielten der seitherige Bürgermeister Kraft 184 Stimmen und Landwirt Karl Schürer 223 Stimmen. Landwirt Schürer ist somit gewählt.

Medizinisches aus dem ollen Aeoyplen

Wundbehandlung vor fünf Jahrtausenden. Mörtel und frisches Fleisch als Heil mit »cl. Glänzende Erfolge bei

Knochrnbruchcn. Ter gefährliche Pyramidenbau.

Bon Wilhelm Ackermann.

Unter den auf unsere Zeit gekommen Urkunden ans dem Alter.um wurde dem sogcnann.en PapyrnZ Smith, den der bekannte Acgyptologe Eowin Smith im Jahre 1862 von Mustapha Pascha crwaro und der nach dem Tode des Forschers von dessen Tochter der New Aorker Historischen Gesellschaft zum Geschenk gemacht wurde, schon immer große Bedeutung beigemessen. Sein wahrer Wert ist indessen erst jetzt deutlich geworden, nachdem die erwähnte Gesellschaft das Dokument inl Faksimile hat Herausgeber: und nach dem neuesten Stanoe unserer Kenntnis des Alt-Aegypttschen übersetzen lassen. Tie vor kurzem abgeschlossene Aroeit nahm ein volles Jayrzehnt in Anspruch; sie hat die daraus verwandte Mühe dafür auch reichlich gelohnt.

Tie eigentliche Bedeutung des Papyrus liegt darin, daß er uns höchst interessante Ausschlüsse über den Stand der medizinischen Wissenschaft im Nitlande vermittelt. Er stammt ans dem 13. Jayrhundert v. Chr.; da aber zweifellos fest- gestellt werden lonutc, daß cs sich bei dem Papyrus um die Abschrift eines viel älteren, aus der Zeit zwischen 2700 und 3000 v. Chr. verfaßten Werks handelt, eröffnet er uns Ein­blicke in die medizinischen Kenntnisse der asten Acghpier vor nahezu fünf Jahrtausenden.

Der Papyrus Smith zeichnet sich gegenüber den uns bereits bekannten medizinischen Papyri, wie z. B. dem in Berlin befindlichen Pavyrus Eöcrs, die fast nur Sammstuigcn von Rezepten darstclleu, dadurch aus, daß er bedeutend wissenschaftlicher gehalten ist. Geradezu überraschend tvirkt die Erkenntnis, wie folgerichtig man zu jener Zeit bereits zu denken vermochte. In sachlicher Hinsicht gibt er in kurze», deutlichen Worten Beschreibungen von Wunden und Ver­letzungen verschiedenster Art und Vorschriften für ihre Be­handlung, insgesamt 48 Fälle. Beim letzte» bricht die Dar­stellung mitten im Satz plötzlich ab.

Estrc eingehendere Besprechung des Papyrus, so inter­essant sic auch sein würde, müssen wir uns hier ans Raum­gründen versagen und uns darauf beschränken, einige Stich­proben der bemerkenswertesten Fälle zu geben, die uns be­weisen, das; die alten Aegyptcr insbesondere auf chirurgischem Gebiete bereits über crsiaunliche Kenntnisse verfügt haoen. Oder ist cs etwa nicht erstaunlich, daß bereits vor 5000 Jahren der Zusammenhang zwischen Gehirn- und Rückenmarks- Verletzungen und gewissen Lähmungserscheinnngen den Heil­kundigen bekannt war?

Für die Behandlungen von Verletzungen kennt der Pa­pyrus den Klebpslastcrverband, das Nähen von Wunden, das Schienen und den Lehm- (als Ersatz für Gips) verband. Ge­brochene Knochen wurden geschient, seltsamerweise, wie cs heißt, mit Leinen. Offenbar sind mit diesem Stoff über­zogene Holzschienen gemeint, wie sie aus einem Grabe bei Naga-es-Deir. 160 Kilometer nördlich von Luxor, an einer Mumie der fünften Dynastie gesunden wurden. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, daß stark mit Wasser getränkte und mit Leinen überzogene Pappe, wie sie die Einbalsamiercr verwandten, gemeint ist. die sich in nassem Zustande dem

SCB. Stuttgart, 15. Febr. In einer Versammlung »er Staatspartei im Bürgerrnufeum, in der der Landtagsabge­ordnete Johannes Fischer sprach, ist es Montag abend zu einer größeren Schlägerei gekommen, als die in größerer Anzahl anwesenden Nationalsozialisten während des Schluß­wortes des Redners ein nationalsozialistisches Lied ange­stimmt. hatten. Die Polizei nahm eine Reihe von Verhaf­tungen vor.

SCB. Fricdrichshafen, 15. Febr. Seit Samstag abend ist im Verkehr von Deutschland nach der Schweiz wiederum, wie zur Zeit des Krieges eine Ausgangskontrolle aller Rei­senden eingeführt worden. Die Schiffe nach der Schweiz dür­fen daher ohne vorherige Paß- und Zollkontrolle deutscher­seits nicht mehr betreten werden. Die Kontrolle wird sehr scharf gehanbhabt und bezieht sich in erster Linie auf Devisen.

Geld-, Volks- und Landwittschaft

LC. Berliner Produktenbörse vom 1». Februar

Weizen, märk. 246248,- Roggen, märk. 195107.- Brau­gerste 162169; Futter- und Jndustriegerste 154158; Hafer, märk. 144151; Weizenmehl 20,7533.75; Roggenmehl 27,85 bis 29,50; Weizenklcie 9,609,00; Noggenklcie 9.60- 0,00; Viktoriaerbsen 2127,50; kl. Speiseerbsen 2123M; Futter- erbsen 1517; Peluschken 1618; Ackerbohnen 1416; Wir­ken 1019; Lupinen, blaue 1012; dto. gelbe 14.50-10; Sarabella, neue 2430; Leinkuchen 11,2011,30; Erdnuß- kuchen 12,40; Erdnußkuchenmehl 12,2012,30; Trockenschnitzel 7.808,00; Kartoffelflocken 12H0-12.60; Speisekartoffelr. weiße 1,70IM; dto. rote IM-2,00; 8,75OM. Allgemeine Tendenz: fester.

Stuttgarter Landesproduktenbvrfe vom 15. Februar

Weizen 23,50-23,75 l23,2525,50>; Hafer 1416,50 (14 bis 16); Weizenmehl 39,5540,05 139,1539,W): Brotmehl 31,5532,05 (31,1531,65); alles andere unverändert.

Weilderstadter Marktbericht

S ch w e i n e m a r kt: Zufuhr: 46 Läuferschweinc 3678 f. d. Paar; 750 Milchschweinc 1832 NM. f. d. Paar. Handel flau.

Vieh markt: 7 Ochsen 360495 f. d. Stück; 19 Stiere 105350 f. d. St.: 67 Kühe 130385 f. d. St.; 46 Kalbcln 200395 f. d. St.; 37 Einstellvieh 60-200 NM. s. d. Stück. Handel gedrückt.

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Die örtliche» Kleinhandelspreise dürfen selbstverständlich nicht an den Börsen- und GroschandelSpreisen gemessen werden, da für jene noch die sog mirijchafliichc» Berkebrskoiten in Anschlag kommen Die Schi>>:!:'>

Die Mrbekrasi unseres Blatte; ist es. die Ihren Anzeigen Ersslg verschafft!

verietzieu Miese genau cmicymiegie uno nacy oem Lcocrnrn und damit Erhärten eine hinreichende Stütze gab.

Beim Bruch der Nasenscheidewand wurden zwei in Fett getauchte Leinenpsropsen in die Nasenlöcher geschoben. Das Fett hatte vermutlich den Zweck, das Eindringen von B.nt in das Leinen zu verhindern. Leinenpsropsen verwandte num auch nach Art unserer heutigen Gazctampons znm Reinige» von Wunden. Z. B. wird in einer Vorschrift zur Reinigung des Ohrs bei einem Schläsenbeinbruch die Anwendung solcher Leinenpsropsen vorgeschrieben,bis kein Knochensplitter mehr im Innern seines Ohres bleibt".

Besonders bemerkenswert wegen der hier zu Tage tretenden chirurgischen Kenntnisse ist die sich wiederholt findende Vorschrift, in bestimmten Fällen den Patienten im Sitzen zu behandeln: z. B. bei einer Berstauchmig der Hals­wirbel. wo die Möglichkeit besteht, dass der Verletzte durch eine unvorsichtige, das Rückenmark quetschende Bewegung zu Tode kommt. In solchen Fällen stellte man zunächst ans Steinen zwei Stützen her und füllte dann den Raum beider­seits des Halses mit nassem Lehm ans, der, getrocknet, die be­treffenden Wirbel fest au Ort und Stelle hielt. Das einfache und praktische Verfahren beweist zugleich, das; man sich der Gefährlichkeit des Falles durchaus bewußt war.

Weniger will uns die Zweckmäßigkeit einer anderen Be­handlungsweise einleuchten, die darin bestand, das; fast aus­nahmslos eine Wunde am ersten Tage mit frischem Fleisch bedeckt wurde, darauf erst mit in Fett und Honig getränkter Zupfleinwand (Scharpie). Tie ausdrücklich betonte An­weisung, irisches Fleisch und nur am ersten Tage zu nehmen, beruht vermutlich auf dem alten Volksglauben, daß gesundes Fleisch seine Kräfte auf krankes zu übertragen ver­mag. eine Ansicht, die sich, wenn auch in äogeänderle'r Form, bis aus den heutigen Tag erhalten hak.

Das für die weitere 'Wundbehandlung nötige Fett wurde, wie wir u. a. aus dem Eoers'schen Papyrus wissen, von Ga­zellen, Krokodilen. Gänsen, Schlangen, Katzen und Fischen gewonnen. Honig fehlt beinahe in keinem ägyptischen Rezept. Tie Scharpie bereitete man aus einer nicht näher bekannten Psianze namensdbj-l". Auch der Saft des Feigenbaumes und der Weide, letzterer wohl zu antiscptlschen Zwecken, Ivar ein gebräuchliches Hilfsmittel des altägyptischen Arztes. Merk- wnroig mutet die Vorschrift an, stark eiternde Wunden mit Mörtel oder Maurerkalk zu verbinden, wovon man eine aus- trockncnde Wirkung erhoffte.

Ueber die Ergebnisse dieser chirurgischen Behandlung geben uns die Ausgrabungen auf altägyptischen Kirchhöfen, die u. a. beim Vau des Nilstaudammes von Assuan in großem Umfange frcigelegt wurden, weitgehende Ausschlüsse. Im Durchschnitt koirmen an hundert Leichen drei Knochenbrüche festgcstellt werden, fast immer bei Männern. Bis auf nur eine Ausnahme erwiesen sich sämtliche Brüche als gut ver­heilt. Tie Untersuchung mittels Röntgenstrahlung lagt hier­über keinen Zweifel zu. Die hohe Zahl dieser Art von Ver­letzungen kann nicht wunder nehmen, da beim Ban der Py­ramiden naturgemäß besonders zahlreiche Unfälle zu ver­zeichnen gewesen sein werden. Wenn indessen allgemein so gute Erso.ge erzielt wurden, so ist dies ein weiterer Beweis für den hoyen Stand, den die Medizin und insbesondere die Chirurgie berciis vor säst fünf Jahrtausenden im Nillande erreicht haben muß.