Amtsblatt für den Kreis Calw
Calw Freitag, 24 Juni 1949 Nr. 26
Das Flüchtlingsproblem in?Kreis Calw
Von Reg.-Insp. Neuburger
Als um die Jahreswende 1945/46 der Strom der' Heimatvertriebenen aus den ehemals deutschen Gebieten ostwärts der Oder- Neiße sowie aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn sich vor allem über die russische, englische und amerikanische Besatzungszone ergoß, wurden auch in der französischen Zone Vorbereitungen für deren Aufnahme in größerem Umfange getroffen* Durch die Militärregierung wurde eine Rückführung der aus den drei übrigen Besatzungszonen während des Krieges zu uns „evakuierten“ Personen angeordnet. Bei Kriegsende waren dies im Kreis Calw rund 15 000 Personen. Im Benehmen mit den Stadtverwaltungen von Stuttgart, Pforzheim und Karlsruhe hat der Kreis Calw für die etwa 8000 ehemaligen Einwohner dieser Städte durch Vorstellungen bei der Militärregierung erreicht, daß die Rückkehr derselben in ihre Heimatstädte auf völlig freiwilliger Grundlage erfolgen konnte. Heute befinden sich noch rund 5300 IJyakuierte im Kreis Calw.
Die Besatzungsmächte haben im Potsdamer Abkommen Bestimmungen über die Aufnahme der Heimatvertriebenen in dem Gebiet des heutigen Deutschland getroffen. Frankreich, das dieses Abkommen nicht mitunterzeichnet hat, sali sich bezüglich seiner Besätzungszone an die Vereinbarung nicht gebunden. Dem ist es zuzuschreiben, daß bis jetzt lediglich Transporte kleineren Umfangs mit deutschen Internierten aus Dänemark, die kurz vor Kriegsende dorthin geflüchtet waren, auf Grund besonderer Abmachungen im Gebiet der französischen Zone aufgenommen wurden. Daraus schließt die Bevölkerung unseres Gebietes, daß trotz aller Ankündigungen durch die zuständigen Stellen eine weitere Aufnahme von Heimatvertriebenen nicht mehr in Frage komme. Vor allem nachdem eine Üm3iedlung der nicht mehr sehr zahlreichen. noch außerhalb d^r vier Besatzungszonen lebenden Deutschen ganz ungeklärt ist
Demgegenüber wird seit längerer Zeit in der englisch und amerikanisch besetzten Zone, die mit Heimatvertriebenen teilweise überbelegt sind (in Schleswig-Holstein zählen manche Städte soviel Heimatvertriebene als alteingesessene Einwohner), darauf hingewiesen. daß das dort bestehende Flüchtlingselend nur durch eine Umsiedlung eines Teils dieser Heimatvertriebenen in die französische Zone zu beheben sei. Dabei wird betont, daß das Land Rheinland-Pfalz heute immer noch weniger Einwohner zähle wie 1939, während die Einwohnerzahl von Baden und Württemberg-Hohenzollern nur wenig über der von 1939 liege. So bedeutet die vor kurzem erfolgte Zustimmung von General König, dem Oberbefehlshaber der französischen Besatzungszono, zur Übernahme einer ersten Rate von 30 000 arbeitsfähigen Heimatvertriebenen mit ihren Angehörigen aus der englisch und amerikanisch bes. Zone im Grunde keine Überraschung. Für Württemberg- Hohenzollern sind 8000 Arbeitskräfte oder mit Familienangehörigen allein annähernd 30 000 Personen vorgesehen. Eine abschließende Erklärung stellt fest. Maß die Aufnahme von insgesamt 300 000 Heimatvertriebenen in der französischen Zone geplant sei.
Die Übernahme der ersten für Württemberg-Hohenzollern bestimmten Heimatvertriebenen ist zur Zeit in Vorbereitung.
Nachdem die Transporte nicht aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn anrollen, sondern eine Umsiedlung innerhalb Restdeutschlands erfolgt, besteht die Möglichkeit, bei der Unterbringung, soweit irgend möglich, außer dem Wohnungsproblem auch die wirtschaftlichen, konfessionellen, familiären und kulturellen Belange zu berücksichtigen. Es ist daher auch nicht damit zu rechnen, daß die Aufnahme bei uns wie bei dem Massenzustrom der Jahre 1945 und 1946 in den anderen Besatzungszonen vor sich geht. Trotzdem werden die Schwierigkeiten, die sich den mit der Umsiedlung be auftragten Stellen bieten, werden, nicht weniger groß sein.
Die Festigung unseres Reehtslebens, der immer größer werdende Abstand zum Kriegsgeschehen, die immer mehr schwindende Opfer- und Hilfsbereitschaft sind Erscheinungen, die nicht übersehen werden dürfen. Für unsere in den Anfängen stehende Demokratie bedeutet es eine ungeheure Belastung, die Folgen des verlorenen totalen Krieges des Dritten Reiches nun mit demokratischen Mitteln lösen zu müssen Daß letzten Endes auch die Demokratie in den Fällen, in denen bei Gewährung der zustehenden staatsbürgerlichen Rechte der beschlossenen und bestätigten Lösung Widerstand entgegengesetzt wird, zur Anwendung polizeilichen Zwangs schreiten muß, wird sich bei der Schwierig-
Leb ensmittel Versorgung
Zucker für Monat Mai
Für Monat Mai erhalten Normalverbraucher. Teilselbstversorger und Vollselbstversorger aller Altersklassen Zucker, und zwar:
Normalverbraucher u. TSV Brot: 0—1J„ Kartenkennziffer (Kz.) 16, je 250 g auf Abschnitte 6, 7, 8, 9, 10, 17, 1—6 J., Kz. 14,14B, je 500 g auf Absclm. 1, 12, je 250 g auf Abschnitte 6, 7, über 6 J., Kz. 11, 11B, je 500 g auf Absehn. 1, 2, je 200 g auf Abschn. 3, 4, 100 g auf Kleinabschn.; TSV Butter, TSV Butter und Brot, TSV Butter und Fleisch: 1—6J., Kz. 24, 24B, 24C, je 500 g auf Abschnitte 1, 12, je 250 g auf Abschn. 4, 5, über 6 J., Kz. 21, 21B, 21C, je 500 g auf Abschnitte 1. 2, je 200 g auf Abschn. 3, 4, 100 g auf Kleinabschn.; TSV Fleisch, TSV Fleisch und Brot: 1—6 .1., Kz. 34, 34B, je 500 g auf Abschn. 1, 12, je 250 g auf Abschn. 6, 7, über 6 J., Kz. 31, 31G, je 500 g auf Abschn. 1, 2, je 200 g auf Abschn. 3. 4, 100 g auf Kleinabschn.; Vollselbstversorger: 1—6 J„ Kz. 44, 500 g auf Abschn 1, je 200 g auf Abschn. 3. 4, 100 g auf Kleinabschn., über 6 J., Kz. 41, je 200 g auf Abschn. 3, 4, 5, 25, 26; werdende u. stillende Mütter: Kz. 70. 250 g lt. Aufdruck. Der Bezug der Ware kann nach örtlichem Aufruf erfolgen.
Calw, 22. Juni 1949.
Kreisernährungsamt.
Eier für Monat Juni
Als Juni-Zuteilung kommen an Normalverbraucher, Gemeinschaftsverpllegte mit Normalration, Lehreroberschulen und PDR außerhalb der Lager
4 Stück Eier
auf den Abschnitt „m“ der Eierkarte zur Ausgabe.
Die Eier können nach örtlichem Aufruf bezogen werden.
Calw, 17. Juni 1949.
Kreisernährungsamt.
keit der Aufgabe manchmal nicht umgehen lassen Dabei soll die Polizei nicht nach Gestapo-Art der Einschüchterung der Bevölkerung dienen, sondern im Einzelfall die Heimatvertriebenen davor schützen, daß sie durch die Halsstarrigkeit eines Hausbesitzers ohne das auch ihnen zustehende Obdach bleiben müssen.
Auf die besonderen Verhältnisse unseres Kreises eingehend muß zunächst allgemein festgestellt werden, daß diese besonders ungünstig liegen. Wohnraummäßig läßt sich auf Grund von statistisciien Erhebungen aus der Vorkriegs- und Nachkriegszeit leicht ein Vergleich mit den übrigen Kreisen des Landes und damit eine Berechnung des hieraus resultierenden Anteils an 1 leimatvertriebenen ermöglichen. Es wäre aber den Heimatvertriebenen nur wenig gedient, wenn man sie aus Massenunterkünften in Schleswig-Holstein in immer noch notdürftige Unterkünfte im Schwarzwald verbringen würde, ohne • ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, hier auch Arbeit und Brot zu finden. Die Möglichkeiten, Heimatvertriebene in der nicht besonders umfangreichen metallverarbeitenden und in der Textilindustrie unseres Kreises unterzubringen, sind heute gering. Die holzverarbeitende Industrie und die Schmuckwarenindustrie in der Pforzheimer Ecke erleben zur Zeit eine Krise, deren Ende nicht abzusehen ist. Die Land- und Forstwirtschaft könnte wohl noch da und dort Arbeitskräfte brauchen, jedoch reicht bekanntlich der Arbeitsverdienst eines in der Landwirtschaft beschäftigten verheirateten Mannes nicht aus, um seine Familie zu unterhalten. Das Fremdenverkehrsgewerbe ist saisonbedingt und auch nicht in der Lage, Heimatvertriebenen eine gesicherte Existenzgrundlage zu bieten. So ist die wirtschaftliche Sicherung der aufzunehmen-' den Heimatvertriebenen in unserem Kreis nicht gewährleistet, wenn es nicht gelingt, eine Ausweitung vorhandener oder eine Ansiedlung neuer Industrie zu erreichen. Zu diesen Problemen tritt aber noch ein weiteres hinzu. Unsere Kur- und Badeorte streben eine Erhaltung ihres, dem Fremdenverkehr dienenden Wohnraums an. Auf Grund entsprechender Vorstellungen erfolgte durch die zuständigen Regierungsstellen unseres Lapdes zunächst die unverbindliche Zusage, den konzessionierten Fremdenbeherbergungsraum von der Belegung mit Heimatvertriebenen auszunehmen. Dadurch ist keine völlige Freistellung der Fremdenverkehrsgemeinden erreicht, es ist aber doch die Gewähr gegeben, daß die Fremdenbeherbergungsbetriebe keine Gefahr laufen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren, wie dies vielfach in den Seebädern Schleswig-Holsteins und den Erholungsorten Oberbayerns geschehen ist.
Es wäre nun heute verfehlt, wie schon so oft anzukündigen: „Jetzt kommen aber die Flüchtlinge, richtet Euch darauf ein!“ Die Entwicklung hängt nicht von den Regierungsstellen unseres Landes ab. Wie bisher schon? wird sich die Aufnahme der Heimatvertriebenen, die in kleineren Transporten erfolgt, für die Außenstehenden kaum bemerkbar vollziehen. Nur die unmittelbar von einer Zuweisung Betroffenen werden es verspüren. Dabei wäre zu wünschen, daß der bisher so weitverbreitete grundsätzliche Einwand gegen eine Aufnahme: „Warum gerade ich mein lieber Nachbar hat doch viel, viel mehr Platz!?“ nicht mehr so oft vorgebracht würde. Sehr oft stimmts garnicht, oder bekommt dann der liebe Nachbar früher oder später eben auch Heimatvertriebene zugewiesen.