KREISNACHRICHTEN
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Unabhängige Tageszeitung und Amtsblatt für die Stadt und den Kreis Calw Gegründet 1826 / Nr. 11 Mittwoch, 15. Januar 1969 Einzelpreis 30 Pfennig 2 H 2033 A
So jus 4 umkreist die Erde Umsteigen im Weltraum?
Moskau schweigt zum neuen Raumexperiment / Kosmonaut Schatalow wohlauf
Moskau/Prag (dpa). Die Sowjetunion hat bis gestern abend über die genauen Aufgaben des Raumschiffes Sojus 4 geschwiegen, das um 10.39 Uhr Moskauer Zeit (8.39 Uhr MEZ) mit Oberstleutnant Wladimir Schatalow an Bord gestartet worden ist. Der Moskauer Korrespondent von Radio Prag berichtete, daß die Sowjets ein gewagtes, bisher nicht dagewesenes Manöver im Weltraum planen: Ein
„Umsteigen im AU“. Radio Prag zufolge soll heute ein zweites bemanntes Raumschiff mit einem Kosmonauten an Bord gestartet werden. Im Weltraum sei dann die Koppelung von Sojus 4 und Sojus 5 und ein Platzwechsel ihrer Kosmonauten vorgesehen. Oberstleutnant Wladimir Schatalow werde in Sojus 5 „umsteigen“, während der Kosmonaut von Sojus 5 das andere Raumschiff übernimmt.
WLADIMIR SCHATALOW (links) befindet sich an Bord von Sojus 4. Unser Bild zeigt ihn zusammen mit dem Führer von Sojus 3, Georgi Beregowoi, während des Trainings.
RAKETEN-MOTOR
ARBEITSRAUM
KOSMONAUTEN-KABINE
RUHEPLATZ
SONNEN-BATTERIEN
tlNSTiEeSLUKE
So sieht Sojus 4 aus. Hier eine Skizze seines Vorläufers Sojus 3.
Der Flug von Sojus 4 ist nach einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS bisher planmäßig verlaufen. Dreimal wurden Femsehaufnahmen von Bord des Raumschiffes zur Erde übermittelt und später über das Moskauer Programm ausgestrahlt. Sojus 4 ist mit mehreren Kameras ausgestattet. Dazu meldete TASS: „Fernsehbilder zeigten Schatalow in der Kapsel, als
Sojus 4 ist das 11. bemannte Raumschiff der Sowjetunion
Die Sowjetunion hat mit Sojus 4 ihr elftes bemanntes Raumschiff auf eine Umlaufbahn um die Erde gestartet. Der erste bemannte Flugkörper der Sowjetunion und der Welt war Wostok 1, mit dem am 12. April 1961 der Kosmonaut Juri Gagarin die Erde einmal umkreiste. Die spektakulärsten sowjetischen Raumfahrtunternehmen in den vergangenen acht Jahren waren:
• Der erste Weltraum-Gruppenflug, ausgeführt im August 1962 von den Kosmonauten Popowitsch und Nikola- jew in den Raumschiffen Wostok 3 und Wostok 4.
# Der erste — und bisher einzige — Raumflug einer Frau, der Kosmonautin Walentina Teschkowa im Juni 1963.
• Der erste Flug mit einem mehrsitzigen Raumschiff, Woschod 1, mit den Kosmonauten Komarow, Feoktistow und Jegorow an Bord im Oktober 1964.
# Der erste Ausstieg eines Menschen in den Weltraum im März 1965 durch den Kosmonauten Leonow.
Die Vereinigten Staaten haben seit 1961 insgesamt 18 bemannte Raumschiffe gestartet, die beiden ersten ohne Erdumkreisung, das letzte zu einer zehnmaligen Mondumkreisung.
Britisches Flugzeug bei Mailand abgestürzt
Mailand (AP). Eine Verkehrsmaschine der britischen Fluggesellschaft British United Airways (BUA) vom Typ Viscount mit über 30 Menschen an Bord ist gestern kurz nach dem Start vom Mailänder Flughafen Linate abgestürzt. Nach ersten Berichten wurden bei dem Unglück lediglich zwei Menschen verletzt.
Wie die Polizei mitteilte, handelte es sich um einen Charterflug von Mailand nach London. Ursprünglich hatte die aus London kommende Maschine in Genua eine Gruppe von 26 Passagieren aufnehmen sollen. Orkanartige Winde machten eine Landung allerdings unmöglich. Die Maschine wurde daraufhin nach Mailand umgeleitet, wo die aus Genua per Bus herangebrachten Passagiere das Flugzeug bestiegen. Nach Angaben der Polizei befanden sich an Bord des Flugzeuges zwischen fünf und sieben Besatzungsmitglieder. Uber die Absturzursache wurde zunächst nichts bekannt.
das Raumschiff auf eine Erdumlaufbahn gebracht wurde. Es war deutlich zu sehen, daß der Kosmonaut seine Arbeit nicht unterbrach und die Verbindung zur Erde aufrechterhielt.“
Die sowjetische Bevölkerung wurde durch Sondermeldungen in Rundfunk und Fernsehen über den neuen bemannten Raumflug unterrichtet. Eingeleitet wurde die Sendung von Radio Moskau mit den mehrfach wiederholten ersten Takten des Liedes „Weit ist mein Heimatland“, mit dem der Rundfunk bisher alle Weltraumflüge sowjetischer Kosmonauten angekündigt hat.
Bei den Fernsehübertragungen aus dem Raumschiff waren sowohl die Bilder als auch die Verständigung gut. Schatalow, der bequem in seinem Sitz lag, trug eine Art Helm, an dem große Kopfhörer befestigt waren. Er sagte, er befinde sich auf dem Arbeitsplatz des „Kommandanten“. Aus diesem Hinweis schließen Sachverständige, daß das Raumschiff mit mindestens drei Kosmonauten besetzt werden kann. Eine entsprechende Andeutung hatte bereits vor zweieinhalb Monaten Kosmonaut Georgi Beregowoi nach seinem Flug mit Sojus 3 gemacht.
Oberstleutnant Schatalow ist „Weltraumneuling“. Der Kosmonaut des elften bemannten Raumschiffes der Sowjetunion war im Januar 1963 in die sowjetische Kosmonautenabteilung aufgenommen worden. Der jetzt 41jährige wurde 1949 Militärflieger und studierte von 1953 bis 1956 an der Akademie der Luftstreitkräfte in Moskau. Wladimir Schatalow und seine Frau Ionowa haben zwei Kinder, den 16jährigen Igor und die 10jährige Jelena.
Sojus 4 wird im Funkverkehr von der Bodenstelle mit dem Decknamen „Amur“ gerufen. Die Bodenstelle meldet sich mit „Sarja“.
.. wie ein Pferd vor dem Rennen“
... beschrieb Schatalow die Rakete / Mittagessen beim zweiten Umlauf
„Wie schön ist es hier!“ Das waren die ersten Worte, die Kosmonaut Wladimir Schatalow zur Erde funkte, nachdem die letzte Stufe der Trägerrakete sein Raumschiff „Sojus 4“ in eine Erdumlaufbahn getragen hatte. Der „Weltraum-Neuling“ war um 8.39 Uhr (MEZ) vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan zu seinem ersten Flug gestartet Gegen 13 Uhr MEZ (15 Uhr Moskauer Zeit) hatte sein Raumschiff nach Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS drei Erdumläufe beendet. Mit von Hand betriebener Orientierung habe das Raumschiff alle Manöver exakt ausgeführt und sei mit Hilfe der Sonnenbatterien auf die Sonne hin orientiert worden. Dies habe die normale Energiezufuhr für seine Systeme sichergestellt.
Laut TASS hat Schatalow nicht nur Femsehaufnahmen aus der Kapsel gesendet, sondern auch die Wolkendecke und die Erdoberfläche beobachtet Während des zweiten Umlaufs habe er „mit großem Appetit“ sein Mittagessen eingenommen. Zu Experimenten während der zweiten Erdumkreisung sei er in den Teil des Raumschiffs hinübergegangen, der für wissenschaftliche Arbeit und für die Erholung des Raumfahrers vorgesehen ist
Die Vorbereitungen für den Start von Sojus 4 fanden bei minus 22 Grad Celsius statt. Am Dienstagmorgen seien die Systeme der Trägerrakete angewärmt
und durch einen dicken, silbrigen Schlauch warme Luft in die Kabine des Raumschiffs gepumpt worden. Diese Temperatur sei durchaus nichts Ungewöhnliches, meinte der Startleiter. Die Anfang Januar gestartete Sonde Venus 5 sei bei minus 35 Grad vorbereitet worden.
Drei Minuten vor dem Abheben der Rakete spielte sich laut TASS folgender Dialog zwischen Schatalow und der Bodenstation ab:
Bodenstation („Sarja“): „Tiefer atmen, ruhig bleiben, deine Maschine ist in Ordnung. Alles läuft gut.“
Schatalow („Amur“): „Jawohl, tiefer atmen. Führe aus. Bin startbereit.“ Bodenstation: „Merkst du, wie das Schiff leicht im Wind schwankt?“ Schatalow: „Jawohl. Es benimmt sich wie ein gutes Pferd vor dem Rennen.“ Bodenstation: „Nicht wahr, eine angenehme Empfindung.“
Schatalow: „Eher eine ungewöhnliche.“
Bodenstation: „Schade, daß du jetzt die Rakete nicht siehst. Die Konstruktionen sind abgelegt. Sie steht da ganz weiß und wartet.“
Gleich nach dem Start war bereits wieder die ruhige Stimme Schatalows zu hören, der seine Beobachtungen zur Erde meldete: „Ich grüße alle auf der Erde. Jetzt mache ich mich an mein Arbeitsprogramm.“
Bonn weist Vorwürfe zurück
„Kein Zweifel an Qualifikation des ,U-Hai‘-Kommandanten“
Bonn (AP). Das Bundesverteidigungsministerium hat gestern Zweifel an der Qualifikation des in der Nordsee mit seinem Unterseeboot „Hai“ untergegangenen Kommandanten Joachim-Peter Wiedersheim nachdrücklich zurückgewiesen. Der Sprecher bezog sich dabei auf Meldungen über einen flottenintemen Havarie-Bericht, in dem es
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IN DIENST GESTELLT wurde gestern in Kiel das Unterseeboot „U 12“. Es ist das letzte aus einer Serie von zwölf U-Booten aus dem neuen nichtmagnetischen Stahl, mit einer Länge von 44 Metern und einer Wasserverdrängung von rund 420 Tonnen. Das oberschwäbische Aulendorf ist die Patenstadt von „U 12". (AP-Photofax)
heißen soll, der im Rang eines Oberleutnants stehende Wiedersheim habe keine ausreichenden Kenntnisse für dieses Kommando gehabt und hätte demzufolge das Schiff nicht befehligen dürfen.
Das Ministerium betonte demgegenüber, an der Eignung des Offiziers könne es keine Zweifel geben. Entschieden wandte sich das Ministerium auch gegen den Vorwurf, Wiedersheim sei die Eignung zur Führung eines U-Bootes erst nach seinem Tode zuerkannt worden.
Die „U-Hai“ war am 14. September 1966 etwa 120 Seemeüen nordwestlich von Helgoland gesunken, nachdem Wasser durch den Schnorchelschacht in das Boot eingedrungen war. 19 der 20 Besatzungsmitglieder waren bei dem Unglück ums Leben gekommen.
In seiner nächsten Sitzung wird sich der Verteidigungsausschuß auf Antrag der FDP mit der Angelegenheit befassen müssen.
De Gaulle soll dem Libanon Truppen versprochen haben
Beirut (AP). Unter Berufung auf „informierte politische Kreise“ in der libanesischen Hauptstadt meldete gestern die Beiru- ter Zeitung „Al Anwar“, der französische Staatspräsident de Gaulle habe für den Fall eines israelischen Angriffs auf Libanon die Entsendung französischer Truppen zugesagt. Daneben soll Frankreich für einen Angriffsfall weitere umfassende Militärhilfe versprochen haben.
Am Vortag hatte der gegenwärtig in Beirut weilende frühere französische Informationsminister Georges Gorse im libanesischen Fernsehen versichert, Frankreich werde nicht untätig Zusehen, wenn die Existenz Libanons bedroht werden sollte.
Schwere Explosionen auf U S-Atomflugzeugträger
Honolulu (dpa). Zehn bis zwölf Explosionen haben gestern abend das Heck des atomgetriebenen US-Flugzeugträgers „Enterprise“ 120 km südwestlich von Hawaii erschüttert. Viele Besatzungsangehörige sind von der Wucht der Explosionen über Bord gefegt worden. Die „Enterprise“ ist das größte Kriegsschiff der Welt. Die Explosionen haben das Flug- und das Hangardeck des Schiffsgiganten in die Höhe gehoben. Die Bevölkerung von Honolulu wurde aufgerufen, für die Katastrophenopfer Blut zu spenden. Alle Militärangehörigen auf Hawaii wurden zu den Hospitälern des Militärstützpunktes gerufen. Das zur Fahrt nach Vietnam bereite Schiff erhielt sofort Order zum US-Kriegshafen Pearl Harbour zurückzukehren. Die ausgebrochenen Brände waren bis Mitternacht gelöscht.
Die Explosionen auf der „Enterprise“ sind die vierte Katastrophe, von denen US-Atom- flugzeugträger in weniger als drei Jahren betroffen wurden. 129 Seeleute kamen bei einem Brand ums Leben, der im Juli 1967 auf der „Forrestal“ ausbrach. Ein Feuer auf der „Oriskany“ hatte im Oktober 1966 43 Menschenleben gefordert. Einen Monat später kamen auf der „Franklin D. Rocsevelt“ acht Männer ums Leben, 14 wurden verletzt. Alle drei Katastrophen hatten sich vor der Küste Nordvietnams im Golf von Tongking ereignet.
Eine Handvoll Körner
Von Frank Arnau
Das Schwurgericht Lübeck sprach unter Vorsitz Landgerichtsrats Horst Gehrmann drei wegen Mordes angeklagte Männer frei. Gegen einen vierten stellte es das Verfahren ein. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den ehemaligen SS-Scharführer Daniel Nerling lebenslanges Zuchthaus beantragt Der Unterschied zwischen dieser Höchststrafe und dem Freispruch ist nicht unerheblich. Daß die Anklagebehörde lebenslang beantragte, mußte in einem Prozeß mit vielen Zeugen gut fundiert sein. Aber das Gericht sah sich trotz der schwerstbelastenden Zeugenaussagen nicht in der Lage, zu einem Schuldspruch zu kommen. Dabei stand zumindest ein Tatbestand vollkommen klar fest:
„Der Jude Kohn wurde erschossen, weil er eine Handvoll Getreidekömer in den Mund steckte.“ Nun, niemand wird es leugnen, daß einem solchen Verbrechen — dem Versuch, bitteren Hunger wenigstens durch einige Körner zu stillen — nur mit einem Todesschuß beizukommen war. Und daß ein SS-Mann, der diesen kalten bestialischen Mord beging, von einem deutschen Gericht freigesprochen wurde, weil er keinen Mord, sondern einen Totschlag begangen hatte, der nun bereits verjährt ist, kann kaum überraschen. Vergeblich aber sucht man da noch nach einem Körnchen Gerechtigkeit.
Was, so muß man fragen, ist eigentlich Mord, wenn nicht das Umbringen eines Wehrlosen, weil er ein paar Körner Getreide schluckt? Der Schuß traf ihn beim Kauen dieser Nahrung, die roh war, wie die Tat Aber in Lübeck hielt es ein Gericht für Totschlag, nicht für Mord. Es wäre nicht unangebracht, die Definition „Mord“ den Richtern einmal ins Gedächtnis zu rufen.
Aber es ist nicht nur dieser Lübecker Fall, der sehr bedenklich stimmt Es ist einfach so, daß irgend etwas mit unserer Strafjustiz so häufig nicht mehr stimmt, daß kaum noch von Einzelfällen gesprochen werden kann. Die Häufung von Urteilen, die ganz offen-
(Fortsetzung auf Seite 2)