Ein ökonomischer Fehler im Sanierungsplan

Eigentlich erst seit Anfang dieses Jahres hat das deutsche Volk am eigenen Leibe zu spüren bekommen, wa der Ver­sailler Vertrag und dessen wirtschaftliche Ausführnngsge- setze in Gestalt des Dawes- und Aoungplanes für unser Land und alle seine Einwohner bedeuten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns weit mehr vom Ausland gepumpt, als wir an Reparationsleistungen zu deutsch: Kriegsentschädigungen abgeführt haben. Es ist ebenso be­greiflich ,wie es staatspolitisch unendliche Gefahren herauf­beschworen hat, daß die in die Zusammenhänge unserer Zah­lungsbilanz nicht eingeweihten breiten Bevölkerungsschichten infolge solcher Reparationsverschleierung den Dawesplan und den heutigenNeuen Plan" als etwas sie nicht vital Interessierendes ansahen und erst in dem Augenblick fana­tisch radikal auf Wahlzetteln reagierten, als ihnen durch das Abstoppen der Auslandskredite und die gleichzeitig ein­sehenden hohen Auslandsforberungcn auf Reparationen 13 Jahre nach Kriegsende endlich die Augen darüber geöffnet wurden, daß jeder einzelne bis hinunter zum Unbemittelt­sten den verlorenen Krieg auch aus gerade seiner priva­ten Geldtasche bezahlen soll.

Es ist eine rein machtpolitische Frage, ob man den Uoungplanzerreißen" kann oder ob man geschickt die be­reits zahlreich vorhandenen, nach einer friedlichen Revision der Reparationsverträge drängenden Auslandsstimmen zu einer gundlegenden Besserung der Verhältnisse ausnutzt. Sicher ist, baß Deutschland in beiden Fällen nicht von Heute auf morgen auf Rosen gebettet wird, sondern sich wirt­schaftlich in jahrelangen Entbehrungen aus der tiefen Not­lage ganz allmählich herausarbeiten muß. Ein Wegweiser für dieses Herausarbeiten will das Brüningsche Sa­nierungsprogramm sein, das deshalb auf alle Fälle als ein erster Ehrlichkeitsversuch seinen Wert behalten wird, ob es nun seine praktische Durchführung findet oder nicht.

Die Bedeutung dieses Regierungsprogramms wird be­sonders durch die offizielle Billigung unterstrichen, die ihm durch den Deutschen Industrie- und Handelstag sowie den Reichsverband der Deutschen Industrie ein Hauptteil der Wirtschaft ausgesprochen hat, obschon gerade ihr durch dieses Programm schwere Lasten auferlegt werden.

Trotzdem sei ein tiegreifender Zweifel an einem besonders wichtigen Teil des Brüningschen Rezeptes diskutiert. Die Basis des Programms ist die Forderung: wir müssen in allen Ausgaben in denen der öffentlichen Haushalte wie in denen der gesamten Wirtschaft aufs äußerste spar­sam wirtschaften, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, um uns überhaupt mit den Gestehungskosten unserer inlän­dischen Produktion nach Jahren endlich dem rapid gesunke­nen Preisniveau auf dem Weltmarkt anpassen zu können. Zu diesem Zweck sollen drei Hauptaktionen erfolgen: Senkung der öffentlichen Haushaltsausgaben, Lohnabbau «nd steuerliche Entlastung der Produktion bet stärkster Aus­schöpfung aller noch im Konsum zu entdeckenden Steuer- qnellen.

Die erste dieser drei Sanierungsmethoden ist ohne jeden Zweifel richtig und durch Reichs- und Verwaltungsreform sowie einen grundlegenden Umbau des Steuerverhältnisses zwischen Reich, Ländern und Kommunen noch weit stärker zu forcieren. Ob die zweite Methode so ohne weiteres zum erhofften Ziel führt es sei denn auf dem Wege generel­ler Arbeitsstreckung bei gleichbleibendem Stunden- ober Stücklohn, bas muß durch weit tiefgründigere Unter­suchungen als bisher beantwortet werden. Ganz sicher aber ist, daß das dritte der angegebenen Mittel einen ganz schwe­ren Rechenfehler barstellt, dessen Umsetzung in die Wirklichkeit die Depression unserer Konjunktur noch ver­stärken anstatt mildern müßte. Und zwar aus folgenden Gründen:

Es sei hier ganz davon abgesehen, baß die im Güterver­brauch einmal bet uns vorhanden gewesenen Steuer­reserven nicht nur restlos, sondern bereits zu einem den Reichsfinanzen schädlichen Uebermaß ausgebeutet wor­

den sind. Insonderheit beim Bier, durch dessen abermalige Höherbesteuerung seit 1. Mai 1930 der Absatz so herabgesetzt worden ist, daß bas Gesamtaufkommen aus dieser Steuer für das Reich in den dem Erhöhungstermin folgenden zwölf Monaten per saldo nicht größer sein wird als in der Jah­resfrist zuvor, zumal durch die jetzt bevorstehenden höheren Gemeindebierstcuern selbst diese bloße Ausgleichung von höherem Steuersatz und geringerer besteuerter Menge noch sehr zweifelhaft geworden ist. In diesem Tatbestand aber hat sich bereits jener oben genannte Denkfehler erwiesen, der nicht nur darin besteht, daß man die Steuerkraft des durchschnittlichen Verbrauchers weitaus überschätzt hat, son­dern viel, viel mehr noch in einer grundsätzlichen Verken­nung unseres derzeitigen Wirtschaftszustandcs liegt.

Wenn man heute aus einem unbekannten Lande hörte, daß dort die Warenerzeugung steuerlich entlastet, der Konsum aber Höher besteuert werben soll, so wird und muß jeder Denkende daraus über jenes Land schließen. Saß dort zu wenig erzeugt, aber zu viel verbraucht werde. Liegen nun die Verhältnisse bei uns so? Nein, sondern gerade das krasse Gegenteil eines derartigen Zustandes beherrscht das deutsche Wirtschaftsleben. Bergehoch liegen die Kohlenhalden, die Eisen- und Metallproduktion wird nicht abgcsetzt, Sie Wa­renlager sind übervoll und kein Berkäufer kann selbst durch äußerste Reklame auch nur annähernd ausreichende Käufer­mengen in sein Geschäft locken. Volkswirtschaftlich gesprochen leiden wir nicht wie es in Krisen des vorigen Jahrhun­derts und namentlich während des Krieges der Fall ge­wesen ist an einer Unterproduktion, sondern an einem Unterkonsum. Das typischste Beispiel ist vielleicht, daß in den Großstädten Heere von Arbeitslosen zum beklagcns. wert kärglichsten Lebensunterhalt verurteilt sind, während gleichzeitig die Regierung den Landwirten durch künstliche Manipulationen zu Helsen versucht, weil sie u. a. in unver­käuflichem Roggen ersticken!

Solchen Zuständen gegenüber kann nur eines helfen: mit aller Kraft einen stärkeren Konsum ermöglichen, der zu­nächst die heimische Warenerzeugung aufnimmt und so auf diesem Wege die Wirtschaft natürlich und organisch ankur­belt, und zwar nachhaltiger, echter als ausländische Ankur- belungskreöite, welche die Erscheinungen unserer Krankheit eine Zeit lang verhüllen, anstatt die Krankheit selbst zu heilen. Darum bringt auch jedes Ende eines bloßenAn- kurbelungs"kredits nur ein tiefes Versacken in die inlän­

dische Wirtschaftszerrüttung. Und aus diesem Grunde muß der Konsum steuerlich entlastet werden, ohne daß selbstverständlich die Erzeugung nun abermals stärker belastet würde. Das, was an Steuerplus aus dem Ver­brauch nicht aufgebracht werden darf, muß allein durch öra- konische Einsparungen der öffentlichen Hand, die sich jahre­lang ans Verschwenden gewöhnt hatte, ausgeglichen wer­den. Der Verbrauch seinerseits muß aber speziell dort ent­lastet werden, wo sich eine Entlastung sofort durch Mehrab­satz und damit Mchrbeschäftigung, Mohrerzeugung und auf diesem Wege auch höhere steuerpflichtige Einkommen be­merkbar macht. Das kann aber nur dort eintreten, wo es sich um Groschen und nicht hohe Markbeträge, die der Käufer anfwendcn soll, handelt, wie also bei dem Klein- beöarf des Alltags, z. V. dem Bier und anderen Genuß­mitteln der breitesten Volksschichten. Denn für die Steige­rung des Verbrauchs kommt es zunächst bei weitem nicht so darauf an, ob ein Hundcrtmarkgcgenstanö um 5 Mark oder eine Ware im Wert von 10 Mark um 80 Pfennige billige» wird, sondern darauf, baß das Vcrbrauchsgut, das bisher 50 Pfennige kostete, baldigst 45 Pfennige und der Fünfpfcn- nigartikel nur noch 4 Pfennig kosten wird.

Das aber läßt sich nur durch eine Senkung der allgemei­nen Verbrauchssteuern erreichen, nicht aber durch die hier behandelte teilweise Fehlkonstruktion des Negierungspro gramms, für deren schleunige Beseitigung deshalb alle Volksvertreter aufs energischste eintreten sollten.

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Schacht fordert Abschaffung der Reparationen

TU. Newyork, 29. Okt. Dr. Schacht, der auf seiner Rund­reise durch Amerika nunmehr in Chicago eingetroffen ist, hielt in der Universität von Chicago einen aufsehenerregenden Vortrag, in dem er die Neparationsfrage eingehend behandelte. Dr. Schacht betonte, daß die Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten direkt auf die Wirtschaftslage in Deutschland zurückznführen sei. Die deutsche Wirtschaftskrise habe ihre Ursache in der derzeitigen Reparationsregelung. Schacht wies u. a. darauf hin, daß Deutschland bis an dic Grenzen des Möglichen besteuert sei, und daß eine wettere Besteuerung, um die Reparationen bezahlen zu können, Deutschlands Wirtschaft, auf das Schwerste gefährden würde. Da das unmöglich sei, forderte Schacht die Abschaffung der Reparationszahlungen. Nur die Beseitigung der gegenwärtigen Neparationslösung sei geeignet, die Hei­lung der Weltwirtschaft herbeizuführcn.

Kelloqas Einzug in den Hunger Gerichtshof

Die erste Sitzung des Internationalen Schiedsgerichts im , des amerikanischen Vertreters Kellogg jam htnterste« -r»« Haag in seiner derzeitigen Tagung, in der die Verewigung I ßen Tisch die dritte Person von links) erfolgte.

vie ürdin von t0o»en»nge«.

47 Roman von >^. Bastian-Stumpf.

Lopvrigiit d> K 1 H Greiser, G m b H . Rastatt.

»Warum sprechen Sie etwas aus, von dem Sie am besten wissen wie unwahr es ist. Ter Tod meines Gatten war für uns beide eine Erlösung. Ihr Schwiegervater, vollständig gelähmt, hatte nichts mehr vom Leben wie Schmerzen zu erwarten gehabt, die Ruhe die er gefun­den. ist ihm nach solchem Leiden zu gönnen. Doch auch mir tat diese Befreiung not, ich wüßte nicht, wie ich mein Dasein sonst weiter ertragen hätte. Was ich in den letzten Monaten erlitten habe, still und schweigend, war furcht» dar. beinahe unerträglich. Ten Toten trifft keinen Vor­wurf. er hat mich unendlich geliebt, mit einer Sorgfalt mich umgeben, die ich nicht verdiente und mir jeden Wunsch erfüllt. Tie Enttäuschung meiner Ehe war meine eigene Schuld, ich habe mich versündigt, nur nach Reichtum strebend, bin ich ohne Liebe in das Heiligtum der Ehe eingetreten. Für diese Sünde wurde ich bitter und schwer, beinahe zu hart gestraft."

Ruhig und leidenschaftslos war das von Hertas Lippen geflossen, man wußte nicht, ob es aus dem Innersten kam. aber Achim traf es tief. Er fühlte ein unendliches Mitleid mit der jungen Frau, die sich verkaufte, um aus der Misere Armut zu kommen. Es trieb ihn dazu, ihr ein gutes Wort zu sagen, das sie trösten sollte, er wußte nur nicht wie sie es aufnehmen würde. Jedoch ganz schweigen durste er nicht, irgend etwas mußte er antworten.

Sie sind noch so jung, liebe gnädige Frau, ein neues Glück wird Ihnen auserstehen."

Jbre schwarzen Augen nichen nicht von seinem Gesicht und sie lächelte ihn seltsam an.

»Jung jagen Sie die LeidensjaKre meiner trau­

rigen Ehe die Last Mit dem ungebändiglen Kinde, . haben mich alt gemacht."

Es berührte Achim peinlich, als sie auf Anneliese an- spielte, es war aber am besten, er ließ es sich nicht merken.

Sie fühlen sich jetzt nach all dem Traurigen müde, bis das Glück einmal wieder unverhofft zu Ihnen kommt, dann werden Sie schnell wieder jung sein. Es ist zwar heute ein Unrecht davon zu sprechen. Sie aber wissen, wie es gemeint ist ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen für die Zukunft alles Glück und Sonnenschein."

Ihre Augen wurden so leuchtend, so hingebend bei feinem Sprechen, daß ihm ein Schrecken heiß durch die Glieder fuhr. Sollte sie am Ende seinen gut gemeinten Wunsch mißverstanden haben? Herta fühlte, sie war zu weit gegangen und schnell ließ sie ihre Lider über die Augen fallen. .

Ach. wer in die Zukunft sehen könnte, was sie m ihrem Schoße birgt", sagte sie leise. « , --

Achim entgegnete nichts mehr darauf. Das Gespräch und das Alleinsein mit der schönen Frau war ihm auf einmal zu gefährlich. Er wollte nicht mehr ergründen, ob sie entsagt hatte, die Augen hatten ihm längst das Ge- genteil verraten. Er verabschiedete sich und suchte seine Frau auf.

Anneliese wollte diese Nacht noch einmal in Wolfer­dingen verbringen, doch Achim gab es nicht zu. Seit er m Hertas gefährliche Augen von neuem geschaut, fürchtete er sein junges Weib länger in ihrer Nähe zu lasten.

Am andern Morgen um elf Uhr sollte die Testaments- öffnung stattfinden, zu der Anneliese mit Achim bestellt waren.

Herta hoffte bestimmt. Erbin von Wolferdingen zu sein und mit diesem Erbe Achim wieder zu erringen. Lb damit Anneliese ein großes Unrecht geschah, daran dachte l sie nicht, was schadete es. wenn diese litt, batte sie nickt

ca) geUUeU: Unv Vas »arve --- 0a^> halle ne reotieh

ent in all den Jahren der Selbstaufopferung. Ihre sönsten Jugendjahre waren dem kranken Gatten ge- idmet. sie mußte daher belohnt werden.

Welch grausame Enttäuschung erwartete sie am anderen ag. Nachdem sie in dem Saale, wo die Eröffnung statt­lich, Platz genommen hatten und der Justizrat mit seiner lonotonen Stimme anfing zu lesen, ergab es sich, daß der reiherr nur dem Namen nach Besitzer von Wolferdingen

Ltto von Wolferdingen war em flotter Offizier, als er ine erste Gattin kennen lernte, mußte aber den w-rnen lock ausziehen und sein Gut übernehmen, das überschuldet «r und keinen Zuschuß mehr brachte. T-e reiche Erbm, ie den schönen stolzen Mann über alles liebte, nmchte das lut schon vor ibrer Heirat schuldenfrei. Als nach einigen ahren glücklicher Ehe die kleine Anneliese geboren wurde, stand die junge Frau, ihr Testament zu machen. ,n dem atbalten ^.r daß ihr Töchterchen alleinige Besitzerin von KseroiEn'wurde. Otto von Wolferdingen war so k-bt-^u ° d-m N-m-n nach Hm iedock erst mit seinem Tode sollte daS seltsame Testament eröffentlicht werden. Tie junge Mutter ahnte ihren löblichen Tod und wollte verhüten, daß. wenn ihr Gatte wch einmal heiratete, ihr Kind benachteiligt wurde.

Bei dieser Eröffnung brach Herta zusammen. Nun var sie so arm wie vor Jahren und all ihre Pläne waren ^flössen wie Seifenblasen. Darum hatte sie ihre schon­ten Jahre an einen kranken Mann vergeudet und Liebe >eheuchelt, um leer auszugehen. Halb ohnmächtig lehnte ie in ihrem Sessel und hörte nichts von den warmen, reundlichen Worten, die Anneliese zu ,hr sprach, als der Zustizrat gegangen war. Wie betäubt, als wäre sie gar licht sich selbst, saß sie da. Endlich kam sie zu sich und aßte sich einigermaßen.