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Nr. 265
Gegründet 1827
Montag, den 11 November 1929
Fernsprecher Nr. 29
103. Jahrgang
ZerBrvW kiWr
Berlin, 10. November. Zu der in der französischen Kam- ! mer erwähnten Zerstörung deutscher Eisenbahnen imRheingebiet, besonders in der Pfalz, als einer Verbindung für die Räumung, wird jetzt amtlich mitgeteilt, daß die Reichsregierung allerdings zugestanden habe, verschiedene zweigleisige Bahnlinien in eingleisiige zurückzuverwandeln. große Verladerampen abzubauen und aus ein Mindestmaß zu verkürzen und überhaupt auch den künftigen Bahnbau im Rheingebiet im engsten Rahmen der wirtschaftlichen und betriebstechnischen Notwendigkeit zu Hallen. Der Pariser Botschafterkonferenz sei von der Reichsregierung auf 12 Jahre die Sicherheit gegeben worden, daß Deutschland nicht daran denke, den Ausbau des Eisenbahnnetzes über das Maß des wirtschaftlich Begründeten zu betreiben.
Notetats bis August 1936
Berlin, 10. Nov. In parlamentarische» Kreisen verlautet, mit der Vorlage des Reichshaushaltplans für 1930 sei vor August oder September nächsten Jahres nicht zzi rechnen und der Reichsfinanzminister wolle sich solange jeweils .mit, N.otforderungen behelfen. Als Grund für
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diese seit Bestehen des Reichs noch nie dagewesene Verschleppung sei die Tatsache zu betrachten, daß der Toungplan sich voraussichtlich bis zu diesem Zeitpunkt verzögern werde. Um bis dahin die Regierungskoalition zllsammenzuh-stten' seien die Regierungsparteien übereingekommen, auch die Lösung der Streitfrgae des Ehescheidungsgesetzes so lange zu vertagen.
Es wird nun also auch in Berlin angenommen, daß sich die Räumung der dritten Zone entsprechend verzögert.
Bürgermeister Doflein gegen den Ministerialerlaß
In der Bezirksversammlung des Stadtbezirks Berlin- Tiergarten wurde von der Sozialdemokratie die Frage gestellt, ob es richtig sei, daß Bürgermeister Doflein verhindert habe, daß die Beamten die Kenntnisnahme des bekannten Ministerialerlasses gegen das Volksbegehren durch Unterschrift bestätigten. Bürgermeister Doflein gab ausdrücklich zu Protokoll, daß er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, daß durch diese Verfügung auf die Beamten ein Druck ausgeübt werde. Aus diesem Grund habe er die Anweisung gsgebm. die fragliche Verfügung nicht durch Unterschrift zu bestätigen.
Briands großer Redeerfolg
Paris, 9. Nov. Gestern wurde die Aussprache zur Regierungserklärung fortgesetzt. Abg. Taittinger (Rechte, verlangte Aufklärung über die Abmachungen betreffend die Rheinlandräumung. Die Regierung habe das Recht, zu erklären, daß Deutschland die Bedingungen für die Räumung der dritten Zone noch nicht erfüllt habe. Das Saargebiet habe für Frankreich hohen strategischen und wirtschaftlichen Wert. Es dürfe nicht leichtfertig aufgegeben werden.
Briands Rede
Als Briand die Rednertribüne berat, wurde er oe- sonders von der Rechten mit Beifall begrüßt. Er führte aus:
Seine bisherige Politik werde fortgesetzt. Deshalb habe er Tardieu seine Unterstützung gegeben. Wenn er die Haager Konferenz abgebrochen hätte, wäre er vielleicht mit Triumph in Frankreich empfangen worden. Im Interesse des Friedens habe er aber geglaubt, das äußerste unternehmen zu müssen. Er sei der Ansicht, daß man „Politik aus lange Sicht" machen müsse. Auf der Haager Konferenz habe er nichts prei'sgegeben, sondern den Toungplan gewonnen. Es sei ein Verdienst, in Zusammenarbeit mik Dr. Skresemann Deukschland zum freiwilligen Verzicht auf Elsaß- Lothringen bewogen zu haben. Der Versuch, eine Grenze herzustellen, die weder deutsch noch französisch, sondern international ist, sei 1921 noch verfrüht gewesen.
Der Versailler Vertrag spreche nicht von einer französischen oder belgischen oder englischen, sondern von einer „interalliierten" Besatzung auf 15 Jahre als Bürgschaft für die Kriegsentschädigung, ohne daß von „Sicher- heit" die Rede sei. Die Besetzung sei also eine Bürgschaft für die Ausführung der finanziellen Bestimmungen. Und der Vertrag sehe die vorzeitigeRäumuna vor, wenn Deutschland durch Ausführung seiner Verpflichtungen seinen guten Willen beweise. Für den Augenblick sei noch keine Rede von einer Räumung der dritten Zone, die immer die immer noch von 30 000 Mann besetzt sei.
Reichskanzler Müller habe sich, da Frankreich auf den Dawesplan nicht verzichtete, im vorigen Jahre in Genf bereit erklärt, die Möglichkeit einer Flüssigmachung der deutschen Schuld zu prüfen. Das sei der Ausgangspunkt des Doungplans. Er sei bereit, den Kammerausschüssen den Schriftwechsel über die Bedingungen der Rheinlandräumung vorzulegen, so bald der deutsche Reichstag den Doun.tz- plan usw. angenommen habe. Die französischen Soldaten hätten sich bei der Rheinlandbevölkerung eine „große Wertschätzung" zu erringen gewußt. (I!) Er (Briand) sei stets der Auffassung gewesen, daß Frankreich eine möglichst starke Grenze gegen Deutschland haben mWe.^ De deutsche nationalistische Presse habe das W e rHSt r effemanns so behandelt, wie gewisse „französische Hilgenbergs" ihn (Briand) behandelt hätten. Aber was bedeuten die 4 Millionen „unter gewaltigem Druck" zusammengebrachten Stimmen bei 41 Millionen Stimmberechtigten! Deukschland müsse für die Deckung seiner Poung-Schuldverschreibungen die Einnabmen der Reichsbahn zur Verfügung stellen. Venn diese Schuldverschreibungen in Bargeld umgeseht seien, werde die Räumung beginnen, eher nicht.
Die Saarfrage sei zuerst vom Kabinett Poincare in Angriff genommen worden. Zwischen ihr und der Räumung bestehe kein Zusammenhang, sie sei auch eine Angelegenheit, die nur Frankreich und Deutschland angehe. Denn man mit der Lösung bi» zur vertragsmäßigen Volksabstimmung in fünf Jahren warten wollte, so würde Frank
reich wahrscheinlich schlecht abschneiden und zur Herausgabe der Kohlengruben durch Schledsgerichksurteil gezwungen werden, während es jetzt noch bei freier Vereinbarung eine hübsche Entschädigung herausschlagen könne.
Wenn das Parlament glaube, daß es mit seiner (Briands) Politik schlecht beraten sei, möge es einen andern Weg wählen, aber es müsse dann das für Frankreich so vorteilhafte Haager Abkommen und den Doungplan zerreißen nnd auf die ständige Ueberwachungskommission im Rheinland verzichten. Es werde dann auch keine Internationale Zahlungsbank und keine Botschafterkonferenz mehr geben. Er werde das nicht mitmachen. (Lebhafter Beifall auf allen Seiten.)
Die Fristen haben noch nicht zu taufen begonnen
Aus scharfe Angriffe des sozialradikalen Abgeordneten Albert erklärte
Ministerpräsident Tardieu: Die Räumung wird nicht früher beginnen, bis der Poungplan in Kraft getreten ist. Zuerst muß die Internationale Lank gegründet sein, und dann muß der erste Zinsabsämitt der deutschen Schuldscheine Frankreich ausgeliefert sein, erst dann beginnt die Räumungsfrist von acht Monaien zu laufen. Der 30. Juni 1930 kommt kür die Beendigung der Räumung nicht mehr in Betracht. Als man im Haag diesen Zeitpunkt sestiehke, konnte man weder den Tod Skresemanns noch die französische Ministerkrise versiersehen. Aber es ist klar, daß die Fristen noch nicht eu laufen begonnen haben, da der Poungplan noch nicht bestätigt ist.
Starke Vertrauenserklärung
Die von der „Radikalen Linken" (Partei Loucheurs) eingebrachte Vertrauenserklärung für das Kabinett Tardieu wurde um 5 Uhr früh mit der überraschenden Mehrheit von 332 gegen 253 Stimmen angenommen.
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Drei Abgeordnete, die die Politik Tardieu-Briand unterstützen wollen, sind aus der sozial-radikalen ffmksdsmo- kratijchcn) Partei ausgetreten; diese zählt sonach nur noch 118 Mitglieder.
Die Beurteilung der französischen Kammerdebatte in Berlin
Berlin, 10. Nov. In den der Reichsregierung nahestehenden Kreisen steht man auf dem Standpunkt, daß die Rede Briands nur mit Befriedigung begrüßt werden könne. Bei Beurteilung der Ausführungen des Ministerpräsidenten Tardieu über den Aoungplan müsse unterschieden werden zwischen der „Kommerzialisierung" und der „Mobilisierung" der deutschen Zahlungen. Die Kommerzialisierung bedeute lediglich die Auslieferung der deutschen Schuldtitel an die internationale Zahlungsbank, während die Mobilisierung die Flüssigmachung dieser Schuld» jitel darstelle. Für diese letztere könne Deutschland nicht verantwortlich gemacht werden. Zu den Ausführungen Tardieus über die Fristen der Räunxung wird auf bie Dokumente der Haager Konferenz hingewiesen. In der Note der Vesatzungsmächte sei erklärt worden, daß die Räumung unmittelbar nach der Bestätigung des Doung- plans und der Inkraftsetzung der dazugehörigen Gesetze beginnen solle und auf jeden Fall binnen 8 Monaten bis »um SO. Juni 1080 beendet werben müsse. Auch daS Antwortschreiben Dr. btref e ma n« beton» dies« Vereinbarungen. Man i«b« in de« «nrfllbnmoev Tardieus über Li»
Räumungsfristen „keinen direkten Gegensatz" zu diesen Dokumenten.
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Wie man in Berlin zu dieser Auslegung kommen kann, ist gegenüber der unzweideutigen Erklärung Tardieu» nicht recht verständlich.
Die Tribulbank kommt in die Schweiz
Baden-Baden. 10. Nov. Der Ausschuß für bie Errichtung der Tributbank hat unter dem Widerspruch der beide» belgischen Vertreter beschlossen, daß dis Bank ihren Sitz in der Schweiz haben soll«. Di» Belgier, die verlangt hatten, daß die Bank nach Brüssel komme, verliehen haratE die Sitzung.
Neueste Nachrichten > Ser Sklarek-Skandal
Der Fall Schenker
einigem Zusammenhang mit dem Sklarek-Skändal sicht b.l_> Angelegenheit der Firma Schenker u. Co. Der Generaldirektor der Berliner Lagerhaus- und Häfen G. rm b. H., Stadtrat Schüning, hat im Iabr 1923 mit der Wiener Tränsportfirma Schenker u. Co. einen Pachtvertrag auf 50 Jahre abgeschlossen, nachdem dieser Firma 176 000 Geviertmeter gedeckte Räume, 20 Kilometer nutzbare Hafenanlagen und 314 000 Geviertmeter Freilager- Plätze für eine Pauschalsumme von 368 000 Mark (7300 Mark im Jahr) überlassen wurden, während die normal« Pachtsumme ortsüblich etwa 3,6 Millionen Mark betragen würde. Schüning wurde im Jahr 1926 Generaldirektor dieser Lagerhausgesellschaft. Alle Angriffe im Berliner Stadtparlament gegen den vom Oberbürgermeister Böß genehmigten Vertrag blieben bisher erfolglos. Nun hat aber, wie der Südd. Ztg. aus Berlin berichtet wird, der Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Rosemann, Schüning zur Vernehmung vorgeladen.
Die SO 000 Mark-Aussteuer
In einer Wahlversammlung erklärte der Stadtverordnet« Dr. Faltz, dem Oberbürgermeister werde u. a. der Borwurf gemacht, daß Frau Böß für eine Tochter eine Ausstattung im Wert von 80 000 Mark beim städtischen Anschaffungsamt gekauft, aber nur mit einem Scheck über 2000 Mark bezahlt habe. Obgleich dem Oberbürgermeister dringend nahegelegt worden sei, sich zu den Bor- würfen zu äußern, sei aber nichts geschehen. Es müsse daher befürchtet werden, daß diese Vorwürfe von der Bevölkerung für bare Münzen genommen werden. Das städtisch« Nachrichtenamt teilt rum mit, daß der Oberbürgermeister gegen Dr. Faltz Strafantrag wegen Beleidigung gestellt hcche.^ -
Gegen die Sklaverei in Hongkong
London, 10. November. Die britische Regierung hat ihre Behörde in der britischen Besitzung Hongkong angewiesen, entschiedene Schritte zur Abschaffung des Mui- Tsat-Systems, der Adoption oder des Verkaufs von Mädchen im Als?r von 4 bis 14 Jahren als Hausangestellte, zu ergreifen. Bereits im Februar 1923 wurde ein entsprechender Erlaß, der diese Art. von Sklaverei beseitigen sollte, herausgegeben, aber offenbar ist bisher wenig in dieser Richtung geschehen. Der Minister der Dominien verlangt vor allem Registrierung, Aufsicht, Kontrolle und Löhne für dte Mädchen. Der Gouverneur soll nunmehr jedes halbe Jahr über seine Tätigkeit in dieser Hinsicht Bericht erstatten.
Der Widerstand der englischen Zechenarbeiker.
London, 9. Nov. Laut „Daily News" sieht das Kabinett die Lage, die durch die Weigerung der Zechenbesitzer, mit den Bergarbeitern in eine Besprechung einzutreten, entstanden ist, für ernst an. Die Zechenbesitzer sind entschlossen, ihre Haltung nicht zu ändern, das Kabinett geht daher unter der Voraussetzung vor, daß alles, was es unternimmt, ohne Zustimmung der Zechenbesitzer geschehen werde.
Chinesische Konferenz
Nanking, 10. November. Die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und Holland haben die Einladung Chinas zu einer Konferenz über die Exterritorialitätsrecht« (Vorrechte der Ausländer in China, nach denen sie z. B. nicht den chinesischen Gerichten unterstehen) angenommen. Die Konferenz soll am 19. November beginnen. Die Mächte erklärten, sie seien mit der Abschaffung der Ausnahmerecht« einverstanden, sobald die chinesisch« Rechtspflege denselben Stand erreicht habe wie in Europa und in den Vereinigten Staaten. — Für den Fall der Abschaffung wird jedenfalls die Siclzerheit einer Berufung gegen chinesisch« Gerichtsurteile an ein gemischtes oder an die bisherigen Konsulatsgerichte geschaffen werden müssen.