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Nr. 187 Gegründet 1827
Montag, den 12. August 1S2S Fernsprecher Nr 29 1V3. Jahrgang
Das Ränkespiel
Die Haager Konferenz
Haag, 11. Aug. Die Erwartung Briands und anderer Konferenzmitglieder, daß der englische Schatzkanzler Snowden sich in Sonderbesprechungen doch noch herumbringen lassen werde, die englischen Einwendungen gegen die im Doung-Pl-m vorgeschlagene Verteilung des deutschen Kriegstributs fallen zu lassen, hat sich bis jetzt nicht verwirklicht, und fast die ganze englische Presse unterstützt ihn in seinem Widerstand.
Das hak nun zur nächsten Folge gehabt, daß außer den
Belgiern auch die Italiener und bis zu einem gewissen
Grad auch die Japaner in die französische Front zur Rheinlandfrage eingekreten sind.
Briand hat heute diese Abgeordneten hinter sich, wenn er die Annahme des unveränderten Uoungplans die erste Voraussetzung für die Räumung nannte. Für Italien und Japan, die an der Rheinlandfrage nicht unmittelbar beteiligt sind, ist die Räumung ein Mittel geworden, mit dem sie
auf dem Umweg über Deutschland auf Snowden und
die Londoner Regierung einen Druck ausüben wollen.
Sie hoffen, daß die Deutschen, um die Räumung zu erhalten, ebenfalls auf. Snowden einwirken werden.
Bei diesem Sachverhalt hat Briand seine Taktik etwas geändert. Er erklärte sich damit einverstanden, daß „ernsthaft über die Räumung gesprochen" werde, aber alles, was darüber verhandelt werde,
solle solange wertlos sein, bis der Doungplan nicht nur angenommen, ja sogar in Kraft getreten sei.
Unter dieser Voraussetzung soll ein Unterausschuß für die Rheinlandräumung eingesetzt werden, und es heißt, hohe französische Offiziere der Besatzung sollen als Sachverständige nach dem Haag berufen werden. Die Räumungsfrage rückt dadurch tatsächlich ihrer Lösung selbstverständlich um keinen Haarstrich näher.
Ueberwachung auf 62 Jahre?
Dazu kommt noch, daß die Franzosen eine zweite Voraussetzung für die Räumung vorgebracht haben: dieVerstärkung ihres Ueberwachungsrechts im Rheinland nach Abzug der Besatzung. Der harmlose Name, den Briand dem Ueberwachungsausschuß gegeben hat: eommission äs sonsta-IEon st äs eonailiation (Ausschuß für Feststellung und Versöhnung) verfängt auch bei den blödesten Seelen nicht mehr, da jedermann weiß, daß der Ausschuß lediglich Spionage, namentlich Fabrikspionage zu betreiben haben würde. Von der Reichsregierung war die Einrichtung des Ueberwachungsausschus- ses bis 1935, wo nach dem Versailler Vertrag das Saar- gebiet zurückzugeben ist, zugestanden worden. Zwischen diesem Zugeständnis und der französischen Forderung einer füralle künftigen Z ei ten dauernden Ueberwachung soll am Freitag der «Kompromiß'vorschlag erörtert worden sein.
den Ueberwachungsausschuß für die Dauer der deutschen Tributzahlungen, also für 62 Jahre, einzusehen.
Der Ausschuß soll den Namen commission äe li- guiäation bekommen. Ein Liquidationsausschuß, sagt man, könne natürlich nicht nur bis 1935 befristet werden, sondern müsse die ganze Zeit über bestehen, in der zwischen Frankreich und Deutschland die Entschädigungsfrage offen t das heißt für die ganze Zeit, in der nach dem Versailler Vertrag Frankreich den Anspruch erheben könne, im Fall einer von der Reparationskommission festgestellten Zahlungsverfehlung Deutschlands das Rheinland wieder zu besetzen.
Es ist ausgeschlossen, daß von deutscher Seite einem solch verschlagenen Ansinnen zugestimmt werden könnte. Ausdrücklich bestimmt der Toungplan, daß mit ihm „der Krieg sofort und restlos liquidiert" werden solle. Es solle also keine „Pariser Reparationskommission" mehr, keine Besetzung, keine Ueberwachungskommission, kein weiteres „Besetzungsrecht" mehr geben; über die Ausführung des Toungplans habe allein die Internationale Reparationsbank und der dabei zu bildende Ausschuß zu wachen. Gerade Frankreich ist es, das den Toungplan unverändert angenommen wissen will. Würde der Voungplan lum Unglück Deutschlands angenommen, so dürfte es auch keine Besetzung und vollends keine sogenannte „Liqui- oatwnskommission" mehr geben. Die französischen „Voraussetzungen" sind daher eine unverfrorene Erpressung.
Wirth gegen die Dauerüberwachung
Nach der D. Allg. Ztg. erklärte Dr. Stresemann ln der politischen Kommission der Haager Konferenz, es hieße den Locarno- und Völkerbundsvertrag in Mißkredit bringen, wenn man nach der Forderung Frankreichs neue «lcherheitsbürgschaften schaffen wollte.
Dr. Wirth führte aus, er und die Zentrumspartei in
wird fortgesetzt
Deutschland seien von jeher für die Verständigung mit Frankreich und für Erfüllung eingetreten. Er könne aber nicht verschweigen, daß die Annahme einer Ueberwachungskommission auf unbestimmte Zeit den Sturz der Reich sregierung zur Folge haben werde. In Deutschland gebe es eine große Volksbewegung gegen den Toungplan. Die Mehrheit, die bisher die Stresemannsche Politik unterstützt habe, dürfe nicht zerschlagen werden.
Die Worte Dr. Wirths sollen nach der D. A. Z. nicht ohne Eindruck geblieben sein. Das Blatt berichtet aber nichts darüber, wie Stresemann und Wirth sich zu dem Kompromiß der 62jährigen Ueberwachung stellen.
Verstimmung im Haag
Snowden will «Kreisen, Mac Donald nach dem Haag fliegen?
Reuter meldet, Snowden sei bereit, nach London abzureisen, falls er bis Montag keine befriedigende Antwort auf die englischen Abänderungsforderungen zum Aoung- plan erhalte. Mac Donald dagegen unterbrach seinen Urlaub in seiner schottischen Heimat und soll in London ein Flugzeug nach dem Haag bestellt haben.
Die Stimmung auf der Konferenz wird als wenig zuversichtlich bezeichnet wegen der »Hartnäckigkeit" Snowdens. Srresemann hatte am Samstag eine weitere Besprechung mit Briand.
Briand erklärte, wenn die Konferenz an dem Widerstand einer einzelnen Macht (England) scheitern sollte, so trage die französische Abordnung keine Schuld. Im übrigen wird in Konserenzkreisen die Aeiseabsicht sowohl Snowdens wie Max Donalds in Abrede gestellt.
Die Juristen sollen die Lösung finden
In geheimer Sitzung am Freitag nachmittag besprach der politische Ausschuß weiter die Räumung und die Ueberwachung aus Grund des berüchtigten Genfer Protokolls' vom September 1928. Stresemann und Wirth erklärten, die Unterzeichnung des Protokolls durch den Reichskanzler Müller verpflichte Deutschland nur. über die Möglichkeit der Einsetzung eines neuen Ueberwachungsausschusses in eine Erörtrung einzutreten. An der Hand des französischen Textes wies dagegen Briand darauf hin, daß non Kanzler Müller und die damalige deutsche Abordnung in Genf nicht nur die Besprechung, sondern dietatsäch - liche Einrichtung eines solchen Ausschusses anerkannt worden sei. Derselben Ansicht waren die Vertreter Englands, Belgiens, Italiens und Japans. Da man zunächst nicht einig wurde, schlug Briand vor, aus den Juristen der sechs Abordnungen einen Unterausschuß zu bilden, der die Streitfrage juristisch begutachten soll. Der Antrag Briands wurde angenommen.
Das bisherige Ergebnis
Praktisch haben die deutschen Vertreter schon eingewilligt, daß „die Voraussetzung der Räumung ein befriedigender Verlauf der Arbeiten des finanziellen Ausschusses" (TvlMgplan) ist. Ob unter .befriedigender Verlauf" die Annahme des Poungplans oder dessen Inkrafttreten, das heißt nach französischer Forderung die „Kommerzialisierung eines Teils des ungeschützten deutschen Tributs, zu verstehen ist, ist noch nicht klar abzusehen. Der Poung-Plan ist also in jedem Fall das erste und die Räumung das zweite, seine politische Folge. Außerdem ist es, wiederum praktisch politisch gesehen, so gut wie ausgemacht, daß anden Ueberwachungsverhältnissen, wie sie gegenwärtig vertragsmäßig bestehen, irgend etwas geändert ist. was den Franzosen als eine ausreichende Sicherheit erscheint. Ob diese Sicherheit irgendwie zeitlich befristet oder ob sie grundsätzlich unbefristet gegeben wird, ist eine vorläufig noch offene Frage.
Man möchte hoffen, daß es den Franzosen nicht so glatt, wie sie heute noch meinen, gelingen wird, auch diesen Teil des deutschen Standpunkts so durch geschickte Wörter und Sätze zu überwinden, wie jenen Teil, der doch besagte, daß die Räumung des Rheinlands ein rechtlicher und moralischer Anspruch Deutschlands, unabhängig von der Reparationsfrage, sei.
Neueste Nachrichten
Arbeitslosenversicherung
Berlin, 11. Aug. Am Samstag hat zwischen den hier anwesenden Ministern ein Meinungsaustausch über die Frage der Arbeitslosenversicherung stattgefunden.
Die preußischen kircheuverkrage
Berlin, 11. August. Am 13. August wird das preußische Kabinett die Richtlinien erörtern, die bei den kommenden Verhandlungen mit den evangelischen Kirchen maßgebend sein werden. Der Austausch der Urkunden über das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem preußischen Staat wird am 13. August, 1 Uhr, erfolgen. Der Vertrag ist von sämtlichen Mitgliedern des Kabinetts unterzeichnet.
Riesenprozetz gegen Banderolenfälscher
Vor dem Schöffengericht Berlin Mitte beginnt am Montag der auf 6 Wochen berechnete Prozeß gegen eine Reihe von Fälschern von Banderolen (Steuerbändern für Zigaretten) usw., die das Reich um viele Millionen geschädigt haben. Seit 1924 tauchten in Dresden. Köln, Hamburg und Berlin Gruppen von Zigaretten-Fabrikanten und Händlern auf, die mit Banderolenschiebungen arbeiteten. Es wurden berufsmäßige Einbrecher gedungen und im Einvernehmen mit Zollbeamten fanden Ein - ^ruchsdieb stähle bei den Zollämtern statt. Weiter verlegte man sich darauf, mit gefälschten Bestellbüchern Steuerzeichen zu erschwindeln. Den größten Umfang erreichten die Betrügereien, als man mit der Herstellung gefälschter Banderolen anfang. Ar» allen Orte? Deutschlands tauchten Zigaretten mit gefälschten Steuerbändern auf. In Dresden wurde die Fälscher- zentrale ausgehoben. Den an der Geheimdruckerei beteiligten Fälschern ist bereits der Prozeß gemacht worden, weitere Strafverfolgungen schweben in Köln und in Hamburg. In Berlin haben sich 30 Personen, darunter verschiedene Zollbeamte, zu verantworten. Die Hauptangeklagten °md die Kaufleute F. Syre und Brand, ferner die Zigaret- renfabrikanten Franz Apisdorf, B. und A. Kapusta, Karl Löser, R. Schüsseler, Moritz Rotmann, Wilhelm Löhrke, A. K r a k au e r, A. Neumann, Jungermann, Cohn, Löwenthal, Otto Nitzke, Salomo und Emil Lübeck, Simon Hirfch- feld. Wie groß der Anteil einzelner Angeklagten ist, geht aus den Strafbefehlen hervor, die die Steuerbehörden er- lassen haben. So lautet der Strafbefehl gegen Krakauer auf S60 000 Mark, gegen Brand auf 110 000 Mark.
Ablehnung des chinesischen Wunsches nach Aufhebung de»
Exterritorialrechks
London, 11. August. Reuter meldet aus Washington, die amerikanische Antwort auf den von China geäußerten Wunsch nach Aushebung der Fremdenvorrechte bezüglich des Gerichtsstands, wonach Rechtssachen der Fremden in China nicht von den chinesischen Gerichten, sondern von den eigenen Konsulatsgerichten abzuurteilen sind, sei der chinesischen Regierung zugestellt worden. Es wird angenommen, daß die amerikanische Regierung zu verstehen gebe, daß die Zeit für die Aufhebung der Sonderrechte noch nicht gekommen sei. Auch die anderen Mächte sollen in ihren Noten den chinesischen Vorschlag abgelehnt haben.
China bleibt fest
Schanghai, 11. August. Der chinesische Außenminister erklärte einem Zeitungsvertreter gegenüber auf die Frage nach dem Stand der Verhandlungen mit Sowjetrußland, ein Fortschritt in den Verhandlungen sei niemals zu verzeichnen gewesen, weil die Sowjetunion auf der Forderung bestehe, russische Beamte in die leitenden St-'len der ostchincsischen Eisenbahnverwaltung wiedereinzustellen. Nanking könne keinesfalls auf diese Forderung eingehen, da es russischen Beamten nicht vertrauen könne. Die chinesische Regierung sei entschlossen, fest zu bleibeo, und sieht dies als den einzig möglichen Weg an.
Württemberg
Stutkgark, 11. August. Von der Technischen Hochschule. Der Staatspräsident hat die ordentliche Professur für deutsche Literatur und Aesthetik an der Technischen Hochschule Stuttgart dem Professor Dr. Hermann Pongs an der Universität Groningen übertragen.
Verleihung der Rettungsmedaille. Der Staatspräsident hat dem Fabrikarbeiter Paul Krugger in Scheer a. D-, Oberamts Saulgau, und der Frau Emma Herold, Ehefrau des Sattlermeisters Hubert Herold in Oedheim, Oberamts Neckarsulm, die Rettungsmedaille verliehen.
öOjähriges Berussjubiläum. Direktor Höhl bei der Württ. Girozentrale Stuttgart kann in diesen Tagen auf eine 50jährige Tätigkeit im württ. Verwaltungsdienst zurückblicken.
Meisterprüfungen im Handwerkskammerbezirk. Nach Mitteilung der Handwerkskammer Stuttgart werden in diesem Epätjahr wieder in allen Gewerben Meisterprüfungen von der Kammer abgehalten. Zur Borbereitung auf die Prüfungen veranstalten sie in Buchführung. Wechsellehre und Geseheskunde Tages- und Abendkurse. Die Tageskurs» dauern zwei Wochen, die Abendkurse etwa drei Monate.