Seite 2 — Nr. 171
Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter*
Mittwoch, 21. Juli 192g.
des Entschlafenen auch ihm für seine Arbeit maßgebend sein.
82 Grad Wärme. Heute mittag vor 12 Uhr wurden auf dem Weißenhof in Stuttgart in der Sonne 52 Grad Celsius gemessen.
Der tägliche Wasserverbrauch der Stadt Stuttgart beträgt in der gegenwärtigen Sommerhitze etwa 90 Millionen Liter, wovon die Landeswasserversorgung die größere und weitaus bessere Hälfte, nämlich 52 Milllonen Liter liefert.
Vom Tage. Beim Baden im Neckar, am Hofener Wehr, ist ein 17 I. a. Schreinerlehrling aus Schmieden ertrunken.
In einem Haus der Hasenbergstraße verübte am Samstag vormittag ein 62 I. a. Witwer Selbstmord durch Erhängen. — In einem Hinterhaus der Rotebühlstraße versuchte sich eine 29 I. a. Hilfsarbeiterin aus Liebeskummer mit Gas zu vergiften. Das Vorhaben konnte rechtzeitig verhindert werden. — In einem Haus der Heidehofstrahe verübte ein 51 I. a. Fräulein Selbstmord durch Gasvergiftung.
Aus dem Lande
Ludwigsburg. 23. Juli. Störungen im Zugsverkehr infolge der Hitze. Samstag nachmittag mußte lt. Ludwigsburger Zeitung der hier 13.15 abgehende Schnellzug vor der Station Bietigheim angehalten werden und bis zu der Weiche vor Tamm zurückfahren, da dis Schienen, die erst im letzten Jahr verlegt wurden, infolge der großen Hitze sich so sehr ausdehnten, daß sie sich unter dem gegenseitigen Druck verbogen. Ueber den Bietigheimer Viadukt, der wegen Umbaus zurzeit nur eingleisig befahren werden kann, gab es auch eine vollständige Stockung, da auch hier unvorhergesehene Ausdehnungen die Auswechslung von Schienen notwendig machten. Die Züge erlitten zum Teil größere Verspätungen.
Rottwett, 23. Juli. Jugendherberge. Die im St. Lorenz-Ort, dem schönsten Winkel von Rottweil errichtete Jugendherberge, wurde am Sonntag mit einer schlichten Feier eingeweiht.
Schramberg. 23. Juli. Noch keine Einigung in der Eingemeindungsfrage. Im Hotel „Lamm" hier fand eine öffentliche Sitzung der Gemeinderäte von Schramberg, Sulgen und Sulgau statt, zu der sich über 100 Zuhörer aus den drei Gemeinden eingefunden hatten. Ueber eine Vertragsbestimmung, wonach Schramberg bei der Einverleibung, alle Werte und Schulden der 2 Gemeinden mit Ausnahme der Wasserleitung übernimmt, deren Kosten und Tilgung von diesen weiter auf 10 Jahre getragen werden sollen, konnte keine Einigung erzielt werden. Die beiden Gemeinderäte von Sulgen und Sulgau verkündeten den einstimmigen Beschluß, die Wasserleitung noch auf 3 Jahre zu behalten, bezeichneten dies aber als äußerstes Entgegenkommen. Der Gemeinderat von Schramberg sprach sich dafür aus, die Verhandlungen nicht abzubrechen, sondern zu vertagen.
Heidenheim, 23. Juli. 15. Verbandstag des württ. Schuhmacherverbandes. Am Samstag und Sonntag fand hier der 15. Verbandstag des württ. Schuhmacherverbands statt. Am Samstag wurde in der Olgaturnhalle eine Warenschau eröffnet. Abends war Vertreterversammlung. 2hn Sonntag war im Konzerthaus die Hauptversammlung, die vom Verbandsvorsitzenden Schöffel eröffnet wurde. Das 1. Referat hielt Schuhmachermeister S ch r e t t e n br u n n e r-München über „Geist und Arbeit eines modernen Schuhmachers" und das 2. Referat Syndikus Nachbaur-Ulm über „Das Schuhmacherhandwerk im Wirtschaftskampf der Gegenwart". In einer Entschließung wurde Abbau des harten Steuerdrucks gefordert. Den Abschluß bildete ein Unterhaltungsabend im Konzertbaus.
Ariedrichshafen, 23. Juli. Durchschwimm ung des Bodensees. Die Romanshorner veranstalten im August ein internationales Schwimmen durch den Boden- s e e. Das Einüben der einzelnen Wettbewerber hat bereits begonnen. Am Sonntag früh 6 Uhr schwammen vom Fried- rimshafener Gondelhafen aus der bei der Friedrichshafener Stadtgärtnerei beschäftigte 25 Jahre alte Max Preuß in 1H Stunden nach Romanshorn, begleitet von einem Paddelbootfahrer. Damit hat er den Rekord über die beiden „Bodensee-Schwimmerinnen" Stert und Braunwarth glänzend geschlagen. Bei guter Witterung will Preuß nächsten Sonntag feine Leistung wiederholen-
Köngen OA. Eßlingen, 23. Juli. VersuchteBrand- st i f l u n g. In Abwesenheit des Gutspächters Kazmaic auf dem Lerchenhof entdeckte dessen zu Besuch anwesende Bruder nach Einbruch der Dunkelheil in einer Scheuer ei en Lichtschein. Er, sowie der herbeigerufene Gutsbesitzer. Dr. Wellhäuser sahen nach und fanden drei aus Pappdeckel befestigte und auf das Heu gestellte Kerzen, die beinahe abgebrannt waren. Pappdeckel und Heu waren mit Petroleum getränkt. Die Brandkommission stellte fest, daß die abgerissenen Pappdeckelscheiben ganz genau mit Resten zu- fammenpaßten, die man in der Wohnung des Gutspächters gefunden hatte. Auch konnte festgestellt werden, daß Kaz- maier am selben Tag drei Kerzen von der Art der in der Scheune gefundenen in einem hiesigen Laden gekauft hatte. Kazmaier wurde deshalb, wie die Eßlinger Zeitung berichtet, als der versuchten Brandstiftung verdächtig in einem Ort des Oberamts Münsingen verhaftet.
Lp. Großheppach. 23. Juli. Kirchenerneuerung. Nachdem die hiesige Kirche erst vor drei Jahren im Innern einen neuen, sauberen Anstrich von Wänden und Holz bekommen hat, konnte letzten Sonntag wieder Kirchweih« gefeiert werden. Und das im Zusammenhang mit der Stiftung der Frau Brooks-Aten aus Neuyork, einer Enkelin des Heimattreuen einstigen Großgärtnereibesitzers G. Ellwanger in Rochester, der vor 36 Jahren seiner Heimatgemeinde die Mittel zu gründlicher Erneuerung der Kirche gegeben hatte. Jetzt ist die ganze vom Chorbogen übriggelassene Stirnwand der Kirche mit Fresken von der Künstlerhand Ernst Gräsers geziert. Außerdem ist durch ein vom gleichen Künstler entworfenes, von Saile - Stuttgart meisterhaft ausgeführtes farbiges Rundfenster für den Eintritt von gedämpftem Lichl in die bisher etwas kahle Kirche gesorgt worden; es stellt Johannes auf Patmos dar. In feierlichem Gottesdienst mit Gemeinde- und Chorgesängen, mit Würdigungsrede über die Kunstwerke und Festpredigt des Ortspfarrers Lang, mit erhebenden Worten des Dekans Buck-Waiblingen wurde die Kirche wieder in Gebrauch genommen. Ein würdiger Festgruß seitens der Stifterin wurde verlesen. Der anwesende Vertreter derselben, General a. D. Baun- Stuttgart hatte zuvor schon an dem schönen Grabdenkmal für den Stammvater der Stiftenden einen Kranz mit Schleifen in den württembergischen und den amerikanischen Farben niedergelegt. Das in der Sakristei hängende Bild des „Kirchenstifters" war festlich geschmückt
Urach. 23. Juli. Die Eröffnung der „Urach er Heimatwoche". Die „Uracher Heimatwoche" wurde am S mittag vormittag in der Turnitz des Schlosses, in öer auch die vom Schwäbischen Albverein und dem Fremdenoerkehrsverein Urach veranstaltete Ausstellung „Urach in der Kunst" untergebracht ist, feierlich eröffnet. Eine große Zahl von Gästen hatte sich zu der Eröffnungsfeier eingefunden.
Heilbronn, 23. Juli. Abschiedspredigt von Kirchenpräsident Wurm. Des zum Kirchenpmii- dent erwählte, seit 2 Jahren in Heilbronn als Nächst r Prälat Hofmanns amtierende Prälat Th. Wurm, l t gestern in der dichtgesüllten Kilianskirche leine Absch - predigt, die ein Gelöbnis war zu ausgleichendem Bemu r innerhalb der von sozialen und dogmatischen Gegensäg.n nicht unberührt gebliebenen Kirche Württembergs.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 24. Juli 1929.
Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur. Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen. Unauflöslich muß sie sein, denn sie bringt so vieles Glück, daß alles einzelne Unglück dagegen nicht zu rechnen ist.
Goethe.
Dienftnachrichteu.
Der Herr Staatspräsident hat eine Lehrstelle an der katholischen Volksschule in Nasgenstadt OA. Ehingen dem Hauptlehrer Dußling in Gündringen OA. Horb übertragen.
Postalisches
Vom 1. August ab können im Jnlandsverkehr wieder — wie früher — bis zu 3 Pakete auf eine Paketkarte versandt werden. Nur Paketen mit Nachnahme ist auch künftig je eine besondere Paketkarte beizugeben. Auf gemeinsame Paketkarte dürfen nur Pakete gleicher Art, also entweder nur gewöhnliche Pakete oder nur unversiegelte oder nur versiegelte Wertpakete befördert werden. Bei versiegelten Wertpaketen muß der Wert eines jeden Pakets auf der Paketkarte besonders angegeben sein, während bei unversiegelten Wertpaketen, deren Wertbetrag bei allen gleich sein muß, der Wert nur einmal angeben zu werden braucht.
Württ. Bolkstheater
Wohl durch die ungeheuerliche Hitze bedingt war der Besuch der gestrigen Aufführung „Das 4. Gebot" von Anzengruber ein so geringer, daß die Vorstellung abgesagt und auf Freitag verlegt wurde. Wir wünschen den Spielern sodann einen besseren Erfolg.
Reigen- und Liederabend auf dem »Schlotzberg
Der M. V. N. schreibt uns:
Auf mehrfachen Wunsch wird am nächsten Donnerstag abends 8.15 Uhr, der Abend der vorletzten Woche wiederholt werden mit einigen Aenderungen im Programm. Bei regnerischem Wetter wollen wir auf eine Wiederholung verzichten.
Tropische Hitze — Gewitter und Sturm
Seit einigen Tagen hält nun schon die ungewöhnliche Hitze an. die das Thermometer im Schatten über 30 Grad heraufdrückte. In der Sonne darf man ruhig noch 10—15 Grad zulegen. Der flotte Gang der sonst eifrig und geschäftig laufenden Menschen war langsam und müde, auch in den Werkstätten und Büros wollte die Arbeit garnicht so leicht wie sonst von der Hand, und wenn man sodann noch Jpser oder Maler aus ihren Gerüsten an den glutbrütenden Hauswänden sah, pries man das Schicksal, daß einem selbst ein kühles Büro zugedacht hat. Im Familienbad — auch Modebad. Moorbad u. a., je nach Einstellung, genannt — ist Hochbetrieb, denn jeder, soweit es ihm möglich ist, versucht der Hitze durch einen kühnen Sprung in die kühlen Nagoldfluten zu entrinnen. Hitzschläge wurden uns in diesen Tagen noch keine bekannt, ebenso im Gegensatz zu anderen Städten keine Unfälle beim Baden. Von neuem ein Zeichen, daß Unfälle nicht Vorkommen müssen, sondern bei genügender Vor- und Einsicht fast vermieden werden können. (S.„Beste Vadestunde").—Gestern abend nun, so gegen die 11 Stunde, war es auf einmal, als ob Furien über das Land, durch die Baumkronen, die Straßen entlang, über Dächer Hetzen, an allen rissen und zerrten, fauchten und keiften. Von welcher Seite der Sturm kam, konnte man innerhalb der Stadt garnicht feststellen, von allen Seiten packte er an. So wurden ungeheure Staubmengen emporgewirbelt, daß einem das Atmen verging, Plakatschilder von den Häusern, Ziegel von den Dächern gerissen, Wellblechschuppen veränderten ihren Standort, die Kastanienbäume auf dem Stadtacker hatten nicht die Kraft zu wiederstehen, wurden zum Teil schwer ramponiert und legten ihre Aeste quer über die Bahnhofstraße, auf der Insel wurde eine große, mächtige Linde umgerissen, hier dies und dort jenes und schließlich vieles, das uns noch garnicht zu Ohren gekommen ist. Rings herum hatten sich inzwischen einige schwere Gewitter zusammengeballt, die den Weg aber nur bis an die Tore von Nagold fanden, einen gar kleinen Regenschauer abgaben und mürrisch grollend wieder verschwanden. Inzwischen hat sich die Wetterfahne auf dem Schloßberg nach Westen gedreht, das Barometer ist um bald 3 Strich gefallen und es bleibt nun abzuwarten, ob der lang anhaltenden Kälteperiode vom Jahresbeginn nun eine Hitzewelle von längerer Dauer folgen soll.
Die beste Badestunde
Es gibt Menschen, denen das Baden überhaupt nicht schadet, mögen sie es auch noch so sehr ausdehnen; aber bei der Mehrzahl gehen die wohltätigen Wirkungen verloren, wenn man nicht gewisse Regeln befolgt; ja, es können sogar Schädigungen entstehen. Die beste Badestunde ist von den Aerzten etwa um 11 Uhr vormittags festgestellt worden. Dann hat nicht nur die Temperatur des Körpers nach ihrem Fall am frühen Morgen ihre normale Höhe erreicht, sondern auch die Lufttemperatur ist genügend er-
ll.scttiEioük-foeksil.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 47)
Sie winkte einer Autodroschke und nannte Straße und Nummer. Der Chauffeur sah die elegante Frau in den langen, kostbaren Pelzmantel prüfend an, als habe er falsch verstanden.
„Pattenbergstraße 26! — Sie haben doch gehört".
Er verneigte sich, klappte den Schlag hinter ihr zu und sprang auf den Führersitz. Schmutziges Schneewasser spritzte zu beiden Seiten gegen die Wandung. Ab und zu stieß die Hupe einen kurzen warnenden Ton in das Schneegestöber, das von Regentropfen durchsetzt wurde. Lichtersunkelnde Auslagen rannten draußen vorüber Strahlenbündel schossen über den Asphalt und ertranken in trüben, schwarzbraunen Lachen zerronnenen Schnees. Wenn ein Wagen dem ihren entgegenkam, fielen Ritas Lider geblendet herab.
Dann wurden die Straßen dunkler, die Lichterfülle wich einem matten Dämmer. Hinter schmalen Fenstern verströmte rötlich weißes Licht und zeichnete groteske Bilder auf den Gehsteig. Wie häßlich der Wagen mit einem Male zu holpern begann! Es warf sie hoch und rechts und links. Hier gab es keinen Asphalt mehr, nur Pflaster schlechtester Güte.
„Plattenbergstraße 26".
Rita stand auf dem Trittbrett und suchte, wohin sie ihren Fuß setzen konnte. Vor, hinter und neben dem Wagen gähnte eine schlammig weiße Masse.
„Ich bin bis dicht an den Gangsteig gefahren, gnädige Frau! Weiter ging es nicht mehr!" sagte der Chauffeur achselzuckend.
Sie nickte dankend und entlohnte ihn.
„Wünschen Gnädigste, daß ich warte?"
Sie sah nach ihrer Uhr am Handgelenk. — „Sechs Minuten vor Elf — und verglich die Zeit mit den Ziffern, die aus der Helle des Wagens leuchteten — Können Sie in zwei Stunden wiederkommen? — Sie brauchen nicht
zu läuten! Geben Sie dreimal hintereinander ein Hupensignal. Das genügt!"
„Gewiß, gnädige Frau!"
Der Chauffeur sah sie noch stehen, als er bereits um die Ecke bog. Die Welt war groß und rund und zuweilen lächerlich spaßhaft. Als ob es im Zentrum nicht genügend Männer gäbe! Dies vornehme Weib suchte sich ihren Geliebten hier draußen in dem verrufensten Viertel. — Ihm konnte es übrigens gleich sein. Jeder verschaffte sich sein Pläsier wie und wo es ihm eben paßte.
Als das Licht der Scheinwerfer an der Straßenbiegung verfloß, drückte Rita auf einen Knopf, der kaum mehr in der schwarzen kleinen Holzscheibe Halt fand. Ein müder, verschlafener Schritt tappte die Treppe herab, dann zitterte schwaches Kerzenlicht durch die geöffnete Tür.
„Guten Abend, Frau Karsten, — Ist mein Bruder schon zu Hause?"
„Noch nicht, Fräulein Ebrach, aber er wird wohl nicht mehr lange bleiben". Die alte Frau, welche das Kerzenstümpfchen hochhielt, kuschelte sich frierend unter dem dünnen Schal zusammen, den sie mit der Linken über der Brust festknüpfte. „Es ist ein paar Tage wieder recht schlimm mit ihm gewesen!" sagte sie und ging ihr voran die Treppe hinauf.
„Er hat wieder getrunken?"
„Viel!"
Bier?"
^Branntwein, Fräulein Ebrach! — Branntwein! — Das ist noch ein gutes Stück schlimmer. Ich wollte ihm die Flasche wegnehmen, aber da hätte er mir alles kurz und klein geschlagen. — Da Hab ich sie ihm wieder hingestellt".
Rita sprach kein Wort mehr, bis sie die schwindelnde Höhe des fünften Stockwerkes erklommen hatte. Ihre Kehle gab keinen Laut mehr von sich. Nur ihre Lungen
chten.
„Wollen Sie ein bißchen zu mir hereinkommen, Frau- r? Bei mir ist es warm!" sagte die Alte höflich.
„Er hat nicht geheizt?" fragte Rita. — Sie fand noch ner nicht genug Atem.
„Ich hätte ihm Kohlen verschafft, Fräulein. Er wollte re. Er hätte kein Geld für so etwas, sagte er".
„Hat er feine Miete bezahlt?"
„Auf den Heller. Fräulein! — Nein, nein, das tut er jt, daß er mir etwas abdrückt. Ich könnte mich sonst
nicht beklagen über ihn! — Nur manchmal — da meine ich, ich hätt es mit einem Wahnsinnigen zu tun, so lärmt und wütet er".
Rita ließ sich das Zimmer aufsperren und trat ein. Eine eisige Kälte strömte ihr entgegen. Die Alte hielt die Kerze in die Höhe, daß ihr schwach rötlicher Schimmer die kahlen Wände beleuchtete. „Ich habe ihm gesagt, er solle das Bett weiter weg von der Mauer rücken. Es regnet ein bißchen herein jetzt, und die nassen Flecken können nicht trocknen, weil er nicht heizt. Aber er will nicht. Es ist ein Kreuz mit ihm. Gut, daß er solch eine Schwester hat. Einen Bruder, nicht wahr, den läßt man nicht untergehen, den hält man, solange es geht. Ist halt das gleiche Blut! Das treibt in der Not immer wieder zusammen".
Ritas Gesicht brannte in einer sengenden Röte. Körperlich aber fror sie. Es war unmöglich, hier auf ihn zu warten. „Können Sie mir etwas Holz borgen, Frau Karsten? Man erfriert ja förmlich hier herinnen". — Sie legte ein Geldstück auf den Tisch.
Ohne es vorerst zu nehmen, entfernte sich die Alte und kam mit einem Bündel Späne und einem Eimer Koks zurück. Wortlos begann sie Feuer in dem eisernen Ofen anzufachen. Kaum flammten die ersten Späne auf, prasselte und purrte es in dem schwarzen Rachen.
Das Geräusch hatte etwas friedlich Beruhigendes. Die Petroleumlampe, welche auf dem wackligen Tische stand, warf einen breiten Streifen gemütlicher Helle durch das Zimmer, daß die nassen dunklen Flecken an Decke und Wänden wie Kristall aufblitzten. ^ .
„Ich danke Ihnen, Frau Karsten. Lassen Sie die Kohlen hier, bitte". Rita wies auf das Geldstück.
„Es ist zuviel" wehrte die Alte bescheiden.
„Nehmen Sie es nur! — Wenn mein Bruder kommt, dann leuchten Sie ihm, bitte, die Treppe herauf".
„Ich tu's immer, Fräulein! Allein fände er seinen Weg nur in den allerseltensten Fällen". Es war das erstemal, daß die alte Frau lächelte. Dann verschwand sie gerausch-
iita trug sich den einzigen Stuhl, der in der Stube >, zum Ofen und hielt ihre Hände gegen das ElseG
langsam zu glühen begann. Ihre Augen suchten durch rmselige Enge des Zimmers. Entsetzlich rch entsetzlich!
war das!
lllortiekuna folgt.