Montag, 9. Juli 1928
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Ar. ISS
Gegründet 18N
Dienstag, den 1V. Juli 1028
Fernsprecher Nr. 29
102. Jahrgang
In der Sitzung des Reichskabinetks am Moniag wurden die Vorlagen des Straferlasses, der Senkung der Einkommensteuer und der Stand der Handelsverkragsverhandlungen mit Polen besprochen. Wie verlautet, will Reichsfinanz- minister Hrlferding sich die Ermächtigung geben taffen, die Lohnsteuer schon ab 1. August zu senken.
Anläßlich des 9V. Geburtstags des Grafen Zeppelin fand am Sonntag in Friedrichshafen auf der Zeppelinwerft d'e Taufe -es neuen L. Z. 127 auf den Namen «Graf Zeppelin " stakt. Reichspräsident v. Hindenburg sandle ein Glückwunschtelegramm.
Der Kamps am Mitteleuropa
Durch das mitteleuropäische Gebälk knistert diplomatische Krise. Die staatlichen Dachgerüste von 1919 leiden an Einsturzgefahr. Man hatte sich an diesen Zustand schon beinahe gewöhnt, und die internationale Politik der Großmächte schenkte Jahre hindurch dieser kritischen Entwicklung keine besondere Beachtung. Die Paktpolitik der Völkerbundshäupter biß sich im Westen fest, knabberte nervös an den Ostfraoen und veranstaltete Ringkämpfe in den verschiedenen Mittelmeerzonen. In Genf' manövrierte der Tscheche Be ne sch im Sinn der französischen Marschlinie, die von der leicht entzündbaren Atmosphäre über dem Raum des ehemaligen österreichich-ungarischen Reichs ablenken wollte.
Aber Mussolinis scharfe Augen ließen sich nicht täuschen. Er spähte nach neuen Möglichkeiten einer aktiven europäischen Außenpolitik unter seiner Führung und fand sie in Mitteleuropa. Im Westen und im Osten konnte er nicht recht mitspielen, im Mittelmeer gab es höchstens einige kleine Achtungserfolge zu holen, was er prompt besorgte. Aber rings um die Donau war mehr zu machen. Und so gab Italien, ehemals erfolgreicher Teilnehmer an dem großen Beutezug des ersten Nachkriegsjahrs, selber die Parole aus: Aenderung der Friedensverträge. Solange nur die Geschädigten von damals aus den Zwangsjacken von St. Germain und Trianon hinausdrängten, nahm man im Lager Frankreichs und seiner Trabanten die Sache nicht allzu schwer. Aber die Pläne Italiens bedeuteten für Frankreich einen empfindlichen diplomatischen Schlag.
Als Mussolini den Freundschaftsbund mit Ungarn vorbereitete und allmählich fester knüpfte, wußte man Bescheid. Budapest wurde das mitteleuropäische Außenfort der italienischen Politik. Die Rollen wurden gut verteilt. Mussolini agierte mit dem Schwergewicht eines fest in seinen Händen befindlichen Staatsmillens. Ungarn zeigte den heroischen Auftrieb der unterdrückten Volksseele und verlangte seine „ewigen Rechte". Die öffentliche Meinung der Welt wurde von den angelsächsischen Ländern her in Bs- wegung gesetzt. Der Londoner Zeitungsmann Rotherme re, der Gelehrte Robert Donald und mancbe andere lA 9 ten für politisches Trommelfeuer. In der Senatsrede Mussolinis in der ersten Junihälfte erreichte dies Vorgehen sozusagen seinen ersten offiziellen Höhepunkt. Kurz darauf erklärte der ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen m einer Unterredung mit dem Vertreter eines deutscken Vlatts, daß die diplomatische Vorherrschaft der Kleinen En- wnte in Mitteleuropa gebrochen werden müsse. Auch Deutschland bätte alle Veranlassung, in den mitteleuropäischen Krisenfragen tätiger zu sein.
Inzwischen erfolgte der Gegenstoß des Beneschonzerns, der zwar unter französischem Einfluß steht, "der sich neuerdings gern den Anschein gibt, auch mit Ber- !" >n gemeinsamer Fühlung zu stehen. Das ist freilich nur Maskierung, denn der geistige Führer der Kler- will Deutschland von seinen mitteleuroväischen i-anen völlig fernhalten. Während seines Berliner Aufent- li "Ä* ""ch ",och einige Zeit hinterher, verheim. ^in? Driesch die Tatsache, daß er eine mitteleuropäische Interessengemeinschaft mit Anschluß Deutschlands plane. mUbi?" Bukarest kam es heraus. Die Nachfolgestaaten """ endlich die wirtschaftliche Donauföderation ver- aenon eine deutliche Spitze gegen Italien,
" Deutschland, gegen Oesterreich und gegen Ungarn, vern-^ Seipel vrotestierte im Nationalrat recht
N».-^ - , Oesterreich würde sich niemals vom Deutschen
wirtschaftlich und damit auch kulturell trennen. e!n° m hatte man mit höhnischer Miene erklärt,
n-„ 7 ,D'Rchlußfrage bestehe überhaupt nicht und die Kleine Zur Hüterin aller donauländischen Interessen Kitt-iwr Bukarester Konferenz fielen recht bitter- w „ ^Ete gegen Ungarn. Man sagte Budapest und meinte Dau"^ Wien und meinte Berlin. Auf die
um?" *Ed Deutschland um eine Stellungnahme nicht her- ^5 guten Beziehungen nach allen Seiten sind ai>o„ eine schöne und bequeme außenpolitische Formel-, N .""l.die Dauer führte diese Passivität doch nur zu itoli- in allen Himmelsrichtungen. Die deutsch-
Ei<> r n Beziehungen können nicht ewig unklar bleiben.
vor "HEM nicht auf bloße Stimmungen oen. Weder die weltanschauliche Einstellung für oder
Der Höhepunkt des Nobile-Skandals
Einem amerikanischen Zeitungsberichterstatter erzählt Nobile an Bord der „Citta di Milano", der norwegisch- Meteorologe M a l m g r e n, der den Polarflug mit der „Jtalia" mitmachte, habe sich nach dem Absturz des Luftschiffes das Leben nehmen wollen, da er an keine Möglichkeit der Rettung mehr glaute. Er (Nobile) habe den Gelehrten von seiner Absicht abgebracht. Sie haben dann vom Fleisch eines Eisbären gelebt, den Malmgren danach erlegte. Zum Kochen mußten alle photographischen Apparate verfeuert werden. Malmgren habe sich dann mit zwei italienischen Seeoffizieren aufgemacht, um Hilfe zu suchen; sie feien auf die. Insel Foyon gelangt und seitdem verschollen.
Trotz des verhängnisvollen Ausgangs der Luftfahrt, fuhr Nobile fort, es seien doch wissenschaftliche Ergebnisse erzielt worden. Ursprünglich habe er drei Flüge geplant: einen nach Nikolaus ll-Land, den zweiten nach dem Pol durch Grönland und den dritten zum Pol mit östlichem Rückflug nach Spitzbergen. Tatsächlich sei die „Jtalia" auf dem westlichen Weg zum Pol und auf dem östlichen zurück- geslogen, di.es ganze Polgebiet sei in einem nahezu oier- zigstündigen Flug erkundet worden. Die dabei von dem Physiker Bekonnerk und Prof. Potremole gemachten Beobachtungen seien gerettet; besonders wertvoll seien die Beobachtungen über den „Horizontal-Komponenten des Polarmagnetismus". „Wenn ich nur nicht entschlossen gewesen wäre." schloß Nobile, „die italienische Flagge am Jahrestag von Italiens Eintritt in den Weltkrieg am 24. Wai 1815 auf dem Pol aufzupflanzen, so wäre das ganze Anglück sicher vermieden worden."
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Nobile erklärt also, nur um die italienische Flagge auf dem Nordpol am Jahrestag von Italiens Eintritt in den Krieg aufzupflanzen, sei er zu dem letzten Unglücksflug auf- gestiegen. Damit ist wohl der Höhepunkt des Nobile-Skandals erreicht. Dafür also sind 20 wertvolle Männer beinahe hoffnungslos verschollen. Man weiß, daß weder der meteorologische Sachverständige Malmgren noch der Ingenieur Mariano einen Flug an jenem Tag für geraten hielten, und daß sie mit Rücksicht auf die ungüstigen Wettermeldungen davor warnten. Diesem peinlichen Jubiläum zuliebe hat Nobile alle Vernunft außer acht gelassen. Deutlicher konnte Nobile nicht sagen, daß die Wissenschaft nur ein Deckmantel für einen italienischen Reklameflug war. Man kann die Erbitterung in ganz Norwegen gegen den
Nobile-Rummel wohl verstehen, da auch Amundsen, wie aus dem Bericht Nobiles nun hervorgeht, sich lediglich für die italienische Flagge geopfert hat.
Neue Nobile-Opfer
Kaum ist der russische Flieger mit Not, B a b u s ch k i n, zurückgekehrt und Lundborg gerettet, so kommt die Nachricht, daß noch ein andrer Helfer vermißt wird. Der Alpenjägerhauptmann Sora verließ vor etwa 16 Tagen mit einem Hundegespann Nyalesund in östlicher Richtung, um längs der Nordküste des Nordostlandes vorzudringen und zu versuchen, die Viglieri-Gruppe zu erreichen. Die Expedition sollte auf Schneeschuhen über das Eis gehen. Sora hat nur sehr wenig Proviant und Materialien mit. Er wurde von Polarsachverständigen vor der Fahrt gewarnt. Da man nichts von ihm gehört hat, ist man um ihn besorgt.
Man glaubt, daß Sora von Eisbären überfallen und aufgefressen worden ist.
Der Chefingenieur des Luftschiffs „Jtalia", Ceccioni, der sich bei der Viglieri-Gruppe befand, ist seinen Verletzungen erlegen. Zwei weitere Teilnehmer sind schwer erkrankt. Wie Lundborg feststellen konnte, ist die Eisscholle, auf der die Leute sich befinden, weiter geschmolzen, so daß kein Flugzeug mehr darauf landen kann.
Nobile scheint der einzige Teilnehmer der „Jatalia"- Expedition zu sein, der mit dem Leben davonkommt.
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Der durch Leutnant Schyberg gerettete Fliegerhauptmann Lundborg teilt mit, daß sein Flugzeug bei der zweiten Landung auf der Eisscholle so stark beschädigt worden sei, daß es als verloren gelten müsse. Bevor Schyberg Lundborg an Bord nahm, fand eine Beratung statt, an der auch die auf der Eisscholle befindlichen Gefährten Nobiles teilnahmen. Auch die Italiener waren der Ansicht, da das kleine Flugzeug Schybergs nur noch einen Mann aufnehmen konnte, daß zuerst Lundborg geborgen werden müsse, da seine große Erfahrung wesentlich zur Rettung der übrigen beitragen könne.
Von dem Eisdampfer „Inge 3" soll am 19. Juni be- obachtet worden fein, wie ein großes Flugzeug in der Nähe der Bäreninsel ins Meer stürzte. Es könnte sich hiebei nur um das Flugzeug Amundsens handeln; Amunbien wäre demnach auch verloren.
wider den Faszismus, noch die Südtiroler Bolkswunde Vars für die deutsch-römische Politik entscheidend sein.
Daß Deutschland gesinnungsmäßig nicht in den Kreis der europäischen Friedensvertragsfanatiker gehört, versteht sich für uns von selbst. Man darf freilich nicht vergessen, daß sich der von Italien angesteuerte Aenderungskurs zunächst nicht auf den Versailler Vertrag bezieht, sondern auf die italienisch-südlawische Frage und auf den Vertrag von Trianon. Mussolini würde wohl kein Gegner des deutschösterreichischen Zusammenschlusses sein, sofern er für Italien aus einer mitteleuropäischen Umschichtung beträchtlichen Vorteil zieht. Die italienische Politik beruht keineswegs auf Stimmungen, sondern auf rücksichtslosen und wohlberechnetem eigenen Vorteil. Die Abänderung oder Aufhebung der Friedensverträge für den Donauraum wird auch niemals durch den frommen Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Völker in Schwung kommen, sondern nur durch das Ergebnis einer Stärkeausgleichung neuer Mächtegruppen. Wie bestimmt übrigens Mussolini diese Fragen anfaßt, ergibt sich daraus, daß er sogar schon mit genauen Fristsetzungen herausrückte. Bis 1934 will er soweit sein.
Die Arbeit an den internationalen Verhandlungstischen schreitet nur sehr langsam vorwärts und man darf nicht erwarten, daß der Kampf um die Abänderung der Friedensoerträge nur ein kurzer Abschnitt der europäischen Politik bleibe. Vielmehr wird er voraussichtlich das ganze nächste Menschenalter beherrschen. Wir wissen auch heute noch nicht, ob sich die Locarno-Politik als Hemmnis auf dem Weg zur internationalen Umgestaltung oder als ein Schritt vorwärts auswirken kan«. Das wird sich erst zeigen, wenn die diplomatischen Richtlinien und Absichten aller europäischen Großmächte festliegen.
Schwerer Schijssunglück
Gegen Z00 Menschen ertrunken
Santiago de Lhile, 9. Juli. Auf der Fahrt von Punta Arenas (Magelhaensstraße) nach dem chilenischen Hafen Lebu geriet am 7. Juli der chilenische Truppentransportdampfer „Angamos" (4500 Tonnen Ladevermögen), der mn Kohlen für Marineschiffe beladen war und gegen 300 Personen an Bord hatte, in einen heftigen Sturm. Die Fahr- linie ist voller Felsen und Klippen und bei Sturm gefährlich. Stundenlang kämpfte das Schiff gegen Sturm und Wellen an. Da brach das Steuerruder und nun war e- hilflos den Wogen preisgegeben. Abends 10 Uhr wurde der Dampfer nur etwa 300 Meter weit von der Küste entfernt gegen Felsen geschleudert und zerbarst. Unaufhörlich ertönten die Sirenen, aber der heulende Sturm übertönti
sie; bei der rasenden See wäre auch in der Nacht dem Wrack kaum beizukommen gewesen.
Gegen 1 Uhr nachts begann das Schiff zu sinken und nun wurden die Rettungsboote zu Wasser gelassen. Aber die Boote wurden von den Wellen meist umgeschlagen; um die Boote, Rettungsgürtel, Wrackstücke entspann sich ei« wilder Kampf — dabei fanden fast alle den Tod. Bis jetzt ist nur die Rettung von drei Rekruten bekannt geworden, die ohne jede Kleidung auf Wrackstücken ans Festland geworfen wurden. Der Kapitän erschoß sich und ging mtt dem Schiff in die Tiefe.
Der Dampfer „Angamos" war 1890 für die italienisch« Flotte gebaut worden und hieß ursprünglich „Citta di Venezia". Später wurde das Schiff an Chile verkauft; es galt als nicht besonders seetüchtig An Bord der „Angamos" befanden sich u. a. 76 Fahrgäste, zumeist Arbeiter, die t« Regierungsdiensten standen, mit ihren Familien. Bei Punta Chimpel sollen 80 Leichen, meist Frauen und Kinder, an- geschwemmt worden sein.
neueste stachrichteu
Die unlerelsässischen ehemaligen Kriegsteilnehmer verlangen Zweisprachigkeit
Paris, 9. Juli. Wie Havas aus Straßburg meldet, haben die unterelsässischen Mitglieder des Nationalverbands der Kriegsteilnehmer in Erstein eine Tagung abgehalten, auf der eine Entschließung angenommen wurde, die verlangt, daß die ministeriellen Verfügungen und im allgemeinen alle Dokumente, die sich auf die Versorgung im Elsaß und in Lothringen wohnenden Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen beziehen, in deutscher und französischer Sprache abgefaßt werden.
Zwei italienische Minister zurückgelreten
Rom, 9. Juli. Finanzminister Volpi und der Minister des öffentlichen Unterrichts, Fedele, sind zurückgetreten. Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten Mussolini hat der König Senator Mosconi zum Finanzminister und den gegenwärtigen Wirtschaftsminister Belluzo zum Minister für öffentlichen Unterricht ernannt. An Stelle Belluzzo» wurde der gegenwärtige Unterstaatssekretär im Verkehrsministerium Martelli zum Wirtschaftsminister ernannt.
Ermordung des Generats Protegerost
Sofia, 9. Juli. In der Nacht zum Sonntag kam es hier zu einem noch nicht aufgeklärten Vorfall. Don drei unbekannten Tätern wurden zwei Personen durch Schüsse verletzt. Der eine, dessen Persönlichkeit noch nicht sestgestellt ist, war sofort tot, der zweite wurde ins Krankenhaus gebracht.