Seite 2 — Nr. 35
Nagoldcr Tagblatt „Der Gesellschafter"
Dienstag, K. März 1828
Aufruhr der Araber
Basra, 3. März. Bei der Beschießung wahabitischer Dörfer durch englische Bombenflugzeuge sollen etwa 800 Menschen namentlich viele Frauen und Kinder getötet worden sein. Die Araber der Wüste sind empört darüber und haben bei der Regierung des Iraks heftigen Einspruch erhoben. Der Stamm der Atache soll bereit sein, die Stadt Basra mit 20 000 Kriegern anzugreifen.
Die Haltung Jbn Smrds, -es Königs von Hodschas, erscheint sehr zweifelhaft. Es wird behauptet, daß er den Wa- babitenstänunen Mnmttm- liefere.
Der Entwurf der Eisenbahnverlehrsvldüirng
Der vom Reichsverkehrsministerium ausgearbeitete Enk- ' irf der neuen Eisenbahnverkehrsordnung wird einer Atzung des Reichseisenbahnrats am 9. März voraslegt werden. Der Entwurf bringt einige recht beträchtliche V e r- günstigungen für die Re i s e n d e n. Insbesondere «fahren die Bestimmungen über die Beförderung von Reisegepäck verschiedene Erweiterungen. Die Reichsbahn wird künftig bei Verlust oder Beschädigung des Gepäcks in vollem Umfang haften. Ferner hat der Reisende «nftig einen Rechtsanspruch auf Rückerstattung des Fahrgeldes bei nicht denn hier Karte, »ährend bisher die Rückerstattung nur aus Billigkeitsgründen erfolgt.. Auch wird der Reisende künftig einen Rechtsanspruch auf Beförderung in der nächsthöheren Klasse haben, wenn in der .Klasse, lür die er eine Fahrkarte besitzt, kein Platz vorhanden ist. Dagegen, wird der Entwurf über die Einführung eines zweiklasfigen Systems «och nichts enthalte», weil die Ermittlungen hierüber noch »icht abgeschlossen sind. Die neue Verkehrsordnung soll am 1. Oktober in Kraft treten.
Württemberg
Stuttgart, 5. März.
Die Oberleitung des Lvang. Volksbunds übernimmt, nachdem der bisherige Leiter Dr. Ströle zum Dekan in Ravensburg ernannt worden ist, Pfarrer H. Pfisterer, der bisher die Pressestelle leitete. An seine Stelle ist Pfarrer Hilzinger von Hausen, OA. Spaichingen, getreten.
25 Jahre Kapellmeister. Im Januar 1910 übernahm Musikdirektor Benning die Leitung der Kapelle des Grenadierregiments Königin Olga. Nach dem Kriege gründete er bei der Schutzpolizei eine neue Kapelle. So kann er nunmehr auf eine 25jährige Tätigkeit als Kapellmeister zurück- blicken. Durch mehrere Kompositionen und musikalische Bearbeitungen ist der sehr tüchtige Militärmusiker auch auswärts bekannt geworden.
Die Notlage der Damenjchneiderinuen. In einer öffentlichen Bersammlung der Damenschneiderinnen wurde eingebend die Notlage der Damenschneiderinnen besprochen. Die Rot wurde darauf zurückgeführt, daß die städt. Frauenarbeitsschulen als staatlich anerkannte Lehrwerkstätten erklärt worden sind. Es wurde eine Entschließung angenommen, die sich gegen diese Handhabung des 189 Abs. 5 der Gewerbeordnung wendet, und erklär:, daß die heutige trostlose Lage im Damenschneidergewerbe verlange, dieser Massenausbildung in etwa 40—50 staatlich anerkannten Lehrwerkstätten ein Ziel zu setzen, zumal da die Frauenarlieitsfchulcnausbildung niemals eine Meisterlehre ersetzen könne.
Aus der Rassehundeausskellung hat den Ehrenpreis des Staatspräsidenten und die goldene Kartellmedaille für einen Dachshund der Zwinger von Schwarenberg, Besitzer E. Schräg in Stuttgart, erhalten.
Unfall im Zirkus Schneider. In der Vorstellung des Zirkus Schneider in der Stadthalle am Sonntag abend kam beim Herausschießen aus der Kanone der Kunstflieger Wiri- balla so unglücklich ins Netz, daß er dreioiertel Stunden bewußtlos blieb. Der Arzt stellte eine schmerzhafte Prellung
des Rückens fest, die den Verunglückten einige Tage ans Bett fesseln werden. Der seltsame Kanonenschuß wird übrigens fortgesetzt werden, da Ersatzleute zur Verfügung stehen. Das Publikum, etwa 4000 Personen, nahm lebhaften Anteil an dem Unfall des Künstlers.
Stuttgart. 5. März. Großes Militär-Konzert. Am 21. und 22. März findet in der Stadthalle je ein großes Militär-Konzert von 9 BLusikkapellen und den Spielleuten von 2 Bataillonen für wohltätige Zwecke statt. Eintrittskarten sind im Vorverkauf bei Sülze und Goller. Kanzleistraße 10, und bei Reitzel. Buchhandlung in Cannstatt, Königstraße 44, erhältlich.
Ehlingen, 5. März. SirnaukommtzuEßlinoev Die seither zn der politischen Gemeinde Deizisau gehörige Teilgemeinde Sirnau wird nach einem kürzlich von den beteiligten Gemeinden abgeschlossenen Vertrag der Sladt- gemeinde Eßlingen einverleibt. Sirnau hat eine Markunqs- fläche von 222 Hektar und steht ganz im Eigentum der Ekadkgemeinde Eßlingen.
Spaichirrgrn, 5. März. Eröffnung der Heuberg, bahn. Die Heubergbahn Spaichingen—Nusplingen, die schon fest mehr als einem Jahrzehnt im Bau begriffen ist, ist nunmehr so weit ausoebauk, daß mit der Eröffnung bis zum 15. Mai S. I. gerechnet werden kann.
Wangen i. A., 5. März. Beim Spiel erhängt. In tiefe Trauer versetzt wurde die Familie Schele in Untermoorweiler bei Schwarzenbach. Das fast zweijährige Kind Alfred machte sich an einem am Gartenzaun angebrachten Strick, der als Schaukel dienen sollte, zu schaffen, kam dabei zu Fall und erhängte sich. Angestellte Wiederbelebungsversuche waren erfolglos.
Friedrichshafen. 5. März. Ankauf eines Dornier- Superwal. Der spanische Flieger Major Franco, der im Frühjahr 1926 mit Dornier „Wal" von Spanien nach Südamerika geflogen ist und zum erstenmal diese große Strecke von 10 000 Km. planmäßig mit ein und demselben Flugzeug durchgeführt hat, weilt seit zwei Tagen wieder in Friedrichshasen und hat bei den Dornisr-Metallbanten die neueste Type, einen „Superwal" gekauft, mit dem er die Welt umfliegen will.
verbotene Gefälligkeit. In Kleinkisiendorf brannte am 15. September das Anwesen des Landwirts Josef Sanier ab. Sechs junge Leute, die in der Feuerwehr dienten, schoben zwei abseits stehende Ackerwagen in d'e Fsuersnähe, io daß auch sie verbrannten. Sanier erhielt von der Versicherung wohl eine Entschädigung von 300 Mark für di? Magen, die sechs gefälligen Feuerwehrleute wanderten je aus sechs Monate ins Gefängnis.
Illertisfen, 5. März. Eine Pelztierfarm. Eine Interessengemeinschaft hak nun auch in Illerkissen eine Pelztierfarm ins Leben gerufen, und zwar handelt es sich nm eine Nsrzfarm. Zu diesem Zweck wird ein größerer Geländekomplex an der Dietenheimer Straße eingerichtet.
Vom Allgäu. 5. März. Kirchenraub. In der Pfarrkirche in Ebratshofen bei Röchenbach wurde ein Einbruchsdiebstahl verübt. Der oder die Täter gelangten durch Fenstsr- einbruch in die Sakristei, nahmen dort die Schlüssel zum Tabernakel und begaben sich an den Hochaltar, wo sie es offenbar auf die goldene Monstranz abgesehen hatten. Diese war jedoch in einem eisernen Schrank in der Wand versperrt und so dem frevlerischen Zugriff entzogen. Den silbernen Kelch ließen die Diebe stehen, nahmen dagegen die im Tabernakel vorhandenen Hostien zu sich. Auch drei Schlüssel wurden entwendet.
Vereinbarungen zwischen Staat und eoang. Kirche wegen der eoang. Seminare
Don zuständiger Seite wird mitgeteilt: Nach dem Gesetz r die Kirchen 'sollen das Stift in Tübingen, die Heime der )eren ev.-theol. Seminare in Schöntal, Maulbronn, Urach, lubeuren und die Konvikte durch Vereinbarung des Kutt- nsteriums mit den Oberkirchenbehörden in kirchliche Let- g überführt und die Rechtsverhältnisse der Seminarschulen
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15. Fortsetzung (Nachdruck verboten.)
„Ja. so schauen S' aus . . . Sie Junggesell', aber ich werd' dem Vinzenz schon hinter seine Schliche kommen!"
Das Eis war gebrochen und die Neckereien flogen herüber und hinüber:
„Alterte, unser Hochzeitsreij' machen wir nach Indien, im Frühjahr san ma wieder z'ruck, dann kommst d' zu uns."
Durch die Stämme blinkte flirrender Lichtschein, irgendwo schlug ein Hund an.
„Keresz-Erdö!"
Ein riesiger Gebäudekomplex wurde sichtbar, ein Schloß mit klobigem, viereckigem Turm, hellerleuchtete Fensterreihen. An der Freitreppe standen Diener, hielten rotbeschirmte Windlichter hoch, und nun dröhnte uns der Baß des Nitters von Molnar entgegen:
„Servus! Servus! Freit mich! Freit mich ungeheier!"
Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich von den verschiedenen Umhüllungen befreit hatte, dann küßte ich der Dame des Hauses die Hand, wurde den zweiten, sorgfältig in Watte und Seidenpapier eingewickelten Rosenstrauß los und sah mich in der riesigen Halle um.
Aber der Vinzenz ließ mir keine Zeit:
„Komm', Alterte, ganz durchfroren bist, na: da laßt sich Abhilf schaffen, i führ' di erst «mal auf dei Zimmer . . ."
Eigentlich war es ein Saal, zu ebener Erde gelegen, mit verschwenderischer Pracht eingerichtet: Perserteppiche, zwei Kamine, ein fast bis zur Decke reichendes Holzpaneel. Mit seinen kurzen, dicken Beinchen stapfte der Ritter von Molnar hinter uns drein:
„Wollen S' eine Wärmflasch' ins Bett, Baron? Nicht ?
Aber wenigstens ein Elas'l-" wuppdich. war er zur
Tür draußen, kam gleich darauf mit einem Tablett und einem Weinglas zurück: „Trinken S' nur. das bringt das Blut wieder durcheinander?"
Ahnungslos kippte ich den Inhalt hinunter:
„Donnerwetter-das-das war doch Kognak!"
„Benediktiner is sehr a gut's Schnapserl, wird Ihnen schon warm machen, bitt' schön."
„Sixt, Alterte, Hierzuland is dös nöt anders," mein Freund grinste: „alles großzügig: Menschen, Hirschgeweihe, selbst die Kognakgläser!"
Meine beiden Koffer wurden gebracht.
„In aner halben Stund' nachtmahlen wir, i hol' di ab, wenns d' an Wunsch hast, de Klingel is neben der Tür!" Ich hatte aber nur einen Wunsch : mir selbst einmal gründlich den Reisestaub abzuspülen, und das besorgte ich denn auch so gründlich, daß mich der Vinzenz zwanzig Minuten später noch in einem durchaus nicht gesellschaftsfähigem Anzug traf.
„No, wie g'fallt dir die Sopherl?"
Natürlich, diese Frage hatte ich erwartet:
„Glückspilz! Und noch einmal, meinen allerallerherz- lichsten Glückwunsch!"
Er schüttelte meine Hände, daß die Gelenke knackten:
„Weißt d', wann i denk', daß übermorgen mei Hochzeitstag is', also mir is das alles noch wia a Traum —"
Mit Verliebten ist nicht zu reden, ich ließ in schwärmen und zwängte mich in den Smoking:
„Sind schon Gäste da?"
„Nur der Graf Andrassy Miklos und der Graf Schönborn Kolomann, aber morgen, ah, da wirst 'd schaug'n 's halbete Komitat kommt, — bist denn mit deinem Zimmer zufrieden?"
„So eine Frage! Eine Rennbahn könnte man hier einrichten!"
„Hat auch der Erzherzog Leopold Salvator immer drin g'wohnt, wenn er zur Jagd nach Keresz-Erdö kam. Du, heut' Abend führst d' die Frau von Molnar zu Tisch, hast schon an Stein bei ihr im Brett von wegen die Rosen; sie is woltern auf der ältern Seiten, will aber becourt sein wie an jung's Madel."
„Wird prompt besorgt!"
Arm in Arm schlenderten wir den Gang hinab, traten
in den Salon.-Mitten unter dem Kronleuchter, dessen
Kerzenlicht sich in hohen Pfeilerspiegeln und schimmernden Priesmen brach, stand die Gräfin d'Harancourt in einem ganz schlichten, weißen Hauskleid, als einzige Schmuckstücke eine Hirschhakenbrosche und eine mit Auerhahnsteinen besetzte Gürtelschnalle. Gleich einer Schale von Bernstein legte sich das wundervolle, seidenweiche Haar um die Schläfen, die weiße, klassisch geformte Stirn, jede Bewegung der
mit dem Ev. ObLrkiicheirrat neu geordnet werden. Me ^ver- baiidlniigen des Kullininisteriums mit dem Oberkirchenrat sind am 5. d. M. mit Zustimmung des Finanzministeriums durch Vereinbarungen abgeschlossen worden, die im Fall der Zustimmung des Landeskirchenkags auf 1. April d. I. in Kratf treten sollen. Nach den Vereinbarungen geht das Stift in die Verwaltung des Oberkirchenraks über: die Bedürfnisse der evang.-lheologischen Fakultät sind durch besondere Vorbehalte berücksichtigt. Die bisherigen Staatsleistnn- gen für das Stift werden dnrck eine s e st b e a r e n z t e Pauschleistung erseht, die der Milderung des Geldwerts nach festem Schlüssel folgt: soweit sie nicht ansreicht, tritt die Landeskirche ein. Die Heime der niederen Seminare werden von dem Oberkirchenrak. ihre Schulen von der Ministerialabteilung für die höheren Schulen geleitet. Dis wirtschaftliche Verwaltung ihrer Heime wird von der neu zu errichtenden „Evang. Seminarsiistunq" geführt, die zugleich Träger der sachlichen Schuldesten ist und vom Staat eine Pauschleistung erhält wie das Stift. Der Vorstand dieser Stiftung besteht ans drei Vertretern des Oberkirchenraks und einem Vertreter der Min'stcrialabteilung. Damit Heim und Schule ein einheitlicher Venvaltimgskörper bleiben. wird dis Verwaltung durch den Vorstand der Evanq. Seminarsiistung vermittelt. Die Ephoren der niederen Seminare haben als Leiter der Heime und der Schulen ein D öppe l a m k. Die wisssnsckaftlicken Lehrer bleiben Staatsbeamte. Besondere Bestimmungen dienen dem Schick der Kunst- und Mtertiimsdenkwal-' in den früheren Klöstern Ma-'Pwiisi, Blaubeuren und Schönte?.
Die Varbandlunaen über die k a t b a l > s rd e n Konvikte sind auf kirchlichen Wünsch zurückgestcllt.
Zur Frage der Gebäudeentschuldungsslsner
Die Erhebung der Gebäudeentschuldungssteuer ist durch Rsichsgesetz den Ländern zur Pflicht gemacht (siehe Reich-.- gefttzbl. 1926 1 S. 251>. In H 1 Abs. 3 dieses Gesetzes ist ausdrücklich bestimmt, daß die Steuer mindestens in Höhr von 20 v. H der Friedensmiete zur Deckung des allgemeinen Finunzbedarfs der Länder verwendet werden m u ß. Es steht also nach geltendem Recht einem Land gar nicht frei, aus die Steuer zu verzichten oder das ganze Steueraufkommen für den Wohnungsbau zu verwenden.
Auch die Behauptung in öffentlichen Versammlungen, die Steuer sei in Württemberg höher als in andern deutschen Ländern, ist unrichtig. Im Gegenteil, fast in keinem andern deutschen Land ist das Aufkommen an Gebäudeentschuldungssteuec (auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet) so nieder wie in Württemberg, insbesondere nicht in Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Hessen. In Preußen ist z. B. das Steueraufkommen auf den Kopf mehr als doppelt so hoch wie in Württemberg, obwohl auch dort die Landwirtschaft von der Steuer befreit ist.
Der Ertrag der Gebäudeentschuldungssteuer ist im laufenden Rechnungsjahr für den württ. Staat auf 23.1 Mill. RM. veranschlagt. Davon sind bestimmt für die Württ. Wohnungskreditanstalt zur Förderung des Wohnungsbaus 14,8 Mill. NM., für den Bau von Beamtenwohnungen 2,2 Mill. RM.: für den allgemeinen Finanzbedarf des Staates verbleiben nur 6.1 Mill. RM. Der weitaus größere Teil des Steuerertrags wird also für Zwecke des Wohnungsbaus verwendet. In Preußen werden von dem Ertrag der Gebäudeentschuldungssteuer allein 8,65 RM. auf den Kopf der Bevölkerung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staats verwendet, in Hessen sogar über 11 RM., in Württemberg dagegen nur 3,42 RM. Aus dieser Gegenüberstellung, die auch bei den andern deutschen Ländern so ziemlich das gleiche Bild ergeben würde, zeigt sich, daß Württemberg die Gebäudeentschuldungssteuer im Rahmen der reichsgesetzlichen Bindungen nach Möglichkeit zurückgedrängt hat. Angriffe gegen das Württ. Finanzministerium wegen dieser Steuer entbehren daher jeder Begründung.
tannenschlanken Gestalt verriet federnde Kraft, schmiegsame Rasse. Doch da trat auch der Ritter von Molnar auf mich zu:
„Erlaubens S', Baron — Graf Andrassy! Gras Schönborn!" Ein paar verbindliche Redensarten, dann öffneten die Diener die nach dem Speisesaal führenden Türen. Rasch bot ich der Dame des Hauses den Arm:
„Gnädigste gestatten?"
Strahlender Lichterglanz, hohe, steiflehnige Stühle und an den Wänden Geweih neben Geweih, urige, klobige Beutestücke von fast grotesk wirkenden Ausmaßen.
Ich mußte mich erst zurechtfinden in der neuen Umgebung, die so fremdartig wirkte. Aber dann kam rasch eine gemütliche Stimmung auf, und ich entsann mich meiner Pflichten als Tischherr, zog alle Register der Liebenswürdigkeit, obwohl ich todmüde war. Der Vinzenz mochte es mir ansehen und beugte sich zu mir hinüber:
„Weißt' d', Alterte, nacha drückst' di auf französisch, lang' bleiben ma heut auch nimmer auf, wird morgen a anstrengender Tag, de ersten Säst kommen schon früh."
Die Diener boten den Nachtisch an, Butter und Käse, Obst, dann hob Frau von Molnar die Tafel auf. Gräfin Sophie kam auf mich zu:
„Wollen Sie mal meinen Sechzehnender sehen und die beiden Zwölfer vom Vinzenz? Die Geweihe stehen drüben in Onkels Zimmer . . ." Sie schlug eine Portiere zurück: „Nun?" 2m ersten Augenblick war ich sprachlos — lieber Himmel, was war dagegen meine Schädelstätte daheim. Rehkronen bis zum Vierzehner, mit Stangen wie ein schwacher Hirsch, Keilerwaffen von urweltlichen Dimensionen und
Geweihe-meine Müdigkeit war wie weggeblasen.
Aber alle diese Beutestücke reichten doch nicht an den Hochkapitalen Sechzehnender heran, dessen über und über geperlte und gerillte, tiefschwarze Stangen mit den schneeig blitzenden Endenspitzen und prachtvollen Becherkronen sich von dem dunklen Hintergrund abhoblen wie Kerzen an einem Weihnachtsbaum.
„Und den haben Sie geschossen, Gräfin?"
„Ja, ich!" In den dunklen Augensternen blitzte es seltsam auf, die feinen Nüstern blähten sich wie bei einem Rassepferd. „Ich möchte nicht leben, wenn ich nicht mehr jagen könnte!" In dem Ton der Stimme lag etwas, das mich aufblicken ließ:
„So passioniert sind Sie?!"
„Die Jagd ist mir alles, alles . ."
(Fortsetzung folgt.) * _