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Mittwoch, den 23. November 1S27
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Einheitlichkeit in
Je mehr Maschinen, je größere und verwickeltere Maschinen wir bauen und laufen lassen, desto größer wird auch die Abhängigkeit der Menschheit von ihnen. Früher glaubte man einmal, die Maschine als immer dienstbereiten Sklaven ansprechen zu können, und erhoffte von ihr die Erlösung der Menschheit aus allen Schwierigkeiten. Heute sind wir in dieser Beziehung beträchtlich vorsichtiger geworden. Der getreue Knecht entlarvt sich in vielen Fällen als mitleidlos strenger Gebieter, der uns in immer wildere Unrast hineintreibt, statt, wie es eigentlich beabsichtigt war, uns ein behaglich geruhsames Leben zu sichern.
Mit der Gesetzgebungsmaschine scheint es ähnlich gehen zu wollen. Nicht nur, daß ihr Umfang und ihre Erzeugung von Jahr zu Jahr gewaltiger anschwillt, nein, ihre übermäßige Tätigkeit versetzt auch Land und Leute in immer steigende Nervosität. Die deutsche Welt hallt von beweglichen Klagen über zunehmende Rechtsunsicherheit wider. Aus dem Massengewirr neuer Gesetze, die unsere Parlamente ohn' Unterlaß fabrizieren, findet heute selbst der Fachmann nicht mehr heraus, während der Laie längst hoffnungslos die Hände in den Schoß gelegt hat. Alle Gewissenhaftigkeit, alle Intelligenz und aller guter Wille unserer Richter kommt dem sich heranwälzenden Paragraphenwulst gegenüber nicht auf. Fehlurteile sind oft unvermeidlich bei der inneren Haltlosigkeit und Schwammigkeit vieler Bestimmungen. Sind sie aber eindeutig und verfährt der Richter pflichtgemäß streng nach dem Wortlaut, so kommt es zu Urteilen, die die Torheit der Gesetzgebung grell aufzeigen. In diesem Fall wird gemeinhin nicht der Gesetzgeber, sondern der sich gewissenhaft an den Buchstaben haltende Richter verantwortlich gemacht. Ein in höherem Sinn gerechtes Urteil darf er ja nicht fällen; er hat sich trotz besserer Einsicht den Vorschriften des Gesetzes zu beugen, so verfehlt sie sein mögen. Die Folge ist, daß verhängnisvolle Rechtsunsicherheit und Unzufriedenheit mit der Rechtspflege überhaupt sich breit macht. Die Last und den Schaden muß der Richter tragen, wider ihn kehrt sich die Abneigung der Bevölkerung.
Mit der Einführimg der lückenlosen Paragraphenherrschaft in die deutsche Rechtspflege glaubten Wohlmeinende, den Rechtsuchenden vor Willkür und Launenhaftigkeit schützen zu können. Eine feste Rechtsordnung wurde um so notwendiger, je verwickelter die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sich gestalten. Daß wir heute wieder mitten in schweren Erschütterungen stehen, daß sich Neues gebären will, ist der bedrohliche Grund für die Massenhastigkeit der Gesetzgeberei. Denn nun glauben die Verantwortlichen, sofern sie nicht bloß für den Tag arbeiten, die sich immer mehr nähernde Zukunftsflut rechtzeitig in das ihnen geeignet scheinende Bett leiten zu müssen, und zu dem
Deutscher Reichstag
Berlin, 22. November.
Um 3 Uhr nachmittags begann heute die erste Sitzung -es Reichstags nach der großen Sommerpanse. Eine dritte Novelle zum Hypothekenbankgefetz und der Gesetzentwurf über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten werden dem Volkswirt' schaftlichen Ausschuß überwiesen. Der deutsch-tschechisch« Vertrag über den Bau einer Eisenbahn durch das Schweb nitz-Tal wird in allen drei Lesungen, der deutsch-tschechisch« Vertrag über die Regulierung der Grenzverhältnisse in erster und zweiter Beratung angenommen.
In der folgender, ersten Beratung des deutsch-französischen Handelsvertrags bezeichnet Abg. Hörnle (Kom.s den Vertrag als ein neues Bekenntnis zur Hochschutzzoll- polttik, während Abg. Wissell (Soz.) sagt, das Abkommen bedeute einen weiteren Schritt auf dem Wege de, deutsch-französischen Verständigung. Abg. von Richthofen (Dem.) begrüßt die Einführung des Schiedsverfahrens bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Abkommen Nach einer Erklärung des Ministerialdirektors Posse vom Reichswirtschaftsministerium, daß sich die Regierung zu der Frage der allgemeinen Zollsenkung noch , äußern werde, schließt die Aussprache. Der Vertrag wird in erster und zweiter Beratung angenommen.
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Die deutsche Abordnung für die vorbereitende Abrüstungskonferenz
Bertia. 22. Roo. Der Beginn der Beratungen der vorbereitenden Abrüstungskommission in Genf ist. der „B.Z." zufolge, für Mitte nächster Woche angesetzt worden Dsutsch- a»o wied auf dieser Konferenz wiederum durch den Botst?' '>.r?rns><-rff vertreten sein Die deutsche
Gra; Bernsiorss sicher, besteht aus Geheimrat Weizsäcker vom Auswärtigen Amt, Oberst von Bötticher vom Reichswehrministerium und Admiral Freiherr von Freiberg von der Reichsmarineleilung.
der Gesetzgebung
Ende schassen sie unübersehbares Paragraphenflechtwerk. Man zersplittert sich unbewußt an Kleinigkeiten und Einzelheiten, glaubt'durch erbarmungslos weit getrieben^ Spezialisierung jedem besonderen Anspruch, jedem besonderen Stand, jeder besonderen Klasse gerecht werden zu können. Die Einheitlichkeit der Gesetzgebung ist darüber zugrunde gegangen, und ihre mit jeder Reichstagssession zunehmende Unübersichtlichkeit macht die Lage immer trostloser.
Hinzu kommt die Unfähigkeit des derzeitigen deutschen Parlamentarismus, geradlinie Politik auf dem Gebiet der Gesetzgebung zu treiben. Weniger die Wünsche und Notwendigkeiten der Gesamtheit, nicht Rücksichten,auf den allgemeinen Nutzen oder gar überlegene höhere Einsicht entscheiden, sondern die unmittelbaren Interessen pflegen den Ansschlag zu geben. Aus dem Gewirr einander schroff widerstreitender Gedanken, aus diesem Hin und Her der Sachverständigen und Unsachverständigen braut die Reichstagskommission mühselig, unaufhörlich kompromisselnd, den Tank. Er befriedigt in der Regel niemanden. Ging ihm doch auf seinem letzten Leidensweg der starke, leitende Grundgedanke zum besten Teil verloren. Wir hätten vielmehr eine unparteiische Instanz nötig, die darüber befindet, ob sich das neue Gesetz den alten organisch angliedert, ob es sich wirklich vervollkommnet und erhöht.
Niemand wird sich dem Fortschritt der Gesetzgebung widersetzen, niemand die ernsten, besonderen Forderungen der Zeit unerfüllt lassen wollen. Aber die Auffassung, daß man durch Gesetzmacherei allein alle Schwierigkeiten in Wirtschaft und Leben beseitigen könne, ist ein verhängnisvoller Irrtum, um so verhängnisvoller, wenn die Gesetzgeber nicht von der hohen Bedeutung ihres Berufs erfüllt sind, wenn sie Pfuschwerk liefern. Je nachdrücklicher wir auf Einheitlichkeit der Gesetzgebung und auf treue Sorgfalt dabei dringen, je entschlossener wir alle unsachlichen Einflüsse von ihr abwehren, desto eher erlangt Deutschland die jetzt so schwer vermißte Rechtssicherheit. Cs wäre eine große Tat, wenn sich die maßgebenden Körperschaften zur S e lb st- b'escheidung aufrasften, jedes neuen Gesetzes Grundlagen und Ziele genau feststellten und dann die endgültige Ordnung, die Einordnung vor allem, erprobten Fach leuten überließen. Besteht doch die Kunst beim Maschi nenbau nicht darin, zusammengeftoppelte, ungefüge und unbrauchbare Mammute herzustellsn, die uns das Leben er schweren. Hier wie bei der Gesetzgebung geht es vielmehr darum, durch wohldurchdochte, in allen Einzelheiten feiv und sauber ausgefeilte Arbeit dem deutschen Menschen das Leben leichter und sicherer zu machen, denr großen Grundgedanken aller Kultur und Zivilisation zum Sieg, «zurr Recht", zu verhelfen.
Die Entschließung der Deutschen Bolkspartei
Braunschweig. 22. Nov. Im Anschluß an die bereits mitgeteilte programmatische Rede Dr. Runkels auf der Tagung des Hauptvorstands der Deutschen Volkspartei wurde Mm Reichsschulgesetzentwurf folgende Entschließung angenommen: Der Hauptvorstand fordert: 1. neben Sicherung der konfessionellen Bekenntnisschule in ihrer geschichtlich gewordenen Art dauernde Erhaltung der christlichen Simultanschule; 2. Angleichung der in der Reichsverfassung bevorzugten Gemeinschaft s s ch u l e an die christliche Simultonschule; 3. Si che> rung der Lehrfreiheit gegen jeden Versuch einer konfessionellen Verengung des gesamten Unterrichts in der Bekenntnisschule; 4. unbedingte Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Schulsysteme eines Schul- verbandes; 5. volle Aufrechterhaltung der Schulhoheit des Staates auch für den Religionsunterricht. — Die Deutsche Bolkspartei, die sich die Freiheit der Entschließung Vorbehalten hat, ist nach wie vor bereit, an dem Zustandekommen des Gesetzes mitzuarbeiten. Sie erwartet aber, daß die Reichtstaqsfraktion nur einem Gesetz zustimmt, das den Forderungen ihres nationalen und liberalen Bildungsideals entspricht.
Stresemann gegen Stahlhelm und Pazifisten
In einer öffentlichen Versammlung m Braunschweig sprach Dr. Stresemann. Er kam daraus zu sprechen, daß der Landesverband Braunschweig an die Parteien die Forderung gerichtet hatte, daß der gegenwärtigen Außenpolitik, die von Demütigung zu Demütigung für Deutschland führe, ein Ende gemacht werde. Dr. Strese- mcmn erklärte, er müsse das entschieden zurückweisen. Die bisherige Locarno-Politik werde von ihm unbedingt fortgesetzt werden, auch wenn sie diesem oder jenem nicht gefalle. Es sei bedauerlich, daß die nationalen Verbände nun auch in die Politik ein greifen, wie der Stahlhelm, davor müsse er warnen. Die Verbände werfen .das Beste von sich ab, wenn sie in den Parieilampf eintreten". Sehr scharj wandte sich Stresemann dann gegen die Pazifisten. Leute wie Förster und Mcriens
seien die größten Verräter einer Verständigung und Befreiung. In allen Kreisen Frankreichs, die zur Ver- ständigung bereit seien, beklage man das Treiben dieser Leute.
Abkommen zwischen Zentrum und Bayerischer Bolkspartei München, 22. Nov. Im Zusammenhang mit der Reise des Reichskanzlers nach München ist bei den Verhandlungen des Verständigungsauvschusses des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei in Regensburg vereinbart worden, daß die parlamentarischen Vertreter beider Parteien bei großen Fragen enger Zusammenarbeiten sollen. Die gegenseitige Bekämpfung bei den Reichs- und Landtags- Wahlen soll ausgeschlossen sein.
Das belgische Kabinett zurückgelreten Brüssel. 22. Nov. Wegen der Abrüstung in Belgien ist im belgischen Kabinett schon seit einiger Zeit eine Spannung eingetreken. Die sozialistischen Minister verlangten eine fühlbare Verminderung des belgischen Heers, der Kriegsminister Broqueville, selbst Sozialist, gi«8 aber nicht darauf ein. Er verlangte, daß die gegenwärtige Dienstzeit beibehalten, längs der deutschen Grenze betonierte Unterstände für Maschinengewehre errichtet und alle Befestigungen auf dem rechten Maasuser nach den im Krieg gemachten Erfahrungen wieder hergestellt und verstärkt werden. Broqueville schlug vor, seinen Antrag einem gemischten Ausschuß vorzulegen, sin einer erregten Sitzung des Kabinetts wurde über den Borschlag verhandelt, es kam jedoch keine Einigung zustande und schließlich wurde beschlossen, daß das Kabinett zurücktrete. Lrfi- minisier Iaspar setzte sofort den König davon in Kenntnis.
De Brouckere geht nicht nach Genf Senakor de Brouckere erklärte, er lege sein Amt als belgischer Vertreter in der oölkerbündlichen Abrüstungskommission nieder, da er bei den Abrüstungsverhandlungen nicht eine Regierung vertreten könne, die sich weigere, im eigenen Land ernstliche Schritte zur Abrüstung zu tun. — Brouckere gehLrt der katholischen Bolkspartei an.
Unruhen a« den ungarischen Hochschulen Budapest, 22. Nov. Der Regierungsentwurf zur Ab ändernng des Numerus clausus an den ungarischen Hochschulen hat in der Studentenschaft eine ungeheure Aufregung heroorgerufen. In Budapest vertrieben gestern die Studenten die jüdischen Studierenden mit Gewalt aus der Universität und aus der Technischen Hochschule. Als darauf vier Polytechniker relegiert wurden, wuchs die Erregung noch mehr und breitete sich über das Land aus. In Füns- kirchen und Szegedin wurden- die Juden mit Gummiknüppeln mrd Stuhlbeinen mißhandelt und aus den Hör- lälen vertrieben. Die Polizei stellte die Ruhe wieder her.
Amerika läßt sich nicht bluffen
Washington. 22. Nov. Nach einer Exange-Meldung hat die aus London verbreitete Nachricht, die englische Regierung wolle den Bau zweier Kreuzer verschieben und auch noch einen dritten Kreuzer erst später in Angriff nehmen, in Washington keinen Eindruck gemacht, da man die englische Absicht wohl durchschaut hat. Das dem Kongreß vorzulegende amerikanische Flottenbauprogramm wird um kein einziges Schiff vermindert. Coolidge und di« Marinebehörden halten daran fest, daß die Stärke der amerikanischen Kriegsflotte im Verhältnis zur englische« noch weit unter der normalen Höhe sei. <
Wahabilen-Angrlsf «ms das IrakgebieN Basra, 22. Nov. Wie gemeldet wird, zieht der Wahl» bitenscheik Fessal Essowich IM Weilen südöstlich von Las» eine Streitmacht von über 5000 Stammesangehörige« z» lammen, um einen neuen größeren Angriff aus das Irak gebiet zu unternehmen.
Württemberg
Slutkgart. 23. November.
ALr Wahlrechtsreform in Württemberg. Der Verband wüät. Gewerbeoereine und Harchwerkervereinigungen Hai sich mit einer Eingabe an den Landtag und die württ. Regierung gewandt, in der ein Antrag auf Abänderung d« Landtagswahlrechts gestellt ist. Die Wahlen im nächste« Jahr sollten schon unter dem veränderten Gesetz vorgenom- men werden. Gefordert wird vor allem die Wiederherstellung des persönlichen Verhältnisses zwischen Wählern und Gewählten. Die Hauptgrundsätze der Wahlrechtsreform sind m folgenden drei Punkten zusammengesaßt: 1.) Gesetzliche Festlegung kleinerer Wahlkreise, d. h. nicht weniger als 20 und nicht mehr als 30 Wahlkreise in Württemberg, 2.) Einerwahl, d. h. Stimmzettel nur mit eine» Namen, 3.) Beibehaltung der Verhältniswahlen, die sich mit der Forderung von Ziffer 1 »nd 2 verbinden lasse. In gleicher Weise wird auch eine Reform des Reichstagswahlrechts gefordert.
Zwei Drittel der Evangelische« Württembergs ftkr die Be- »ennlnisschnle. Der württ. Landesansschuß für die evaug. Schule, in dem n. a. -er Evangelische Bolksbnnü für Würt reinberg mik 170 000 politisch wahlberechtigten Mitglieder«.