J3.0MAN VON CHRISTIAN CHRISTIANSEN

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9. Fortsetzung. Was zuletzt geschah:

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Ivar hat neugierig in die große Kiste des Bauern geschaut. Und da passiert es: er rutscht hinein, der Deckel klappt zu, und er kann sich nicht mehr befreien. Der 5

Wogen fährt los. Doch unterwegs springt Ivar hinaus und nimmt auch den Proliant |

aus der Kiste mit. Auf einem Abhang trifft er den blinden Gutmann und folgt in dessen Hütte. Inzwischen sucht Jens verzweifelt seinen kleinen Kameraden. Er

verfolgt seine Spur bis zum Häuschen des blinden Alten. Er beobachtet die Hütte

und überlegt: sollte sein Ivar dort hineingeraten sein?

Erste Nachricht

Plötzlich hörte Jens einen hellen Schrei. Ivar! . . . Sein Herz schlug wild, er wußte nicht mehr, was er tat. Mit ein paar Sprün­gen war er an der Tür. Sie war versperrt, der Haken auf der Innenseite war vorgelegt. Ein alter, abgenutzter Hauklotz stand vor der Wand. Jens packte ihn und schleuderte ihn gegen das morsche Holz. Es zersplitterte, der Haken flog aus der Krampe und die Tür sprang weit auf.

Hier war kein Mensch. Eine alte Pelzjacke hing über einem Sparren unter der Decke. In der Ecke stand eine abgenutzte Wiege und Gerümpel, das sich Jahre hindurch angesam­melt hatte.

Doch jetzt knackte ein Schloß. Drüben war noch eine andere Tür Sie öffnete sich um einen Spalt und ein erschrockenes Gesicht kam zum Vorschein. Ivar. Der Junge! Unver­sehrt!

Jens drückte ihn so fest an sich, daß er laut aufstöhnte. Dann lachten sie sich beide an, als sei überhaupt nichts geschehen. Es war ja auch ganz einfach. Ivar hatte ge- schrien. weil er dem Feuer zu nahe gekom­men war. Er hatte dem Blinden geholfen, die Ebereschenstangen in die Glut zu legen. Wenn sie richtig angebraten waren, konnte man sie für Stuhllehnen zurechtbiegen.

Es war eine großartige Arbeit, von der sich der Junge nur schwer trennte. Aber Jens mahnte doch zum Aufbruch. Blind-Gund- munn begleitete sie hinaus auf den Hofplatz. Ivar griff nach seiner Hand.Wir kommen bald einmal wieder, sagte er tröstend. Aber plötzlich lachte er Jens an.Kannst c#u raten, wie viele hier im Tal Ingeborg heißen?"

Der zuckte zusammen. Jetzt hatte der Junge wohl alles, was er nicht sagen durfte, ausgeplaudert? Wie auf glühenden Kohlen stand er da. Sie mußten schleunigst weiter. Aber der Blinde gefiel ihm, und er fragte nun selbst rasch.Ach ja, Ingeborg, wo ist sie geblieben? Sie war noch vor sechs, sieben Jahren auf der Hauahütte Sennerin.

Gudmunn nickte.Vielleicht meinst du das Mädchen aus dem Haakatal. Die Leute sagen, sie ist nicht weit von der Stadt in Dienst. Auf einem Hof in Strinda.

Schon möglich, sagte Jens gleichgültig, während ihm das Blut heiß ins Gesicht stieg. Leb wohl. Ich danke dir, daß du meinen Jungen auf genommen hast.

Sie waren an das Zauntor gekommen, der Alte räusperte sichWenn du eine Nachricht für diese Ingeborg hättest, könnte ich ver­suchen, sie ihr zukommen zu lassen.

Jens blickte nachdenklich auf den kleinen Mann, der gewiß nichts Böses wollte. Aber dann gab er steh einen Ruck. Er legte ihm sanft seine große Hand auf die Schulter.Wir werden später darüber reden. Aber ich wollte dich um etwas anderes bitten: /errate du niemand, daß du uns begegnet bist!

Du weißt doch, ich sehe nichts, sagte Gudmunn.Und ich werde nie vergessen, wie dein Junge mir eine ganze Mahlzeit ge­schenkt hat. weil ich so hungrig war.

Ein bitteres Jahr

Es ging wie ein Schrei durchs Land. Ende Juli kam Nachtfrost und verdarb die späte, spärliche Ernte. Das große Notjahr war noch nicht zu Ende, jetzt erst fing es im Emst an. Am Himmel flammte kaltes Nordlicht, als griffen teuflische Arme durch die Luft, Seen und Flüsse erstarrten

Am ersten Abend, als sie den Frost spür­ten, stand Jens in tiefer Sorge am Hiaawas- serfall. Waren die Jahreszeiten durcheinan­dergeraten? Sie hatten noch keine rechte Sommerwärme gehabt, und schon kam der Winter. In dieser Nacht drängten sie sich eng aneinander, er und der Junge. Die Luft war feucht und scharf, und es half nichts, daß sie heizten, bis ein roter Schein auf die Felsen ringsum fiel. Man wurde auf der einen Seite angesengt, während die andere vor Kälte erstarrte. Vier Tage später zogen sie wieder nach der Höhle in der Schwarzen Schlucht. Der Frost trieb sie hinunter. Es nutzte alles nichts, mochten die Leute der Sennhütten sie sehen.

Aber die Wiese lag braungefroren und aus­gestorben da Alle waren hinuntergeflüchtet. Jetzt lag das Tal öde und kalt. Ohne das Brüllen der Kühe, ohne klingende Viehglok- ken. ohne das Singen der Mägde.

Dann kam der Schnee Ende August! Bäche und Sumpflöcher froren zu. Es war nicht mehr möglich, zu fischen. In jedem Wacholdergestrüpp hatten Jens und Ivar Schneehuhnschlingen, aber die Vögel waren aus dem Tal wie weggeblasen. Die meisten Jungen erfroren im Nest. Die Raubtiere wa­ren vor Hunger rasend geworden. Wenn

von Ingeborg

wirklich einmal ein Huhn in die Schlinge ging, waren bei Tagesanbruch nur noch die Federn da.

Am schwersten war es für den Jungen. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und sein Gesicht magerte so ab, daß sich zuletzt nur noch Haut über die Backenknochen spannte. Jens krampfte sich das Herz zusam­men. Auf die Dauer ging es so nicht weiter, er trug die Verantwortung. Vielleicht war es das beste, sich gleich auszuliefern. Mochten sie ihn wieder einsperren, wenn es dem Jun­gen nur besser ging! Länger in den Bergen bleiben zu wollen, war sinnlos. Er mußte sofort handeln, sonst war es vielleicht zu spät.

An diesem Abend kletterten tie mühsam aus der Schlucht, die Skier auf den Schultern. Von Norden her, über das Schwarze-Schlucht- Moor, kam ihnen der eisige Nordwind ent­gegen. Unheimlich schwamm das Licht eines großen, kalten Mondes am Bergrand entlang.

Ivars Herz war voller Angst, aber er traute sich nicht zu fragen, was Jens mit seiner nächtlichen Wanderung bezweckte. Schließ-

Der Polizeimeister in Stören war fünf Mei­len weit nach Drontheim gefahren, um dem Vogt seine Klage vorzutragen. Denn jetzt war es um seinen Distrikt so elend bestellt, daß es schlimmer nicht werden konnte. Jeden Tag kamen verhungerte Gebirgsbauern zu ihm auf den Hof. Er wußte keinen anderen Rat, als den Vogt um Hilfe zu bitten.

Doch der große vornehme Herr hatte nur mit einem Achselzucken die leeren, weißen Hände ausgebreitet. Was könne er schon tun? Die Getreidelager ständen leer, die Not sei überall gleich groß.

Jeden Tag käme man zu ihm, gerade zu ihm mit einer neuen Klage, als ob er selbst für diesen harten Winter verantwortlich sei. Der Vogt hatte es offenbar sehr eilig. Er war so angezogen, als ob er zu einem Feste wollte. Aber schließlich hatte er dann doch nach einem Papier gegriffen und eine Anweisung auf sechs Sack Mehl ausgeschrieben.

Der Polizeimeister hatte sie mit tiefer Ver­

lieh waren sie so tief ins Tal gekommen, daß sie den Lichtschimmer aus der Hütte der Krok-Leute undeutlich erkennen konnten. Da schwenkte Jens vom Fluß ab und ging auf die Hütte zu. Der Junge folgte ihm tau­melnd. Es mußte schlimm um Jens stenen. Er tat so, als hätte er gar nichts zu fürchten. Der Zaun war vom Winde eingerissen. Jens lief über die Wiese und trat an das Fenster der Hütte. Die Scheiben waren auf der Innenseite dicht mit Eisblumen bedeckt, so daß es unmöglich war, hineinzublicken.

Er taumelte auf die Steinplatte vor dem Eingang zu und wollte seine Skier abschnal­len, als er hinfiel. Lange lag er auf der Seite, und tastete an den Bindungen herum, bis er endlich die Füße freibekam. Da knarrte das Schloß der Tür, ein Lichtstreifen irang her­aus.Ist da jemand

Gjermunn-, sagte Jens stöhnend,du

mußt uns helfen, der Junge

Gjermunn schlug die Tür zu. Es war, als schnitte er den Lichtstrahl ab.Mach, daß du fortkommst! Mit geballter Faust schlug er auf die Bretterfüllung.

Gjermunn du mußt mich anhören, es ist deine Christenpflicht.

Nie im Leben! Und wenn du nicht gleich weiterziehst, weiß ich noch einen anderen Ausweg!

Wir verhungern!

Der Teufel soll dich holen. Wir kommen bald nach.

Jetzt hörten sie Gjertruds Stimme.Sei barmherzig, wohin sollen sie mitten in der Nacht? Aber ihr Mann schien völlig rasend zu werden. Plötzlich schrie sie gellend auf. Um Himmelswillen, geht er schießt durch . die Tür!

Jens packte den Jungen und riß ihn zurück. Aber sie waren eben um die Hausecke ge­bogen, als schon der Schuß in die Dunkelheit hinauskrachte. Jens drehte sich knurrend um.

beugung entgegengenommen Aber als er las. was auf dem Papier 6tand, war seine Verbeu­gung auf halbem Wege steckengeblieben. Sechs Sack Moosmehl. Er hatte den Vogt verwundert und trotzig angesehen.Moos­mehl. Zwar ist das Viehfutter auch knapp. Aber ich hatte eigentlich an Mehl für Men­schen gedacht!

Dem Vogt stieg das Blut ins Gesicht. Er müsse seinen Bauern eben beibringen, wie man es zu mischen habe, antwortete er. Wenn man Gerstenmehl, Rindenmehl und Moosmehl zu gleichen Teile,n mische, sei das Brot gar nicht so übel.

Und Brot aus Rinden- und Moosmehl allein? Ist in dem, was der Herr Vogt selber ißt, auch so viel Moosmehl?"

Der Vogt brüllte nach seinem Diener. Er hatte es satt, sich derartige Unverschämthei­ten in seinem eigenen Zimmer bieten zu las­sen.Uebr'gens, waren Sie es nicht, der da­mals den Häuslersohn Jens Peder Nybraatt

Ivar zitterte vor Angst, er hatte das Gefühl, als ob die Kugel ihnen nachfolgte. Aber er dachte noch etwas anderes. Es war ihm, als ob der große Mann, neben dem er lief, ein Wolf sei, der die Zähne gegen seine Verfolger fletschte..

Ein Räuber besonderer Art...

Um Mitternacht weckte Blind-Gudmunn Göllöv.Hörst du nichts? flüsterte er. Sie horchten beide auf den Nordwind, der um die Ecke der Hütte raste.

Göllöv hielt den Atem an. *Es kommt je­mand auf Skiern. Vielleicht Gjermunn. Ob Gjertrud krank geworden ist? Sie stieg aus dem Bett und hatte eben ihren Rock über­geworfen, als die Schneebretter an der Stein­platte vor der Tür klapperten. Eine Weile später tastete es am Schloß.Wer ist da? fragte sie voll Angst.

Alte Bekannte

Göllöv hob den Türhaken ab und blickte hinaus. Eine große schwarze Gestalt zeichnete sich vom hellen Mondhimmel ab. Hinter ihr stand der Junge.

In dieser Nacht wurde in der Stube Blind- Gudmunns nicht viel gesprochen. Göllöv schürte das Feuer und hängte einen Topf mit Rüben auf den Haken un der Herdstelle. Im Bett hockte der Alte. Jens saß neben ihm und starrte den Topf an, als habe er Angst, daß er im Feuer verschwinden könne. Der Junge war nach dem plötzlichen Uebergang zur Wärme in einen bleiernen Schlaf gefallen.

Aer Jens schlief auch später niht, nach­dem er sich gesättigt hatte und sich auf einem Fell neben dem Herd ausstreckte. Seine Augen brannten wie im Fieber. Er hatte sich ver­wandelt. Wenn man ihn schon wie ein Raub­tier jagte, so wollte er es auch ganz sein Ein Räuber, der in die Hürden und Kammern einbrach. Aber auch ein Räuber von einer ganz besonderen Art...

in eine Schlucht in den Kviknebergen hetzte? Hatten Sie nicht Befehl, den Flüchtling le­bend zu fangen?

Der Polizeimeister blieb an der Tür stehen. Ich glaube, er ist genug bestraft.

Genug bestraft? Mir scheint fast, als wolltet ihr aus diesem Kerl jetzt einen Mär­tyrer machen? Die Unzufriedenheit unter den Häuslern und ihre Neigung zum Aufruhr hat seitdem immer mehr zugenommen. Hätte man diesen einen Verbrecher damals richtig ge­packt, so wäre den anderen der Mut zu wei­teren Dummheiten vergangen!

So hatte der ehrenwerte Vogt gesprochen oder vielmehr laut herausgebrüllt. Und der Polizeimeister war mit seinen sechs Säcken Moosmehl als geschlagener Mann und schwe­ren Herzens wieder nach Hause gezogen.

Geheimnisvolle Einbrüche

So schlimm wie jetzt war es noch nie ge­wesen. Und doch standen die härtesten Win­termonate bevor. Die Leute schienen vor Hunger den Verstand zu verlieren. Jetzt fin­gen sie sogar schon an, von Gespenstern ru reden. Die Bauern im Butal sahen in der Abenddämmerung eine in Pelz gehüllte un­heimliche Gestalt zwischen den Höfen um­hergeistern.

Oder war das wirklich ein Mensch von Fleisch und Blut? Kein Vorratshaus war mehr sicher. Es half nichts, daß die Bauern dicke eis-rne Schlösser vor die Türen häng- ten, der Dieb kam doch hinein. Bis hinunter nach dem Herrenhof Bones hatte er sich ge­wagt. Die Häusler des Bonesbauern waren ehrliche Arbeiter, die sich niemals zu solchen Verbrechen hergaben Die Diebe mußten schon, wenn es überhaupt Menschen waren, Zigeuner sein oder Leute aus den oberen Gebirgstälern.

Gjermunn aus Kroken schlief nicht mehr. Nacht um Nacht lag er wach, starrte ins Dunkel und horchte auf den frostigen Wind, der um die Wälder fegte. Er fühlte sich elend und hilflos. Nacht für Nacht kamen draußen zwei Paar Skier herangeknirscht. 3is an die Wand kamen sie. Dann hörte er jemand am Türgriff tasten, und schon fuhren sie wieder davon.

Immer fand er dann morgens auf der Schwelle ein Geschenk. Er selbst keinen Bissen von dem gestohlenen Fleisch.

Eines Tages, als er im Blauerlengebirge umherstreifte, kam aus der Kviknegegend Nebel angetrieben, das graue Entsetzen der Berge. Er wollte schon umkehren, als er aur der Ebene unendliche Tierspuren zu erken­nen glaubte. Wirklich, es waren Rentier­spuren, nur einen Tag alt. Jetzt endlich gan es Essen in den Bergen, und er lief ni<* mehr auf gut Glück herum. Vielleicht wurde er schon morgen auf Rentiere stoßen..

Aber der Nebel wurde immer dichter, es war höchste Zeit, den Talboden wieder zu erreichen... Da war das lange Moor. GJ er munn konnte nichts mehr sehen als ein weiße Fläche. Er lief, daß der, Schnee in von den Skiern stob. Dann blieb er stehen und horchte. Angstschauer packten ihn. Denn der Hiaawasserfall, den man hier deutnen hören mußte, war verstummt. Gjermun hetzte weiter Da bewegte sich im treibend Nebel etwas Graues«Ein Rentier' fuhr es ihm in wilder Freude durch den Kopf

(Fortsetzung folg«

DIE BURG GÖTZ VON BERLICHINGENS Das Städtchen Möcfemüh] Im Jagstta! wird überragt von einer Bnrg des berühmten Götz von Berlichingens mit der Eisernen Hand, der im nahen Jagstbansen seinen Stammsitz hatte. (Foto: LVV Württemberg)

Die Not wird größer und der Winter steht erst bevor!