SAMSTAG, 8. MAI 1954

Bauernbräuche bei der Frühlingsaussaat

Von Ferdinand Silbereisen

Seltsame Gebräuche befolgen die Bauern mancher Gegenden Deutsch­lands noch immer bg,fm Säen und Be­stellen ihrer Felder und Gärten, ob­wohl die Landwirtschaft längst nach wissenschaftlichen rationellen Methoden betrieben wird.

In Westfalen und Schlesien setzt man hier und dort noch heute, bevor der Acker besät wird, einen Spaten an sein Ende und macht den ersten Wurf kreuzförmig.

In Schlesien, Mecklenburg und in der Oberlausitz nahm der Säende, wenn er Gerste auswarf, drei Körner davon unter die Zunge, welche nach beende­ter Saat mit einem Zauberspruch und einer Anrufung der heiligsten Dreifal­tigkeit in drei Ecken des Feldes ver­graben wurden. Während des Säens darf kein Wort gesprochen werden. Ebenso macht man es in Lauenburg mit dem Weizen, ln Hessen und in der Mark mit den Erbsen. Im Harz heben manche Bauern noch heute denWeizen-

Kulturelle Nachrichten

Der Germanist und Bibliothekar Professor D. Dr. Johannes Luther ist, wie erst jetzt bekannt wird, am ersten Mai im 93. Lebensjahr in Greifswald gestorben

Der deutsche Satiriker und Librettist Bldeamus (Dr. Fritz Oliven) feiert am zehnten Mai in Porto Alegro (Bra­silien) in körperlicher und geistiger Frische seinen achtzigsten Geburtstag Als Textbuchverfasser vielgespielter Kollo- und Künneke-Operetten, als Autor satirischer Verse, als Liedertex­ter und Erzähler ist Rideamus aus der Geschichte derleichten Muse in Deutschland nicht wegzudenken.

samen vor der Saat schweigend auf den Kopf und sprechen dann:

Weizen, ich setze dich auf den Rand,

Behüte dich Gott vor Trespe und Brand!

In der Wetterau glaubt sich der Bauer vor Hagelschaden schützen zu können, indem er die Felder mit Kohlen vom Osterfeuer bestreut und mit am Palm­sonntag geweihten Palmzweigen um­steckt. Eine reiche Ernte erhofft man ebendort, wenn man drei Kornähren hinter dem Spiegel befestigt und dazu die heiligen drei Namen ausspricht.

Der Thüringer Bauer kennt noch andere Mittel. Er macht zunächst beim Säen recht große Schritte, pflanzt aber

dann an beiden Enden des Feldes große Zweige vom Holunder und ißt auf den besäten Ackerboden mehrere frische Eier.

Bohnen werden in Schlesien am Chri­stianstag, in der Wetterau am Grün­donnerstag gesteckt, und zwar stets in gerader Zahl, denn sonst tragen sie nicht. Erbsen müssen in Westpreußen und in der Mark bei abnehmendem Monde gesät werden. Kürbisse legt man am Abend vor Christi Himmel­fahrt während des abendlichen Gebet- läutens, da sie dann angeblich sehr schnell wachsen und sehr groß wer­den. Gurken müssen aus dem gleichen Grunde, und damit sie nicht unter Frost leiden, am Abend vor Walpurgis gelegt werden. Kartoffeln dürfen nach dem Bauernglauben mancher Gegenden niemals an einem Tage gelegt werden, der im Zeichen des Steinbocks steht, denn sonst lassen sie sich nicht weich kochen.

Wer alte Weisheit liebt...

In das gewaltige, kaum überschau­bare chinesiche Schrifttum haben vier Übersetzer uns Einblicke erschlossen. Richard Wilhelm hat einige philoso­phische Klassiker, Vinzenz Hundhausen mehrere Dramen, Ritter von Zach Pro­ben der Lyrik und Franz Kuhn zahl­reiche Romane und Novellen ver­deutscht. Wer alte Weisheit liebt, wird immer zu den Büchern Wilhelms greifen - und zur Neuübersetzung derLunyü von H. O. Stange, dem Göttinger Sino­logen. Der Oldenburg-Verlag in Mün­chen hat Stanges Übertragung der Gedanken und Gespräche des Konfu­zius, eines der ältesten überlieferten Texte, die die chinesische Literatur besitzt, in einer auffallenden, weil quadratischen Form herausgebracht. Wer sie liest, ist überrascht von ihrer Aktualität. Als Politiker und Moralist

weiß Konfuzius scharfe Kritik an Miß­ständen, hohes Lob menschlicher Größe und Tiefes über ewige Wahrheiten auszusagen, und zwar so allgemeingül­tig, daß sein Wort über zwei Jahrtau­sende hinweg noch heute Richtschnur zu sein vermag. Vielleicht liegt dies aber auch an der Neuübersetzung, die sich in manchen von der Standardüber­tragung Wilhelms unterscheidet.

Zur chinesischen Klassik gehören eine Reihe von Romanen. Mao Tse-tung sollDie Räuber von Liang Schan Moor, eines derVier großen merk­würdigen Bücher, das der Droste-Ver- lag in Düsseldorf in der Übersetzung von Franz Kuhn und mit 60 Holz­schnitten einer alten chinesischen Aus­gabe versehen, vorlegt, während der Kampfjahre besonders geschätzt ha­ben. Es ist die Historie einer mächti­

gen Räuberbande im Kampf gegen ] korrupte Staatsmänner und Bonzen, denen der Kaiser, von besseren Beam­ten beraten, schließlich Recht zuteil werden ließ und sie zum Kampf gegen die nördlichen Barbaren einsetzt. Die Handlung ist bis zur letzten Seite be­wegt, die Handelnden sicher Umrissen, ihre Motive psychologisch gut erfaßt, das Ganze ist ein Meisterwerk chine­sischer Epik.

Wer von dem Reiz der in diesen beiden Büchern sichtbar gewordenen östlichen Welt berührt, tiefer in ihre Gedanken, Bilder und Kulturen und ihre Ge­schichte eindringen und sich mit der Wissenschaft von China vertraut ma­chen möchte, der vertiefe sich in die Lebensgeschichte des verstorbenen Berliner Sinologen Otto Franke, des­sen fünfbändiges LebenswerkDie Geschichte des chinesischen Reiches Bewunderung erheischt. Franke hat viele Jahre im konsularischen Dienst des kaiserlichen Deutschlands in China verbracht. Außerordentlich aufschluß­reich sind daher seine Schilderungen von Land und Leuten, der Sitten bei Hofe und des Gesellschaftslebens der Europäer im damaligen Peking. Es ist das China von gestern, das uns hier begegnet, aber auch das China, das in den von Kuhn verdeutschten Romanen zu Worte kommt, das alte China des Konfuzianismus, Buddhismus, der Mandschukaiser und der Zöpfe. Fran­kesErinnerungen aus zwei Welten, bei de Gruyter in Berlin jüngst er­schienen, geben Zeugnis für die Kon­tinuität des chinesischen Geistes, des­sen Bann sich niemand entziehen kann, der einmal mit ihm in Berührung gekom­men ist. Die Ereignisse und Begegnun­gen eines langen, dem Reich der Mitte gewidmeten Lebens haben in diesen Erinnerungen, die zugleich eine Kul­turgeschichte der letzten 80 Jahre dar­stellen, eine informatorisch zuverläs­sige und fesselnde Darstellung gefun­den. wn.

Mi nfucius v pncht

Soll ich dir sagen, was Wissen ist? Zu wissen, was man weiß, und zu wis­sen. was man nicht weiß, das.ist Wis­sen

Lernen ohne zu denken ist verlorene Mühe. Denken, ohne etwas gelernt zu haben, ist gefährlich.

Nur die Allerweisesten und die Al- lerdiimmsten ändern sich niemals.

Mag das Gute auch noch so fern von mir sein, wenn ich ernsthaft danach strebe, ist es da.

Fehlen, ohne sich zu bessern, das heißt erst fehlen.

In allem nur dem Vorteil nachgehen, bringt viel Ärgernis.

Aus den von H. O. Stange übertra­genen Gedanken und Gesprächen des Konfuzius.

Ein Historiker sieht Japan

E. O. Reischauer, Japan, Sa­fari-Verlag, Berlin 1953. Außerordentlich interessant weiß der amerikanische Orientalist über Japan zu berichten. Er betrachtet das Land und seine Menschen, die man nicht zu unrecht oft die Preußen des Ostens genannt hat, aus der Perspektive de* leidenschaftslosen Historikers. Ge­schichtlich-politische Entwicklung von der Invasion chinesischer und korea­nischer Seefahrer und der Zurück- drängung der Urbewohner, der Ainu, bis heute mit den wiederaufgebauten Industrien, Überseeverbindungen und den politischen Gegebenheiten nach der Kapitulation wird aufgezeichnet, das einst und jetzt durch Fotos, Stati­stiken und eine Karte erläutert, und am Beispiel Japan gezeigt, daß alle Menschen Produkt der in ihren Län­dern herrschenden geistigen und ge­sellschaftlichen Verhältnissen sind.

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