MONTAG, 2 2. DEZEMBER 1952

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Die bösen Buben ...

ik

... doch der nächste folgt sogleich

Sechs Jahre Krieg in Indochina

Ohne Sieger und Besiegte / Frankreichs schwärende Wunde

DIE MEINUNG DER ANDERN

Oesterreich-Resolution

Von UN-Vollversammlung gebilligt

NEW YORK. Die Vollversammlung der Ver­einten Nationen hat am Samstagabend mit überwältigender Mehrheit die bereits vom politischen Ausschuß gebilligte Österreich- Resolution angenommen, in der die vier Groß­mächte aufgefordert werden, sich über den österreichischen Staatsvertrag zu einigen und die Besetzung zu beenden.

Der Resolution, die von Brasilien, Mexiko, Holland und dem Libanon eingebracht worden war, stimmte die Versammlung ohne Debatte mit 48 gegen null Stimmen bei Stimmenthal­tung Pakistans und Afghanistans zu. Wie im politischen Ausschuß, nahmen die fünf Ost­blockstaaten an der Abstimmung nicht teil, weil sie die Ansicht vertreten, daß die Ver­einten Nationen für die österreichfrage nicht zuständig seien.

Der pakistanische Delegierte erklärte nach der Abstimmung, seine Stimmenthaltung sei als Protest zu werten. In der österreichfrage seien manche Staaten bereit gewesen, für die Unabhängigkeit einzutreten, aber hinsichtlich Tunesiens und Marokkos habe man von einer solchen Unabhängigkeit nichts wissen wollen.

Europas künftige Verfassung

t&ekutive, Legislative und Jurisdiktion

, '.iükRIS. Der von derad hoc'-Versammlung jw» dem Entwurf einer europäischen Verfas- jlsjig beauftragte internationale Verfassungs- Ausschuß unter dem Vorsitz des Bundestags­geordneten Heinrich v. Brentano hat am Samstag in Paris über die Grundzüge rpolitischen Behörde geeinigt, die der Irliufer der Regierung derVereinigten [jäten von Europa sein soll, nf einer Pressekonferenz umriß von Bren­ta* die Struktur der politischen Behörde, die istt Exekutive, Legislative und rechtsspre- Cilider Gewalt ausgestattet werden soll, einen cHial- und Wirtschaftsrat als beratende In- (iiu zur Seite hat und in der Anlaufzeit von dsa Außenministern der sechs Partnerstaaten rankreich, Deutschland, Italien, Holland, Jen und Luxemburg beaufsichtigt wer- soll.

HANOI. Der Krieg in Indochina ist am Frei­tag in ein siebtes Jahr eingetreten, ohne daß die Entscheidung auch nur einen Schritt näher ist als am ersten Tag. Es ist ein inoffizieller, nie erklärter Krieg, den fast eine Million Men­schen in den Bergen, Dschungeln und Reisfel­dern des tropischen Landes ausfechten. Seine militärische Ausweglosigkeit bringt Generale ebenso zur Verzweiflung wie Politiker und Frontsoldaten Wie begann dieser Krieg?

Am 19. Dezember 1946, um 8 Uhr abends, gab der in Moskau geschulte Kommunisten­führer H o C h i M i n h einen Tagesbefehl an seine Anhänger heraus, in dem er zur Ver­nichtung der französischen Streitkräfte in In­dochina aufforderte. Fast zur selben Stunde flackerte überall im Land der Terror auf, in Hanoi brachen blutige Straßenkämpfe aus, das Standrecht wurde verhängt. Sechs lange un­glückliche Jahre folgten, Kriegsglück und Operationsgebiete wechselten rasch, aber we­der die eine noch die andere Seite kann sich des Sieges rühmen.

Die Verluste betragen auf französischer Seite 48 000 Tote. 12 000 Vermißte und 80 000 Verwundete. Die Vietminh verloren 230 000 Mann an Toten und 230 000 Gefangene. Die finanzielle Belastung Frankreichs ist unge­heuer 4,2 Miliarden DM im Jahr. Die Ko­stenrechnung der Gegenseite wird in Moskau oder Peking zusammengestellt. Ihre Höhe ist ungewiß.

Es wäre falsch, die Revolte der Vietminh als kommunistische Volkserhebung zu bezeich­nen. Fest steht zwar, daß die obere Führer­schicht der Insurgenten bis zum Stabsoffizier herab aus überzeugten Kommunisten besteht und iede Komnanie von 200 Mann einenPoli- truk" besitzt. Aber nur jeder fünfte Vietminh- Soldat oder Guerilla ist ideologisch geschulter Kommunist, die anderen haben von der mar­xistischen Theorie und vom Stalinismus keine Ahnung und wüßten, wenn je befragt, zwi­

schenKapitalisten" undSozialisten nicht zu unterscheiden. Ihre Offiziere machen auch kaum den Versuch, sie politisch zu unterrich­ten, dafür predigen sie unaufhörlich den Haß gegen denwestlichen Imperialismus und schüren die nationalistischen Ressentiments ihrer Untergebenen zu wildem, hemmungs­losem Chauvinismus.

Zur Zeit stehen in diesemkleinen Korea" 400 000 reguläre und irreguläre Vietminh mit 6000 rotchinesischenBeratern 450 000 Solda­ten der französischen Union gegenüber Fremdenlegionäre, Marokkaner, Senegalesen, weiße Franzosen und Vietnamesen. Sieben Millionen der 22 Millionen Vietnamesen leben in dem fruchtbaren Delta des Roten Flusses um Hanoi, weitere vier Millionen im Raum Saigon-Cholon an der Mündung des Mekong in Cochin-China. Diese beiden wichtigsten Ge­biete stehen noch unter französischer Verwal­tung, obgleich hier 40 000 Guerillas den Fran­zosen das Leben zur Hölle machen. Die Grenz­gebiete im Norden und Nordwesten sind unbe­stritten in kommunistischer Hand, dafür wird der Süden nur selten von kommunistischen Terrorakten erschüttert.

An eine militärische Entscheidung zwischen den derzeitigen Streitkräften ist nicht zu den­ken. Nur wenn die Franzosen ihre Streitmacht verdoppeln würden was unmöglich ist könnten sie eine erfolgreiche Gegenoffensive führen. Andererseits hindert der Mangel an schweren Waffen und die Luftüberlegenheit der Franzosen die Vietminh, sich in entschei­dende Feldschlachten einzulassen. Die verlust­reiche Schlacht um Na Sam ist ihnen eine War-, nung gewesen. Wenn also die Franzosen hart­näckig bleiben, kein ausländischer Staat inter­veniert und eine friedliche Lösung nicht zu­stande kommt, werden die Kommunisten ihre fruchtlose Daueroffensive fortsetzen müssen, die die Franzosen schwächt, aber nicht ver­nichtet.

Der deutsche Verfassungsstreit

In einemToter Punkt in Deutschland überschriebenen Leitartikel bedauert die Times am Samstag den Verfassungsstreit in der Bundesrepublik an dem Regierung wie Opposition Schuld trügen:

Dr Adenauer kann sich einer gewissen Ver­antwortung für den Schaden nicht entziehen. Seine ursprüngliche Absicht, die Ratifizierung der Verträge im Parlament durchzusetzen und es dem Verfassungsgericht zu überlassen, nachher über ihre Legalität zu entscheiden, war vernünf­tig. Es ist schwer zu glauben, daß es n : oht besser gewesen wäre, an dieser Absicht festzuhalten . . Die Sozialdemokraten, die die Verfassungsfrage vor fast einem Jahr aufwarfen und sie seitdem nie mehr zur Ruhe kommen ließen, können noch weniger Kredit für sich beanspruchen Ihre Zä­higkeit hat ihnen einige taktische Erfolge ge­bracht und die RegierungskoaliUon schwerer er­schüttert. als vor wenigen Monaten möglich schien. Aber ihr Ziel ist bei den Wahlen im nächsten Jahr an die Macht zu kommen, und wenn ihnen dies gelingen sollte, dann werden sie Grund haben, die Schwächung des konsti'u- tionellen Gebäudes des Staates zu bedauern. Mehr noch sie werden sich weiterhin der Not­wendigkeit gegenüber sehen, erneut über die Ver­träge zu verhandeln. Sie könnten dann ihrerseits auf die Verfassungsschwierigkeiten stoßen, die jetzt Dr. Adenauer plagen.

Kleine Weltchronik

Heuß bei der Trauerfeier für Ernst Mayer. Stuttgart. Der am Donnerstagabend in Stutt­gart gestorbene FDP - Bundestagsabgeordnete Ernst Mayer wird heute auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beigesetzt. In der Paul-Gerhard- Kirche findet vorher eine Trauerfeier statt, wäh­rend der Bundespräsident Theodor Heuß für den Freundeskreis des Verstorbenen sprechen wird.

Betriebsratswahlen im März. Düsseldorf. Der DGB-Bundesvorstand teilte am Samstag mit, daß die nächsten Betriebsrätewahlen im Bundes­gebiet vom 16. bis 31. März 1953 stattflnden.

Großes Verdienstkreuz für Lodgman von Auen. Bonn. Bundespräsident Heuß hat dem Sprecher deT Sudetendeutschen Landsmannschaft, Dr. Ru­dolf Lodgman von Auen,in Anerkennung seiner Verdienste um die" Erhaltung des Heimatgedan- kens durch die Landsmannschaften das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundes­republik verliehen.

Neuer Erdgasausbruch. Quackenbrück/Hanno- ver. An einer Erdölbohrstelle in der Nähe von Loxten, Kr. Werdenbrück, explodierte am Sams­tag ausströmendes Erdgas. Vier Arbeiter wurden schwer und vier weitere leicht verletzt. Die die Bohrungen durchführende Gewerkschaft Elwe- rath hat sofort die notwendigen Sicherheitsmaß­nahmen getroffen.

Zarali Leanders Pelzmantel. Frankfurt. In den frühen Morgenstunden des Sonntag wurde in der Frankfurter Bethmannstraße aus einem par­kenden, verschlossenen Cadillac von unbekann­ten Tätern ein grauer Biberpelz-Mantel im Wert von etwa 18 000 DM gestohlen. Der Mantel ge­hört der Filmschauspielerin Zarah Leander, die in Düsseldorf der Premiere ihres neuen Films Cuba Cabana beigewohnt hatte.

Kesselring geheilt. Bochum. Das Bochumer KrankenhausWerkmannsheil hat am Samstag den ehemaligen Generalfeldmarschall Kesselring endgültig aus seiner Behandlung entlassen. Kes­selring hatte sich einer schweren Haisoperation unterziehen müssen.

Stalins 73. Geburtstag. Berlin. Stalin beging gestern seinen 73. Geburtstag. Während die So­wjetpresse auf ihren ersten Seiten die Geburts­tagswünsche des russischen Volkes abdruckte, sandten alle Rundfunkstationen der Satelliten­staaten am Samstag und Sonntag Gratulationen. Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands fan­den überallGeburtstagsversammlungen statt.

Ober 133 000 Flüchtlinge seit Weihnachten 1951. Berlin. Über 133 000 Menschen sind seit der letzten Weihnacht aus der Sowjetzone geflüchtet, sagte Bundesmintster Jakob Kaiser gestern auf einer Weihnachtsfeier der Vereinigung politischer Ostflüchtlinge in Westberlin.

Umkehr schon in 8100 m Höhe. Khatmandu/ Nepal. Entgegen früheren Meldungen hat die Schweizer Mount-Everest-Expedition nicht 50 m unterhalb des Gipfels, sondern bereits in 8100 m Höhe, also rund 900 m unterhalb des Gipfels, ihT Unternehmen aufgegeben, wie am Wochenende von Gewährsleuten in Khatmandu, einem Ort auf der Rückmarschroute der Expedition, mitge­teilt wurde.

Donnelly geht zur United Steel. Washington. Der bisherige amerikanische Hohe Kommissar für Deutschland, Walter J. Donnelly, wird eine Stellung bei der großen amerikanischen Stahl­firma United Steel annehmen. Donnelly soll Ver­treter der Gesellschaft für Mittel- und Südame­rika werden und will sich in der venezuelani­schen Hauptstadt Caracas niederlassen.

Wes zur soziaen Sicherheit

Storch zieht Jahresbilanz 1952

BONN. Bundesarbeitsminister AntonStorch erklärte am Wochenende in einem Interview, daß im ablaufenden Jahre auf allen Gebieten der Sozialpolitik in der Bundesrepublik we­sentliche Fortschritte erzielt worden seien. Er verwies in einer umfassenden Übersicht über die sozialpolitische Entwicklung darauf, daß die Zahl der Beschäftigten seit ihrem Tief­stand im März 1950 um 2 150000. also um mehr als 16 Prozent, auf rund 15.5 Millionen gestie­gen ist Die Zahl der Arbeitslosen habe am 1. Oktober d. J. mit rund 1 Million den nied­rigsten Stand seit der Währungsreform er­reicht.

Die Ausgaben für die Sozialversicherung aus Steuermitteln seien von 730 Millionen DM im Jahre 1950 auf 1697 Millionen DM in diesem Jahre, die Ausgaben für die Kriegsopferver­sorgung im gleichen Zeitraum von 2400 Mil­lionen auf 3340 Millionen DM gestiegen. Der Minister versicherte, daß ein Realisieren der europäischen Verteidigungsgemeinschaft in der Bundesrepublikganz bestimmt nicht die so­zialpolitische I.age verschlechtern werde.Ich möchte im Gegenteil sagen, daß ohne eine Si­cherheit nach außen unser sozialpolitischer Fortschritt im Innern auf die Dauer nicht si­cherzustellen ist. Wirtschaftspolitische Fort­entwicklung und äußere Sicherheit sind die beiden Voraussetzungen dafür, daß wir im kommenden Jahr aus der Periode der Not­maßnahmen heraus zur wirklichen sozialen Sicherheit der arbeitenden Menschen kommen, sagte Anton Storch.

Rote Hilde kündigt an

Vor dem großen Schauprozeß

BERLIN. Einen großen Schauprozeß gegen prominente Vertreter des Staatsapparates des sowjetischen Besatzungsgebietes kündigte die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes der Sowjetzone, Dr. Hilde Benjamin (SED), am Sonntag in der sowjetischenTäglichen Rund­schau an. Die in der Sowjetzone unter dem NamenRote Hilde bekannte Präsidentin spricht von einerSabotage unserer Versor­gung, die inzwischen aufgedeckt worden sei. Eine Untersuchung sei eingeleitet worden.

VON HARALD BAVWtöARTEN

Copyright by Carl Dunker-Verlag

durch Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden

(2. Fortsetzung)

Stefan konnte es nicht sehen, daß ihre Augen trübe vor Schmerz wurden. Er erhob sich, aber sie griff nach seinen Händen und zog ihn wieder zu sich nieder. Sie streichelte seine Wangen seine Stirn und zog mit der Finger­spitze die Linien seines Mundes nach.Gelieb­ter! flüsterte sie,mein ewig Geliebter!

Durch die tiefe Stille des Gasthofes klang ein Schritt.

Morgen früh, nickte er ihr zu,oder viel­mehr heute. Alles in meinem Leben wird von nun an .heute 1 heißen.

Als er vorsichtig die Tür zum Balkon öffnete, von dem eine Holztreppe zum Garten hinun­terführte, lief ein Frösteln über ihren Rücken. Sekundenlang hatte sie den wilden Wunsch, auf alles in ihrem Leben zu verzichten, nur um ihn immer bei sich zu halten Nie hatte sie ge­ahnt, daß sie so lieben würde.

Aber jäh hörte sie die trostlose Stimme der Zukunft

Lautlos erhob sie sich, ging zu dem altmo­dischen Diwan und begann sich hastig anzu­kleiden

Der Garten des alten Gasthauses lag noch In völliger Dunkelheit. Auf die Barke, in der der Schiffer schlief, fiel das blasse Mondlicht Belustigt bemerkte Stefan, daß der Mann sich in das Tuch gewickelt hatte, das sonst als Bal­dachin diente Die engen Wege des Gartens waren verwildert. Der Kies, zwischen dem Unkraut wucherte, knirschte

Als Stefan die Bäume umschritt, sah er ein Lichtfünkchen dicht am Sc^ufer glimmen. Er ging darauf zu und blieb erstaunt stehen, als er in dem Schatten der Dunkelheit den Wirt

erkannte, der es sich auf einem Liegestuhl be­quem gemacht hatte, die lange Virginia hing in seiner Mundecke

Buona sera grüßte Maestro Pasquillo, schläft Ihre Frau Gemahlin?

Stefan lachte leise und glücklich.Halten Sie hier Nachtwache. Maestro?"

Heftig zog Pasquillo an seiner Virginia.Ich kann im Hause nicht schlafen. Wenn es Sommer wird, lege ich mich in den Garten. Die Musik bedrückt mich.

Welche Musik? fragte Garrian nur aus Höflichkeit.

Die Trauermusik, mein Herr. Ich höre ihre Melodien die Nächte über wunderbar trau­rige Weisen. Melancholisch und düster fuhr er fort:Aber wenn ich sie morgens auf Papier bringen will, sind sie zerronnen. Sand im Stun­denglas. Signore. Er verweht, man kann ihn nicht festhalten.

Der Mond war untergegangen. Eine kühle Morgenbrise wehte über den See.

Stefan versuchte ein mitfühlendes Lächeln. Aber seine Gedanken und Sinne waren bei MichaelaWas hat das für eine Bewandtnis mit der Trauermusik? Er griff nach seinem Etui, fand es in der Westentasche und steckte sich eine Zigarette aa ' Pasquillo seufzte.Ich war Musiker in Mai­land, Signore, Chordirigent an der Scala. Jetzt habe ich nur noch den Titel Maestro' davon. Er setzte sich auf. stemmte die Ellenbogen auf die Knie und legte sein Kinn zwischen seine Hände.Ich hatte Aussichten, große Aussich­ten. Aber wozu soll ich Sie langweilen? Sie sind glücklich Der glückliche Mensch hat noch kein Verständnis für die trübe Seite des Lebens.

Stefan nahm einen Gartenstuhl und setzte sich dem Wirt gegenüberWie kommen Sie dazu, hier in Gandria den Padrone zu spielen?

Lebhaft entgegnete Pasquillo:Spielen? Spielen! Ja, das ist der richtige Ausdruck. Manche schlüpfen in einen neuen Beruf, andere laufen herum und tun. als seien sie noch die gleichen Menschen Aber sie wissen doch, daß ihnen das Unglück den Boden unter den Füßen weggerissen hat.

Die melancholische Lebensauffassung Pas- quillos erschien Stefan wie eine Begleitmusik zu der glücklichen Melodie dieser Nacht, ein notwendiger Gegensatz, der harmonisch von der Schattenseite des Daseins herüberklang. Man muß mit seinem Schicksal fertig werden. Maestro.

Die Stimme Pasquillos wurde scharf und fanatisch.Wenn es in unserer Macht steht, Signore. Wir sind dazu bestimmt, in die Höhe gehoben und kopfüber in die Tiefe gestürzt zu werden. Es kommen viele junge Menschen zu mir, Verliebte, Glückliche! Sie spielen sich auf, als seien sie dazu auserwählt, nur glücklich zu sein Denken Sie in dieser Stunde nicht genau so?

Jeder Mensch hat einen gewissen Anspruch auf Glück sagte Stefan und blickte zu dem Balkon empor Dort oben war die Frau, von der er schon immer geträumt hatte Endlich hatte er sie gefunden Das Bewußtsein, daß sie ihm gehörte, gab ihm die Gewißheit, daß es herr­lich sei, zu leben Nichts Böses war auf der Welt, nichts Feindliches

Die schwarzen Augen des Wirtes begannen zu glitzernIch hatte eine Frau, die ich sehr liebte, und einen kleinen Jungen Sie starben An einer Krankheit. Wollen Sie mir einen an­deren Sinn ausdeuten, als daß ich durch mein Schicksal gedemütigt werden sollte?

Stefan trat seine Zigarette aus und stand aufSie können ein Einzelschicksal nicht zurr Gesetz erheben

Höhnisch grinste der Wirt.Meinen Sie?" gab er spöttisch zurückDas sind leere Worte Sie werden anders denken, wenn das Schicksal Sie selbst anpackt Kommen Sie in einigen Jahren wieder zu mir ins Grand Hotel Wir werden sehen, ob Sie noch die gleiche Ansicht vertreten

Ein zorniges Wort lag Stefan auf den Lippen aber er unterdrückte es Was ging ihn dieser seltsame Pessimist an. der nachts Trauermusik hörte, die er nicht in Noten fassen konnte Er fühlte noch die Umarmung Michaelas, ihre Zärtlichkeit und ihr Vertrauen

Seine Blicke wanderten über den Himmel, an dem die Sterne verblaßten. Die Außenwelt mit

ihren Alltäglichkeiten konnte den Taumel seiner Seligkeit nicht berühren.Gute Nacht, Maestro, sagte er kurz und ging.

Der Wirt erwiderte den Gruß nicht. Schwer ließ er sich wieder in seinen Liegestuhl zurück­fallen.

Von dem Balkon wehte Kühle herein Mi­chaela legte den Pelz fester um sich. Vom Gar­ten her hörte sie die Stimmen Sie sah zwei Lichtfünkchen, die auf und nieder glitten. Bis war die Zigarette Stefans und die Virginia des Wirtes. Nun sprach Stefan.

Stimme, dachte sie. geliebte Stimme! Ich werde dich niemals mehr hören

Das Zwieliecht drang stärker ms Zimmer. Es verjagte das sanfte Dunkel, in dem sich noch das Geheimnis ihrer Umarmung barg Michaela hob die Hand und verdeckte die Augen. Die silberne Münze an ihrem Armband klirrte leise. Sie ließ die Hand sinken, starrte das Armband an und nahm die römische Münze, den Denarius Casare, zwischen ihre Finger. Die Kühle des Metalls schien eine beruhigende Kraft auszuströmen. Die Zukunft stand ge­bieterisch und fordernd neben ihr. Nikolaus hatte ihr dieses Armband geschenkt. Wie konnte sie ihn verraten!

Jetzt hörte sie. daß Stefan sich von dem Wirt verabschiedete. Er ging durch den Garten auf das Nebengebäude zu. Eine Tür knarrte Re­gungslos, mit pochendem Herzen, stand sie, lauschte

Vögel fingen an zu zwitschern Erste Strah­len der Sonne zuckten rosig über die Berg­gipfel Ein würziger Duft nach Wachholder, Aloe und Blüten die ihre Kelche öffneten, drang auf sie ein

Es ist Zeit flüsterte sie sich befehlend zu und konnte sich nicht rühren. Ihre Blicke irrten durch das Zimmer

Fremder Raum und doch jetzt so vertraut und unvergeßlich!

Wenn sie nun einfach hierbliebe alles hin­warf. was ihr bisher als das Wichtigste in ihrem Leben erschienen war?

Eine völlige Hilflosigkeit bemächtigte sich ihrer.

(Fortsetzung folgt)

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