FREITAG, 21. NOVEMBER 1952
Um die Todessonne von Eniwetok
Luiifer-Griff nach den Sternen / Aus dem Himmelsfeuer wurde die Höllenbombe
NEW YORK. Das Rätselraten der Welt um die jüngsten Vorgänge auf der Südseeinsel Eniwetok läßt sich in eine kurze Frage pressen: Ist Eniwetok am 1. November 1952 untergegangen, weil dort am gleichen Tage die erste künstliche Sonne aufstrahlte? Dann wären Eniwetok und der 1. November dieses Jahres ein Markstein auf dem Kreuzweg der Menschheit ins Ungewisse. Was ist nun wirklich geschehen?
Anfang November berichteten Angehörige der amerikanischen Sondereinheit 132 in Luftpostbriefen nach Hause, sie hätten die Explosion der ersten Wasserstoffbombe auf Eniwetok aus der Ferne mit angesehen. Am Sonntag, den 16. November, teilt die Atomenergie- Kommission der USA amtlich und nüchtern mit: die jüngsten Versuche auf Eniwetok hätten auch Experimente zur Erforschung der „thermonuklearen“ Waffen umfaßt, entsprechend der Truman-Erklärung vom 31. Januar 1950. Das neue Wort „thermonuklear“ ist eine Zusammensetzung aus Thermos (Wärme) und Nukleus (Atomkern). Der Laie kann sich nicht viel darunter vorstellen. Aber die Erklärung Trumans kann jeder nachlesen. Es heißt darin: Ich habe die Atomenergie-Kommission angewiesen, die Arbeit von allen Arten der Atomwaffen einschließlich der sogenannten Wasserstoff- oder Superatombomben fortzusetzen.
Also hat in den Privatbriefen von den Mar- shall-Inseln doch die Wahrheit gestanden. Nach dem ersten Schock fragt sich die halbe Welt, wie eine derartige Indiskretion möglich war. Schon wird von Strafverfahren für die voreiligen Briefschreiber und einer Panne des Abwehrdienstes gesprochen. Aber wieder gibt es etwas, das stutzig macht und dagegen spricht: Im erwähnten Sonntagskommunique wird nämlich allen Augenzeugen des Versuchs, die ja sämtlich Mitwirkende waren,_ der besondere Glückwunsch des Verteidigungsministeriums und der Atomenergie-Kommission für ihre bemerkenswerte Präzisionsarbeit ausgesprochen.
Es ist kaum anders denkbar: auch die scheinbar unprogrammäßigen Privatbriefe waren einkalkuliert, die Welt sollte aufmerksam werden, in der Atompolitik zwischen Washington und Moskau wurde ein neuer Trumpf ausgespielt
H-Bombe kein Geheimnis
Es kommt in diesem Schachspiel der großen Politik nicht mehr darauf an, die Wasserstoffbombe zu erfinden. Es kommt nur darauf an, wer sie zuerst und den größten Vorsprung dabei hat. Denn was ist diese Wasserstoffbombe? Zunächst einmal kein Geheimnis mehr! Nicht umsonst haben die Atomforscher seit einem Jahrzehnt mit Zyklotron und Be-
We>hnachtsge der-Kegelung
BONN. Der Bundesflnanzminister und die Bundesländer haben am Donnerstag im Ministerialblatt des Bundesflnanzministeriums die Vereinbarung über das Weihnachtsgeld für Angestellte und Arbeiter des Bundes und der Länder veröffentlicht. Danach erhalten Unverheiratete 30 und Verheiratete 50 Mark. Für jedes Kind tritt hierzu ein Zuschlag von 15 Mark.
Die Vereinbarung gilt für die Mitglieder der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr im DGB. Das Weihnachtsgeld soll aber auch allen anderen Bediensteten ausgezahlt werden. Mitglieder der Deutschen Angestelltengewerkschaft sollen es allerdings — wie verlautet — nur dann erhalten, wenn sie nicht streiken, um ihre in den Tarifverhandlungen immer wieder abgelehnte Forderung nach einer Weihnachtszuwendung in Höhe eines halben Monatsgehaltes durchzusetzen. Auch die Beamten sollen das Weihnachtsgeld der Angestellten und Arbeiter erhalten. Es bedarf hierzu aber noch der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften.
tatron die ganze Reihe der Elemente auf Atomkemreaktionen hin studiert. Dabei zeigte es sich, daß es viel mehr Elementumwandlungen gibt als die Zertrümmerung des Urans und des Plutoniums. Die Kernspaltung dieser schwersten Elemente liefert die Energie der bisher bekannten Atombomben. Aber noch mehr Energie wird frei, wenn sich ganz leichte Atome wie Wasserstoff, Helium, Lithium zu einem etwas schweren Atom zusammenfügen. Wasserstoff ist das erste und leichteste aller Elemente. Daher der Ausdruck Wasserstoffbombe, auf amerikanisch H-Bombe, nach dem Wort Hydrogenium für Wasserstoff, woraus dann sehr bald das Wort hell-bomb wurde: die Höllenbombe.
Man hätte den neuen Typ ebensogut Himmelssonne nennen können. Denn die leichten Elemente Wasserstoff. Helium usw. sind es, die den Sternen am Himmel als Atomfeuer ihre Leuchtkraft und ihre Wärme geben. Das beste Beispiel ist der nächste aller Sterne, die Sonne. Dort wandelt sich ständig Wasserstoff in Helium um, und einem Bruchteil dieser Atomenergie verdanken wir Menschen die Wärme und das Licht, unser Leben und Dasein. Aber wie Luzifer, der Lichtbringer, zum
„Gesamtdeufs^e Vo'ksoartei“
Heinemann, Wessel, Bodensteiner BONN. Die neue Partei, die von dem ehemaligen Bundesinnenminister Heinemann (früher CDU) und den Bundestagsabgeordneten Helene Wessel (früher Zentrum) und Hans Bodensteiner (früher CSU) am 29. November in Frankfurt'Main gegründet werden soll, werde, vorbehaltlich der Zustimmung des Gründungsgremiums, den Namen „Gesamtdeutsche Volkspartei“ erhalten, teilte Frau Wessel am Donnerstag mit.
Staatsgeriditshef für Baden-Württemberg konstituierte sich. Stuttgart. — Der vorläufige Staats» gerichtshof von Baden-Württemberg ist am Donnerstag zu einer konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Der Vorsitzende, Oberlandesgerichtspräsident Robert Perlen, vereidigte nach einer Würdigung der Arbeit der drei bisherigen Staatsgerichtshöfe die vier nichtrichterlichen Mitglieder des vorläufigen Staatsgerichtshofes.
Verkehrssicherheitsgesetz gefährdet Berlin-Versorgung. Bonn. — Bundesverkehrsminister See- bohm erklärte am Donnerstag, die vom Bundestag in das Verkehrssicherheüsgesetz aufgenommene Beschränkung der Länge von Lastzügen auf 15 m (bisher 20 m) würde die Versorgung der Stadt Berlin ernstlich gefährden.
Anklage gegen Journalisten zurückgenommen. Bonn. — Bundesjusiizminister Dehler hat die Anordnung auf Strafverfolgung der im Zusammenhang mit dem Fall Platow wegen Geheimnisverrats beschuldigten Journalisten zurückgenommen. Dieser Schritt geht auf einen Kabinettsbeschluß vor einiger Zeit zurück, nach dem keine Strafverfolgungen nach § 353 c StGB mehr erfolgen sollen
Steigende Krankenzahlen in der Sowjetzone. Bonn. — Wie das Regierungsbulletin berichtet, leiden in der Sowjetzone 2,1 Millionen Menschen an offener Tuberkulose und die Zahl der schwer heilbaren Krankheitsfälle ist durch die dauernde Unterernährung von 2,7 Millionen im Jahre 1950 auf 5,5 Millionen angestiegen.
Paweike in Bonn. Bonn. — Der deutsche Botschafter in Ägypten. Dr. Günther Paweike, traf gestern abend in Bonn ein. nachdem er kurz vor seinem Abflug noch eine Unterredung mit
Inbegriff der iiotie wurde, so verhängnisvo*. und dämonisch ist auch der Griff des Menschen nach dem Atomfeuer der Sonne, der Sterne.
jomben, die „zu alt“ werden
Einen Unsicherheitsfaktor wird es in diesem Geheimkrieg der Atomrüstung geben. Die neuen Bomben haben nur eine begrenzte Lebensdauer. Nach 12y 2 Jahren hat das Tritium die Hälfte seiner Masse abgestrahlt. Es schwindet also, verglichen mit dem Radium und anderen radioaktiven Substanzen, ziemlich schnell dahin. Die Bomben werden allmählich unscharf. Welch eine Versuchung, wurde schon gesagt, für die Atomstrategen der Zukunft, einen H-Bombenvorrat unter dem Druck der Zeit einzusetzen!
Es gab noch viele andere Einwände. Könnte nicht die Lufthülle des Erdballs durch diese Bomben in Brand gesetzt werden? Vielleicht sogar die Gesteinskruste des Globus? Unter anderem soll dadurch so viel radioaktiver Kohlenstoff entstehen, daß die Bevölkerung ganzer Erdteile in Gefahr kommt, diesen Stoff einzuatmen, mit den Früchten der Pflanzen, dem Fleisch der Nutztiere in sich aufzunehmen. Alles Leben auf der Erde würde dadurch radioaktiven Strahlen ausgesetzt, Mißwuchs und Mißgeburten in Pflanzenwelt, Tierwelt und Menschenwelt wäre die Folge.
Aber was ist an diesem Aspekt Angstgespenst, und was ist Wahrheit? Sicher ist nur, daß die H-Bombe eine Millionenstadt total vernichten kann. Daß man sie immer noch größer und wirkungsvoller machen kann. Daß der 1. November von Eniwetok nur ein Anfang war. E. B.
An der Gründung sollen etwa 100 ausgewählte Persönlichkeiten teilnehmen Vor rund 600 geladenen Gästen werden dann ein Manifest und die Parteisatzungen verkündet werden. Über die Aussichten der neuen Partei, zu deren Gründer auch der Wunpertaler Industrieberater Adolf Scheu gehört, äußerte sich Frau Wessel optimistisch. „Weit über 1000 Personen, darunter zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus allen Teilen der Bundesrepublik haben sich zur aktiven Mitarbeit angemeldet. Wir können uns vor Anmeldungen kaum retten.“
dem ägyptischen Ministerpräsidenten, General Naguib, hatte. Er wird der Bundesregierung über die letzten Entwicklungen im Konflikt zwischen den Araberstaaten und der Bundesrepublik berichten.
Marschall Juln in der Academie Franpaise. Paris. — Der Oberkommandierende der atlantischen Streitkräfte in Mitteleuropa, Marschall Juin, wurde am Donnerstag in die Academie Frangaise gewählt. Im Kreis der „Vierzig Unsterblichen“ Frankreichs wird er den Sessel des vor kurzem verstorbenen Schriftstellers Jean Tharaud einnehmen.
Zentrum beschuldigt CDU und katholische Geistliche. Düsseldorf. — Der Bundesausschuß der Zentrumspartei beschuldigte die CDU. das Abkommen von Münster über einen fairen Wahlkampf vor den Gemeindewahlen in den meisten Orten nicht eingehalten zu haben. Auch untergeordnete kirchliche Stellen hätten offen für die CDU agitiert und Kandidaten und Wähler des Zentrums unter Gewissensdruck gesetzt.
Britisch-ägyptische Sudan-Verhandlungen. Kairo. — Großbritannien und Ägypten sind am Donnerstag in offizielle Verhandlungen um die politische Zukunft des Sudan eingetreten. Zuvor hatte der britische Botschafter Sir Ralph Stevenson eine Konferenz mit dem ägyptischen Ministerpräsidenten General Naguib.
Mehr deutsche Einwanderer für USA. Washington. — Außenminister Acheson hat erklärt, die Vereinigten Staaten sollten die Einwanderungsbestimmungen für eine größere Anzahl von Personen aus überbevölkerten Gebieten unter denen sich auch die Bundesrepublik befände, erleichtern
DIE MEINUNG ÜEK ANDEKN
Die Saar steht im Wege
Der liberale Londoner „Evening Stör* Sieht im Hintergrund des mangelnden deutschen Ratifizierungswillens die französisch! Haltung in der Saarfrage und hat dafür Verständnis. Das Blatt erklärt, der Westen müsst jetzt dem Bundeskanzler in seiner schwierigen politischen Lage zu Hilfe kommen uni schreibt:
„Selbst der zynischste Verfechter des Standpunkts .traut keinem Deutschen* muß mit dem Bundeskanzler eine Ausnahme machen. Was di« Lage jetzt so erschwert, ist das Mißvergnügen der Deutschen einschließlich Adenauers über di« französische Einigung mit der Saar und ihr« Anklage wegen des Verbotes verschiedener politischer Parteien des Saarlandes als einer Ver- letzung der demokratischen Grundrechte Damit scheinen die Deutschen allerdings durchaus im Recht zu sein. In der Behandlung der Saarfrag« sind Fehler begangen worden, und zwar Fehler, die sich einzig und allein aus der Furcht Frankreichs vor einem Wiederaufleben deutschen Ehrgeizes und deutschen Angriffsgeistes herschreiben. Solche Besorgnisse sind natürlich Aber jetzt, da der gesamte Westen zur Verteidigung unter amerikanischer Führung integriert ist, wäre es doch wohl auch für die Franzosen an der Zeit, die Dinge aus einer etwas weniger engen Perspektive zu sehen."
Saarpresse stößt ins Horn
Die in Saarbrücken erscheinenden Tageszeitungen befassen sich in großer Aufmachung mit der Saardebatte des Bundestage!, Die Hoffmann’sche „Saar ländische Volkszeitung“ schreibt dazu in einem Kommentar unter der Überschrift „Nicht einmal das. was wir erwarteten“, u. a.:
„Was wir wiederum vermißten, war das Eingehen auf die harten Realitäten, die den Saar- Zustand bedingen Die Bundestagssitzung vom Dienstag hatte dem Reichsgesangverein de! Dritten Reiches vollkommen Ehre gemacht. Man appellierte an patriotische Gefühle der Saarländer. ohne ihnen sagen zu können wie man sich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Fragen anzunehmen gedenkt. So war es noch immer, wenn der Bonner Bundestag über den Saarknochen herfiel. Es war Stimmungsmache, sonst nichts.“
Ulbrcht: Viermäphtekon e ? enz
Nochmals einen Schritt entgegen
BERLIN. Der Generalsekretär der SED und stellvertretende Ministerpräsident der Sowjetzone, Walter Ulbricht, hat sich am Donnerstag für die gleichzeitige Behandlung der Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, eines Friedensvertrages und des Abzuges der Besatzungstruppen auf einer Viermächtekonferenz ausgesprochen.
Ulbricht griff damit den Vorschlag auf, den der stellvertretende Ministerpräsident und Ost-CDU-Vorsitzende Otto N u s c h k e anläßlich des Besuchs der Volkskammerdelegation im September in Bonn gemacht hatte. Dies sei „notwendig Und möglich“, sagte Ulbricht nacb einem Bericht des sowjetzonalen Nachrichtendienstes, damit die Frage der Tagesordnung nicht die Einberufung einer Viermächtekonferenz verzögere.
Küizuir’eti der Aus andshiife?
Deutschland besonders betroffen
WASHINGTON. Die Vereinigten Staaten beabsichtigen „versuchsweise“, die Auslandshilfe für die meisten westeuropäischen Länder im kommenden Jahr scharf einzuschränken, verlautet aus unterrichteten Kreisen in Washington. Besonders davon betroffen sollen die Bundesrepublik, die Niederlande, Belgien und Luxemburg, möglicherweise auch Frankreich und Italien sein.
Vor allem der eindrucksvolle wirtschaftliche Wiederaufstieg Westdeutschlands bildet für die zuständigen Beamten in Washington ein Argument für die Kürzung.
Kleine Weltchronik
B/V LVSrtoeH ROMAN VQNHANS WMTBtSHAUSEH
Copyright by Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden (8. Fortsetzung)
Und wenn ich aller weisen Voraussicht nach von Klirr & Co. kein GeM bekommen werde, so weiß ich wenigstens warum; dagegen kann ich nicht verstehen, warum das versprochene Anerkennungsschreiben von Fräulein Throta so lange auf sich warten läßt. Ob ich einmal „zufällig“ durch die Franz- Joseph-Straße komme? Warum denn nicht?
Und er zog den im Lexikon verfahren gebügelten Schlips unter dem Band „Elefant bis Gsndria“ hervor, drückte den allerletzten Tropfen aus der Eau-de-Cologne-Flasche und begab sich auf schnellstem Wege zufällig nach der Franz-Joseph-Straße.
Im Hausflur leuchtete ihm ein schwungvoll gemaltes Schild mit der Aufschrift .Keramische Werkstätte Throta, im Hinterhaus* entgegen, wohin Heinz seine Schritte lenkte.
„Herein!“ rief eine Stimme in einem Tonfall, der deutlich verriet, daß man sich gestört fühle.
Heinz sah sich einer nicht mehr ganz jungen und nicht besonders reizenden Dame gegenüber, die damit beschäftigt war, einen merkwürdigen Brei anzurühren. Sein Erscheinen vermochte die Dame nicht zu bewegen, ihre rührende Tätigkeit aufzugeben. Nach einem frostigen Blick fragte sie bestimmt, aber n.cht höflich: „Sie wünschen?“
Heinz hielt ein besänftigendes Lächeln für angebracht. Wenn das die Schwester ist, dachte er, dann scheint die eine Liebenswürdigkeit, Schönheit und Fröhlichkeit für beide mitbekommen zu haben. Lächelnd und augenleuchtend sagte er:
„Habe ich das Vergnügen, Fräulein Throta?“
„Throta, ja“, erwiderte die Künstlerin ohne Umstände, indem sie eitrig weiterrührte.
„Walthari ist mein Name. Verzeihen Sie bitte die Störung, ich sehe, Sie sind mit Backen beschäftigt. Bitte, lassen Sie sich durch mich in keiner Weise aufhalten! Es handelt sich nur um eine kurze Frage.“
„Ich lasse mich gar nicht stören. Fragen Sie, was Sie wissen wollen!'
„Bitte sehr, ganz recht. Ich kam zufällig hier vorbei, und als ich Ihre Firma las, fiel mir ein, mich nach Fräulein Anni Throta, Ihrem Fräulein Schwester, zu erkundigen. Vielleicht, daß sie noch hier ist?“
Die Künstlerin hörte plötzlich zu rühren auf. Mit einem Blick, als prüfe sie ein Modell, sah sie an Heinz hinauf und herunter. Das Mannsbild zu sehen, das es fertiggebracht hatte, der Fränzi den Kopf zu verdrehen, war ihr natürlich sehr interessant „Nein“, sagte sie endlich, „meine Schwester ist schon wieder abgereist. Sie war gar nicht lange hier“.
„Schade, es hätte mich sehr gefreut, sie begrüßen zu können“. Er lächelte, aber mehr aus Enttäuschung und halber Verlegenheit Aber richtig verlegen wurde er, als Fräulein Throta plötzlich unerwartet freundlich sagte: „Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?“
Denn alle Freundlichkeit vermag einen fehlenden Stuhl nicht zu ersetzen. Die Künstlerin bemerkte sein hilfloses Umherblicken. „Ach, wenn Sie so freundlich wären, die Gazelle wegzurücken, könnten Sie dort bequem Platz nehmen.“
Heinz hätte sehr gern die Gazelle weggerückt, wenn er gewußt hätte, was darunter verstanden sein sollte. Statt sich zu blamieren und die Dame zu erzürnen, zog er es doch lieber vor, Standesperson zu bleiben.
„O bitte“, erklärte er höchst liebenswürdig, „ich möchte gar keine Umstände machen, ich möchte Sie gar nicht aufhalten.“
„Ein Salon ist meine Werkstatt nicht, Sie müssen schon mit dem Milieu vorliebnehmen.“
„Aber es ist ein künstlerisches Milieu. Darf ich fragen, ob Ihr Fräulein Schwester wieder nach — nach — na, jetzt fällt mir der Name des Ortes nicht ein.“
Fräulein Throta tat ihm nicht im entferntesten nicht den Gefallen, auf sein detektivisches Experiment hereinzufallen.
„Nein“, erklärte sie ziemlich kühl, „sie ist mit ihrem Freund an den Wolfgangsee gefahren. Mit dem Auto. Sie wissen ja, Wolfgang- see. der große Wallfahrtsort seit dem .Weißen Rößl*.“
„So?“ meinte Heinz ziemlich tonlos. ,Der Freund* war ihm eine recht peinliche Wahrnehmung, und ,mit dem Auto* linderte den Schlag nicht. Jetzt wunderte er sich nicht mehr über das ausbleibende Anerkennungsschreiben, denn im .Weißen Rößl* am Wolf- gangsee hat man keine Zeit, anerkennende Worte an einen vielleicht schon längst Vergessenen zu schreiben.
Er wollte noch nach dem Brief fragen, ob sie ihn hier empfangen oder ob er nachgeschickt worden sei, aber plötzlich erschien ihm das alles so gleichgültig, so nebensächlich daß er darauf verzichtete.
Vor sich hinstarrend, sah er ein Auto durch den Wald rollen. Am Steuer der .Freund* und neben ihm, lachend mit weißen Zähnen und blauen Augen, sie. Und das Auto rollte davon wie das Glück, von dem man allzu schön und unbesorgt geträumt hatte Aber er raffte sich zusammen und sagte:
„Bitte, grüßen Sie Ihr Fräulein Schwester von mir, und ich würde mich freuen, gelegentlich von ihr zu hören. Sie wird doch wohl bald wieder einmal kommen?“
„Das weiß nicht einmal der liebe Gott, denn sie kutschiert immer in der Welt umher.“
Das war kein Trost, und ziemlich geknickt verabschiedete sich Heinz von der Künstlerin, die ihr rührende Tätigkeit mit erhöh- ^ tem Eifer wieder aufgenommen hatte. Aber ' als Heinz die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah sie ihm mit forschendem Blick durch das Fenster nach.
Etwas wie Reue überkam sie. Sie wußte selbst nicht recht, warum sie die Freundin mit einem nicht vorhandenen Freund im Auto an den Wolfgangsee hatte fahren lassen. War es Eifersucht, Haß, Schadenfreude, Neid? Sie
fand keinen treffenden Grund dafür. Und schließlich sagte sie sich: geschehen ist geschehen. Daran läßt sich nichts mehr ändern.
Aber der Brief? Der Brief von ihm an Fränzi? Aus einem gleich unbestimmbaren Grunde hatte sie ihn bisher liegen lassen. Anfangs wohl aus Gleichgültigkeit, dann in der nicht sehr freundlichen Absicht, die verliebte Freundin ein wenig zappeln zu lassen.
Konnte man ihn jetzt überhaupt noch ab* schicken? Damit der ganze Schwindel mit dem Wolfgangsee herauskommt? Nein, das mußte nicht unbedingt sein. Es ist kein Briet gekommen, basta! Kurz entschlossen zündete sie ein Streichholz an, versetzte den Brief m Flammen und warf ihn mit kühnem Schwung in den Ofen. —
Ziemlich trostlos, aber doch nicht ganz ohne Hoffnung ging Heinz den Weg zurück, den er freudig gekommen war.
Was heißt: ein Freund? philosophierte er. Er hat ein Auto, damit macht man sich beliebt, aber deshalb braucht sie noch nicht m ans Ende der Welt mit ihm zu fahren. Vielleicht liebt er sie; aber ist das ein Grund, da sie mich nicht lieben könnte? Sogar oh Auto? Nur den Mut nicht sinken lassem Immer dreist und unverdrossen hoffenl Getröstet, aber ziemlich hoffnungslos sti 8 Heinz die bekannte Treppe zu Klirr & *-f* empor. Mit bedenklicher Miene entdeckte ein weißes Zettelchen an der Tür, auf o in Maschinenschrift geschrieben stand: >Au träge und Zahlungen bitten wir an Zentrale zu richten. Klirr & Co Unter Wort .Zentrale* hatte bereits jemand m Tintenstift geschrieben: ,Wo?* Tü _
In Boxerstellung stand Heinz vor '
Zahlungen! knurrte er, Gipfel der un schämtheit. Zahlungen! Es ist zum tt fressen! Na, ich weiß Bescheid. Hier geklirrt, und die ihr pfändend durch ; , Tür tretet, lasset alle Hoffnung hinter ^ ^ Aber dafür ist es ein Freitag, und < ■• Unglück kommt selten allein. Peai i dJ( , Liebe, Pech im Geschäft weiß Cot , Zeiten sind wirklich miserabel 1aö
(Fortsetzung tolW