FREITAG, 21. NOVEMBER 1952

Um die Todessonne von Eniwetok

Luiifer-Griff nach den Sternen / Aus dem Himmelsfeuer wurde die Höllenbombe

NEW YORK. Das Rätselraten der Welt um die jüngsten Vorgänge auf der Südseeinsel Eniwetok läßt sich in eine kurze Frage pressen: Ist Eniwetok am 1. November 1952 un­tergegangen, weil dort am gleichen Tage die erste künstliche Sonne aufstrahlte? Dann wären Eniwetok und der 1. November dieses Jahres ein Markstein auf dem Kreuzweg der Menschheit ins Ungewisse. Was ist nun wirklich geschehen?

Anfang November berichteten Angehörige der amerikanischen Sondereinheit 132 in Luft­postbriefen nach Hause, sie hätten die Explo­sion der ersten Wasserstoffbombe auf Eniwe­tok aus der Ferne mit angesehen. Am Sonn­tag, den 16. November, teilt die Atomenergie- Kommission der USA amtlich und nüchtern mit: die jüngsten Versuche auf Eniwetok hät­ten auch Experimente zur Erforschung der thermonuklearen Waffen umfaßt, entspre­chend der Truman-Erklärung vom 31. Januar 1950. Das neue Wortthermonuklear ist eine Zusammensetzung aus Thermos (Wärme) und Nukleus (Atomkern). Der Laie kann sich nicht viel darunter vorstellen. Aber die Erklärung Trumans kann jeder nachlesen. Es heißt dar­in: Ich habe die Atomenergie-Kommission an­gewiesen, die Arbeit von allen Arten der Atomwaffen einschließlich der sogenannten Wasserstoff- oder Superatombomben fortzu­setzen.

Also hat in den Privatbriefen von den Mar- shall-Inseln doch die Wahrheit gestanden. Nach dem ersten Schock fragt sich die halbe Welt, wie eine derartige Indiskretion mög­lich war. Schon wird von Strafverfahren für die voreiligen Briefschreiber und einer Panne des Abwehrdienstes gesprochen. Aber wieder gibt es etwas, das stutzig macht und dagegen spricht: Im erwähnten Sonntagskommunique wird nämlich allen Augenzeugen des Versuchs, die ja sämtlich Mitwirkende waren,_ der be­sondere Glückwunsch des Verteidigungsmini­steriums und der Atomenergie-Kommission für ihre bemerkenswerte Präzisionsarbeit aus­gesprochen.

Es ist kaum anders denkbar: auch die scheinbar unprogrammäßigen Privatbriefe wa­ren einkalkuliert, die Welt sollte aufmerksam werden, in der Atompolitik zwischen Washing­ton und Moskau wurde ein neuer Trumpf ausgespielt

H-Bombe kein Geheimnis

Es kommt in diesem Schachspiel der gro­ßen Politik nicht mehr darauf an, die Wasser­stoffbombe zu erfinden. Es kommt nur darauf an, wer sie zuerst und den größten Vorsprung dabei hat. Denn was ist diese Wasserstoff­bombe? Zunächst einmal kein Geheimnis mehr! Nicht umsonst haben die Atomforscher seit einem Jahrzehnt mit Zyklotron und Be-

We>hnachtsge der-Kegelung

BONN. Der Bundesflnanzminister und die Bundesländer haben am Donnerstag im Mini­sterialblatt des Bundesflnanzministeriums die Vereinbarung über das Weihnachtsgeld für Angestellte und Arbeiter des Bundes und der Länder veröffentlicht. Danach erhalten Un­verheiratete 30 und Verheiratete 50 Mark. Für jedes Kind tritt hierzu ein Zuschlag von 15 Mark.

Die Vereinbarung gilt für die Mitglieder der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr im DGB. Das Weihnachtsgeld soll aber auch allen anderen Bediensteten ausgezahlt werden. Mitglieder der Deutschen Angestelltengewerkschaft sollen es allerdings wie verlautet nur dann erhalten, wenn sie nicht streiken, um ihre in den Tarifver­handlungen immer wieder abgelehnte Forde­rung nach einer Weihnachtszuwendung in Höhe eines halben Monatsgehaltes durchzu­setzen. Auch die Beamten sollen das Weih­nachtsgeld der Angestellten und Arbeiter er­halten. Es bedarf hierzu aber noch der Zu­stimmung der gesetzgebenden Körperschaften.

tatron die ganze Reihe der Elemente auf Atomkemreaktionen hin studiert. Dabei zeigte es sich, daß es viel mehr Elementumwandlun­gen gibt als die Zertrümmerung des Urans und des Plutoniums. Die Kernspaltung die­ser schwersten Elemente liefert die Energie der bisher bekannten Atombomben. Aber noch mehr Energie wird frei, wenn sich ganz leichte Atome wie Wasserstoff, Helium, Lithium zu einem etwas schweren Atom zusammenfügen. Wasserstoff ist das erste und leichteste aller Elemente. Daher der Ausdruck Wasserstoff­bombe, auf amerikanisch H-Bombe, nach dem Wort Hydrogenium für Wasserstoff, woraus dann sehr bald das Wort hell-bomb wurde: die Höllenbombe.

Man hätte den neuen Typ ebensogut Him­melssonne nennen können. Denn die leichten Elemente Wasserstoff. Helium usw. sind es, die den Sternen am Himmel als Atomfeuer ihre Leuchtkraft und ihre Wärme geben. Das beste Beispiel ist der nächste aller Sterne, die Sonne. Dort wandelt sich ständig Wasserstoff in Helium um, und einem Bruchteil dieser Atomenergie verdanken wir Menschen die Wärme und das Licht, unser Leben und Da­sein. Aber wie Luzifer, der Lichtbringer, zum

Gesamtdeufs^e Vo'ksoartei

Heinemann, Wessel, Bodensteiner BONN. Die neue Partei, die von dem ehe­maligen Bundesinnenminister Heinemann (früher CDU) und den Bundestagsabgeordne­ten Helene Wessel (früher Zentrum) und Hans Bodensteiner (früher CSU) am 29. November in Frankfurt'Main gegründet werden soll, werde, vorbehaltlich der Zu­stimmung des Gründungsgremiums, den Na­menGesamtdeutsche Volkspartei erhalten, teilte Frau Wessel am Donnerstag mit.

Staatsgeriditshef für Baden-Württemberg kon­stituierte sich. Stuttgart. Der vorläufige Staats» gerichtshof von Baden-Württemberg ist am Don­nerstag zu einer konstituierenden Sitzung zu­sammengetreten. Der Vorsitzende, Oberlandes­gerichtspräsident Robert Perlen, vereidigte nach einer Würdigung der Arbeit der drei bisherigen Staatsgerichtshöfe die vier nichtrichterlichen Mit­glieder des vorläufigen Staatsgerichtshofes.

Verkehrssicherheitsgesetz gefährdet Berlin-Ver­sorgung. Bonn. Bundesverkehrsminister See- bohm erklärte am Donnerstag, die vom Bundes­tag in das Verkehrssicherheüsgesetz aufgenom­mene Beschränkung der Länge von Lastzügen auf 15 m (bisher 20 m) würde die Versorgung der Stadt Berlin ernstlich gefährden.

Anklage gegen Journalisten zurückgenommen. Bonn. Bundesjusiizminister Dehler hat die Anordnung auf Strafverfolgung der im Zusam­menhang mit dem Fall Platow wegen Geheimnis­verrats beschuldigten Journalisten zurückgenom­men. Dieser Schritt geht auf einen Kabinetts­beschluß vor einiger Zeit zurück, nach dem keine Strafverfolgungen nach § 353 c StGB mehr er­folgen sollen

Steigende Krankenzahlen in der Sowjetzone. Bonn. Wie das Regierungsbulletin berichtet, leiden in der Sowjetzone 2,1 Millionen Menschen an offener Tuberkulose und die Zahl der schwer heilbaren Krankheitsfälle ist durch die dauernde Unterernährung von 2,7 Millionen im Jahre 1950 auf 5,5 Millionen angestiegen.

Paweike in Bonn. Bonn. Der deutsche Bot­schafter in Ägypten. Dr. Günther Paweike, traf gestern abend in Bonn ein. nachdem er kurz vor seinem Abflug noch eine Unterredung mit

Inbegriff der iiotie wurde, so verhängnisvo*. und dämonisch ist auch der Griff des Men­schen nach dem Atomfeuer der Sonne, der Sterne.

jomben, diezu alt werden

Einen Unsicherheitsfaktor wird es in die­sem Geheimkrieg der Atomrüstung geben. Die neuen Bomben haben nur eine begrenzte Lebensdauer. Nach 12y 2 Jahren hat das Tri­tium die Hälfte seiner Masse abgestrahlt. Es schwindet also, verglichen mit dem Radium und anderen radioaktiven Substanzen, ziem­lich schnell dahin. Die Bomben werden all­mählich unscharf. Welch eine Versuchung, wurde schon gesagt, für die Atomstrategen der Zukunft, einen H-Bombenvorrat unter dem Druck der Zeit einzusetzen!

Es gab noch viele andere Einwände. Könnte nicht die Lufthülle des Erdballs durch diese Bomben in Brand gesetzt werden? Vielleicht sogar die Gesteinskruste des Globus? Unter anderem soll dadurch so viel radioaktiver Koh­lenstoff entstehen, daß die Bevölkerung gan­zer Erdteile in Gefahr kommt, diesen Stoff einzuatmen, mit den Früchten der Pflanzen, dem Fleisch der Nutztiere in sich aufzuneh­men. Alles Leben auf der Erde würde dadurch radioaktiven Strahlen ausgesetzt, Mißwuchs und Mißgeburten in Pflanzenwelt, Tierwelt und Menschenwelt wäre die Folge.

Aber was ist an diesem Aspekt Angstge­spenst, und was ist Wahrheit? Sicher ist nur, daß die H-Bombe eine Millionenstadt total vernichten kann. Daß man sie immer noch größer und wirkungsvoller machen kann. Daß der 1. November von Eniwetok nur ein Anfang war. E. B.

An der Gründung sollen etwa 100 ausge­wählte Persönlichkeiten teilnehmen Vor rund 600 geladenen Gästen werden dann ein Mani­fest und die Parteisatzungen verkündet wer­den. Über die Aussichten der neuen Partei, zu deren Gründer auch der Wunpertaler In­dustrieberater Adolf Scheu gehört, äußerte sich Frau Wessel optimistisch.Weit über 1000 Personen, darunter zahlreiche Persön­lichkeiten des öffentlichen Lebens, aus allen Teilen der Bundesrepublik haben sich zur ak­tiven Mitarbeit angemeldet. Wir können uns vor Anmeldungen kaum retten.

dem ägyptischen Ministerpräsidenten, General Naguib, hatte. Er wird der Bundesregierung über die letzten Entwicklungen im Konflikt zwi­schen den Araberstaaten und der Bundesrepu­blik berichten.

Marschall Juln in der Academie Franpaise. Paris. Der Oberkommandierende der atlanti­schen Streitkräfte in Mitteleuropa, Marschall Juin, wurde am Donnerstag in die Academie Frangaise gewählt. Im Kreis derVierzig Un­sterblichen Frankreichs wird er den Sessel des vor kurzem verstorbenen Schriftstellers Jean Tharaud einnehmen.

Zentrum beschuldigt CDU und katholische Geistliche. Düsseldorf. Der Bundesausschuß der Zentrumspartei beschuldigte die CDU. das Abkommen von Münster über einen fairen Wahlkampf vor den Gemeindewahlen in den mei­sten Orten nicht eingehalten zu haben. Auch untergeordnete kirchliche Stellen hätten offen für die CDU agitiert und Kandidaten und Wähler des Zentrums unter Gewissensdruck gesetzt.

Britisch-ägyptische Sudan-Verhandlungen. Kairo. Großbritannien und Ägypten sind am Don­nerstag in offizielle Verhandlungen um die poli­tische Zukunft des Sudan eingetreten. Zuvor hatte der britische Botschafter Sir Ralph Steven­son eine Konferenz mit dem ägyptischen Mi­nisterpräsidenten General Naguib.

Mehr deutsche Einwanderer für USA. Wa­shington. Außenminister Acheson hat erklärt, die Vereinigten Staaten sollten die Einwande­rungsbestimmungen für eine größere Anzahl von Personen aus überbevölkerten Gebieten unter denen sich auch die Bundesrepublik befände, er­leichtern

DIE MEINUNG ÜEK ANDEKN

Die Saar steht im Wege

Der liberale LondonerEvening Stör* Sieht im Hintergrund des mangelnden deut­schen Ratifizierungswillens die französisch! Haltung in der Saarfrage und hat dafür Ver­ständnis. Das Blatt erklärt, der Westen müsst jetzt dem Bundeskanzler in seiner schwieri­gen politischen Lage zu Hilfe kommen uni schreibt:

Selbst der zynischste Verfechter des Stand­punkts .traut keinem Deutschen* muß mit dem Bundeskanzler eine Ausnahme machen. Was di« Lage jetzt so erschwert, ist das Mißvergnügen der Deutschen einschließlich Adenauers über di« französische Einigung mit der Saar und ihr« Anklage wegen des Verbotes verschiedener po­litischer Parteien des Saarlandes als einer Ver- letzung der demokratischen Grundrechte Damit scheinen die Deutschen allerdings durchaus im Recht zu sein. In der Behandlung der Saarfrag« sind Fehler begangen worden, und zwar Fehler, die sich einzig und allein aus der Furcht Frank­reichs vor einem Wiederaufleben deutschen Ehr­geizes und deutschen Angriffsgeistes herschrei­ben. Solche Besorgnisse sind natürlich Aber jetzt, da der gesamte Westen zur Verteidigung unter amerikanischer Führung integriert ist, wäre es doch wohl auch für die Franzosen an der Zeit, die Dinge aus einer etwas weniger engen Perspektive zu sehen."

Saarpresse stößt ins Horn

Die in Saarbrücken erscheinenden Tages­zeitungen befassen sich in großer Aufma­chung mit der Saardebatte des Bundestage!, Die HoffmannscheSaar ländische Volkszeitung schreibt dazu in einem Kommentar unter der ÜberschriftNicht ein­mal das. was wir erwarteten, u. a.:

Was wir wiederum vermißten, war das Ein­gehen auf die harten Realitäten, die den Saar- Zustand bedingen Die Bundestagssitzung vom Dienstag hatte dem Reichsgesangverein de! Dritten Reiches vollkommen Ehre gemacht. Man appellierte an patriotische Gefühle der Saarlän­der. ohne ihnen sagen zu können wie man sich ihrer wirtschaftlichen und sozialen Fragen anzu­nehmen gedenkt. So war es noch immer, wenn der Bonner Bundestag über den Saarknochen herfiel. Es war Stimmungsmache, sonst nichts.

Ulbrcht: Viermäphtekon e ? enz

Nochmals einen Schritt entgegen

BERLIN. Der Generalsekretär der SED und stellvertretende Ministerpräsident der Sowjet­zone, Walter Ulbricht, hat sich am Don­nerstag für die gleichzeitige Behandlung der Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, eines Friedensvertrages und des Abzuges der Besatzungstruppen auf einer Viermächtekon­ferenz ausgesprochen.

Ulbricht griff damit den Vorschlag auf, den der stellvertretende Ministerpräsident und Ost-CDU-Vorsitzende Otto N u s c h k e anläß­lich des Besuchs der Volkskammerdelegation im September in Bonn gemacht hatte. Dies sei notwendig Und möglich, sagte Ulbricht nacb einem Bericht des sowjetzonalen Nachrichten­dienstes, damit die Frage der Tagesordnung nicht die Einberufung einer Viermächtekonfe­renz verzögere.

Küizuireti der Aus andshiife?

Deutschland besonders betroffen

WASHINGTON. Die Vereinigten Staaten be­absichtigenversuchsweise, die Auslandshilfe für die meisten westeuropäischen Länder im kommenden Jahr scharf einzuschränken, ver­lautet aus unterrichteten Kreisen in Washing­ton. Besonders davon betroffen sollen die Bundesrepublik, die Niederlande, Belgien und Luxemburg, möglicherweise auch Frankreich und Italien sein.

Vor allem der eindrucksvolle wirtschaft­liche Wiederaufstieg Westdeutschlands bildet für die zuständigen Beamten in Washington ein Argument für die Kürzung.

Kleine Weltchronik

B/V LVSrtoeH ROMAN VQNHANS WMTBtSHAUSEH

Copyright by Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden (8. Fortsetzung)

Und wenn ich aller weisen Voraussicht nach von Klirr & Co. kein GeM bekommen werde, so weiß ich wenigstens warum; da­gegen kann ich nicht verstehen, warum das versprochene Anerkennungsschreiben von Fräulein Throta so lange auf sich warten läßt. Ob ich einmalzufällig durch die Franz- Joseph-Straße komme? Warum denn nicht?

Und er zog den im Lexikon verfahren gebü­gelten Schlips unter dem BandElefant bis Gsndria hervor, drückte den allerletzten Tropfen aus der Eau-de-Cologne-Flasche und begab sich auf schnellstem Wege zufällig nach der Franz-Joseph-Straße.

Im Hausflur leuchtete ihm ein schwungvoll gemaltes Schild mit der Aufschrift .Kerami­sche Werkstätte Throta, im Hinterhaus* ent­gegen, wohin Heinz seine Schritte lenkte.

Herein! rief eine Stimme in einem Ton­fall, der deutlich verriet, daß man sich gestört fühle.

Heinz sah sich einer nicht mehr ganz jungen und nicht besonders reizenden Dame gegen­über, die damit beschäftigt war, einen merk­würdigen Brei anzurühren. Sein Erscheinen vermochte die Dame nicht zu bewegen, ihre rührende Tätigkeit aufzugeben. Nach einem frostigen Blick fragte sie bestimmt, aber n.cht höflich:Sie wünschen?

Heinz hielt ein besänftigendes Lächeln für angebracht. Wenn das die Schwester ist, dachte er, dann scheint die eine Liebenswür­digkeit, Schönheit und Fröhlichkeit für beide mitbekommen zu haben. Lächelnd und augen­leuchtend sagte er:

Habe ich das Vergnügen, Fräulein Throta?

Throta, ja, erwiderte die Künstlerin ohne Umstände, indem sie eitrig weiterrührte.

Walthari ist mein Name. Verzeihen Sie bitte die Störung, ich sehe, Sie sind mit Backen beschäftigt. Bitte, lassen Sie sich durch mich in keiner Weise aufhalten! Es handelt sich nur um eine kurze Frage.

Ich lasse mich gar nicht stören. Fragen Sie, was Sie wissen wollen!'

Bitte sehr, ganz recht. Ich kam zufällig hier vorbei, und als ich Ihre Firma las, fiel mir ein, mich nach Fräulein Anni Throta, Ihrem Fräulein Schwester, zu erkundigen. Vielleicht, daß sie noch hier ist?

Die Künstlerin hörte plötzlich zu rühren auf. Mit einem Blick, als prüfe sie ein Modell, sah sie an Heinz hinauf und herunter. Das Mannsbild zu sehen, das es fertiggebracht hatte, der Fränzi den Kopf zu verdrehen, war ihr natürlich sehr interessant Nein, sagte sie endlich,meine Schwester ist schon wieder abgereist. Sie war gar nicht lange hier.

Schade, es hätte mich sehr gefreut, sie be­grüßen zu können. Er lächelte, aber mehr aus Enttäuschung und halber Verlegenheit Aber richtig verlegen wurde er, als Fräulein Throta plötzlich unerwartet freundlich sagte: Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?

Denn alle Freundlichkeit vermag einen fehlenden Stuhl nicht zu ersetzen. Die Künst­lerin bemerkte sein hilfloses Umherblicken. Ach, wenn Sie so freundlich wären, die Ga­zelle wegzurücken, könnten Sie dort bequem Platz nehmen.

Heinz hätte sehr gern die Gazelle wegge­rückt, wenn er gewußt hätte, was darunter verstanden sein sollte. Statt sich zu blamieren und die Dame zu erzürnen, zog er es doch lie­ber vor, Standesperson zu bleiben.

O bitte, erklärte er höchst liebenswürdig, ich möchte gar keine Umstände machen, ich möchte Sie gar nicht aufhalten.

Ein Salon ist meine Werkstatt nicht, Sie müssen schon mit dem Milieu vorliebneh­men.

Aber es ist ein künstlerisches Milieu. Darf ich fragen, ob Ihr Fräulein Schwester wieder nach nach na, jetzt fällt mir der Name des Ortes nicht ein.

Fräulein Throta tat ihm nicht im entfernte­sten nicht den Gefallen, auf sein detekti­visches Experiment hereinzufallen.

Nein, erklärte sie ziemlich kühl,sie ist mit ihrem Freund an den Wolfgangsee gefah­ren. Mit dem Auto. Sie wissen ja, Wolfgang- see. der große Wallfahrtsort seit dem .Weißen Rößl*.

So? meinte Heinz ziemlich tonlos. ,Der Freund* war ihm eine recht peinliche Wahr­nehmung, und ,mit dem Auto* linderte den Schlag nicht. Jetzt wunderte er sich nicht mehr über das ausbleibende Anerkennungs­schreiben, denn im .Weißen Rößl* am Wolf- gangsee hat man keine Zeit, anerkennende Worte an einen vielleicht schon längst Ver­gessenen zu schreiben.

Er wollte noch nach dem Brief fragen, ob sie ihn hier empfangen oder ob er nachge­schickt worden sei, aber plötzlich erschien ihm das alles so gleichgültig, so nebensächlich daß er darauf verzichtete.

Vor sich hinstarrend, sah er ein Auto durch den Wald rollen. Am Steuer der .Freund* und neben ihm, lachend mit weißen Zähnen und blauen Augen, sie. Und das Auto rollte davon wie das Glück, von dem man allzu schön und unbesorgt geträumt hatte Aber er raffte sich zusammen und sagte:

Bitte, grüßen Sie Ihr Fräulein Schwester von mir, und ich würde mich freuen, ge­legentlich von ihr zu hören. Sie wird doch wohl bald wieder einmal kommen?

Das weiß nicht einmal der liebe Gott, denn sie kutschiert immer in der Welt um­her.

Das war kein Trost, und ziemlich geknickt verabschiedete sich Heinz von der Künst­lerin, die ihr rührende Tätigkeit mit erhöh- ^ tem Eifer wieder aufgenommen hatte. Aber ' als Heinz die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah sie ihm mit forschendem Blick durch das Fenster nach.

Etwas wie Reue überkam sie. Sie wußte selbst nicht recht, warum sie die Freundin mit einem nicht vorhandenen Freund im Auto an den Wolfgangsee hatte fahren lassen. War es Eifersucht, Haß, Schadenfreude, Neid? Sie

fand keinen treffenden Grund dafür. Und schließlich sagte sie sich: geschehen ist ge­schehen. Daran läßt sich nichts mehr ändern.

Aber der Brief? Der Brief von ihm an Fränzi? Aus einem gleich unbestimmbaren Grunde hatte sie ihn bisher liegen lassen. Anfangs wohl aus Gleichgültigkeit, dann in der nicht sehr freundlichen Absicht, die ver­liebte Freundin ein wenig zappeln zu lassen.

Konnte man ihn jetzt überhaupt noch ab* schicken? Damit der ganze Schwindel mit dem Wolfgangsee herauskommt? Nein, das mußte nicht unbedingt sein. Es ist kein Briet gekommen, basta! Kurz entschlossen zündete sie ein Streichholz an, versetzte den Brief m Flammen und warf ihn mit kühnem Schwung in den Ofen.

Ziemlich trostlos, aber doch nicht ganz ohne Hoffnung ging Heinz den Weg zurück, den er freudig gekommen war.

Was heißt: ein Freund? philosophierte er. Er hat ein Auto, damit macht man sich be­liebt, aber deshalb braucht sie noch nicht m ans Ende der Welt mit ihm zu fahren. Viel­leicht liebt er sie; aber ist das ein Grund, da sie mich nicht lieben könnte? Sogar oh Auto? Nur den Mut nicht sinken lassem Immer dreist und unverdrossen hoffenl Getröstet, aber ziemlich hoffnungslos sti 8 Heinz die bekannte Treppe zu Klirr & *-f* empor. Mit bedenklicher Miene entdeckte ein weißes Zettelchen an der Tür, auf o in Maschinenschrift geschrieben stand: >Au träge und Zahlungen bitten wir an Zentrale zu richten. Klirr & Co Unter Wort .Zentrale* hatte bereits jemand m Tintenstift geschrieben: ,Wo?* _

In Boxerstellung stand Heinz vor '

Zahlungen! knurrte er, Gipfel der un schämtheit. Zahlungen! Es ist zum tt fressen! Na, ich weiß Bescheid. Hier geklirrt, und die ihr pfändend durch ; , Tür tretet, lasset alle Hoffnung hinter ^ ^ Aber dafür ist es ein Freitag, und < Unglück kommt selten allein. Peai i dJ( , Liebe, Pech im Geschäft weiß Cot , Zeiten sind wirklich miserabel 1aö

(Fortsetzung tolW