FREITAG, r »OVBMBER 1958
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Künftiges Bundeswahlgesetz
Dr. Lehr: Vorbehalte gegen Splitterparteien
KASSEL. Bandesinnenminister Lehr hat gm Donnerstag auf einer Pressekonferenz ln Kassel eine Prüfung des Kabinettsentwurfs für ein Bundeswahlgesetz zugesagt, das von der deutschen Wählergesellschaft und anderen Organisationen heftig kritisiert worden war.
Der Minister betonte, die Bundesregierung wolle ein völlig „einwandfreies Gesetz'* gestalten. Besondere Vorbehalte müßten in dem Gesetz allerdings wegen der Splitterparteien gemacht werden. Dr. Lehr verwies in diesem Zusammenhang besonders auf die im Entstehen begriffene Partei seines Amtsvorgängers Dr. Gustav Heinemann. Diese neue Partei sei von den Kommunisten bereits warm begrüßt worden, obwohl Dr. Heinemann selbst kein Kommunist sei.
Nach den ihm jetzt vorliegenden Informationen sei der Bund deutscher Jugend an irgendwelchen illegalen Machenschaften nicht beteiligt gewesen, sagte Minister Lehr weiter. Er habe dies auch dem bayerischen Innenminister Wilhelm Högner schriftlich mitge- teilt, und sei bereit, dieses Schreiben zu veröffentlichen.
Entscheidung beim Manne
Der Ehegesetzentwurf der Regierung
BONN. Die Bundesregierung bleibt dabei, daß der Mann das letzte Wort in gemeinsamen Angelegenheiten der Ehe haben soll. In dem jetzt dem Bundestag zugeleiteten Gesetzentwurf zur Änderung des Familienrechts lehnt die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates ab, das Entscheidungsrecht des Mannes in der Ehe abzuschaffen. Zahlreichen anderen Wünschen des Bundesrates schließt sich die Bundesregierung an.
Während nach dem Regierungsentwurf der Mann weiterhin das letzte Entscheidungsrecht behalten soll hat der Bundesrat vorgeschlagen: „die Ehegatten haben alle Angelegenheiten, die Ehe und Familie betreffen, in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln“.
Sowjets protestieren
Gegen das Küstensperrgebiet um Korea
MOSKAU. Die Sowjetunion hat bei den Vereinigten Staaten gegen die Errichtung eines Küstensperrgebiets um Korea protestiert. Eine derartige Zone, die nicht nur koreanische Hoheitsgewässer, sondern auch Teile der offenen See umfasse, verletze die Bestimmungen über die Freiheit zur See und die Interessen der Sowjetunion und anderer Staaten und stelle daher einen neuen Aggressionsakt dar.
Razzien und Festnahmen
Aktionen zur Ausschaltung der Mau-Mau
NAIROBI. Die britischen Truppen und Polizei haben gestern neue Aktionen gegen die Geheimorganisation Mau-Mau unternommen, die ihre Terrorakte in letzter Zeit stark eingeschränkt hat In plötzlichem Zugriff wurden das Dorf Meru am Fuße des gleichnamigen Berges durchsucht, 60 Personen verhaftet und 3000 weitere zum Verhör festgenommen. Auch bei Fort Hall wurden 30 Eingeborene aus einer Siedlung abgeführt. Aus dem Haus eines Italieners bei Thomsons Fall stahl ein bewaffneter Eingeborener eine Pistole, ein Schrotge- vrehr und eine Luftpistole.
Die 14 gewählten Europäer im gesetzgebenden Rat von Kenia bezeichneten in einer-gemeinsamen Erklärung den Besuch des Kolonialministers Lytteltonin Kenia als außerordentlich nützlich, da er das Vertrauen der Europäer wieder gefestigt habe. Wenn aber ein neues Aufflammen des Mau-Mau-Terrors vermieden werden solle, müßten die Kikuyu-Re- servate einer gesonderten, fähigen Verwaltung mit umfangreichen Vollmachten unterstellt werden.
Rechtsradikailismus in Nordbaden?
NS-Biirgermeister gegen gemeinsamen CDU-, SPD-, FDP-Kandidaten gewählt Drahtbericht unserer Stuttgarter Redaktion
STUTTGART. Die Verfassunggebende Lan- desversammlung wurde für Mittwoch, 12. November, zu einer Sondersitzung einberufen. Auf der Tagesordnung steht als einziger Punkt eine von allen vier Fraktionen eingebrachte Große Anfrage, die sich mit den Vorgängen bei der BürgermeJsterwahl in Schriesheim (Nord- baden) befaßt. Dort wurde am vergangenen Sonntag der frühere nationalsozialistische Bürgermeister Fritz Urban als Kandidat einer Freien Wählervereinigung gegen den gemeinsamen Kandidaten der CDU, SPD und FDP in der Stichwahl zum Bürgermeister gewählt.
In der Anfrage heißt es, die Vorgänge vor, während und nach der Wahl, die Propaganda und der Verlauf von Versammlungen, die Beschimpfungen demokratischer Einrichtungen und politischer Persönlichkeiten, verbürgte Äußerungöl nationalsozialistischer und rechtsradikaler Art ließen den Schluß und den Verdacht zu, daß es sich bei der Freien Wählervereinigung um eine getarnte SRP - Gruppe mit rechtsradikalen Absichten handelt. Die Regierung wird um Auskunft gebeten, ob sie bereit
sei, eine strenge Untersuchung vorzunehmen. Der Ältestenrat trat auf Veranlassung des Verfassungsausschusses zusammen, der sich gestern fast ausschließlich nur mit den Ereignissen in Schriesheim befaßte. Dem Ausschuß lag u. a. ein fernschriftlich übermittelter Bericht des FDP-Abgeordneten Schloß vor, der in Schriesheim wohnt. Darin heißt es: An den Wahlversammlungen der Freien Wäh- lervereinigung hätten zahlreiche prominente Nazis teilgenommen. Die Wahlreden der Gegenparteien seien durch „planmäßige Rollkommandos niedergeschlagen worden“. In der Nacht nach der Wahl um 3.30 Uhr hätten .junge Leute“ vor dem Hause des Abgeordneten Schloß das Horst-Wessel-Lied gesungen. Die Freie Wählervereinigung habe „in jeder Beziehung die alten Methoden der NSDAP angewandt“.
Der Kandidat der Parteien, Dr. Schmid, hatte im ersten Wahlgang 958 Stimmen und Urban 1700 Stimmen erhalten. Bei der Stichwahl wurden 2133 Stimmen auf Urban abgegeben.
Begeisterter Empfang in Madrid
Prinz Adalbert bei Franco
MADRID. Mit dem begeisterten Ruf „Viva Alemania“ haben fast zehntausend Bürger Madrids den ersten Botschafter der Bundesrepublik in Spanien, Prinz Adalbert von Bayern, empfangen, als er gestern in der goldenen Staatskarosse und eskortiert von der maurischen Leibgarde F r a n c o s zur Überreichung seines Beglaubigungsschreibens vor dem Amtssitz des spanischen Staatschefs eintraf. Zum erstenmal seit 1945 wurde dabei öffentlich das Deutschlandlied gespielt.
Auch die Straßen, durch die sich der Zug der Kutschen mit dem deutschen Botschaftspersonal bewegte, waren von zahllosen Spaniern gesäumt, die immer wieder in Hochrufe ausbrachen. Unmittelbar nach seiner Ankunft
wurde Prinz Adalbert in den Thronsaal des Palastes geleitet, wo ihn Franco in der Galauniform eines Generalissimus der spanischen Armeen lächelnd erwartete. Fast die ganze deutsche Kolonie hatte sich ln dem Vorhof des Palastes eingefunden.
Nach der Zeremonie begaben sich der Botschafter, Franco und der spanische Außenminister A r t a j o zu einem vertraulichen Gespräch, das fast eine Stunde dauerte, in ein Nebenzimmer. Dann fuhr der Botschafter in sein Hotel zurück, das solange als sein Amtsgebäude gilt, bis der Umbau eines Palastes an der Hauptverkehrsstraße Madrids fertig- gestellt ist, den die spanische Regierung den Deutschen als Ersatz für das alte Botschaftsgebäude gibt. Die alte Botschaft war von den Alliierten als Feindeigentum beschlagnahmt worden.
Kleine Weltchronik
CDU beanstandet „Staatsanzeiger“. Stuttgart. — In einer von Abgeordneten der CDU-Frak- tion in der Verfassunggebenden Landesversammlung emgebrachten Kleinen Anfrage wird beanstandet, daß der ,.Staatsanzeiger für Baden- Württemberg" über die letzte Sitzung der Verfassunggebenden Landesversammlung „sehr lük- kenhaft“ berichtet habe. Wichtige von der CDU- Fraktion vorgelegte Tagesordnungspunkte dieser Sitzung sowie die anschließenden Debatten seien im ,'Staatsanzeiger“ überhaupt nicht erwähnt worden.
Ecfcener gegen Ratifizierung. Friedrichshafen. — Der ehemalige Luftschiffkapitän Dr. Hugo Ecke- ner hat zusammen mit einer Reihe bekannter Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kunst, Kirche und Wissenschaft in einer Eingabe an den Bundestag die Aussetzung der zweiten und dritten Lesung der deutsch-alliierten Vertragswerke gefordert und gleichzeitig an die Westmächte appelliert, jede Chance zu Viermächteverhandlungen wahrzunehmen.
Senkung der Kaffee- und Teesteuer nicht vor Ug3. Bonn. — Die Gesetzentwürfe zur Senkung der Kaffee- und Teesteuer werden nicht vor dem Jahre 1953 nach dem Vorliegen des Haushaltsplanes für das kommende Finanzjahr dem Bundestag zugeleitet werden.
Blank distanziert sich von „Gemeinschaft der Ritterkreuzträger“. Bonn. — Die Dienststelle Blank teilte gestern mit, daß der Sicherheitsbeauftragte der Bundesregierung, Theodor Blank, die Teilnahme an dem Treffen der „Gemeinschaft deutscher Ritterkreuzträger“ abgelehnt habe.
Verfassungsstreit um Hamburger Lehrergehälter. Hamburg. — Die Erhöhung der Hamburger Lehrergehälter hat einen Verfassungsstreit zwischen Bundesfinanzminister Fritz Schaffer und
der Stadt Hamburg ausgelöst. Schäffer beruft sich auf das Bundesgesetz über das Besoldungsrecht vom 6. Dezember 1951, das eine Sperrvorschrift enthält, wonach die Beamten und Richter der Länder keine höheren Bezüge als die Bundesbeamten erhalten dürfen.
Augenkrankheit auch in Norddeutschland. Ham.- burg. — Die sogenannte indische Augenkrankheit, die bereits seit einiger Zeit im Rheinland epidemisch auftritt, wurde nun auch in Norddeutschland festgestellt. In Lübeck sind nach Mitteilung der Ärzte über 100 Personen erkrankt.
Geschenkverordnung wird großzügig ausgelegt. Berlin. — Die Verordnung über den Versand von Geschenkpaketen in das sowjetische Besatzungsgebiet soll großzügig ausgelegt werden, kündigt« ein Sprecher des Sowjetzonenministeriums für Außen- und Innenhandel gestern an. Allerdings bleibe es dabei, daß Pakete insgesamt nicht schwerer als 7 kg sein dürfen.
Wohieb überreicht ein Verdienstkrenz. Lissabon. — Der deutsche Gesandte in Portugal, Leo Wohieb, überreichte dem päpstlichen Hausprälaten Wurzer im Namen des Bundespräsidenten das Verdienstkreuz der Deutschen Bundesrepublik. Prälat Wurzer beging das 25jährige Jubiläum seiner Tätigkeit als Pfarrer der katholischen deutschen Gemeinde in Portugal.
Türkischer Dampfer in Seenot. Bremen. — Der türkische 5000-t-Dampfer „Bakir“ ist gestern vor der Emsmündung ln Seenot geraten. Dem auf Grund sitzenden Schiff sind ein deutscher und ein holländischer Schlepper zu Hilfe geeilt.
USA fordern ihre Schiffe zurück. Washington. — Die Vereinigten Staaten haben in einer neuen Note von der Sowjetunion die Rückgabe von 186 Schiffen gefordert die den Sowjets während des Krieges Im Rahmen der Pacht-Leih-Gesetze überlassen worden waren.
DIE MEINUNG DER ANDERN
Herrscher oder Spielball?
Die Wahl Eisenhowers zum kommenden Präsidenten Amerikas beherrscht die gesamte Weltpresse. Viele Blätter untersuchen die Frage, inwieweit es dem General gelingen werde, sich von der alten republikanischen Garde unter Führung Tafts zu befreien und seine eigenen Ziele durchzusetzen. U. a. schreibt die Baseler „Nationalzeitun g":
„Wird es Eisenhower gelingen, das weitere Vordringen der äußersten republikanischen Rechten, verkörpert in Persönlichkeiten wie McCarthy, Jenner, Bricker etc. zu hemmen? Wird er imstande sein, die ungeheure Macht der Banken und der Industrie, auf deren Propagandawellen er an die Ufer des Sieges geschwemmt wurde, entsprechend einzudämmen und zu beherrschen? Oder wird er ihr Spielball werden? Wird er die Politik der China Lobby und möglicherweise Tschiangkaischek von der Kette lassen, oder wird er versuchen, weiter der Situation in Europa die Priorität der Lösung zu geben? Er ist immer ein glänzender Verhandlet gewesen, aber er wird sehr viel Inspiration und große politische Weitsicht brauchen, um die in letzter Zeit sehr kopfscheu gewordenen europäischen Verbündeten zusammenzuhalten und Ihnen zu beweisen, daß er es mit seinem Friedensprogramm nicht nur ernst meint, sondern daß er es auch gegen die Hitzköpfe seiner Gefolgschaft durchsetzen kann.“
Europa-Armee-Pläne gefährdet
Soweit die französische Presse sieh von dem offiziellen Optimismus freimacht , befürchtet sie vor allem eine Bevorzugung der deutschen Aufrüstung gegenüber den Plänen einer Europa-Armee, in der Frankreich ei« garantiertes Übergewicht besitzen sollte. In der Wirtschaftszeitung „L'Information* schreibt Madame Tabotifs:
„Eisenhowers Außenpolitik wird von seinem Versprechen beherrscht werden, das 20-Milliar- den-Einsparungsprogramra Tafts zu verwirklichen. Das wird die meisten europäischen Staaten zwingen, ihre Politik zu überprüfen, denn dis wirtschaftliche und militärische Hilfe der USA dürfte erheblich gekürzt werden. Erste Folg« dieser Kürzung wird die materielle Unmöglichkeit sein, die europäische Verteidisungsgemein- schaft aufzubauen. In seiner militärischen Praxis ist Eisenhower der erklärte Anhänger von Koalitionsarmeen mit gemeinsamen Generalstäben. Was man hier befürchten muß. ist, daß General Lucius C1 a y . der künftige militärische Berater des Weißen Hauses und ein Apostel der Wiederaufrichtung Deutschlands seit dem Herbst 1945, sofort der amerikanischen Regierung empfiehlt, so schnell wie möglich eine starke deutsche Armee auszurüsten."
Sozialisten: Ein schwerer Schlag
In sozialistischen europäischen Kreisen wird die Enttäuschung über die Wahl Eisenhower* zum amerikanischen Präsidenten nicht, verhehlt. Besonders kraß formuliert dies der italienische Sozialistenführer Guiseppe S ar a - gat:
„Die Niederlage des demokratischen Kandidaten ist ein schwerer Schlag für die Politik der internationalen Solidarität Die harten Folgen dieser Niederlage werden bald spürbar werden. Leider waren unsere Hoffnungen auf das Verantwortungsgefühl des amerikanischen Volkes vergebens. Die Demokraten unseres Kontinents müssen all ihre Klugheit und Entschlossenheit aufbieten, um mit den Folgen der schweren Niederlage fertig zu werden.“
Teurer Auerbach-Prozeß. München. — Der Prozeß gegen Philipp Auerbach, den bayerischen Landesrabbiner Ohrenstein und zwei weiter* Angeklagte hat die Staatskasse nach einer nunmehr fertiggesteilten Berechnung insgesamt 34671 D-Mark gekostet.
Großfeuer in Ölraffinerie. Monza (Italien). — Mit turmhoher Stichflamme sind gestern unweit von Monza vier große Benzintanks einer Ölraffinerie in die Luft geflogen. Mindestens elf Arbeiter wurden schwer verletzt. Der Brand hat auch die benachbarten Wohnviertel ergriffen. Über ganz Monza liegen riesige tiefschwar«* Rauchschwaden
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ROMAN VON H. R LARSEN
Copyright by Dr. Paul Herzog, Tübingen durch ^Verlag v. Graberg & Gürg, Wiesbaden
(87. Fortsetzung)
„Sie liebte also Dr. Burgdorf?“ fragt Höpfner geradezu.
„Ja, sie liebte ihn. Sie freute sich darauf, mit ihm aus unserer Stadt, die ihr zu eng geworden war, in die große Welt abreisen zu können. Das hatte er ihr versprochen.“
„Hat sie Ihnen das auch erzählt?“
„Ja. Sie war' fest davon überzeugt, daß Dr. Burgdorf mit ihr abreisen würde.“
„Wissen Sie noch, wann sie Ihnen das erzählt hat?“
„Das weiß ich zufällig ziemlich genau. Es war wohl vor dem Tage, an dem diese Sängerin, Sabine Pertus, zu Dr. Burgdorf zog.“
„Und da sie nicht wußte, daß Sabine Pertu« die Tochter Burgdorfs war, mußte sie annehmen, daß er sie verraten hatte zugunsten einer neuen oder älteren Liebe — und damit hatte Frau Berger allen Grund, diesen Dr. Burgdorf und seine Geliebte, seine vermeintliche Geliebte, aus Eifersucht und Rache aus dam Wege zu räumen — meinen Sie es se, Frau Qonterberg?“
„Nein“, Frau Gonterberg ist plötzlich dem Weinen nahe, „so habe ich es nicht gemeint. Dbb ist ja entsetzlich ... Ich habe nur daran gedacht, daß sie sich vielleicht in ihrem ehelichen Unglück und . . . und wenn sich sonst ihre Hoffnungen nicht erfüllten, die Möglichkeit schaffen wollte, sich selbst zu töten.
„Hat sie sich sehr auf die Abreise mit Dr. Burgdorf gefreut?“
„Sehr. Sie war eigentlich seit langer Zeit wieder einmal ganz glücklich und zuversichtlich “
„Um so größer war also ihre Enttäuschung, als Sabine Pertus von Burgdorf wie eine BraiJt abgeholt wurde... vielleicht hat er das ganze
Theater nur gemacht, um Frau Berger, deren Wünsche ihm wahrscheinlich viel zu weit gingen, loszuwerden ...“
In Frau Therese Gonterbergs Kopf beginnen sich die Gedanken zu verwirren. Sie kann nicht mehr mit. Was hat sie da um Himmels- willen mit Ihrer voreiligen Aussage angerichtet! Sie bekommt plötzlich Furcht und sieht den Kriminalrat mit angstvollen Augen an.
„Wir wollen uns darüber nicht den Kopf zerbrechen, Frau Gonterberg“, sagt er leichthin, „das wird sich ja noch alles heraussteilen. Jedenfalls haben Sie uns einen großen Dienst erwiesen. Noch etwas anderes . . Jedesmal, wenn er dieses Wort sagt, wechselt auch sein Gesichtsausdruck. Er ist jetzt von der Anspannung des bisherigen Verhörs befreit.
„Entschuldigen Sie die Frage, gnädige Frau“, sagt er zuvorkommend, „aber da wir gerade den Versuch machen, uns über die Dinge offen auszusprechen und klarzuwerden, können wir das doch gleich mit erledigen. Wie standen Sie denn selbst zu Dr. Burgdorf?“
Frau Gonterberg sieht ihn mit einem Ausdruck an, der gemischt ist aus Furcht und Zweifel und Erstaunen. Aber Höpfner blickt fast uninteressiert an Ihr vorbei ins Zimmer, so, als bedeute ihre Antwort für ihn nicht sehr viel oder gar nichts. Das gibt ihr etwas Mut.
„Doktor Burgdorf“, sagt sie, und Höpfner muß etwas angestrengt hinhören, weü sie sehr leise spricht, „Doktor Burgdorf machte zweifellos großen Eindruck auf Frauen. Unsere kleinstädtischen Damen“, Frau Gonterberg lächelt jetzt sogar, „sind gewiß nicht verwöhnt, und Doktor Burgdorf war eine außergewöhnliche und anziehende Erscheinung. Ich gebe offen zu, daß ich mich eine Weile, unter s< Ichen Gesichtspunkten natürlich, für ihn interessiert habe, aber ich hätte doch seinetwegen nie ernsthaft meine Ehe gefährdet . . .“
„Das hat Frau Berger aber getan?“ fährt Höpfner schasU dazwischen.
„Ja“, antwortet auch sofort Frau Gonterberg. „Ich glaube, daß sie es getan hat. Aber Burgdorf nahm die Dinge nicht ernst, daran
war für mich nie ein Zweifel, er war der geborene Mann für einen reizenden Flirt, aber tiefer ging das bei ihm nicht.“
„Und bei Ihnen?“
Nun lacht Frau Gonterberg. „Bei mir auch nicht, das können Sie mir getrost glauben...“ „Das glaube ich Ihnen auch.“
So, nun ist auch das klar, und es Ist sogar wieder eine Atmosphäre völligen Vertrauens zwischen ihnen hergestellt.
Kriminalrat Höpfner steht auf. Er reicht Therese Gonterberg die Hand. „Tch danke Ihnen, gnädige Frau. Mein Dank geht sogar so weit, daß ich Ihren Gatten aus dem Spiel zu lassen versuchen werde, obwohl er eine bewußte Unwahrheit gesagt hat. Ich glaube, daß das bloß eine Unüberlegtheit war, und die soll man nicht tragisch nehmen.“
Frau Gonterberg geht. Ein leiser Wohlgeruch bleibt Im Zimmer, Höpfner tritt ans Fenster, unten geht Frau Gonterberg über den Markt, und er sieht ihr nachdenklich nach. Dann wendet er sich um, sieht Berndt wartend stehen, schlägt ein paarmal, wie es seine Art ist, wenn es vorwärts geht, mit der rechten geballten in die Unke offene Hand und sagt: „Na, dann können wir ja anfangen .“
Die beiden Beamten stehen zehn Minuten später an der Wohnungstür des Bankiers Arnold Berger, und Höpfner klingelt. Eine Weile bleibt alles still. Dann öffnet ein junges Mädchen, sehr adrett mit weißer Schürze und weißem Häubchen, die Tür.
„Die gnädige Frau zu Hause?“ fragt Höpfner. „Gnädige Frau ist gestern verreist.. “
Er sieht mit einem ausdruckslosen Gesicht auf das Mädchen, das da zwischen Tür und Angel steht und hinter der kraus gezogenen Stirn sicherlich darüber grübelt, was diese beiden ernsthaften Männer wohl von ihrer gnädigen Frau wollen.
„Wohin ist denn die Gnädige gereist, mein Kind?“ fragt Höpfner, aber das Mädchen weiß darüber nichts. Vielleicht Ist Herr Berger da? Ja, Herr Berger ist da, aber er Ist krank und liegt Im Bett. So. Na, trotzdem, meint Höpfner, müsse sie ihm doch mitteilen, daß die Kriml- nalooUzei ihn zu sprechen wünsche.
Das Mädchen geht mit einem etwas beleidigten Gesichtsausdruck in die Wohnung zurück. Eine Tür schlägt, dann ist eine ganze Weil« nichts zu hören..Höpfner wird schon ungeduldig. Er ist fest entsriiiossei, sich nicht ab weisen zu lassen, es ist keine Zeit mehr zu verlieren.
Endlich kommt das Mädchen wieder. „Herrn Direktor Berger“, sagt sie, „geht es nicht gut. Aber er läßt die Herren trotzdem einen Augenblick bitten.“
Das Mädchen geht den beiden Herren voran den Flur entlang und öffnet dann leise ein« Tür.
Sie stehen im Schlafzimmer des Bankiers. Die Vorhänge an den Fenstern sind zugezogen, so daß das Zimmer in ein ungewohntes Halbdunkel getaucht ist: Trotzdem sieht man noch gut. In dem breiten Mahagonibett liegt der Bankier und versucht sich beim Eintritt der Beamten in den Kissen aufzurichten. Er ächzt dabei.
„Bleiben Sie nur liegen, Herr Berger“, sagt Höpfner höflich, „tut mir leid, daß wir si« behelligen müssen, ich hoffe. Sie sind nicht ernsthaft krank?“
„Die alte Herzgeschichte.“ Berger hat sich nun doch aufgerichtet. Soweit Höpfner es ln dem abgeblendeten Licht sehen kann, ist Bergers Gesicht seltsam verschwommen und farblos. Die Backen sind eingefallen.
„Liegen Sie schon länger?“ erkundigt sich Höpfner.
„Es ist heute der dritte Tag.“ Berger fällt das Sprechen sichtlich schwer.
„So. Und was sagt der Arzt?“
„Ich hoffe, daß es ohne Arzt wieder ln Ordnung kommt, ich bin nicht gern krank und einen Arzt sehe ich nicht gern bei mir.“
„Würde ihn doch holen, mit dem Herzen soll man nicht spaßen.“ ■
„Nehmen Sie sich doch bitte Stühle, meine' Herren..., darf ich fragen, was Sie zu mir führt ..?“
„Wenn Sie versprechen, sich nicht aufzer- regen, Herr Berger, ja. Wir wollten eigentlich gar nichts von Ihnen . ..“ (Forts, folgt)