DONNERSTAG, 2 1. AUGUST1952
Arndt: Gutachten nidit möglidi
Antwortschreiben an Höpker-Aschoff
hf. BONN. In Beantwortung eines Briefes des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Dr. Höpker-Aschoff, hat der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Arndt erneut die Auffassung der SPD betont, daß die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bonner Verträge und des EVG-Vertrages durch ein Urteil des Verfassungsgerichts und nicht nur durch ein Gutachten geklärt werden müßten.
In seinem Schreiben erklärt Arndt, das Urteil über die Unzulässigkeit der Feststellungsklage zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei für ihn Gesetz. Das Verfassungsgericht würde sich jedoch mit seinem eigenen Urteil in Widerspruch setzen, wenn es die gleiche Frage jetzt gutachtlich entscheiden wolle, bevor der Bundestag und der Bundesrat als die gesetzgebenden Körperschaften über die Vertragsgesetze entschieden haben.
Gewerkschaftler in Montanunion
Monnet nach London abgereist
DÜSSELDORF. Fünf deutsche Gewerkschaftler werden dem beratenden Ausschuß der Montanunion in Luxemburg angehören. Als deutsche Gewerkschaftsdelegierte stehen bereits fest: von der Gewerkschaftszentrale das DGB-Vorstandsmitglied Hans vom Hoff, von der IG-Bergbau der Leiter ihrer volkswirtschaftlichen Abteilung, Dr. Franz Große und von der IG-Metall deren Vorsitzender Walter Freitag. Über die beiden anderen wird zurzeit noch verhandelt.
Der Präsident der Hohen Behörde der Montanunion, Jean Monnet, ist gestern nach London abgereist, um dort vorbereitende Besprechungen über die Errichtung einer ständigen britischen Vertretung bei der Hohen Behörde zu führen.
DGB gegen KP-Spaltversuche
Keine Zusammenarbeit zu erwarten
DÜSSELDORF. Gegen die Pläne des KP- Zentralvorstandes in Düsseldorf, die Betriebsräte und die unteren Gewerkschaftsfunktionäre gegen den „zu gemäßigten“ DGB-Bun- desvorstand aufzuwiegeln, seien „durchgreifende Maßnahmen“ vorbereitet worden, verlautete gestern aus dem DGB-Vorstand.
Auf jeden Fall würde verhindert, daß sich Kommunisten zu Initiatoren von Kampfbeschlüssen machen könnten. Die KPD hat in den letzten Tagen wiederholt versucht, auf dem Weg über örtliche Betriebsrätevollkcfn- ferenzen Forderungen anzumelden, die darauf hinauslaufen, eine Beteiligung der Bundesrepublik an der westeuropäischen Verteidigung durch eine „Aktionseinheit der kommunistischen, sozialdemokratischen und christlichen Arbeitnehmer“ zu verhindern.
Bankräuberjagd: Fehlanzeige
Flut der Hinweise ebbt nicht ab
NACKENHEIM. Die Flut der Hinweise über den Verbleib der beiden Frankfurter Bankräuber M a i ß und Maikranz ebbt nicht ab. Jetzt wollen sechs Einwohner aus dem rheinhessischen Städtchen Nackenheim an Hand von Bildern der Gesuchten „schwören“, daß sie die beiden am Sonntag gesehen haben. Am Montagabend wurden auf dem Arndtplatz in Osnabrück vom Überfallkommando zwei Männer festgenommen, die dem Aussehen nach mit den beiden Bankräubern identisch sein könnten. Das Ergebnis der Überprüfung ihrer Personalien ist noch nicht bekannt.
Im Verlauf der Fahndung nach den Frankfurter Bankräubern hat die französische Polizei in Bourg Madame einen Mann verhaftet, der sich Albert Frohberg nennt und aus Frankfurt stammt. Die Polizei gab gestern bekannt, sie habe den 24jährigen bei dem Versuch festgenommen, illegal über die spanische Grenze zu gehen.
Pinay vor schweren Aufgaben
Staatshaushalt — Saarkonflikt — Tunesien — Preisstabilisierung
PARIS. Der französische Ministerpräsident Antoine Pinay ist von seinem Jahresurlaub in Aix-les-bains an einen mit Problemen überhäuften Schreibtisch zurückgekehrt. Vor allem anderen wird sich das Oberhaupt der seit fünf Monaten im Amt befindlichen Regierung mit vier dringenden Fragen beschäftigen müssen:
1. Ausgleich des Staatshaushaltes für 1953. Die Hoffnungen Pinays, diese Aufgabe mit amerikanischen Aufträgen an die Rüstungsindustrie meistern zu können, scheiterten an der Kürzung der amerikanischen Auslandshilfe. 2. Beschleunigte Lösung des Saarkonfliktes, wenn das kleine umstrittene Kohlengebiet noch rechtzeitig genug europäisiert werden soll, um als ständiges Hauptquartier der Schumanplanbehörden zu dienen. 3. Beschwichtigung der noch immer gespannten Lage in dem französischen Protektorat Tunesien, nachdem sich der Bey kategorisch geweigert hat, die von Frankreich gewünschten Reformen zu billigen. 4. Stabilisierung der Lebensmittelpreise, bevor weitere Preisaufschläge die Regierung zwingen, die Löhne den Lebenshaltungskosten anzupassen, was der Inflation wiederum neue Impulse verleihen würde.
Pinay wird das Preisproblem schon diese Woche in einer Sondersitzung mit seinen Finanzexperten in Angriff nehmen, am Mittwoch fand schon die erste Kabinettssitzung seit Juli statt, auf der die anderen Fragen, zumindest informativ, zur Sprache gekommen sind.
Anhaltende Trockenheit und die Maul- und Klauenseuche in weiten Teilen Frankreichs haben die Lebensmittelpreise zu einer Zeit heraufgeschraubt, in der sie erfahrungsgemäß die Tendenz haben, zu fallen. Der Preisindex für die Lebensmitteleinkäufe des „kleinen Mannes“ beträgt im Bezirk Paris bereits 142,8.
Wenn er 149,1 erreicht — das sind fünf Prozent mehr als im Dezember 1951 —, tritt die gleitende Lohnskala automatisch in Kraft. Pinay wird alles daransetzen, dies zu vermeiden. Die Zeitungen wollen wissen, daß Pinay mit „Stoßimporten“ den Preisen zu Leibe rük- ken wird, darunter 15 000 Tonnen Butter aus Holland und Skandinavien, 5000 Tonnen Käse aus der Schweiz und Italien, 200 000 Tonnen Kuba-Zucker und drei Millionen Tonnen Kartoffeln.
Von der Preispolitik abgesehen, muß Pinay jedoch auch Mittel und Wege finden, seiner immer kraftloser werdenden Kampagne zur „Rettung des Franc“ neuen Antrieb zu geben. Nachdem der Versuch, amerikanische Rüstungsaufträge in Höhe von 625 Millionen Dollar (2,62 Milliarden DM) zu erhalten, fehlgeschlagen war, stiegen die Gold- und Devisenkurse am freien Markt auf den höchsten Stand seit Februar.
Türkische Miß Europa 1952
Vera Marks an vierter Stelle
NEAPEL. Ein schüchternes, dunkelhaariges Mädchen aus der Türkei, die 20jährige Gun- zeli Basar wurde gestern morgen in Neapel „Miß Europa 1952“; als völliger Außenseiter war sie auf die Bühne gestiegen und von allen Teilnehmerinnen am nervösesten. Trotzdem erkannten ihr die Richter den ersten Platz zu.
Die 18jährige Deutsche, Vera Marks, die bei der Wahl als Favoritin galt, kam nur auf den vierten Platz. Sie und die zweite, die 23jährige Französin Nicolet D r u i n , führten nach der Bekanntgabe des Ergebnisses ein erbittertes Wortgefecht mit den Richtern. Hinter den Kulissen drangen wütende Schreie wie „Das war von Anfang an ausgemacht“ hervor.
Kleine Weltdbronik
Bauernverband: Keine Preistreiberei der Milchwirtschaft. Stuttgart. — Der Bauernverband Württemberg-Baden bezeichnet in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung die Nachrichten über angebliche Preistreiberei der Milchwirtschaft als üble Hetze gegen die Landwirtschaft. Der Bauernverband betont, die Milch- und Buttererzeugung sei in den letzten Wochen infolge der anhaltenden Dürre so rapide zurückgegangen, daß die Nachfrage nun nicht mehr gedeckt werden könne.
47,696 Mill. Einwohner in Bundesrepublik. Bonn. — Das strukturelle Bild der Bevölkerung in der Bundesrepublik hat sich in den letzten Jahren laufend verschoben. Dabei hat sich ein spürbarer Rückgang des Anteils der Landbevölkerung an der Gesamtbevölkerung trotz des vorwiegend bäuerlichen Flüchtlingsstroms abgezeichnet. Die Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets (ohne Berlin) hat sich vom Jahre 1939 bis 1950 um 21 Prozent erhöht und betrug zu diesem Zeitpunkt 47,696 Millionen.
Aufforstung in Deutschland. Bonn. — Die systematische Wiederaufforstung der im Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen deutschen Waldbestände nach neuzeitlichen Erkenntnissen und Richtlinien der modernen Forsttechnik sieht ein Gesetzesentwurf vor, der im Bundesernährungsministerium ausgearbeitet wurde.
Alle Landsmannschaften im VDL zusammengeschlossen. Bad Kissingen. — Dem am Montag in Bad Kissingen als Arbeitsgemeinschaft gegründeten „Verband der Landsmannschaften“ gehören alle 17 in der Bundesrepublik bestehenden Landsmannschaften an. Die Gründung des Verbandes soll den Weg zum Einheitsverband aller Vertriebenen ebnen.
Gewerkschaft verklagt Industrieverband. Düsseldorf. — Die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr in Stuttgart hat das Deutsche Industrieinstitut, das publizistische Organ des Bundesverbandes der Industrie in Köln wegen „böswilliger Verleumdung“ verklagt.
Niedersachsen hebt Meldepflicht für Schwangerschaftsunterbrechungen auf. Hannover. — Die niedersächsische Landesregierung hat durch Ver
ordnung die ärztliche Meldepflicht für Fehlgeburten und Schwangerschaftsunterbrechungen aufgehoben.
Drogisten tagen in Hamburg. Hamburg. — In Hamburg findet zurzeit der deutsche Drogistentag 1952 statt. Das Treffen ist mit einer Tagung der europäischen Drogistenverbände verbunden.
Von Manstein in Kieler Klinik. Kiel. — Generalfeldmarschall a. D. von Manstein, der im britischen Gefängnis von Werl inhaftiert ist, traf in Kiel ein, um sich bei einem Augenspezialisten operieren zu lassen.
Kinderlähmung in Europa und Amerika. Genf. — Eine starke Zunahme der Kinderlähmungserkrankungen in Nordwesteuropa und Nordamerika meldet gestern die Weltgesundheitsorganisation der UN in ihrem Wochenbericht. Am schwersten seien Norddeutschland und die Niederlande von der Epidemie betroffen.
Pace in Rom. Rom. — Der amerikanische Heeresminister Pace ist gestern aus Neapel in Rom eingetroffen. Er führt Besprechungen mit italienischen Regierungsvertretern.
Frankreichs Botschafter in Rom kandidiert für Bonn. Paris. — Frankreichs Botschafter in Rom, Jacques Fouqes-Duparc soll wie gestern bekannt wurde, entweder für den Posten des Generalsekretärs des französischen Außenministeriums oder als erster französischer Botschafter in Bonn vorgesehen sein.
Spaak; Jugend und europäischer Gedanke. London. — Der belgische Politiker Henry Spaak, einer der Vorkämpfer, der Europabewegung, stellte am Dienstag auf einer internationalen Jugendtagung in Edinburgh fest, daß die Bemühungen der Jugend um die Schaffung eines einheitlichen Europas bisher nicht den Erwartungen entsprochen hätten.
Schwere Luftangriffe auf Nordkorea. Seoul. — In Korea haben die alliierten Luftstreitkräfte gestern wieder schwere Luftangriffe auf Nord- korea unternommen. 200 amerikanische Maschinen griffen Munitions- und Truppenlager nordwestlich der nordkoreanischen Hauptstadt Pyon- pyang an.
WIRTSCHAFT
Neuer Diskontsatz 4V 2 Prozent
Mindestreservesätze gesenkt KIEL. Der Zentralbankrat hat gestern in Kiel beschlossen, den Diskontsatz von 5 auf 4 1 /» Prozent zu senken. Gleichzeitig wurden die Mindestreservesätze gesenkt. Einzelheiten hierüber in der nächsten Ausgabe.
Investitionshilferate fällig
25 Prozent des Aufbringungsbetrages am 22. g. 5»
BONN. Nach Mitteilung des Bundesflnanzmini- steriums im Einvernehmen mit dem Kuratorium für das „Industrie-Kreditbank-Sondervermögen Investitionshilfe“ ist am 22. August die zweite Rate der Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft in Höhe von 25 Prozent des vorläufigen Aufbringungsbetrages fällig.
N achahmenswert Niedersachsen verbietet Behördenhandel KÖLN. Durch Runderlaß des Ministerpräsidenten ist in Niedersachsen der Behördenhandel verboten worden, wie die Hauptgemeinschaft de* deutschen Einzelhandels mitteilt. Im Runderlaß heißt es, es sei mit den Aufgaben und dem Ansehen kommunaler und sonstiger öffentlicher Dienststellen nicht vereinbar, daß während der Dienstzeit und unter Benutzung dienstlicher Räume und Einrichtungen private Geschäfte betrieben würden.
österreichischer Fremdenverkehr Lage kritisch / Preissenkungen vorgeschlagen WIEN. Die Lage der Fremdenverkehrswirtschaft in Österreich ist in diesem Jahre gebietsweise sehr kritisch und im allgemeinen entgegen den Erwartungen nach dem Rekordjahr 1951 nur bedingt zufriedenstellend. Vor allem leiden die teuren Hotels und Pensionen unter einem emp. flndlichen Gästemangel, während die mittleren Gasthöfe, Privatquartiere und auch die Alpenvereinshäuser gut bis sehr gut frequentiert sind.
Österreich ist nicht mehr das billigste Reiseland Europas. Andere Länder wie Jugoslawien, Spanien, Italien, lochen mehr und mehr Fremde an. Wenn der diesjährige Reiseverkehr keine Katastrophe für diesen Zweig der österreichischen Wirtschaft bringe, dann sei dies den Deutschen zu danken, die wie vor 1933 wieder die Säulen des österreichischen Fremdenverkehrs seien, betont man in Fachkreisen. Die Spitzen der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft schlagen u. a. fühlbare Kürzungen der Hotel- und Pensionspreise vor. Einige internationale Kurort« schicken sich bereits dazu an.
Finnen und Unternehmungen
MAINZ. — FINAG wird nicht aufgelöst. Eine Auflösung der Finanzierungs-AG., Speyer (FINAG), die als Finanzierungsinstitut für die französische Zone nach der Währungsreform gegründet und deren Auflösung von verschiedenen Seiten verlangt worden war, sei aus wirtschaftlichen Gründen troti der Bildung des Landes Baden-Württemberg nicht erforderlich. Wie der Präsident des Rechnungshöfe* Rheinland-Pfalz und Vorsitzende des Aufsichtsrates der FINAG, Dr. Dahlgrün, hierzu erklärte, sei das Land Baden-Württemberg lediglich in die Aktionärsrechte der ehemaligen Länder Baden und Württemberg-Hohenzollern eingetreten, so daß sich an der vermögensrechtlichen Lage der Gesellschaft nichts geändert habe.
Börsen: Anhaltend freundlich
STUTTGART. Die freundliche Haltung an den Börsen in der Bundesrepublik hielt auch am Dienstag an und führte zu Kursbesserungen von durchschnittlich 1 bis 2 Prozent. Am Montanmarkt erreichten die Befestigungen nicht ganz das Ausmaß des Vortages, jedoch notierten in Frankfurt Mannesmann und Rheinstahl 3 Prozent fester. An den Industriemärkten hielten sich die Gewinne ta Rahmen bis 2 Prozent. Kräftig erhöht waren von den Elektrowerten die beiden Siemenspapiere, dl« im Durchschnitt 5 Prozent anzogen. Auch IG-Far- ben waren auf zunehmende Auslandskäufe leicht erholt; besonders gesucht waren Giroanteile, in Stuttgart gewannen Lanz 5 und Württembergiscb« Cattun 4 Prozent. Stärker gedrückt lagen dagegen Filz Giengen (— 4) und Spinnerei Kottern, dl* nach Pause bei einem Kurs von 142 Geld 13 Pro' zent schwächer notierten.
Auf der 37. Internationalen Automobilausstellung in London vom 22. OktoMf bis 1. November wird auch die deutsche Automobil- Industrie ihre neuesten Modelle zeigen. Im übrig«! stellen aus: Großbritannien, die USA, Kanada, Frankreich, Italien und Spanien.
Frankreich und das kommunistische China haben nach einer von Radio Peking verbreiteten Meldung ein Handelsabkommen g*- schlossen, das gegenseitige Warenlieferungen ln Werte von 2,8 Millionen Dollar vorsieht.
(Urheberrechtschutz Hermann Berger, Wiesbaden) 24. Fortsetzung Nachdruck verboten.
„Wir mußten aulholen gegen die andern. Wir waren zurück.“
„Auch ich möchte arbeiten, Bert, schuften und mich plagen, es müßte herrlich sein. Ich hätte die Fabriken in Buenos Aires übernehmen können. Aber es ging nicht. Ich will die Stadt nicht mehr. Ich bin ganz heimatlos geworden. Unsinn, eigentlich hatte ich nie eine Heimat. Ich muß mir eine suchen, ich muß nach Deutschland, vielleicht fasse ich dort Fuß.“ — Sie schwieg, dann begann sie von neuem: „Merkwürdig, daß wir hier miteinander durch den Park gehen. Es hat etwas Traumhaftes. Warum sagst du nichts?“
„Was möchtest du arbeiten?“
„Irgend etwas, ganz gleich was. Nur nicht weiter so die Hände in den Schoß legen.“
„Wir wollen einmal darüber nachden- ken.“
„Fein!“
„Wie lange bleibt die „Lincoln" im Hafen?“
„Noch drei Tage."
Sie fuhren mit der Bahn nach Camogli, stiegen die Höhen hinauf und hatten in Ruta einen unvergleichlich schönen Ausblick. Der ganze Golf von Genua lag unter ihnen. In Ruta speisten sie in einem einfachen Gasthof. Um sie herum saßen Arbeiter bei ihrem Mahl; in der Nähe von Ruta wurde eine Straße ausgebessert. Nells graue Augen leuchteten. „Wundervoll“, sagte sie, „das gefällt mir. Dieses elegante Schiff und die Leute — ich habe es satt.
Endlich wieder einmal Menschen und keine Puppen.“
Auf schmalen Saumpfaden wanderten sie durch silberblinkende Olivengärten nach St. Margherita hinunter.
Nell erzählte mancherlei von ihrer Reise. Nur während der Schilderung der Mitpassagiere brach ihr heiteres Temperament durch, im übrigen lag es wie ein Schleier über ihrem Wesen. Sie sprach sehr vertraut mit Bert, genau so wie damals in Buenos Aires. Nur das Erlebnis vom Oktober rührte sie nicht an; sie vermied auch, Jörns Namen zu erwähnen.
Als die Sonne im Meer versank, standen sie auf den Höhen über Portefino. Die Häuser des kleinen Ortes, in die winzige Bucht geschmiegt, waren rosig überhaucht von der untergehenden Sonne. Eine Weile standen sie dort, wie verzaubert. Dann, in der blauen Dämmerung, wanderten sie hinunter.
Am Quai von Portefino bot ihnen jemand ein Motorboot an.
„Eine gute Gelegenheit", meinte Bert, „wir könnten mit dem Boot nach Rapallo fahren und von dort mit der Bahn zurück- kehren.“
„Nein“, sagte Nell, „ich möchte nicht.“
Sie nahm seinen Arm.
„Du willst hierbleiben?“ fragte Bert.
Sie blieb stehen. Wie verloren sah sie auf das Meer hinaus, das still und dunkel dalag im einbrechenden Abend .
Sie lächelte: „Ja, Bert — vielleicht gehe ich überhaupt nicht wieder auf das Schiff zurück. Ich kann ja einen anderen Dampfer nehmen. Morgen sage ich dir, weshalb. Übrigens weiß meine Stewardeß, daß ich ausbleibe. Ich habe ganz bestimmte Gründe.“
, .betraten einen Laden und kauften einige Dinge. Dann nahmen sie zwei Zimmer im Hotel. Nach dem Essen sagte Nell:
„Ich bin sehr müde, mir fallen die Augen zu. Gute Nacht — ich danke dir für den Tag.“
Sie reichte ihm die Hand und ging hinauf.
Am andern Morgen erhob er sich sehr früh. Als er fertig war, trat er auf den Balkon. Die Türflügel des nebenan liegenden Balkons standen weit offen, er hörte Nell hin- und hergehen.
„Hallo!“ rief er, „bist du bald fertig?“ Nun erschien auch sie auf ihrem Balkon. Sie strahlte vor Frische. „Meinetwegen können wir hinuntergehen.“
Zugleich verließen sie ihre Zimmer und traten auf den Gang hinaus. Der Gang war leer. Sie prallten beinahe aufeinander. „Wie hast du geschlafen, Nell?“ „Herrlich! Und du?“
Sie standen ganz dicht beisammen. Ihre Blicke tauchten ineinander...
Dann lag sie in seinen Armen. Ihre Augen schlossen sich und ihr Körper bebte leise. Er küßte sie auf den Mund.
Da riß sie sich los. Sie gingen hinunter. Der Wirt trat aus einer Tür und verneigte sich.
Sie frühstückten auf der Terrasse unter einem Sonnenschirm. Andere Gäste gab es anscheinend nicht in diesem Hotel. Nell sah kaum auf von ihrem Teller.
„Es mußte so kommen“, sagte Bert leise, „es war schon damals in uns.“
Zwei Tage blieben sie in Portofino. Sie saßen in den Klippen, durchwanderten die Gärten und stiegen auf die Höhen. Es war ein Glück ohnegleichen. "
Am zweiten Tage sagte Bert: „Nell — was war auf der „Lincoln?“ Du wolltest nicht zurückfahren auf dem Schiff ...“ Und nun beichtete sie ihm: ein Amerikaner hätte sich auf der „Lincoln“ in sie
verliebt. „Ich mochte ihn, Bert. Ein ridi- tiger Junge. Dabei fast fünfzig. Ich hätte ihn auch genommen, wenn du nicht...» aber lassen wir das; es mußte so kommen. Es war uns bestimmt. Glaubst dt* nicht auch?“
„Ja, es sollte so sein. Doch eigentlich haben wir es Jörn zu verdanken.“
Sie schwieg. Ein seltsam starres Lächeln war um ihren Mund. Dann küßte sie ih» und er fühlte das Beben ihrer Lippen. —
Nell fuhr mit einem italienischen Dampfer nach Buenos Aires und Bert kehrt* nach Hamburg zurück.
Er kam spät am Abend an. Tirsch, de* alte Diener, trat ihm auf der Treppe entgegen.
„Ihr Herr Bruder ist schon früh gekommen, er hat Arbeit mitgebracht und sitzt auf seinem Zimmer.“
„Arbeit?“
„Jawohl. Eine ganze Aktentasche voUi Herr Heiken.“
Bert ging zu Jörn hinauf und klopfte an die Tür. Jörn empfing ihn im Hausrode. Er saß an seinem Schreibtisch, auf den de* Lichtschein der Lampe fiel. Er blieb aud» dort sitzen, wandte sich, nur um. Auf dem Schreibtisch lag ein Stoß Briefe.
„Nun?“ fragte Jörn, „alles in Ordnung?*
Er lächelte Bert entgegen. .
Bert legte ihm die Hand auf die Schul" ter: „Über Käppen Winkler können w» später sprechen. Jetzt etwas anderes. Wa* rum hast du mir nicht gesagt, daß d» „Lincoln“ Genua anlaufen würde? D* wußtest es doch.“
„Selbstverständlich wußte ich, daß die „Lincoln“ in Genua sehen würde«. Ich hatte mich danach erkundigt. Hast a* Nell getroffen? Wie geht’s ihr?“ 1
(Fortsetzung folg#