FREITAG, 16. MAI 1952
Ueberleitungsgesetz angenommen
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kenne. Eine Präsidialdemokratie aber setze einen volksgewählten Staatspräsidenten voraus. Hinsichtlich der Auflösung der Landesversammlung bezweifelte er, daß es im Sinne des Bundesgesetzgebers sei, die Landesversammlung schon vor der Schaffung einer Verfassung auflösen zu können. Dem Volk werde es weniger auf die Bildung einer Regierung ankommen, sondern darauf, wie die Arbeit dieser Regierung beurteilt werde.
Dr. Gönnenwein hält es auch für abwegig, weniger Minister zu ernennen, als Ministerien eingerichtet werden. Darüber, ob auch ein Mißtrauensvotum gegen einzelne Minister möglich sei, könne man sich bei der Beratung der Verfassung unterhalten; grundsätzlich mache das Mißtrauensvotum gegen einzelne Minister eine Regierung eher stärker als schwächer. Die Bestimmung, daß Minister neben ihrem Amt keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit ausüben dürften, werde von den Regierungsparteien nur formal abgelehnt, weil diese Frage schon in § 32 Absatz 5 des württemberg-badischen Ministergesetzes geregelt sei.
Eine Bestimmung, daß die Verfassung vom Volk anzunehmen sei, gehöre allenfalls in die Verfassung selbst. Hinsichtlich Volksabstimmungen habe der parlamentarische Rat seinerzeit nachdrücklich vor der Wiedereinführung solcher Bestimmungen, die in der Weimarer Verfassung eine große Rolle gespielt haben, gewarnt. Man müsse sich diese Dinge gründlich überlegen — jedoch nicht für das Uberleitungsgesetz, sondern für die Verfassung. In der Frage des Verwaltungsaufbaues erklärte der Abgeordnete, die CDU habe ihren ursprünglichen Entwurf nicht unwesentlich imgestaltet Die Zuständigkeiten der Mittelinstanzen festzulegen, sei Sache eines entsprechenden Gesetzes. „Den Stuttgarter Zentralismus wollen auch wir vermieden sehen“ — bemerkte der Abgeordnete abschließend.
Dr. Werber (CDU) sprach in seiner Antwort zu den Ausführungen Dr. Gönneweins die Befürchtung aus, daß hinter der ablehnenden Haltung der Regierungsparteien zu den Anträgen der CDU eine ganz bestimmte Absicht stehe: nämlich „für diesen Südweststaat Fakten zu schaffen, ohne das Volk dabei zu Wort kommen zu lassen“. Die CDU aber sei nicht daran interessiert, dieser Regierung ein Ermächtigungsgesetz auf lange Zeit zu geben Abg. Gog (CDU) brachte den Antrag ein, an Stelle des vorläufigen Namens für das neue Bundesland vorläufig „Baden-Württem- berg-Hohenzollern“ einzuführen in Anerkennung der Tatsache, daß die Bevölkerung Ho- henzollerns sich besonders nachdrücklich für die Schaffung des Südweststaats eingesetzt habe. Der Antrag wurde abgelehnt.
Abg. Dr. Gebhard Müller (CDU) ging nochmals auf die Frage ein, ob die Landesversammlung sich zum Landtag erklären könne.
Nach langer Prüfung müsse er nun. auch wenn die CDU zunächst einen anderen Standpunkt vertreten habe, entgegen den Darlegungen Dr. Gönnenweins die Zulässigkeit verneinen. Nach dem Neugliederungsgesetz seien die Aufgaben der Landesversammlung gegenständlich begrenzt auf die Schaffung der Verfassung und auf die Schaffung solcher Gesetze, die schon vor Schaffung der Verfassung für das Funktionieren des neuen Staates notwendig sind. Man müsse hier unterscheiden zwischen „Landtag“ und „Volksvertretung“. Ein Landtag setze eine Verfassung voraus. Da aber eine Verfassung für das neue Bundesland noch nicht bestehe, könne die Verfassunggebende Landesversammlung auch nicht Landtag sein.
Der Antrag wurde mit der Mehrheit der Regierungsparteien abgelehnt.
Von den insgesamt 15 Anträgen der CDU- Fraktion wurde nur einer angenommen, und zwar den Rücktritt der vorläufigen Regierung betreffend; es handelt sich hier lediglich um eine redaktionelle Änderung. Drei Abänderungsanträge der Regierungsparteien, bei denen es sich im wesentlichen auch nur um redaktionelle Änderungen handelte, wurden dagegen angenommen, zwei davon mit den Stimmen der CDU. Ferner nahm das Haus nach der .Abstimmung über das Überleitungsgesetz einstimmig eine Entschließung der CDU- Fraktion an, In der die vorläufige Regierung ersucht wird, bei den Maßnahmen, die hinsichtlich der in den Wartestand zu versetzenden Beamten getroffen werden, auf schwerbeschädigte Beamte Rücksicht zu nehmen.
DGB-Vertreter bei Regierungen
In Tübingen und in Stuttgart
TÜBINGEN. Delgationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes suchten am Mittwoch in Tübingen und in Stuttgart die Regierungen auf, um ihnen die Wünsche des DGB zum Betriebsverfassungsgesetz vorzutragen. In Tübingen teilte die von Bezirksleiter von Württem- berg-Hohenzollem, Fritz Fleck, geführte Delegation dem Staatspräsidenten Dr. Gebhard Müller mit, daß das in Württemberg-Ho- henzollern geltende Betriebsrätegesetz sich gut bewährt habe und die Gewerkschaften voll zufriedenstelle. Auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern in Württemberg-Hohenzollem sei sehr gut. Der Gewerkschaftsbund werde alles unternehmen, um zu verhindern, daß aus der gegenwärtigen Situation von radikalen Elementen KaDital geschlagen werde. Staatspräsident Dr. Müller erklärte sich bereit, den Bundeskanzler über diese Besprechung zu unterrichten, wies aber darauf hin, daß die weitere Behandlung der Angelegenheit in das Aufgabengebiet der neuen südwestdeutschen Regierung falle.
Während die Gewerkschaften in allen Teilen des Bundesgebiets ihre Mitglieder gegen
den Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes zu großen Protestkundgebungen in den nächsten Tagen aufgefordert haben, hat der Deutsche Beamtenbund an alle Beamten appelliert, sich nicht an den angekündigten Streiks zu beteiligen, da diese „mit den Beamtenpflichten unvereinbar und verboten sind“. Das auf eine Machtprobe abgestellte Vorgehen des DGB beweise erneut, daß das Personalvertretungssystem im öffentlichen Dienst durch ein besonderes Gesetz geregelt werden müsse, um die Unabhängigkeit der Staatsverwaltung zu gewährleisten.
Mit drei großen Kundgebungen in Düsseldorf, Köln und Braunschweig startete der DGB gestern seinen Angriff auf das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesregierung. Zehn- tausenfle von Arbeitnehmern kamen zu den Sammelplätzen. Die Straßenbahnen stellten den Verkehr vorübergehend ein. „Diese Kundgebungen sind nur die Ouvertüre zu der Auseinandersetzung, die die soziale Reaktion den Gewerkschaften aufgezwungen hat“, rief. Erich Bührig vom DGB-Vorstand den Düsseldorfer Kundgebungsteilnehmern zu. Im Anschluß an die Kundgebung kam es zwischen der Polizei und kommunistischen Demonstranten zu Zusammenstößen.
Kleine Weltdironik
„Niema s w eder Ansch uß“
Erklärung des österreichischen Bundeskanzers
WASHINGTON. Der österreichische Bundeskanzler Dr. Leopold Figl sagte auf seiner ersten Pressekonferenz in Washington, Österreich wünsche niemals wieder einen Anschluß an Deutschland. Es könne schon wenige Jahre nach Abschluß des Staatsvertrages ohne Auslandshilfe leben. Figl wandte sich entschieden gegen den Gedanken eines Separatfriedensvertrages mit den Westmächten.
Der amerikanische Außenminister Ache- son erklärte zu Figls Besuch: „Wir haben alle die tapfere Haltung bewundert, die das österreichische Volk bei der Verteidigung seiner Freiheit angesichts fortgesetzter Willkür und illegaler sowjetischer Handlungen gezeigt hat und weiterhin zeigt. Diese Haltung ist zum großen Teil durch den großen persönlichen Mut des Bundeskanzlers Figl ermöglicht worden.“
Hohe Kommission kürzt Flugbenzin. Frankfurt. — Die Abteilung für zivile Luftfahrtangelegenheiten bei der Alliierten Hohen Kommission hat angeordnet, daß,ab sofort alle Fluggesellschaften, die Fluglinien in Deutschland unterhalten oder deren Routen über die Bundesrepublik gehen, nur noch Zweidrittel des im April ln Deutschland erworbenen Flugbenzins auf deutschen Flugplätzen kaufen dürfen.
Deutschland-Vertrag nächste Woche. Bonn. — Der Deutschland-Vertrag, drei Zusatzverträge und das sogenannte Berliner Protokoll werden Mitte nächster Woche zur Unterzeichnung fertig sein. Die drei Zusatzverträge sind das Uberled- tungsabkommen, der Truppenvertrag und der Vertrag über die Einsetzung eines gemeinsamen Schiedsgerichts. Offen bleibt noch der Finanzvertrag, über den die Außenminister endgültig entscheiden werden.
Bundesjugendkonferenz des DGB. Düsseldorf. — Rund 300 Delegierte und Gastdelegierte, die 650 000 junge Gewerkschaftler vertreten, werden an der zweiten Bundesjugendkonferenz des DGB von heute bis zum Sonntag in Stuttgart teilnehmen. Als Redner sind u. a. der DGB-Vorsitzende Christian Fette und der Vizepräsident des Bundestages, Karl Schmid, vorgesehen.
Rekordjahr des Fremdenverkehrs. Hamburg. — Das Jahr 1952 verspricht nach Ansicht führender Fremdenverkehrsfachleute, die sich in Hamburg zum diesjährigen Fremdenverkehrstage zusammenfanden, ein neues Nachkriegsrekordjahr des deutschen Fremdenverkehrs zu werden. Bundesverkehrsminister Seebohm wies in einer Rede daraufhin, daß Deutschland im vergangenen Jahre bereits 80 Prozent des Vorkriegsstandes im Fremdenverkehrswesen erreicht habe.
Synode in Westberlin beendet. Berlin. — Nach fünftägiger Dauer endete gestern die Synode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die in Westberlin tagen mußte, weil ihre Abhal
tung in Görlitz von der Sowjetregierung verboten worden war. Unmißverständlich wies die Synode Kontrolle und Aufsichtsrecht des Staates über die kirchlichen Belange zurück. Zu der altpreußischen Union gehören die Gldedkirchen Mecklenburg, Pommern, Schlesien, Berlin-Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen.
Francois Poncet in der Akademie Frangaise, Paris. — Der französische Hohe Kommissar in Deutschland, Andre Frangois Poncet, ist gestern in die Akademie Frangaise gewählt worden, er nimmt in dem 40köpfigen Gremium den Platz des im vergangenen Sommer verstorbenen Marschalls Petain ein.
Eisenhower bei Königin Elizabeth. London. — Der scheidende Nato-Oberbefenlshaber General Eisenhower und seine Gemahlin, die zurzeit in England zu einem Abschiedsbesuch weilen, wurden gestern von Königin Elizabeth II. in Gegenwart der Königinmutter im Buckinghampalast empfangen.
Auch Zwischenfälle in Algerien. Orleansville. — Die Unruhen im französischen Protektorat Tunesien greifen nun auch auf das benachbarte Algerien über. Bei blutigen Zusammenstößen ln der Stadt Orleansville wurden zwei Demonstranten erschossen. Ein dritter wurde schwer verletzt.
CIO droht mit Streik. Philadelphia. — Der große amerikanische Metallarbeiterverband des CIO hat beschlossen, zu einem neuen Streik in der amerikanischen Stahlindustrie aufzurufen, wenn die Industrie eine unverzügliche zufriedenstellende Lohnerhöhung verweigern sollte.
Atom-U-Boot geht ln Bau. Washington. — Das erste mit Atomkraft betriebene Unterseeboot der Vereinigten Staaten wird im Juni in Groton/Con- necticut auf Kiel gelegt. Das U-Boot soll nach dem „Nautilus“, dem von Jules Verne vorausgeahnten Unterwasserfahrzeug in seinem Roman „20 000 Meilen unter dem Meer“ benannt werden.
Wehner: Was hat den Vorrang?
Verträge hindern Wiedervereinigung
hf. BONN. Der Vorsitzende des gesamtdeutschen Bundestagsausschusses, Herbert Wehner (SPD), erklärte am Donnerstag in Bonn, die alliierte Antwortnote ändere nichts daran, daß die Westmächte und die Bundesregierung den Verhandlungen um die Verträge den eindeutigen Vorrang vor ernsthaften Bemühungen um die Wiedervereinigung geben. Die Verträge würden die Eingliederung der Bundesrepublik in das sogenannte westliche System in einer Weise besiegeln, die der Bundesregierung nicht mehr die Möglichkeit geben werden, jederzeit und von sich aus auf di® Durchführung von Viermächte-Verhandlungea über die deutsche Wiedervereinigung zu drängen. Wehner forderte einen positiven deutschen Beitrag in der Aufstellung eines konkreten Programms auf die Rechte, die ein® gesamtdeutsche Regierung haben müßte. In politischen Kreisen Bonns wird angenommen, daß Wehner mit seiner Erklärung den Standpunkt andeutete, den die SPD bei ihrer nächsten Debatte über die Frage der Wiedervereinigung und die deutsch-alliierten Verträge einnehmen wird. Über Anträge der SPD und der Föderalistischen Union, die eine Bundestagsdebatte über die deutsch-alliierten Verträge nach Paraphierung dieser Verträge gefordert hatten, war bei Redaktionsschluß vom Ältestenrat des Bundestags noch nicht entschieden worden.
Grauenvoller Mord geklärt
Vignault legt Geständnis ab
NÜRNBERG. Vor dem amerikanischen Militärgericht in Nürnberg legte der des Doppelmordes an den zwei Deutschen Lothar Schlosser und Paul Eckart aus Neustadt angeklagte amerikanische Soldat John F. Vignault nach anfänglichem Leugnen ein umfassendes Geständnis ab. Das Verfahren gegen die beiden Mitangeklagten, die amerikanischen Soldaten Richard Hagelberger und Robert Mierzwic, wurde von dem Prozeß gegen Vignault abgetrennt.
In dem von Vignault schriftlich niedergelegten Geständnis wird der Vorgang der Tat wie folgt beschrieben: Hagelberger und er seien hinter den beiden Deutschen, die sie freundlicherweise eine Strecke im Auto mitgenommen hätten, im Wagen gesessen, als er auf Anstiften Hagelbergers den Karabiner hinter das Ohr Lothar Schlossers gehalten und abgefeuert hätte. Die Schüsse hätten das Gehirn des Mannes über den ganzen Wagen verspritzt. Daraufhin habe der Fahrer des Wagens, Paul Eckart, angehalten, um zu fliehen. Er hätte aber, als Eckart aus dem Wagen springen wollte, so lange auf ihn geschossen, bis er Ladehemmung hatte. Mit dem Toten wären sie noch eine Strecke gefahren und hätten ihn erst dann aus dem vollständig blutbeschmierten Auto geworfen. Vignault erklärte am Schluß seines Geständnisses: „Mit der Waffe wollten wir nur den Leuten Angst machen und sie zwingen, uns Geld und Wagen zu geben.“
Kote-Abkommen ungültig
TOKIO. Der alliierte Oberbefehlshaber ln Korea, General Clark, hat gestern das Abkommen zwischen dem ehemaligen Kommandanten des Gefangenenlagers Koje und da» kommunistischen Gefangenen für ungültig erklärt. General Clark begründete die Erklärung damit, daß die Verhandlungen mit den Gefangenen von Anfang an unter dem Zwang einer Bedrohung eines amerikanischen Offiziers geführt worden seien. Der Oberbefehlshaber der achten USA-Armee, General van Fleet, untersuchte am Mittwoch die neuen verschärften Sicherheitsmaßnahmen auf der Gefangeneninsel Koje.
An der Front herrschte Ruhe. 4 Migs wurden von amerik. Düsenjägern abgeschossen.
ROMAN VON AIWA EUSABCT wQRAUCH
25. Fortsetzung Nachdruck verboten.
„Vielleicht finden wir noch etwas ganz Unerhörtes!“ sagt die Lux mit großen Augen. „Eine Goldader! Oder wenigstens Silber... früher hat es hier Silberbergwerke gegeben.“
Das Gespräch wird lebhafter und dreht sich jetzt ganz allgemein um die Höhle. Es wird erst wieder unterbrochen, als die Tafel aufgehoben wird und man im anschließenden Raum den Kaffee nimmt. Dabei steht und sitzt man in kleinen Gruppen beieinander, und nach einigen Minuten steht Heysingk vor Donates Stuhl.
„Nun, ist die Überraschung gelungen?“ fragt er mit einem Lächeln, das überheblich wirkt, weil er von seiner Höhe auf sie herabsieht. •
„Welche?“ fragt Donate gleichgültig. „Ach, daß wir Großmama bei Ihnen trafen, meinen Sie? Ja ... gelungen . das kommt nun ganz darauf an, was Sie sich für einen Effekt davon versprochen hatten.“
„Effekt?“ wiederholt er „Ja ... vielleicht... aber eher gefürchtet als versprochen.“
„Aha!“ Donate lacht ein wenig, ganz leise, doch ihre Lippen zucken. „Das sieht Ihnen ähnlich! Sie haben also nicht beabsichtigt, uns damit eine Freude zu machen? Dann muß ich Ihnen leider sagen, daß Ihre Überraschung mißlungen ist. Zwischen Großmama und uns besteht keineswegs die Feindschaft, von der Sie sich anscheinend ein Vergnügen versprochen haben.“
„Und trotzdem kann man nicht .mißlungen* sagen.“ Man sieht es hinter seiner Stirn arbeiten, weil er nach den richtigen Worten sucht. „Denn ich habe festgestellt, daß die alte Dame Sie kennt “
„Mich kennt?“ fragt Donate mit einem Ausdruck, der deutlich zeigt, daß sie an seinem Verstand zweifelt. „Soll sie ihr eigene Enkelin nicht kennen? Ich denke. Sie schätzen sie ...
Sie scheinen sie aber zu unterschätzen. Sie ist durchaus noch nicht geistig getrübt.“
„Das weiß ich. Aber weiß ich denn, ob Sie ihre Enkelin sind’“
„Entschuldigen Sie... Ich kann nicht mehr mit!“ Donate legt die Fingerspitzen an die Schläfe. „Was bedeutet das? Hat man mich nicht offiziell genug mit Ihnen bekannt gemacht? Oder halten Sie mich für eine Hochstaplerin?“
„Das nun nicht gerade..." Er lacht in einer leisen Verlegenheit vor sich hin und rührt unablässig in dem Täßchen, das er ln der Hand hält, nur um den Blick auf irgend etwas zu richten. „Aber die Buchecker sind für Scherze zu haben ... oder zu kleinen Mystifikationen ... sie ließen sich wohl dazu bereit finden, jemand als Verwandte auszugeben ...“ „Und wozu? Was soll ich denn sonst hier tun, wenn ich nicht meine Verwandten besuchen wollte?“ Unwillkürlich steht sie auf, um mit ihren weitgeöffneten, erstaunten Augen seinem Gesicht näher zu sein.
„Ja ... Sie haben ganz recht... was sollten Sie sonst wohl hier tun’“ Er entschließt sich, endlich den Blick von der Tasse wegzunehmen und sieht sie an . es ist etwas Hilfloses in den grauen Augen, die tief in die ihren tauchen. . das Blut steigt langsam in das braune Gesicht, die Augen sind nicht mehr hell und scharf sie verdunkeln sich, er schluckt schwer, als müsse er etwas hinunterwürgen. „Verzeihen Sie!“ sagt er mit einer ganz veränderten, leisen Stimme, ohne diesen sonderbaren, ratlosen und flehenden Blick aus ihren Augen zu nehmen. „Ich bin wirklich wahnsinnig seien Sie mir nicht böse “
Donate lächelt mühsam: „Ich bin Ihnen nicht böse. . ich verstehe sie nur nicht ganz.“ „Ich verstehe mich manchmal selber nicht.. Das Blut ebbt aus dem braunen Gesicht zurück, er holt tief Atem, und ein Widerschein ihres Lächelns, ebenso mühsam, hebt seine Mundwinkel: „Sie haben so ehrliche Augen . . und schöne Augen haben Sie auch'“
Jetzt ist es an Donate, rot zu werden . . sie fühlt, wie ihr das Blut unter seinem unver
wandten Blick glühend in die Wangen steigt.
„Es ist sehr hübsch bei Ihnen, mein lieber Heysingk!“ krächzt die leise scharfe Stimme der Großmama plötzlich dazwischen. „Sie haben einen Haufen Geld in dieses baufällige alte Nest hineingesteckt!“
Der Angerufene dreht sich höflich nach der alten Dame um... Donate fühlt es wie einen schmerzlichen Ruck, als sich die Augen von ihr losreißen.
„Gefällt es Ihnen, Frau Baronin?“ Heysingk macht einen Schritt auf sie zu. Die Großmama thront auf einem großen Gobelinsessel, die Füße auf einem Kissen ganz umbauscht von ihren schweren knisternden Seidenfalten. Sie sitzt sehr gerade, nur die Hände, die das Täßchen halten, zittern leise:
„Es Ist hübsch .. wirklich sehr hübsch ...“ Sie nickt anerkennend. „Ich bin früher manchmal hier gewesen . es war ein verwahrloster alter Stall... Sie haben daraus gemacht, was zu machen war' Alle Achtung, Sie haben zwei Jahre lang umgebaut und eingerichtet . und was tun Sie nun? Wollen Sie wieder verkaufen?"
„Ich denke nicht daran!“ Heysingk rückt sich einen Hocker neben den Sessel der Greisin und läßt sich darauf nfeder, die gefalteten Hände zwischen den gespreizten Knien hängend. „Ich will hier mem Leben beschließen.“
„Sie sind verrückt'“ erklärt die Großmama kurz und bündig „Gut, wenn Sie den alten Kasten aufmodeln, um ihn mit Gewinn weiter zu verkaufen, das laß’ ich mir gefallen Sie sind doch sonst nicht so ungeschäftlich! Was tun Sie denn mit all Ihren Prunkgemächern? Besuche haben Sie nicht. “
„Aber Sie sehen doch!“ Heysingk weist mit einer verbindlichen Geste auf den Kreis.
„Na, das lohnt ja auch grade! Wir sind alle miteinander nicht so verwöhnt . “
„Mir lohnt es, Frau Baronin!“ Wenn Heysingk mit der Großmama spricht, kann er ein gewinnendes Lächeln haben und einen warmen liebenswürdigen Ton.
„Reden Sie nicht so dumm!“ wehrt die Großmama. „Das sieht Ihnen gar nicht ähn
lich. Das ist doch alles zinsloses Kapital! Sowas ärgert mich! Ja, wenn Sie einen Haufen Kinder hätten, denen Sie das hinterlassen wollten! Dann hätte es einen Sinn. Aber so...“ Sie schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln, als ob sie einer geradezu verbrecherischen Dummheit gegenüberstünde. „Warum lassen Sie sich überhaupt nicht endlich scheiden und heiraten wieder?“
Heysingks Gesicht sieht aus, als ob eine Tü» mit scharfem Krach zufiele. Die Lippen pressen sich aufeinander und die Augen werden blicklos.
Und Donate fühlt, daß die Großmama mit ihrer rücksichstlosen Offenheit zu weit geht — er wird ihr gleich mit scharfen Worten verbieten, sich in seine Angelegenheiten zu mischen. Und ähnliche Gedanken liest sie auf allen Gesichtern ringsum.
Aber Heysingk gibt keine Antwort. Er schweigt, als ob er fest entschlossen wäre, nie wieder den Mund aufzutun.
„Darauf können Sie mir nicht antworten!“ fährt die Großmama fort, gänzlich unbeirrt und beinahe triumphierend „Ich werde diese Frage selbst beantworten: Weil Sie eigensinnig sind! Weil Sie einen Dickschädel haben, mit dem man Wände einrennen könnte! Ich habe eine Vorliebe für eigensinnige Leute, sie sind mir lieber als die ungestärkten Waschlappen. Aber es muß alles seine Grenzen haben. Man darf sich nicht aus Eigensinn ins eigene Fleisch schneiden — und Sie sind schon dabei, sich die Knochen durchzusägen!“
Da geschieht etwas ganz Unerwartetes: Heysingk lacht. Sein entspanntes Gesicht beugt sich über die dürre Hand, er führt sie fast zärtlich an die Lippen: „Wenn ich die Möglichkeiten erwäge, mich noch einmal zu verheiraten, dann werde ich Sie bitten, mir eine Frau zu suchen!“
„Ich denke gar nicht daran!“ wehrt die Großmama enl rüstet ab. „Glauben Sie vielleicht, ich will Ihnen eine meiner unversorgten Enkelinnen aufschwatzen? Wenn man schon gewagte Dinge äußert, darf man es nie pro domo tun.“
Fortsetzung folgt