NUMMER 8
MONTAG, 7. JANUAR 1958
„Keine Erörterung politischer Fragen“
Zahlreiche Besprechungen Niemöllers in Moskau
MOSKAU. Kirchenpräsident Niemöller hatte am Samstag eine P/jstündige Unterredung mit dem Vorsitzenden des Friedenskomitees der Sowjetunion, Nikolai Tichonow. Nach der Unterredung sagte er, die Zusammenkunft sei „zufriedenstellend“ verlaufen. Eine weitere Besprechung hatte Niemöller am Samstag mit der sowjetischen Regierungsstelle für die Angelegenheiten der orthodoxen Kirche in Rußland. Am Sonntag fuhr der Kirchenpräsident nach Zagorsk, um dem Kloster Sergei Troitsk, dem Sitz der heiligen Synode der russischen orthodoxen Kirche einen Besuch abzustatten. Am gleichen Tage predigte Niemöller beim Heiligabend-Gottesdienst in der Baptistischen Kirche in Moskau. Anschließend wohnte er als Gast des Patriarchen von Moskau und Rußland, Alexej, dem Gottesdienst in der Moskauer Kathedrale bei. Wegen der Unterschiede in den Kalendern wird das Weihnachtsfest in der Sowjetunion in allen Kirchen erst am 7. Januar gefeiert.
Niemöller betonte am vergangenen Wodienende, er habe nicht um Unterredungen mit sowjetischen Politikern nachgesucht und habe auch „nicht die Absicht, während seines Aufenthalts in Moskau politische Fragen zu erörtern“. Den Kirchenführem der Sowjetunion sei sehr daran gelegen, ihre Verbindungen zu ausländischen Kirchen zu verbessern. Er hoffe, daß
es ihm gelingen werde, Möglichkeiten zur Verstärkung der Beziehungen zwischen der orthodoxen Kirche Rußlands und Weltkirchenbewegung ausfindig zu machen. In Moskau habe er keine feindliche Haltung zu den Kirchen des Westens angetroffen. Über seine Begnung mit Patriarch Alexej sagte er, der Patriarch sei sehr entgegenkommend gewesen und habe ihm die Möglichkeit zu Besprechungen mit der Abteilung Auslandsbeziehungen des Patriarchats vermittelt.
Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS berichtete am Samstag, bei dem Empfang Niemöllers durch Alexej sei es zu einer Aus
sprache über Fragen gekommen, „die die Beteiligung verschiedener Kirchen an der Verteidigung des Friedens betreffen sowie über Fragen rein kirchlichen Charakters“.
Das „Evangelische Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene“ erinnerte anläßlich der Moskaureise Niemöllers daran, daß es nach wie vor gute Verbindnungen mit vielen deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion habe. Die Angehörigen hätten bestätigt, daß die im Oktober versandten Weihnachtspakete mit warmer Kleidung in den sowjetischen Lagern eingetroffen seien. Insgesamt habe das Evangelische Hilfswerk 1951 24 000 Pakete nach der Sowjetunion und Jugoslawien versandt. Aus neuen Sachspenden könnten in diesen Tagen noch weitere 1500 Pakete für Kriegsgefangene in der UdSSR zusammengestellt werden.
Dr. Adenauer 76 Jahre alt
BONN. Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer beging am Samstag seinen 76. Geburtstag. Während der Vormittag mit einem Empfang im Palais Schaumburg in Bonn für die vielen Gratulanten des In- und Auslandes ausgefüllt war, verbrachte Dr. Adenauer den Nachmittag im Kreise seiner Familie. Seine vier Söhne und seine drei Töchter hatten sich in seinem Haus in Rhöndorf eingefunden.
Der Bundespräsident, das Bundeskabinett, die alliierte Hohe Kommission und das diplomatische Korps übermittelten dem Kanzler ihre Glückwünsche. Bonner Waisenkinder und eine Jugendgruppe des Bundes „Neudeutschland“ brachte vor dem Palais Schaumburg ein Ständchen. Bundespostminister Schuberth überreichte im Namen des Kabinetts ein Service aus Meißner Porzellan aus dem Jahre 1746, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schenkte ihm das Original der Beschlüsse des Regensburger Reichstags von 1653. Auch die Bundesländer und die Stadt Berlin übermittelten Geschenke. Die SPD sandte ein Telegramm.
Staatsoräsident Dr. Gebhard Müller sprach dem Bundeskanzler in seinem und im Namen der .Landesregierung Glückwünsche aus.
„ln den Orkus mit ihm“
Minister Renner zum bad. Vertagungsantrag
Tübingen. In einer Verlautbarung nahm Innenminister Viktor Renner Stellung zu dem Antrag über die erneute Aussetzung des Vollzugs des Südweststaates, den eine Anzahl badischer Abgeordneter im Bundestag eingebracht hat. Minister Renner bezweifelte, daß dieser Antrag im Bundestag auch nur einfache Mehrheit finden werde. Er ist jedoch der Meinung, daß die Zustimmung von zwei Dritteln der Bundestag- und Bundesratssümmen erforderlich sei, weil es sich hier der Wirkung nach um eine Aufhebung des Art. 118 des Grundgesetzes, also um eine Änderung des Grundgesetzes handle.
Außer diesem im wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkt, auf den in der Verlautbarung von Minister Renner zum erstenmal hingewiesen wird, sind auch schwerwiegende politische Bedenken gegen eine nochmalige Verschiebung der Südweststaat-Bildung geltend gemacht, den dem demokratischen Gedanken im Volke hierdurch schwerer Abbruch getan werde. Staatspolitische Gründe, so heißt es abschließend, ließen nur eine Behandlung des Bundestagsantrags der badischen Abgeordneten zu, nämlich die: „In den Orkus mit ihm.“
„Flying Enterprise“ im Schlepp
„Irene Oldendorf!'‘ gefunden
LONDON. Das Wrack des amerikanischen Frachters „Flying Enterprise“ mit seinem mutigen Kapitän Carlsen an Bord befindet sich nunmehr im Schlepp auf dem Wege nach dem südenglischen Hafen Falmouth. Diese erlösende Botschaft funkte am Samstagnachmittag .der amerikanische Zerstörer „Willard Kaith“.
Am Samstagmorgen gelang es dem seit einer Woche auf seinem gekenterten 7000- Tonner ausharrenden Kapitän, die Trossenleine zu ergreifen, die der seit lVs Tagen um die Bergung bemühte britische Hochseeschlepper „Turmoil" herüberschoß. Der am Vortage an Bord gekommene erste Steuermann der
„Turmoil“ half ihm dabei. An der Hafeneinfahrt von Falmouth liegen vier kleine Schlepper bereit, um die mitschiffs geborstene „Flying Enterprise“ ins Dock zu bringen. Kapitän Carl- sens Eltern, die in Dänemark leben, flogen am Sonntag nach London, um ihren Sohn nach der Rettung zu sehen. Man nimmt an, daß die beiden Schiffe in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch Falmouth erreicht haben.
Das Wrack des in der Silvesternacht vor Borkum gesunkenen 1500 BRT großen Lübecker Frachters „Irene Oldendorf!“ ist am Samstagnachmittag etwa 20 km nordwestlich der Insel Borkum gefunden worden. Es liegt in einer Tiefe von 10 m. Die Stelle ist durch Ölflecke gezeichnet und jetzt mit einer Leuchttonne markiert. Bisher wurden 14 Besatzungsmitglieder des Schiffes an Land gespült.
Kleine Weltchronik
Zweite Sitzung des Ministerrats. Karlsruhe. — Der Ministerrat für das neue südwestdeutsche Bundesland wird heute um 10 Uhr im Landesbezirkspräsidium in Karlsruhe zu seiner zweiten Sitzung zusammentreten. Auf der Tagesordnung steht als wichtigster Punkt die Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung.
Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten. Bonn. — Bundespräsident Heuß wird heute den traditionellen Neujahrsempfang halten, bei dem die Vertreter der gesetzgebenden Körperschaften, der Regierung, das Diplomatische Korps, Vertreter der Länder sowie die Bürgermeister der Bundeshauptstadt und des benachbarten Godesberg sowie die Presse ihre Glückwünsche zum neuen Jahr übermitteln werden.
Keine Einmischung in UFA-Entflechtung. Bonn. — Die alliierte Hohe Kommission hat der Bundesregierung mitgeteilt, daß das alliierte UFA- . Gesetz bei Annahme des deutschen Gesetzes in vollem Umfang suspendiert und die Hohe Kommission sich jeder Intervention bei der Ausführung des deutschen Gesetzes enthalten werde. Ein Verkauf von Teilen des UFA-Vermögens ohne Konsultierung der Bundesregierung werde nicht stattfinden.
306 Verdienstorden. Bonn. — Der Bundespräsident hat bisher 806 besonders verdienten Männern und Frauen den Verdienstorden der Bundesrepublik verliehen.
Großbritannien braucht deutsche Steuergelder. Bonn. — Die britische Regierung könne nicht auf einen deutschen finanziellen Beitrag zum Unterhalt der britischen Streitkräfte in der Bundesrepublik verzichten, da Großbritannien nicht in der Lage sei, im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag dem britischen Steuerzahler zusätzliche Lasten aufzubürden, erklärten amtliche britische Kreise in Bonn.
Arnold um große Koalition bemüht. Düsseldorf. — Der Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen, Karl Arnold, hat Schritte unternommen, um die bisherige Regterungskoalition CDU- Zentrum durch Hereinnahme der SPD zu einer großen Koalition zu erweitern. Er fragte bei den zuständigen Stellen der SPD an, ob die SPD grundsätzlich bereit sei, in die Regierung einzu- treten. Die SPD hat bereits bestätigt, daß ein Meinungsaustausch im Gange ist.
BVW-Delegiertenkonferenz. Hannover. — Auf einer außerordentlichen Delegiertenversammlung des Bundes versorgungsberechtigter ehemaliger Wehrmachtsangehöriger wurde am Sonntag Ad
miral a. D. Gottfried Hansen zum ersten Vorsitzenden wiedergewählt, An der Versammlung nahmen 90 Delegierte der zwölf Landesverbände von rund 85 000 Mitgliedern teil. Beschlossen wurde die Organisation in VdS-BVW umzubenennen. Die Delegierten, sprachen sich für die Bildung einer aller soldatischen Verbände umfassenden Dachorganisation aus. bei Erhaltung der Selbstständigkeit und Gleichberechtigung der einzelnen Verbände.
Koalitionskrise in Schleswig-Holstein. Kiel. — Die Entlassung von Wirtschaftsminister Dr. Andersen (FDP) durch Ministerpräsident Lübke (CDU) — Andersen war kürzlich aus der Wahlblockfraktion CDU-FDP-DP ausgetreten, weil einem Antrag von ihm nicht stattgegeben worden war — hat zu einer Regierungskrise geführt, da die FDP sich weigerte, einen Nachfolger für Andersen vorzuschlagen. Andersen nahm bisher die Entlassung nicht an. Neben der FDP trägt sich auch die DP mit dem Gedanken, den Wahlblock zu verlassen.
Starhemberg erhält seinen Besitz zurück. Wien. — Fürst von Starhemberg, ehemaliger Führer der österreichischen Heimwehr, der 1938 emigrierte und dessen Güter damals konfisziert wurden, erhält nach einer Entscheidung des Wiener Verwaltungsgerichtshofs seine österreichischen Besitzungen jetzt wieder zurück. Diese Entscheidung hat besonders bei den Sozialisten Proteststurm ausgelöst, die Starhemberg als einen „Verräter und Faschisten“ bezeichnen.
Friedliche Zusammenarbeit nach Rüstungs- gleichheit. Amsterdam. — In einem Interview mit der Amsterdamer Woehenzeitung „Elseviers Weekblad“ vertrat Bundeskanzler Adenauer den Standpunkt, daß eine friedliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion möglich sei, sobald die Rüstungsgleichheit zwischen Ost und West beseitigt wäre.
Stahlkontrolle in England. London. — Die britische Regierung führte am vergangenen Wochenende ein Zuteilungssystem für den inner- britischen Stahlverbrauch ein. Der Rückgang der Schrottlieferungen aus Deutschland, die anlaufende Rüstungsproduktion und der Vorrang des Exports wurden als Gründe für diese Maßnahme angegeben.
FlugzeugzusammenstoS. Burtonwood. — Beim Zusammenstoß von zwei Flugzeugen der amerikanischen Luftstreitkräfte auf dem Flugplatz Burtonwood (England) kamen am Samstag sieben Soldaten ums Leben, 15 weitere wurden verletzt, darunter fünf schwer.
Mehr als nur saisonüblich
Das BWM znr Konjnnkturlage
BONN. Aus dem neuerlichen Produktionsanstieg im November, der mit 5,7 Prozent besonders kräftig war, schließt das Bundeswirtschaftsministerium, daß die gegenwärtige Aufstiegsphase mehr als nur saisonüblichen Charakter trägt. Die zunächst von der Verbrauchsgüterindustrie und dem Handel ausgehende Belebung hat nach dem Lagebericht des BWM für November inzwischen sämtliche Bereiche der industriellen Produktion erfaßt.
Die Preisentwicklung sei nur unter Berücksichtigung der allgemein lebhaften Wirtschaftstätigkeit verhältnismäßig ruhig verlaufen. Auf den Weltmärkten überwiege nach wie vor das Moment der Unsicherheit, das wesentliche Preisauftriebe verhindert habe. In das Preisgefüge komme dadurch eine elemente Unsicherheit, daß Sich die Vorratslage und teilweise auch die Bezugsmöglichkeiten — vornehmlich an Importrohstoffen — nicht klar übersehen lassen. Damit wiederhole sich die seit der Währungsreform schon verschiedentlich akut gewordene Spannung zwischen dem Erfordernis einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz und dem Wunsch nach einem möglichst hohen Produktions- und Beschäftigungsvolumen.
Höhere Arbeitslosenzahlen
BONN. Die Zahl der Arbeitslosen im Bunde» gebiet nahm im Dezember 1951 um 346 957 zu. Damit wurden Ende 1951 insgesamt 1653 553 Arbeitslose gezählt, gegenüber 1 689 989 am letzten Dezembertage des Vorjahres. Für Ende Dezember 1951 wird die Zahl der Beschäftigten auf 14 750 000 geschätzt (Ende Dezember 1950 14 163 000); das bedeutet für das Kalenderjahr 1951 eine Zunahme der Beschäftigten im Bundesgebiet um rund 587 000. — Die Zahl der Arbeitslosen ln Württemberg-Hohenzollern ist lm Dezember 1951 um 5390 auf 13 877 angestiegen; Ende 1950 waren 13 565 Arbeitslose gezählt worden. Hier Ist die Zunahme der Arbeitslosenzahl fast ausschließlich auf die Einstellung der Bauarbeiten wegen des Winterwetters zurückzuftih- ren, teilt das Landesarbeitsamt mit.
Deutsch-schweizerischer Ländertag
KONSTANZ. Rund 200 Vertreter aus Südwestdeutschland und aus der Schweiz nahmen am Freitag in Konstanz am dritten deutsch-schweizerischen Ländertag nach dem Kriege teil. Auf der auf Veranlassung der Industrie- und Handelskammer Konstanz einberufenen Tagung stand hauptsächlich der neue deutsch - schweizerische Zolltarifvertrag zur Debatte.
Beruhigung am Holzmarkt
BONN. Die unterschiedlichen Preisentwicklungen auf dem Holzmarkt, die noch einige Zelt nach der Verlautbarung der Bundesregierung über die erhöhten Holzpreise zu beobachten waren, haben sich nach Mitteilung des Bundesernährungsministeriums für die MassensorH- mente des Nadelrohholzes im wesentlichen auf die Grundlage der Vereinbarungspreise vom 20. September konsolidiert. Zu der größeren Disziplin am Holzmarkt hätten nicht zuletzt die gemeinsamen Verlautbarungen der Länder und der Forst- und Holzwirtschaft sowie die aktiver« Tätigkeit der Preistiberwachungsstellen beigetragen. — Gleichzeitig meldet dieUN-Wirtschafts- kommission für Europa (ECE) aus Genf, der Holzbedarf Westeuronas werde im neuen Jahr» fast völlig aus der Eigenproduktion und Importen aus Nordamerika gedeckt werden können.
Firmen und Unternehmuncien
UNTERTÜRKHEIM. — Direktor Otto Köhler f. Am Abend des 4. Januar verstarb an den Folgen eines Unfalles Direktor Otto Köhler, Leiter einer Motoren-Konstruktionsabteilung der Daimler-Benz- AG. Der Verstorbene beschäftigte sich in den letzten Jahren ausschließlich mit der Weiterentwicklung jener Triebwagenmotoren, die sich heute bei der deutschen Bundesbahn und in vielen anderen Staaten bewähren. Otto Köhler wurde am 27. November 1882 als Sohn schwäbischer Eltern ln Wien geboren. Studierte von 1000 bis 1005 an der T.H. in Wien Maschinenbau, trat dann als Konstrukteur in die damalige Österreichische Daimler-Motoren-Gesellschaft ein und kam 1923 zur Daimler-Motoren-Gesellschaft nach Untertürkheim.
DÜSSELDORF. — Auto-Union G.m.b.H. Die Auto- Union G.m.b.H. fertigte im Werk Düsseldorf lm Dezember 1638 DKW-Personenwagen Typ „Meisterklasse"; lm Werk Ingolstadt wurden im Berichtsmonat 3885 Motorräder und 437 DKW-Schnell-Laster % t hergestellt.
in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
24] Copyright 1951 by WUhslin Goldman Vortag
„Sicher“, antwortete Stackpole kurz. (Es gibt eben Gäste, die einen Sparren zu viel haben.)
„Können die Girls auf Hawai schwimmen?“ beharrte Dekker,
„Sicher.“
„Alle?“
„Well — fast alle.“ (Den hat es wohl, bißchen Tropenkoller.)
„Ist das eine Tatsache?"
„Das weiß doch jeder Kohlenschipper.“ (Idiot!)
Dekker bestellte noch einen Swizzle. Stackpole war gespannt, was jetzt käme.
„Wissen Sie, Gov’n’r, wen Sie vor sich haben?“
„Huuöh...“ (Interessiert mich verdammt wenig!)
Dekker wurde sich bewußt, daß die übrigen Gäste der „Blue Lagoon" auf ihn aufmerksam geworden waren. Er war schon immer ein guter Showman gewesen, jetzt in dieser Minute, bloody Christ, da brauchte er Ohren um steh. Dekker trank, behielt das leere Glas in der Hand, spuckte und gab seiner Mütze einen kleinen Stubbs, daß sie ihm lm Genick saß. Vere Stackpole folgte jeder Bewegung Dek- kers wie eine Bulldogge den Manövern eines großen, böse summenden, äußerst gefährlichen Insekts, vor dessen unberechenbaren Launen und Bewegungen man sich hüten müsse.
„Sie haben einen Mann vor sich, well, einen
Holländer, einen, der verdammt stolz darauf ist, yes, einen Mann, der eben in dieser Minute entdeckt hat, daß ihm vor zehn Jahren ein Schwein sein Mädchen geraubt hat. lassen Sie mich das richtig sagen, verdammt. Sie könnten meinen, ich hätte lange gebraucht, das zu merken. Ich glaubte, sie sei tot, bei Gott, ich glaubte das und habe getrauert, Gents“, Dekker war dramatisch geworden, nun steigerte er seine Stimme, er sah keine Hindernisse mehr, „ich glaube aber, sie lebt noch. Sie ist das Girl von der Santo, von der dieser Gent hier“, Dekker zeigte auf den Mann, der eben noch von der „Espiritu Santo“ und dem Girl mit dem gelbseidenen Kimono mit dem rotgestickten Drachen darauf erzählt hatte, „von der dieser Gentleman hier sagte, sie habe auf hawaianiech gesungen.“ Dekker drehte sich nach den Gästen, seine vielen Rum Swizzles ließen die Wendung etwas unsicher ausfallen, und brüllte;
„Hundert Dollar für jeden, der sich auf der JDei Gracias', der feinsten Zweimastbrigg, die je über Salzwasser fuhr, anheuern läßt. Hier vom Fleck weg, bloody Christ. Ich fahre morgen, ob ich Ladung habe oder nicht, Ich muß die .Espiritu Santo* einholen, und wenn es mich meinen letzten Cent kosten sollte, und wenn ich um die ganze verluderte Welt segeln muß — 100 Dollar!“
Mit dem letzten Angebot war Dekkers Stimme überschlagen. Seine Halsadern standen dick wie Bleistifte über der Haut. Er sah nicht, daß ihn kein Mensch mehr ernst nahm. Er schwieg einen Augenblick, er hatte einen stürmischen Ansturm von Meldenden erwartet, Zurufe, „.. there’s a good fellow ...“, hier steht noch ein Kerl, ich bin für die „Del Gracias“!
Niemand trat vor.
Dekker stand mit dem Rücken an die Bar gelehnt und machte mit der Hand, die das leere Glas hielt, einige Bewegungen, als gäbe er einen etwas verschwommenen Takt an.
Dann stierte er mit vorgestoßenem Schädel der Reihe nach in die Gesichter um ihn, da war einer mit einer Boxernase und Blumenkohlohren, dann einer mit einem Turmschädel, einer der schielte, einer mit einem spöttischen Schmalgesicht und stechenden Augen, einer mit greulichen Zahnstumpen im Maul, die er freigebig zeigte, einer mit einer niedrigen Stirne und einem Kinn, eckig wie eine Kiste, aber elegant — Dekker sah alles in allem eine ausgezeichnete Schiffsbesatzung und — in spöttisch mißtrauische Gesichter. Er verstand immer noch nicht, daß man sein Angebot nicht ernst nahm.
Jäh schlug seine Laune in fetzende Wut.
Ah', die Schweine hier hielten ihn wohl für betrunken, oh, er war klar und nüchtern wie ein Glöckchen... Dekker holte tief Atem, seine Stimme war vor Anstrengung heiser geworden. Er bellte.
„Zwohundert Dollar!“
Pause. Die Männer brüllten vor Lachen.
„Ihr verdammten feigen Hunde! Ein Schwein, der einer gerechten Sache die Hilfe verweigert, ihr... ihr..
Dekker holte mit der Faust, in der er das Glas hielt, aus und schleuderte es in namenloser Wut auf den Boden, dann riß er sich die Mütze vom Schädel und zertrampelte sie.
Er hatte einen Augenblick geglaubt, er würde Vere Stackpoles ganze „Blue Lagoon“ mitreißen, es würde wieder einmal ein verdammt feiner Abend mit smarten Jungens werden, mit Besoffenheit und zum Schluß mit Singsong-Girls, und neuer Haß würde ihm aus der Seele blühen, Haß, herrlicher neuer
Haß, . rächen, und wenn es Jahre dauert,
bloody Christ, und wenn es meine letzte, meine allerletzte, meine verflucht letzte Tat ist, so wahr ich Hendrik Dekker heiße!"
Dekker flog aus der „Blue Lagoon“ auf eine enge dämmrige geschäftige Gasse voll Küm
per und Stink, in der es von eiligen, freundlichen und geschäftigen Chinesen wimmelte. Lampions und lange Tafeln mit chinesischen Charakteren luden ein zum Spielhaus „Zum tausendfachen Glück“, Leihhäuser standen offen, Kupfercashis und Mexicandollar klimperten. Ein chinesischer Polizist lächelte, wie kann ich dem Holländer helfen, wenn er aus einem Hause fällt, während meine Augen zur Seite blickten?
Kapitän Hendrik nahm die Jagd auf. Als er anfangs August 1895 mit der „Del Gracias“ f Schanghai verließ, hatte die „Espiritu Santo* vierzehn Tage Vorsprung.
Um diese vierzehn Tage segelte die „Del Gracias“ ein Jahr. Fast genau ein Jahr. Vielleicht waren dies die schnellsten Reisen, die jemals eine Zweimastbrigg unternommen hatte.
Rache führte das Kommando.
Je besser Roxys Mexico Bar ging, um so mehr wurde Mr. Reginald Roxy ein Sportsmann Er hatte um Mitte 1895 drei Pferde. Alle drei Vollblüter. Er leistete täglich Morgenarbeit, und die Gäste fragten sich, wann Roxy eigentlich schlafe.
Der frühe Morgen sah Roxy schon auf dem Metarle Race Track. Er saß gleich hinter dem Pferdeschwanz in einem massiv gummibereiften — es gab damals noch keine Luftreifen — Sulky mit Drahträdem und trabte.
Er gewann das Blaue Band von Louisiana.
Er zog aus dem Sport ein grenzenloses jungenhaftes Vergnügen — Geschwindigkeit! Staub! Pferdedunst, biedere Sportbrüderschaft und eine schreiende, aufpeitschende, immer zu gelinder Raserei aufgelegte Menschenmenge, deren Zurufe das eilige dumpfe Trommeln der Pferdehufe übertönte.
Allmählich wurde Pete Bell Roxys Stellvertreter. Er war ein guter Stellvertreter, Roxy hätte sich keinen besseren wünschen können. Pete regierte Bar und Spielsaal.
(Fortsetzung folgt)