NUMMER 101
FREITAG, 7. DEZEMBER lgjj
Mehrheit für Investitionshilfe
Bundestag setzt Grenze bei Krankenversicherung auf 500 DM fest
BONN, ln seiner 179. Sitzung am Donnerstag verabschiedete der Bundestag das Investitionshilfegesetz in zweiter Lesung. Das Gesetz, durch das die gewerbliche Wirtschaft eine Milliarde DM für die Grundstoffindustrien aufbringen soll, dürfte nach den Mehrheitsverhältnissen des Donnnerstag auch in dritter Lesung angenommen werden, obwohl der bisher abgelehnte Paragraph 1 des Gesetzes noch nicht wieder diskutiert worden ist.
Im Verlauf der zweiten Lesung wurden Abänderungsanträge angenommen die u. a. festlegen, daß gewerbliche Betriebe, in Notstandsgebieten von der Aufbringungspflicht befreit bleiben. Auch die Binnenschiffahrt, die nicht bundeseigene Eisenbahn, die öffentlichen Verkehrsbetriebe und die Binnenfischerei werden ausgenommen. Eine weitere Änderung, die dem Gesetz einen Paragraphen 36 a beifügt, soll die Möglichkeit einer stärkeren Preiskontrolle schaffen.
Im Verlauf der Debatte kam es erneut zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition. Während die Regierungsparteien und Finanzminister Schäffer betonen, daß durch die Investitionshilfe die gesamte Volkswirtschaft eine Produktionssteigerung Und damit auch eine Erhöhung des Steueraufkommens erfahren werde, vertrat die SPD die Auffassung, daß die Investitionshilfe kein Opfer der gewerblichen Wirtschaft, sondern ein Geschäft sei. Das Gesetz, das der Sprecher der Opposition, Dr. Koch, als eine Bankerotterklärung der Bundesregierung be- zeichnete, werde preistreibend wirken und durch die Begünstigung der Selbstfinanzierung neue Steuern notwendig machen, von denen wieder die breite Verbraucherschaft betroffen werde.
Zuvor hatte der Bundestag in erster Beratung folgende Gesetze gebilligt: ein Gesetz, das die Antragsfrist im Rahmen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts an Angehörigen des öffentlichen Dienstes verlängern soll, das Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und ein Gesetz über die einstweilige Außerkraftsetzung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
Am Mittwoch hat der Bundestag die Er-
Die Zusatzabkommen
„Ruinierter Partner schlechter Partner“
BONN. Von alliierter Seite wurden Mitte der Woche erste Einzelheiten über alliierte Textentwürfe für einige der fünf Zusatzabkommen zum Generalvertrag mitgeteilt. Die besondere Schwierigkeit liegt,' wie verlautet, darin, daß gleichzeitig der Kriegszustand liquidiert und eine neue Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten begründet werden soll. Als besonders schwierig Wird das vierte Zusatzabkommen bezeichnet, das „Handlungen und gewisse Interessen der drei alliierten Mächte sowie die Übergabe gewisser Verantwortlichkeiten an die Bundesregierung“ regelt. Für die Ausführung gewisser alliierter Anordnungen sollen noch alliierte Kontrollorgane verantwortlich und die alliierten Gesetze bestehen bleiben.
Getreideversorgung ges'diert
hf. BONN. Auf dem Getreidesektor werden seit einiger Zeit offensichtliche Preisüberschreitungen für Winter- und Sommergerste und Tendenzen einer ähnlichen Entwicklung am Brotgetreidemarkt festgestellt. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stellt dazu fest, daß die Versorgungslage sowohl auf dem Brotgetreide-, als auch auf dem Futtergetreidemarkt auf Grund der Ablieferungen der deutschen Bauern sowie der bestehenden Importmöglichkelten als vollauf gesichert anzusehen ist.
höhung der Pflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung von bisher 375 auf 500 DM Monatseinkommen beschlossen. Die Regierung soll umgehend einen Gesetzentwurf vorlegen, der diese neue Grenze gesetzlich verankert. Bei der Abstimmung über die erste Änderung des Grundgesetzes, die der Bundesregierung^ weitgehende Weisungsmöglichkeiten bei der Durchführung des Lastenausgleichs geben sollte, kam die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande. Die Abstimmung wird nun nach Rückkehr der an der Europa- sitzüng in Straßburg teilnehmenden Abgeordneten fortgesetzt.
Die zweite Lesung des Feststellungsgesetzes zum Lastenausgleich wurde abgeschlossen und auf Antrag der Regierungsparteien festgelegt, daß auch Ostschäden von Nichtvertriebenen an Wirtschaftsgütern und Reichsmarkspareinlagen festgestellt werden sollen. Es wird in der gegenwärtigen Fassung des Gesetzentwurfes ausdrücklich hervorgehoben, daß die Feststellung nach diesem Gesetz keinen Anspruch auf Berücksichtigung im Lastenausgleich begründet. Ob und wieweit festgestellte Schäden im Lastenausgleichgesetz berücksichtigt werden, bestimmt das Gesetz über den Lastenausgleich selbst, mit dem nach Ansicht politischer Kreise in Bonn nicht vor dem Frühjahr des kommenden Jahres zu rechnen ist. Ein Gesetzesentwurf über die Änderung des Notopfers Berlin wurde an den zuständigen Ausschuß überwiesen.
Student en-Schlacht
Fatimi droht
TEHERAN. Das Zentrum der persischen Hauptstadt war am Donnerstagvormülag der Schauplatz wilder Schlachten zwischen rund 5000 Studenten, Tausenden von antikommunistischen Nationalisten und mehreren mindert Polizisten. Der rücksichtslos mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben zuschlagenden Polizei gelang es erst nach fünf Stunden, die Ruhe wieder herzustellen. Mindestens drei Personen wurden getötet und über 200 verletzt. Etwa 100 Demonstranten wurden festge- i nommen. Die Studenten-Demonstrationen, für die die kommunistische Tudeh-Partei verantwortlich gemacht wird, war von der Regierung verboten worden.
Der stellvertretende persische Ministerprä- ' sident Hussein Fatimi erklärte Mitte der Woche, man beabsichtige, die westlichen Länder in ultimativer Form aufzufordem, ihre ! Olaufträge bis zu einem bestimmten Termin ! einzureichen, da sie sich sonst damit abzufin- i den hätten, daß sie von der Belieferung ausgeschlossen würden. Man werde dann das öl der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten anbieten. Etwa 200 Angebote verschiedener Käufer lägen bereits vor.
Aus „symbolischen Gründen“
Plevenplan-Konferenz in Straßburg
STRASSBURG. Die Außenminister der sechs Plevenplanstaaten, unter ihnen Bundeskanzler Adenauer, werden am kommenden Dienstag in Straßburg zu zweitägigigen Besprechungen über die politischen, finanziellen und militärischen Aspekte der Europaarmee Zusammenkommen. Wie von zuständiger Seite ver- lautet, werden auf dieser Konferenz „entscheidende und abschließende Maßnahmen für die Bildung der Europaarmee“ getroffen werden. Die Konferenz, die ursprünglich in der zweiten Dezemberhälfte in Paris stattflnden sollte, sei aus „symbolischen und praktischen Gründen“ nach Straßburg verlegt worden.
Bundeskanzler Adenauer wird bereits am Montag in Straßburg eintreffen und am Nachmittag vor der Beratenden Versammlung dei Europarates sprechen. An der -Plevenplan- Konferenz nehmen neben Adenauer der französische Außenminister S c h u m a n , der italienische Ministerpräsident und Außenminister de Gasperi und die drei Außenminister der Beneluxstaaten teil. Adenauer wird von Staatssekretär Hallstein, von Sicherheitskommissar Theodor Blank sowie den Generalen a. D. Speidel und Heusinger begleitet werden.
Der „Maulkorbparagraph“
Staatssekretär Lenz für Überprüfung
BONN. Der Staatssekretär im Bundeskanz- ; leramt , Dr. Otto Lenz, vertrat am Mittwoch in Bonn als seine persönliche Ansicht, daß der § 353 c des Strafgesetzbuches, der sogenannte „Maulkorbparagraph“, dringend überprüft werden müßte. Dieser Paragraph dürfe in keiner Weise als „Knigge“ für Journalisten angesehen oder zum „Berufsrisiko“ des Journalisten werden. Sowohl von den Journalisten als auch von denjenigen, die sich in den Behörden mit Presseauskünften zu befassen hätten, müsse die Sorge genommen werden, daß sie in die Fallstricke des § 353 c gerieten.
Lenz trat d.afür ein, daß diese Frage zwischen Vertretern der Bundesregierung und der Presse diskutiert und dabei geprüft würde, ob der Paragraph in seiner gegenwärtigen Fassung bestehen bleiben könne. Die zwischen Presse und Bundesregierung aufgetretenen Spannungen müßten sobald als möglich beseitigt werden. Eine befriedigende Regelung für die Auskunftspflicht aller Behörden sei notwendig, eine besondere gesetzliche Regelung jedoch unnötig, da sich die Auskunftspflicht unmittelbar auf dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der Pressefreiheit ergebe.
Grenzen des Bundesgebiets gesperrt
Großfahndung nach den Sprengstoffattentätem geht weiter / Neue Drohbriefe
BREMEN. Am Mittwoch sind im Rahmen der Großfahndung nach dem Aufgeber der Bombenpakete alle Grenzen des Bundesgebietes gesperrt worden. Die Ermittlungen der „Sonderkommission S“ über die Sprengstoffattentate in Bremen und Eystrup haben jetzt zu Anhaltspunkten geführt, die eine Großfahndung in ganz Europa ausgelöst haben. Die Kommission gab eine genaue Beschreibung des vermutlichen Täters heraus: Alter 27 bis 38 Jahre, schlank, langes, dunkles Haar mit leichten Ansätzen zu Koteletten, blasses, mädchenhaft wirkendes Gesicht, gradlinige Nase, leicht wiegende Gangart (Tangojüngling), helle Stimme. Kleidung: brauner Filzhut in Flachrandform, heller kamelhaarartiger, weiter Mantel in Ulsterform, zweireihig, mit Randgurt sowie braune Lederhandschuhe. Die Verfolgung eines zweiten Mannes ist aufgenommen worden, der zusammen mit dem Auslieferer der Pakete unmittelbar nach der Explosion in den „Bremer Nachrichten“ bei dem Zeitungsgebäude gesehen worden ist: 20 bis 24 Jahre alt,
Kleine Weltchronik
Zehn Bergleute getötet. Essen. — Auf der Zeche „Matthias Stlnnes“ in Essen-Karnap, die in der Nacht zum Donnerstag von einem Grubenbrand heimgesucht wurde, sind inzwischen neun von zehn Toten geborgen worden. Weitere Menschenleben sind nicht mehr ln Gefahr.
Verheerender Vulkanapsbruch. Manila. — Mit verheerender Gewalt ist der Vulkan Hibok Hi- bok auf der kleinen Philippineninsel Camiguin in der Nacht zum Donnerstag und am Donnerstag zum dritten- und viertenmal ausgebrochen. Neue Opfer haben die Eruptionen nicht gefordert. Die Einwohner der sieben Dörfer am Hang des Berges ruhen bereits unter den Lavaströmen der ersten Eruptionen. Die Zahl der Toten liegt zwischen 500 und 2000.
Omnibus rast in Marschkolonne, Chatham (England). — In voller Fahrt raste ln Chatham ein Omnibus in einer schwach beleuchteten Straße ln eine Marschkolonne der königlichen Seekadet-' ten. 23 Jungen wurden auf der Stelle getötet und 19 weitere zum Teil schwer verletzt. Die Jungen waren alle im Alter von 10—14 Jahren.
Grandval: Frankreich bleibt. Straßburg. — Der französische Hohe Kommissar an der Saar, Gilbert Grandval, hat nachdrücklich erklärt, Frankreich denke nicht daran, seine Wirtschaftsunion mit der Saar aufzugeben. Eine Volksabstimmung, Ob die Saar zu Frankreich oder zu Deutschland gehören wolle, sei „völlig unnötig“.
Haftentlassung des Bischofs von Danzig. Berlin. — Katholische Geistliche, die früher in Danzig tätig waren und jetzt im Bistum Berlin wirken, haben erfahren, daß der katholische Bischof von Danzig, Dr. Karl-Maria Splett, aus einer polnischen Strafanstalt entlassen worden ist. Die Polen hatten ihn 1946 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Flucht Im Schlafanzug. Straßburg. — Der britische Staatssekretär für den Überseehandel, Henry Hopkinson, der die Leitung der britischen Europadelegation übernommen hat, mußte am Montagmorgen im Schlafanzug aus einem bren-
1,65 m groß, volles Gesicht und aufgeworfene Lippen; trägt grau-grün-rot kariertes Oberhemd und graubraunen Sportanzug mit Knik- kerbockerhose.
Der bei der Explosion ums Leben gekommene Chefredakteur der „Bremer Nachrichten“ und Vorsitzende der Bremer CDU, Dr. Adolf Wolfard, ist am Mittwoch unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt worden.
Die Mitarbeit der Bevölkerung an der Aufklärung der Attentate ist äußerst rege. Über 200 brauchbare Anregungen sind bei der Sonderkommission eingegangen. Die Personalbeschreibung der Täter ist in 10 000 Plakaten an alle .Polizeidienststellen verteilt worden. Nach einigen anderen Zeitungen hat jetzt auch / die in Frankfurt erscheinende „Abendpost“ Drohbriefe erhalten. Auch bei der „Stuttgarter Zeitung“, der „Rheinischen Post“ und der „Hannoverischen Presse“ sind Drohbriefe eingegangen.
nenden Schlafwagen des Schnellzuges Paris— Straßburg flüchten. Der Wagen brannte völlig aus, das Feuer ist auf das Heiölaufen einer Achse zurückzuführen.
Hochwasser in Kalifornien und Columbien. San Franzisko. — Neue heftige Stürme und schwere Regenfälle haben im nördlichen Kalifornien und in Columbien beträchtliche Überschwemmungsschäden angerichtet. In Kalifornien sind neun, in Columbien zwölf Personen ertrunken.
Heuß ehrte Bundessieger. Bonn. — Den 37 Bundessiegern und -Siegerinnen des praktischen Leistungswettbewerbs der Handwerks j ugend überreichte Bundespräsident Heuß am Mittwoch in Bonn die Ehrenurkunde und ein Erinnerungsgeschenk. Zwei der 37 Bundessieger kamen aus Württemberg-Hohenzollern.
Deutsche Frauen ln Sibirien. Berlin. — Rund 35 000 Deutsche, vor allen Dingen Frauen, die 1945 von den Sowjets aus Ostdeutschland verschleppt worden seien, hätten sich 1950 in einem Lager im nordöstlichen Sibirien befunden, berichtete der 29jährige Helmut Rößler, der jetzt aus sibirischer Haft entlassen wurde, in Berlin.
Tübinger Studenten in Straßburg. Straßburg. — Eine Gruppe von 35 Studenten der Tübinger Universität traf gestern zu einem eintägigen Besuch in Straßburg ein, um sich durch persönlichen Augenschein von der Arbeit der europäischen Beratenden Versammlung zu unterrichten. Die Studenten wurden von deutschen Abgeordneten der Regierungsparteien und der Opposition begrüßt, die Fragen beantworteten.
Neuer Wellenplan unterzeichnet. Genf. — Delegierte von 65 Staaten Unterzeichneten am Mittwoch in Genf nach 3Vemonatigen Beratungen ein internationales Abkommen über die Neuverteilung der Wellenlängen. Die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Satelliten lehnten die Unterzeichnung ab. Die Neuverteilung war vor allem durch das Anwachsen des Flugfunkverkehrs in den letzten Jahren notwendig geworden.
4 UftSk in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
0] Copyright 1951 by Wtlhalm Goldman Vortag
Ein Neger steppt. Er zuckt ein wenig mit den Schultern, er steppt, leise, ganz zart, latschtata-ta latsch, latsch, er klopft mit einem Stückchen immer Im Stepptakt die Wand ab, er ist locker in den Knien, als könne er die Beine wegschlenkern, tatta-ta... er steppt rückwärts, er steppt vorwärts, er läßt die Arme pendeln, er geht in die Knie und scheint Sich die Beine nach rückwärts zu drehen, er macht mit den Händen greifende Bewegungen und wird mit dem Spiel der Sohlen leise, nur seine Knie arbeiten, so fährt ein Schlafwagenexpreß über die Schienenstöße, legt sich rechts und links in die Kurven und fährt, fährt und fährt... tatata ... tatata ... tatata...
Zum Schluß der Vorstellungen wurde „Dixie“ gesungen, Musik, Farben, Stimmen der Girl-Chöre und langer schwingender Rhythmus, , Dixie!“
Dixie Ist Amerika, Dixie ist Gottes eigenes Land, Dixie ist Amerikas „Home sweet Home" im Schmus- und Stepptempo.
So kamen Dixon Young und Donoga nach New Orleans.
Der Direktor des Show-Boats machte Bankerott. Der Kassier, ein pockennarbiger Grieche, ging mit der Kasse durch. Young und Donoga standen auf der Straße.
Dixon hatte an Bord die Kostüme entwor- fep und die Bühnenbilder gemalt, er hatte für alle Mühe keinen Lohn empfangen. Auch
Donoga nicht. Sie waren trotzdem glücklich gewesen.
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In einem Hinterhause der Pilot-Street, einer verrufenen, schmutzigen Straße von New Orleans, fanden Donoga und Dixon Young ein Zimmer. Eine grobe, fette und schlaffe Hausbesorgerin mit einem Schnurrbart und seifiger Baßstimme führte die beiden neuen Mieter über einen Hof, in welchem flinke, lausige Kinder dunkler und heller Hautfarbe spielten und schrien. Breithüftige Weiber hockten herum, hielten Säuglinge an der Brust, schnatterten und gafften — neue Mieter, wie jung sie waren ... sie fast noch ein Kind ...
Zwischen dem Vorder- und dem Hinterhaus kreuzten sich durch vier Stockwerke Wäscheleinen. Das Haus war fast nur aus Holz gebaut und mit Kalk, der in trüben Schichten abblätterte, einstmals geweißt. Die Zimmer, ausnahmslos fensterlose Höhlen, führten alle auf lange Balkongänge, auf denen Weiber auf winzigen öfchen über Holzkohlenglut kochten, Milch wärmten oder, vor Zubern stehend, wuschen. Halbnackte Kinder krochen über den Boden und verrichteten Geschäfte, zahllose Vogelkäfige mit laut trillernden, quarrenden und durchdringend pfeifenden Gefangenen hingen an den Wänden, aus einer offenen Türe scholl Männerlachen, irgendwo wurde eintönig und unermüdlich gescholten, Kartenspieler droschen auf Tische, man hörte das trockene Rollen geworfener Würfel, ein Mädchen sang, Türen wurden geschlagen, ein Banjo plunkte mit Eifer und Eile, eine miserable Katze maulte, und hinter dem Haus hörte man Züge rollen, Waggons zusammenprallen und Maschinen pfeifen.
Es ging über vier Balkonreihen hinauf in ein elendes Zimmer. Vier Wände mit einer
fleckigen Tapete, in einer Ecke eine schief stehende eiserne Bettstelle mit einer ekelerregenden Matratze, auf dem Boden als höchster Luxus einige Teppichfetzen, an einer Wand ein Spiegel, der verzerrte.
„Ein feines Zimmer“, erklärte die Hausbesorgerin, ,,es ist nur selten frei. Zuletzt war es an ein elegantes Paar vermietet, Lizzie und Andy vom Absynth House, erstklassige Künstler. Gute Zahler. Sehr pünktlich. Ihre Heiratslizenz hing eingerahmt dort an der Wand, — bei Gott, sie hängt noch dort. Sie können sie ruhig hängen lassen — fünf Dallers die Woche. Mein Name ist Mrs. Grimswood.“
Mrs. Grimwood hielt die Hand auf. Vorauszahlung sei üblich. Ihre Augen flackerten mißtrauisch. Fünf Dollar wanderten in Mrs. Grimswoods krallige, schmutzige Hände.
Der Raum schrie. Das Haus lärmte Tag und Nacht. Alle Mädchen aus dem Absynth House wohnten mit ihren Freunden bei Mrs. Grimswood. Der Teppichfetzen vor dem Spiegel war durchgetreten und erzählte von vielen Mädchen, die vor dem Spiegel gestanden waren. Es gab keine Bettwäsche. An den Wänden gab es Abdrücke von Kinderhänden. Ein dunkler Fleck mit spritzend auslaufenden Strahlen wie der Schatten einer krepierenden Bombe erzählte von einer Flasche mit Inhalt, die an die Wand geschleudert worden war.
Donoga und Dixon atmeten den warmen Atem des Hauses. Es war eher ein Geschmack als ein Geruch, es war ein Fluidum von Ausdünstungen. dampfigem Waschwasser, Schimmel und heißem Holz.
Um die Miete für eine Woche im voraus zahlen zu können, hatte Dixon seine Bilder bis auf zwei verkaufen müssen. An den letzten beiden Arbeiten hing sein Herz, es waren zwei Bilder von Donoga. Sie wanderten in Roxys Mexico Bar und dienten als Pfand für
die zehn vorgestreckten Dollar für Roxyl Belle. Es kam Dixon Young vor, als habe er damit Donoga verkauft.
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„Roxys Belle“ war an dem gleichen Tage fertig geworden, an dem Pietro seine Stelle in der Bar antrat.
Mr. Roxy zahlte am Abend Dixon Young in seiner bei solchen Gelegenheiten etwa» lauten Art vor den versammelten Gästen — Roxys Bar war zu jeder Stunde, ganz besonders aber abends der Treffpunkt besserer Gents — fünfzig Dollar in Gold in die Hand.
Es schien den Gästen unbegreiflich, daß ein so schmächtiger Bursche wie dieser junge Mann da, daß ein solches Babyface, bloody Christ, ein solches Bild wie Roxys Belle hatte malen können. Sie hätten sich eher einen Kerl erwartet, der zu seinem Motiv gepaßt hätte. Well, und was doch am ganzen da» ulkigste war, er hatte dazu nicht einmal ein Modell oder Vorlage gebraucht. Der Kerl mußte es faustdick hinter den Ohren haben!
Die Gäste zwangen Young einen Whisky auf und nach dem Whisky einen Rum Swizzle und zwinkerten sich verständnisinnig zu. Es würde einen Spaß geben!
Ein riesiger Mensch mit schwarzem Haarschopf. dunkelgebranntem Gesicht und Adlernase, ein Mann, der an einer Hand einen schweren Goldring mit einem haselnußgroßen Brillanten sehen ließ und häufig zischend zwischen den Zähnen spuckte, brachte eine Postkartenserie „Echter Photographien für Erwachsene“ zum Vorschein und zeigte sie Young.
Kapitän Dekkers Postkartenserie war bekannt. So oft er sie herumzeigte, bekam er sie unvollständig zurück, aber immer fand der Besitzer für den Verlust entsprechenden Ersatz. (Fortsetzung folgt)
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