NUMMER 171

FREITAG, 2. NOVEMBER 1951

Verlängerung der Landtagsperioden

Bis zum Südweststaat oder zur Wiederherstellung der alten Länder

TÜBINGEN. Der Staatspräsident von Würt­temberg - Hohenzollern, Dr. Gebhard Mül­ler, hat eine Verordnung unterzeichnet, wo­nach der Landesverfassung ein Artikel 125 a angegliedert wird, der bestimmt, daß die Le­gislaturperiode des alten Landtags bis zu dem Tage verlängert wird, an dem das Land mit den Ländern Württemberg-Baden und Baden vereinigt oder das alte Land Württemberg wieder hergestellt wird. Über dieses Gesetz wird das Volk in einer Abstimmung entschei­den, die gleichzeitig mit der Südweststaat­abstimmung am 9. Dezember dieses Jahres stattfinden soll.

Der Landtag von Württemberg-Hohenzol- lern, dessen Legislaturperiode nach Aufhebung des ersten Neugliederungsgesetzes durch den Bundesverfassungsgerichtshof am 18. Mai 1951 abgelaufen ist, wird am Montag in Bebenhau­sen über diese Verordnung des Staatspräsi­denten beraten. Staatspräsident Dr. Müller be- zeichnete das geplante Zusammentreten des Landtags als durchaus verfassungsmäßig. Die Verfassungsgebende südwürttembergische Lan­desversammlung habe ausdrücklich gefordert, daß in Zeiten eines Notstandes immer eine Volksvertretung existieren müsse, die berech­tigt ist, Maßnahmen des Staatspräsidenten au­ßer Kraft zu setzen. Die Landesregierung sehe diese Volksvertretung in dem alten Landtag.

Audi der badische Staatspräsident Leo W o h 1 e b gab bekannt, daß die badische Re­gierung beschlossen habe, eine Volksabstim­mung durchzuführen, um die Legislaturperiode des bisherigen Landtags zu verlängern. Es

Zugespitjte Lage

Behinderter Interzonenhandel

BERLIN. Die Sowjetzonenregierung hat es abgelehnt, die Behinderungen des Warenver­kehrs zwischen der Bundesrepublik und Ber­lin aufzuheben, und darüber hinaus neue For­derungen für die Ingangsetzung des Interzo­nenhandels erhoben. In einem Kommunique machten der Bundesbevollmächtigte in Ber­lin, Dr. Vockel, und der regierende Bür­germeister, Prof. Reuter, die sowjetzonale Regierung für die Verzögerungen im Inter­zonenhandel verantwortlich. Aus eindeutig po­litischen Gründen sei diese nicht bereit, die Bedingungen des Berliner Abkommens vom 20. September dieses Jahres zu erfüllen. Da die Störungen im Waren- und vor allem im Postpaketverkehr in verstärktem Maße wei­tergingen, und die Sowjetzone offensichtlich nicht gewillt sei, das Berliner Abkommen in Kraft treten zu lassen, liege es jetzt bei der Bundesregierung, Folgerungen aus diesem Verhalten zu ziehen.

Dr. Vockel und Prof. Reuter haben sich an­gesichts derzugespitzten Lage zu Bespre­chungen nach Bonn begeben.

Fasdigeld-Großverteiler

FRANKFURT. Ein Frankfurter Gericht ver­urteilte den 26jährigen staatenlosen Michael D a d o n wegen fortgesetzter Verbreitung von Falschgeld zu vier Jahren Zuchthaus. Dadon soll sich von einer internationalen Fälscher­werkstatt in Paris falsche 100-, 20- und 5- Markscheine im Gesamtwert von 80 000 DM beschafft und in Deutschland verbreitet ha­ben. In der Urteilsbegründung wurde die Teil­nahme Dadons alsein organisierter Angriff auf die gesellschaftliche Ordnung herausge­stellt. Die seinerzeit notwendig gewordene Neu-Emission der 100-Markscheine habe die Bundesrepublik allein Hunderte Millionen Mark Devisen gekostet.

WIEN. Der unmäßige Holzeinschlag der So­wjets gefährde die Anbauflächen und fördere eine drohende Versteppung im Burgenland in der sowjetischen Zone, berichtete die Sozialisti­sche Partei Österreichs. Das geschlagene Holz verschwinde hinter dem Eisernen Vorhang, ohne daß östererich dafür irgendwelche Gegenleistun­gen erhalte.

werde aber in Baden absichtlich davon Ab­stand genommen, die Volksabstimmung über die Verlängerung der Landtagsperiode mit der über das Schicksal des Landes entscheidenden Volksabstimmung über die Neugliederung zu­sammenzulegen, weil beide Fragen nichts mit­einander zu tun hätten. Die Volksabstimmung werde voraussichtlich auf den 18. November gelegt werden.

Zu der Stuttgarter Regierungserklärung, in der Wohiebs bisherige Haltung in der Süd­weststaatfrage einer außergewöhnlich schar­fen Kritik unterzogen wurde, erklärte der ba­dische Staatspräsident:Wir hätten erwartet,

daß man den Boden der unter Regierungen gebotenen Höflichkeit und Gebräuche wenig­stens nicht verlassen würde. Es stelle gerade­zu eine Ungeheuerlichkeit dar, die deutsche Haltung der badischen Landesregierung da­durch in Zweifel zu ziehen, daß man davon gesprochen habe, maßgebliche Kreise in Süd­baden bemühten sich, durch Vereinigung von Südbaden mit Südwürttemberg den Anfang für einen von Frankreich bis Österreich rei­chenden Südstaat zu bilden. Kritik mit Ma­ßen, so erklärte Wohieb, sei unbedingtes Recht, sogar Pflicht der Demokratie. Die Regierungs­erklärung der Stuttgarter Regierung über­steige jedoch jedes Maß einer Kritik. Was das Bundesverfassungsgericht betreffe, so könne er sich der Auffassung nicht verschließen, daß in verschiedenen Urteilspunkten die Politik über das Recht gesiegt habe.

DeuischEand-Debatte erhottt

Vor Beginn der UN-Vollversammlung

PARIS. Während der kommenden Vollver­sammlung der UN kann es nach der in Paris vorherrschenden Meinung zu einer grund­legenden Diskussion des Deutschlandproblems sich entwickeln. Dem französischen Außen­ministerium nahestehende Kreise sind der An­sicht, daß die Westalliierten von dieser Gele­genheit zur Aufnahme neuer Gespräche mit sowjetischen Politikern und zum Beweis ihres Verständigungswillens Gebrauch machen müß­ten und zwar ehe der Bundesrepublik ein neuer Status zugebilligt und ihre Beteiligung an einer europäischen oder atlantischen Armee geregelt werde. Das Problem der deutschen Wiedervereinigung übersteige die Kompetenz der beiden deutschen Regierungen. Es sei not­wendig, die sowjetische Reaktion auf den in der Bundesrepublik vorbereiteten Gesetz­entwurf für gesamtdeutsche Wahlen abzuwar­ten, was dann interessante Schlüsse auf die wirklichen Absichten Moskaus zulassen werde,

Von zuständiger alliierter Seite in Bonn ver­lautete, der deutsche Vorschlag, eine inter­nationale Kommission mit der Prüfung der Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen zu beauftragen, werde der UN-Vollversamm- lung von den drei Westmächten in wenigen Tagen in Form eines Dringlichkeitsantragei' vorgelegt werden. Es sei damit zu rechnen daß der deutsche Antrag noch auf die Tages­ordnung der Herbstsitzung komme.

Die sowjetische Delegation für die am kom­menden Montag beginnende UN-Vollversamm- lung in Paris, die von Außenminister W y - schinski geführt wird, setzt sich dieses Mal aus den prominentesten Sowjetpolitikern zusammen. Es gehören ihr an: der stellver­tretende Außenminister und ständige Dele­gierte beim Sicherheitsrat, Jakob Malik, der Botschafter der UdSSR in London, Za- r u b i n , der Botschafter in Warschau, S o - bolew, der Botschafter in Paris, Pawlow.

Der amerikanische Außenminister Ache- s o n erklärte bei seiner Ankunft im Hafen von Le Havre, ihm sei nichts von einer geplan­ten Konferenz der großen Vier in Paris be­kannt. Er gedenke drei bis vier Wochen in Pa­ris zu bleiben. Der amerikanische UN-Dele- gierte Warren Austin kündigte an, daß Acheson auf der Eröffnungssitzung der Voll­versammlung der UN eine wichtige Rede hal­ten werde. Acheson wird außerdem mit dem französischen Außenminister S c h u m a n die Marokkofrage besprechen.

900 MUliarden-Def* *?, '

Französische Haushaltsprobleme

PARIS. Im Voranschlag für den französi­schen Haushaltsplan 1952 stehen sich Aus­gaben in Höhe von fast 3,5 Billionen Francs (40 Milliarden DM) und Einnahmen in Höhe von 2,6 Billionen gegenüber, so daß sich ein rechnerisches Defizit von rund 900 Milliarden Francs (rund 11 Milliarden DM) ergibt. Die Einschränkung der Lebenshaltung durch Steuererhöhungen oder Verzicht auf die volle Durchführung des vorgesehenen Aufrüstungs­programms ist damit die Alternative, vor der Regierung und Parlament stehen.

Die zivilen Ausgaben wurden mit 1,4 Billio­nen, die Investierungen mit 900 Milliarden, die Sachausgaben mit 200 Milliarden veranschlagt Für die militärischen Ausgaben der um­strittenste Posten sind zwischen 800 Mil­liarden und einer Billion vorgesehen, 350 Mil­liarden für den Krieg in Indochina einge­schlossen.

Zur Deckung des Defizits sollen neben Per­sonaleinsparungen bei der Staatseisenbahn und einer Staffelung der Sozialversicherungsbei­träge nach der Lohnhöhe besonders steuerliche und wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Er­höhung der Produktion getroffen werden.

Ministerpräsident Pleven erklärte, Frank­reich und Großbritannien seien die einzigen Länder, in denen sich die durch den Korea­krieg hervorgerufenen Inflationserscheinungen verschärften, anstatt nachzulassen. Eine der wichtigsten Aufgaben seiner Regierung sei es, auf Preissenkungen hinzuarbeiten.

Erster Zusammenstoß im Unterhaus

Untraditionelle Wahl des Sprechers / Minister sparen an sich selbst

LONDON. Das neue britische Unterhaus wählte am Mittwoch in seiner ersten Sitzung den konservativen Abgeordneten W. S. Mor­rison zu seinem Sprecher. Nach der Wahl dem einzigen Punkt der Tagesordnung vertagte sich das Haus bis zur formellen Er­öffnung am kommenden Dienstag. Entgegen der bisherigen Tradition, nach der sich die Parteien schon vorher über die Person des Sprechers, der über außergewöhnliche Voll­machten im Unterhaus verfügt, einigten, hatte die Labour-Partei ihren eigenen Kandidaten aufgestellt, der gegen Morrison mit 251:318 Stimmen unterlag.

Churchill beschuldigte die Labour-Frak- tion, sie hätte sich an eine vorherige Abma­chung nicht gehalten, was der von der La­bour-Partei inzwischen zum Oppositionsführer gewählte bisherige Premierminister Attlee entschieden abstritt. Da der Sprecher nur bei Stimmengleichheit stimmberechtigt ist, beträgt nunmehr die Mehrheit der Konservativen nur noch 17 Sitze.

Churchill und seine Minister inzwischen hat der Premierminister seine Kabinettsliste durch weitere Ernennungen vervollständigt (16

Kleine Weltchronik

KARLSRUHE. Der Magistrat der Stadt Offen­bach hat beim Bundesverfassungsgericht Verfas­sungsbeschwerde gegen eine Reihe von Vor­schriften des Gesetzes zur Regelung der Rechts­verhältnisse der unter Artikel 131 des Grund­gesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 erhoben, da er in diesen einen unzulässigen Ein­griff des Bundesgesetzgebers in die im Artikel 28 des Grundgesetzes gewährleistete Selbstverwal­tung erblickt. Nach Ansicht Offenbachs verlangt der Gestzgeber etwas Verfassungswidriges, wenn er von den Gemeinden innerhalb von drei Mo­naten die Besetzung von 20 Prozent ihrer ge­samten Planstellen mit Beamten fordert,die dem unter das Gesetz fallenden Kreis angehören. Diese Auflage könne nur durch Massentlassun- gen anderer Beamten erfüllt werden.

HANNOVER, Die SRP will beim niedersächsl- schen Landtag eine Gesetzesvorlage über die Bildung einesDeutschen Gemeinschaftsdienstes" (DGD) einbringen. Nach Ansicht der SRP könn­ten 60 Prozent der auf der Straße liegenden Ju­gend für den DGD-Gedanken gewonnen werden. Ziel sei die Leistung von produktiver Arbeit so­wie eine jugendhelferische Tätigkeit. Das Ge­dankengut des Reichsarbeitsdienstes soll aber nicht übernommen werden.

HAMBURG. Die Gesamthafenbetriebsgesell­schaft in Hamburg hat allen streikenden Hafen­arbeitern, die gestern die Arbeit nicht aufge­nommen haben, gekündigt. Die Maßnahme be­trifft etwa 3600 unständige Hafenarbeiter. Die zuständige Gewerkschaft betrachtet den wilden Streik mit dem gestrigen Tage als beendet.

BREMEN. Das Land Bremen hat die Initiative zu einer Aktion ergriffen, die in der Art der amerikanischen Care-Sendungen die Not der Ostzonenbevölkerung lindern soll. Ein Aufruf fordert die Bevölkerung des Landes auf, es den Amerikanern gleichzutun, und unter der Parole Deutsche helft Deutschen den Brüdern in der Ostzone Pakete zu schicken.

Minister) beschlossen, auf der ersten Sit­zung des neuen Kabinetts ihre eigenen Gehäl­ter zu kürzen. Die Kabinettsminister erhalten künftig statt 5000 nur noch 4000 Pfund (47 000 DM) jährlich. Das Gehalt des Ministerpräsi­denten wurde von 10 000 auf 7000 Pfund (82 320 DM) gekürzt. Nach einer Erklärung Churchills sollen die Gehaltskürzungen für die Zeit der Wiederaufrüstung, mindestens aber drei Jahre, in Kraft bleiben. Neben der Kürzung der Mi­nistergehälter ist beabsichtigt, den Gebrauch von Dienstwagen für die Ministerien stark einzuschränken.

DerSparkommissar im Churchill-Kabi­nett, Schatzkanzler Butler, hofft, durch den Abbau entbehrlicher Ämter mehrere Millionen Pfund jährlich einsparen zu können. Vor allem will er die Informationsdienste beschneiden, die in allen Ministerien während der letzten Jahre stark ausgebaut wurden.

Der Generalrat des britischen Gewerkschafts­kongresses, Tue, der acht Millionen Mitglieder vertritt, gab eine Erklärung heraus, wonach er versuchen will,mit jeder im Amt befind­lichen Regierung freundschaftlich zusammen­zuarbeiten.

LONDON. Das größte Flugzeug der Welt, die Prinzessin, hat ihre englische Bauhalle ver­lassen. Die Maschine kann als Truppentranspor­ter 250 Mann einschließlich Ausrüstungsmaterial bei einer Reisegeschwindigkeit von 610 km/std ohne Zwischenlandung auf einer Strecke von 5600 km befördern.

DEN HAAG. Mit 62:6 .Stimmen der Kommu­nisten wurde der Gesetzentwurf, der die Rati­fizierung des Vertrags über den Schumanplan vorsieht, von der zweiten Kammer des hollän­dischen Parlaments angenommen.

MADRID. Die amerikanische Militärmission, die die spanischen Möglichkeiten eines Beitrags zur Verteidigung des Westens untersuchte, hat ihren Bericht abgeschlossen. In Madrid ist man der Auffassung, daß es in Kürze zu einem zwei­seitigen Vertrag kommen werde, der den ameri­kanischen See- und Luftstreitkräften die Mög­lichkeit gibt, auf der iberischen Halbinsel Stütz­punkte zu unterhalten.

MOSKAU. Die Sowjetunion hat Norwegen In einer scharfen Note aufgefordert, sofort die Um­bettungen sowjetischer Gefallener in Nordnor­wegen einzustellen. Vorher hatte Oslo Vorwürfe der Sowjetunion zurückgewiesen, es habe die Entmilitarisierungsklausel des Spitzbergenver­trages von 1920 gebrochen. Die Russen hatten be­hauptet, Norwegen gestatte die Errichtung aus­ländischer Militärstützpunkte auf seinem Ho­heitsgebiet in Spitzbergen und den Bären-Inseln.

TOKIO. Eine aus 18 Schiffen bestehende japa­nische Walfangflotte, zu der auch Japans größtes Kokereischiff, die 19 000 t großeTonan Magu, gehört, ist in die Antarktis aufgebrochen. Damit ist zum erstenmal nach dem Kriege Japan wie­der selbständig am Walfang beteiligt.

PEKING. Das Gros einer rotchinesischen Ar­mee ist, wie der Sender Peking meldet, Ende Oktober entsprechend dem chinesisch-tlbeta ti­schen Abkommen in Lhasa, der Hauptstadt Ti­bets, eingerückt.

Em heiterer Roman von Franz Goßt;

Nachsaison"

Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen

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Wieso denn? fragte sie unschuldig. Wenn aber die gespannt die Ohren spitzende Zuhö­rerschaft glaubte, jetzt ein prickelndes Ge­heimnis zu erfahren, so hatte sie sich getäuscht. Dem Lois dämmerte es ganz verschwommen, daß er sich verplappert hatte. Jetzt hieß es bremsen und sich aus der Patsche ziehen!

Ja, wenn Sie nicht dagewesen wären, wäre der Martin auch nicht dagesessen und ich hätte mich auch nicht hergesetzt, und wenn Sie nicht dagesessen wären, hätte der Martin nicht den guten Wein bestellt, den er leider selber nicht tau trinken können wegen der verflixten Arbeit, und so ists halt mir gut gegangen, weil Sie dagesessen sind, und der Martin soll leben!

Etwas war faul an der Sache, das spürte Lilo; man brauchte nicht eine Gedankenleserin zu sein, um hinter den vielenGesessenen die richtigen Zusammenhänge zu erraten. Und wie dann der Lois den Martin so angelegentlich leben ließ, fielen sie plötzlich Gewissensbisse an,' daß sie den Spender so ganz vergessen hätte. Das konnte sie nicht länger so fortgehen lassen und bedrückt sagte sie daher zum Lois:

Wir sind doch abscheuliche Menschen, daß wir den armen Martin so ganz allein lassen. Ich will mich doch mal um ihn kümmern.

Dem Briefträger fuhr der kalte Schreck in die Glieder. Der Martin zahlte nur, solange er, der Lois, nicht von der Seite Liios wich. Wenn sie nun ausriß, war er ein geschlagener Mann. Dabei hatte er noch soviel Durst, der immer schöner wurde. Er durfte nicht von ihrer Seite weichen! Vorläufig unternahm er

einen Versuch, sie von ihrer schnöden Absicht abzubringen.

Lilie, bleiben Sie hier, flehte er,der Mar­tin hat ja so viel zu tun, daß er sich doch nur kränkt, wenn er sich mit Ihnen nicht abgeben kann wie er möchte. Soll ihm denn das Wasser im Mund zusammenlaufen?

Ja, das soll ihm! bestätigte Lilo und ver­zog die Mundwinkel recht hintergründig. Zu­gleich stand sie auf, um ihren Vorsatz in die Tat umzusetzen. Das ging so schnell, daß der Lois kaum mehr Zeit hatte, noch einen ordent­lichen Schluk zu nehmen. Im übrigen war er ingrimmig entschlossen, nicht einen Schritt von Liios Seite zu weichen. Die Seligkeit des gan­zen Abends hing für ihn davon ab. Wie an einer Leine geführt, folgte er ihr etwas un­sicher, als sie auf den Schanktisch zuging.

Sie Schlimmer! schmollte sie Martin an, warum sind Sie nicht mehr zu uns gekom­men? Ich habe Sie schon vermißt.

Man hat nicht viel davon gemerkt, stellte er fest. Mußte die Klette ihm bis daher nach­laufen, daß die Lisi noch mehr außer Rand und Band kam!

Doch, doch, sagte sie ungemütlich schlicht, es war nur ein Glück, daß Sie mir so einen braven Ersatz verschafft haben. Der ist aus anderem Holz geschnitzt als Sie. Nicht wahr, Lois?

Freilich, freilich, beeilte sich der Lois zu versichern. Ihm war nicht ganz wohl zumut. Alle beide schauten drein, als wenn sie Essig gesoffen hätten.

Es war doch zum Lachen, wenn sie dem Kerl nicht warm machen könnte, dachte Lilo. Manch einer wird kirre, wenn ihn der Neid packt, oder wenn er sieht, ein anderer, der weniger als er ist, wird vorgezogen. Ein Versuch konnte nicht schaden.

Kommen Sie, Lois, wir trinken Bruder­schaft! quitschte sie und holte sich den Brief­träger. der verdattert hinter ihr stand, her­bei.Zwei Schnäpse, bitte, Herr Martin!

Schweigend schenkte er ein. Was sollte das

Affentheater. Spöttisch lachte er in sich hin­ein. Die war auf scharf geeicht. Und der Brief­träger kam ja zu allerhand auf seine Kosten!

Also. Lois, edle Briefträgerseele, einhängen, trinken!

Wie eine aufgezogene Puppe kam der Lois dem Befehl nach und wußte kaum, was ihm geschah, als er die Lippen Liios auf den seinen kleben fühlte.

Bravo, Lois!Nur so weiter, Fräulein! Mensch, die kanns! so brausten die Zu­rufe aus der lachenden Zuschauermenge auf. Der Muskateller und der Duft, den Lilo aus­strömte, woben einen Nebel um den wackeren Briefträger, der ihn wie bunter Schleier um­wogte. Doch plötzlich weiteten sich schreck­haft seine Augen, die wallenden Schleier zer­rissen und mit schmerzhafter Deutlichkeit sah er, wie sich die Traube der Neugierigen, ge­waltsam auseinandergeschleudert, teilte und durch den Gang, der so entstand, sein Weib auf ihn lossegelte. So wie sie daherkam, konn­te sie für eine Rachegöttin Modell stehen, die man nur unter Ausschluß zartbesaiteter See­len ausstellen hätte dürfen. Was nun kam, wickelte sich blitzartig ab. Schneller, noch als vorhin den Kuß hatte der Lois zwei Watschen sitzen, die nicht von schlechten Eltern waren. Im Feuerwerk, das sich vor seinen Augen entfaltete, hörte er noch zwei Worte:Besof­fene Sau! Dann sank er, von Schreck und Muskateller übermannt, in sich zusammen. Er sah nicht mehr, wie sein Weib der Schau-.. Spielerin Zawadil in die Haare fuhr und sie beutelte wie einen Staublappen. Sie würde un­ter den anfeuernden Rufen ihrer mitgekränk­ten Geschlechtsgenossinnen dieses Rachewerk bis zur Neige ausgekostet haben, wenn sich nicht der Wirt mit seiner ganzen Körperfülle dazwischen geworfen hätte.

Im Nu entstand ein Toben, als ob eine Horde Wilder Einzug gehalten hätte. Was der alte Kralinger zu hören bekam wegen seiner Be­vorzugung der Zugereisten, war nicht geeignet, einen Ehrenplatz in seinem Hause einzuneh­

men. Ob er von allen guten Geistern verlassen sei, daß er aus Zwischenquell einen Tummel­platz solcher verruchter Weiber machen wolle, die mit ihrem herausgeputzten Gestell den Männern die Sinne verwirren, und ob er es nothabe, sich seine Kreuzer so kriecherisch zu verdienen, wie er sich benehme. Das waren so die mildesten Vorwürfe, die ihm hauptsächlich die weibliche Einwohnerschaft zuschrie. Di® Männer standen zum Teil eher zu ihm, geris- ten aber dafür mit den vollendeten und an­gehenden Ehefrauen übereinander. Bald wußte keiner mehr, für und gegen wen er schimpfte und wetterte.

Hilfesuchend sah sich Lilo nach Martin um, doch der lehnte am Schanktisch und lachte, daß es ihn nur so schüttelte. Er lachte sich alle Spannungen des Abends von der Seele. Da rannte Lilo mit zusammengebissenen Zähnen und flatternden Haaren hinaus. , ,

Die Musikkapelle spielte geistesgegenwärtig noch einen Tusch, hatte aber dann für diesen Sonnag endgülig Feierabend.

*

Der ganzeHirsch lag bald nach diesem denkwürdigen Abschluß der Hochzeisfeier m tiefer Ruhe. Doch nicht lange. Plötzlich hörte man ein paar Hausschuhe über die Diele klappern, zwei Fäuste schlugen verhalten an eine Türe und halblaut keuchte die Schau­spielerin:Herr Martin, Herr Martin! Hilfe! Mörder, Einbrecher!

Barfuß, in Hemd und Unterhose, riß de junge Kralinger die Tür auf und fuhr Lim an:Was gibts denn schon wieder? .

Herr Martin, ein Mann liegt unter meinem Bett! Ich geh Ihnen nicht vom Fleck, wenn Siemir nicht helfen! drohte sie. Dazu klam­merte sie sich an ihm, daß er jede ihrer R*P" pen samt Zubehör spürte.

Sie sind ja verrückt! Wer tut denn scho Ihnen was? Aber ich will ja nicht schuld dar­an sein, daß Sie sich verkühlen, sagte _ spöttisch und musterte sie von oben bis umj

(Fortsetzung migw