NUMMER 15 S

MONTAG, 1. OKTOBER ig 51

Ostberlin beseitigt Straßensperren

Postverkehr erstmals wieder unbehindert 1 Weitere Konzessionen erwartet

BERLIN. Ostberliner Arbeitskommandos ha­ben, unterstützt durch die Feuerwehr und un­ter Aufsicht der Volkspolizei, am vergangenen Wochenende etwa 50 Straßensperren an der Sektorengrenze beseitigt. Weitere 20 Sperren sollen folgen. Das Ostberliner Informationsamt äußerte hierzu:Wenn die gesamtdeutsche Be­ratung zustande kommt und freie Wahlen statt­finden, werden auch die letzten Beschränkun­gen an den Sektoren- und Zonengrenzen fal­len.

Die beiden zwischen der Bundesrepublik und Westberlin sowie in umgekehrter Richtung fahrenden Postzüge passierten in der Nacht zum Sonntag erstmals seit längerer Zeit unge­hindert die sowjetzonale Grenzkontrollstelle Marienborn. Die Postwaggons wurde zwar ge­öffnet und kontrolliert, gaben aberkeinen Anlaß zu Beanstandungen.

Der Westberliner Senat bezeichnet die Be­seitigung der Straßensperren als einen ersten Erfolg der entschlossenen und entschiedenen Haltung des Senats und des Abgeordnetenhau­ses. Wichtiger sei allerdings die Beseitigung

6,3 Mrd.Minimalforderung

Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel

BONN. Eine erste inoffizielle Fühlungnahme zwischen Vertretern Israels und der Bundes­republik zur Erörterung von Wiedergutma­chungsfragen' werde vielleicht bereits in den nächsten Wochen stattfinden, verlautete aus Bonner Regierungskreisen. Da die beiden Län­der noch keine diplomatischen Beziehungen miteinander unterhalten, wird wahrscheinlich der erste Kontakt an einem dritten Ort durch Parlamentarier hergestellt.

Aus der ersten israelischen Stellungnahme zur deutschen Regierungserklärung vom ver­gangenen Donnerstag glaubt man in parla­mentarischen Kreisen Bonns schließen zu köh- nen, daß Israel neben einer schnellen Durch­führung des Wiedergutmachungsprozesses als Grundlage eine Reparationsforderung von 6,3 Milliarden DM stellen werde. Israel hatte diese Summe im Frühjahr den ehemaligen Alliierten des Krieges gegenüber alsMini­malforderung der Entschädigung für das während der Nazizeit beschlagnahmte jüdische Eigentum bezeichnet. Weiter nimmt man in Bonn an, daß Israel nicht unbedingt auf Bar­zahlung bestehen, sondern mit einer über Jahre hinweg verteilten Lieferung deutscher Erzeugnisse einverstanden sein werde. Auch vermutet man, daß die Juden gesetzliche Si­cherungen gegen den Antisemitismus in Deutschland wünschen.

Zwisdienurteil

Bundesregierung nurbeteiligt"

th. KARLSRUHE. Das Bundesinnenministe­rium hat namens der Bundesregierung ange­sichts der morgigen Sitzung beim Bundesver- fassungsericht den Antrag gestellt, das Bundes­verfassungsgericht möge in dem Verfassungs­streit über die Neugliederungsgesetze durch ein Zwischenurteil entscheiden, daß die Bun­desregierung in dem Prozeßverfahren nicht Antragsgegnerin, sondern neben dem Bun­desrat und dem Bundestag nurBeteiligte sei. Das die Neugliederungsgesetze anfechtende Baden hatte die Bundesregierung als Antrags­gegnerin bezeichnet.

Die Regierungen von Tübingen und Stuttgart haben ferner beim Bundesverfassungsgericht beantragt, das Gericht möge den Antrag der badischen Landesregierung auf Anhörung der von ihr benannten Sachverständigen, der Uni­versitätsprofessoren Nawiasky und Scheu- n e r, als unzulässig zurüdeweisen. Die beiden Herren seien nämlich als bezahlte Parteigut­achter in der vorliegenden Sache tätig. Von solchen Beratern werde niemand Unbefangen­heit erwarten. Sie müßten daher wegen Be­sorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

der anderen Sperren, die in Berlin aufgerichtet worden seien und die Stadt in zwei Teile spal­teten. Der Senat werde nach wie vor die Wie­derherstellung der politischen Freiheit in der ganzen Stadt, die Freilassung aller politischen Häftlinge, Presse-, Versammlungs- und Orga­nisationsfreiheit verlangen.

Auf Grund von Informationen aus der so­wjetischen Kontrollkommission, von der So­wjetzonenregierung, der SED und den soge­nannten bürgerlichen Parteien in der Sowjet­

zone rechnet man in Berlin damit, daß die so­wjetzonale Volkskammer nach Erhalt der For­derungen des Bundestags Vorschlägen wird, den Wahlvorschlag des Bundestags zur Grund­lage von Beratungen der Vertreter beider Sei­ten in Berlin zu machen. Wahrscheinlich werde die Volkskammer gleichzeitig bereits ihre Ver­treter hierfür benennen; das bedeute aber kei­neswegs eine grundsätzliche Billigung aller 14 Punkte. Darüber hinaus würde eine Amnestie für politische Häftlinge vor allem für Jugend­liche. vorbereitet und seien Erleichterungen im Interzonen-Personenverkehr zu erwarten. Scharfe Äußerungen von SED-Seite gegen die Bonner Regierungserklärung dienten nur dazu, die Konzessionsbereitschafi zu verschleiern.

Re-Liberalisierung

PARIS. DasRestricted Committee ein engerer Ausschuß der Organisation für europä­ische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) - hat dem OEEC-Rat eine Re-Liberalisierung der Einfuhren in Höhe von 4550 Prozent der deut­schen Einfuhr ab 1. Januar 1952 vorgeschlagen. Prof. Erhard und Generaldirektor Fried­rich erklärten anläßlich der Verabschiedung Friedrichs am vergangenen Freitag übereinstim­mend, daß sie nunmehr den Zeitpunkt für ge­kommen halten, die Liberalisierung so schnell wie möglich wieder einzuführen.

Nicht zum Schaden unserer freien Verfassung

BONN. Bundeswirtschaftsminister Prof. Er­hard verabschiedete am Freitag auf der Bun­despressekonferenz Generaldirektor Otto A. Friedrich, der nach sechsmonatiger Tätig­keit als Rohstoffberater der Bundesregierung in die Industrie zurückkehrt. In einem Rückblick auf seine Tätigkeit äußerte Friedrich, es sei nicht zum Schaden unserer freien Verfassung", wenn sich Persönlichkeiten der Wirtschaft zeit­weise ganz dem öffentlichen Interesse widme­ten. Wenn sie es nicht länger tun als unbedingt nötig, werde man ihnen dankbar sein.

Exportkonjunktur beendet?

MÜNCHEN. Das Münchener IFO-Institut für Wirtschaftsforschung stellte vor einigen Tagen fest, die Zeit der stetig steigenden Auslandsum­sätze sei für viele Branchen zunächst vorüber, in einigen seien sogar Rückschläge zu erwarten. Die Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie er­warte einen leichten Rückgang der Ausfuhr. Günstige Möglichkeiten schienen für mittlere und schwere Lkw gegeben zu sein, während der Ex­port leichter Lkw eher zurückgehen dürfte. Der deutsche Personenkraftwagen stoße auf eine un­verkennbare Marktsättigung. Diese Prognose wird im ganzen bestätigt durch eine Mitteilung des Statistischen Landesamtes Tübingen, wonach die Industrieausfuhren von Württemberg-Hohen- zollern im Juli 1951 um 4,5 Prozent zurückge­gangen sind.

Stromkürzung in Bayern

MÜNCHEN. Nach Nordrhein-Westfalen wird nun auch Bayern zu Kürzungen des Industrie­stromes schreiten: Der Strombezug der Groß­chemie wird um 20 Prozent gekürzt. Ferner sei ab 1. Oktober die Heranziehung größerer Indu­striekraftwerke für die öffentliche Versorgung vorgesehen.

Bierpreiserhöhung?

MÜNCHEN. Der Präsident des Deutschen Brauerbundes, Direktor Hans P f u e 1 f, bezeich- nete auf dem deutschen Brauertag die Schaffung einer Marktordnung als das Kernproblem der deutschen Brauwirtschaft. Auf die Frage des Bierpreises eingehend, betonte er, Bier sei das einzige lebenswichtige Gut mit einem seit 1949 unveränderten Preis. Wenn auch ein Teil der Kostenerhöhungen für Roh-, Hilfs- und Betriebs­stoffe, Frachten, Kohle, Löhne usw. durch Ra­tionalisierung aufgefangen werden könne, so lasse sich doch eine maßvolle Preissteigerung nicht vermeiden.

^ Firmenberichte

WOLFSBURG. VW-Produktion In Südafrika. Im September ist, wie die Werksleitung des VW-Werkes mitteilt, die Arbeit im VW-Montage- werk in Südafrika angelaufen und damit ein neuer aussichtsreicher Markt erschlossen worden. Im übrigen ging die VW-Produktion im Wolfs­burger Werk von 9877 Einheiten im August auf 9082 im September zurück.

HECHINGEN. 50 Jahre Trikotwarenfabrik Karl Grotz. Die hohenzollerische Trikotwaren­fabrik Karl Grotz, Hechingen, blickt heut« auf ihr 50jähriges Bestehen zurück. Das 300 Ar­beitskräfte beschäftigende Unternehmen wird immer noch von dem aus Balingen stammenden, jetzt 82jährigen Begründer zusammen mit seinem Enkel geführt.

TÜBINGEN. Drei neue Betriebe. Im August wurden in Württemberg-Hohenzollem drei Be­triebe neu gegründet, und zwar die Firma Lud­wig Böttcher, mech. Strickwarenfabrik io Straßberg, die Firma Charmeuse-V eredelung Baldauf in Metzingen und die Firma Emil Kiefer, Metallwaren- und Uhrengehäusefa­brik, die ihren Betrieb mit 151 Arbeitskräften von Pforzheim nach Birkenfeld verlegt.

Sowjetisches Veto erwartet

Heute Ölkrise vor dem Sicherheitsrat / Blockade gegen Persien in Sicht

WASHINGTON. In westlichen politischen Kreisen rechnet man damit, daß die Sowjet­union sich im Sicherheitsrat auf die Seite Per­siens stellen und erklären wird, der Ölkonflikt sei eine innerpolitische Angelegenheit, für die der Rat nicht zuständig sei. Trotzdem wird der britische Schritt von amerikanischen Beamten mit der Begründung befürwortet, daß damit erneut Zeit gewonnen werde, um durch andere Gegenmaßnahmen die Lage im Nahen Osten zu bessern.

Der Weltsicherheitsrat ist auf Antrag Groß­britanniens für heute, Montagnachmittag, 16.30 Uhr einberufen worden, um sich mit dem bri­tisch-persischen Ölkonflikt zu befassen. Die britische Regierung hat dem Rat mitgeteilt, daß sie den Ölkonflikt als eine Bedrohung des Weltfriedens ansehe. Großbritannien will Per­sien zur Beachtung der einstweiligen Verfü­gung des Haager Gerichtshofes vom 5. Juli zwingen, die beiden Parteien im Ölkonflikt einseitige, die Lage verschärfende Maßnahmen bis zum Erlaß eines endgültigen Urteils unter-

Kleine Weltdironik

MÜNCHEN. Gegen die Stimmen der deutschen Gemeinschaft wurde die bayrische Regierung vom Landtag aufgefordert, umgehend einen Ge­setzentwurf vorzulegen, der alle Kundgebungen nationalsozialistischen Inhalts unter schärfste Strafe stellt und insbesondere das Singen und Spielen von Liedern und Musikstücken betont nationalsozialistischen Charakters verbietet.

BONN. Der deutsche Delegationsführer für die Verhandlungen über eine europäische Verteidi­gung,' Blank, und der Sachverständige der Bundesregierung, General a. D. Speidel, nehmen an den heute wieder beginnenden Europaarmee­besprechungen teil. Die französische Hohe Kom­mission dementierte Meldungen, wonach die An­wesenheit Speidels in Paris nicht erwünscht sein sollte.

BONN. Der Deutschlandrat derJungen Union sprach sich am vergangenen Wochenende gegen dieErste Legion aus und schloß sich damit der Ansicht des gesamtdeutschen CDU-Vorstan- des an. Zum ersten Vorsitzenden wurde wiede­rum der CDU-Bundestagsabgeordnete Majonica gewählt.

DÜSSELDORF. Der Bund Deutscher Kriegs­beschädigter und Kriegshinterbliebener mit Sitz in Düsseldorf hat Bundespräsident Prof. Heuß brieflich mitgeteilt, daß seine Mitglieder in Zu­kunft bei Zusammenkünften und ähnlichen Ge­legenheiten die ihnen verliehenen Verwundeten­abzeichen beider Weltkriege tragen wollten.

HAMBURG. Die sächsisch-thüringischen lands­mannschaftlichen Gruppen und Vereinigungen im Bundesgebiet schlossen sich auf einer Dele­giertenversammlung am Wochenende in Ham­burg zu einem gemeinsamen Verband zusam­men, der etwa 600 000 Personen umfaßt.

PARIS. Vor einem französischen Militärgericht in Paris wurden zwei ehemalige Angehörige der Gestapo wegen Teilnahme an verschiedenen De­portationen und Erschießung von Geiseln zu le­benslänglich Gefängnis, zwei weitere zu je 5 Jah­ren Zuchthaus und drei zu acht bzw. fünf Jah­ren Gefängnis verurteilt.

BASEL. Bundespräsident Prof. Heuß traf am Samstag in einem Sonderwagen der Deutschen

sagt. Insbesondere aber wird England den Wi­derruf des Ausweisungsbefehls fordern.

Ministerpräsident Mossadeq wird an der Spitze der persischen Delegation sein Land vor dem Sicherheitrat persönlich vertreten. Er wird allerdings die heutige erste Sitzung des Rates abwarten und dann erst eine endgültige Entscheidung über seinen Flug nach New York treffen, wie der stellvertretende Ministerprä­sident F a t i m i gestern bekannt gab. Weiter erklärte der stellvertretende Ministerpräsi­dent, die Tatsache, daß Mossadeq persönlich nach New York gehe, bedeute nicht, daß Per­sien den Sicherheitsrat als für den Ölkonflikt zuständig betrachte. Großbritannien habe die persische Ölverstaatlichung im Prinzip aner­kannt.

Korrespondentenmeldungen aus London be­sagen, daß die von England angekündigte Öl­blockade im persischen Golf erst begänne, wenn es etwas zu blockieren gäbe. Persische Ölverschiffungen aus Abadan seien zurzeit we­gen Tonnagemangels nicht möglich.

Bundesbahn in der Schweiz ein, wo er auf ärzt­lichen Rat in Locarno einen etwa zweiwöchigen Kuraufenthalt nehmen wird.

MADRID. Am Dienstag beginnen die größten spanischen Manöver seit Kriegsende mit einer Dauer von einem Monat. Den Übungen wird ein sowjetischer Erfolg über General Eisenhowers Atlantikpaktstreitkräfte zugrunde gelegt.

STOCKHOLM. Der schwedische Ministerprä­sident Erlander überreichte am Samstag König Gustav VI. die Ministerliste eines Koalitionska­binetts. In der neuen Regierung sitzen vier Mi­nister der Agrarpartei; auch die sozialistischen Kabinettsmitglieder wurden zum Teil ausge­wechselt. Außenminister Unden ist auf seinem Posten verblieben.

CATANIA. Der Vulkan Ätna auf Sizilien hat am vergangenen Wochenende -in einem neuen starken Ausbruch große Lavamengen ausgesto­ßen.

Manöver beendet

NEUSTADT/HAARDT. Die dreitägigen fran­zösischen Manöver, an denen auch amerikani­sche, belgische und holländische Einheiten teil- nahmen, sind am Sonntag mit einem erfolg- feichen Gegenangriff über den Rhein nach Osten beendet worden. Die Manöver wurden im Rahmen der gleichzeitig abgehaltenen Luft­übungenUnternehmen Cirrus von alliierten Luftstreitkräften unterstützt.

Der französische Verteidigungsminister B 1 - dault traf gestern morgen in Neustadt an der Weinstraße im Manöverhauptquartier ein. Nachmittags besichtigte er französische Trup­pen bei Schwetzingen. General Eisenho- wer, der Oberbefehlshaber der Atlantik­paktstreitkräfte, kehrte nach einer Truppen­besichtigung in Wiesbaden am Samstagabend wieder nach Paris zurück.

Unter den Vertretern von 20 Nationen, die als Gäste am Manöver teilnahmen, sah man Offiziere aus Spanien, Südkorea und Jugosla­wien.

Ein heiterer Roman oon Franz Goßt:

Nachsaison"

Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen

S] '

Freilich fahren wir. Steigens nur ein da hinten! Damit deutete der Martin mit dem Daumen über die Schulter auf den Einspän­ner. Hatte er schon vorher keineswegs die Be­geisterung seines Vaters für den angekün­digten Gast aufgebracht, weil ihm die bäuer­liche Arbeit von Natur aus mehr lag als das Wirten, so hatte er jetzt einen richtiggehenden Groll auf den Amerikaner. Denn wenn schon der Lackl ganz und gar nicht fremdländisch ausschaute, so war um so weniger, er, der Martin, mit einem Hausknecht zu verwechseln.

Gebens den großen Koffer her! traf er seine Anordnungen für die Abreise nach Zwi­schenquell.Sie und der kleine Koffer haben im Wagen drinnen Platz.

Schwungvoll und ohne jegliche Achtung für me farbenfreudigen Hotelzettel haute er den Koffer neben den Kutschbock, blinzelte dann schief nach hinten, ob der Fremde im Wagen kaum daß dieser sich halbwegs zu- ^atte, heß er den Gaul anziehen. Geschüttelt und gebeutelt fuhr die Zukunft Zwischenquells dahin und besah sich einge­hend den breiten Rücken Martins und das fette, auf- und abwippende Hinterteil des Pferdes.

Schon der erste Abend brachte dem Hir- sefaenwirt einen Vorgeschmack künftigen Reichtums. Waren an gewöhnlichen Wochen­tagen nur wenige Gäste anwesend, die auch meistens bald wieder heimzu strebten, so füllte sich heute ein Tisch nach dem anderen. Man wollte schließlich doch auch das Wundertier sehen, das zu so ungewohnter Zeit daher­geschwirrt kam. Es gab auch im Sommer nicht viele Gäste in Zwischenquell, aber im Herbst

war noch nie einer gekommen. Eine Hoch­saison kannte man nicht. Die wenigen vor­handenen Fremdenzimmer schlossen meistens schon anfangs September ihre Läden wie müde Schläfer die Augen, wenn sie im war­men Bett liegen, um sie erst mit nächstem Juli wieder aufzuschlagen.

Dem Semmelblonden war am Ofentisch ge­deckt worden; an ihm saßen regelmäßig nur dieBesseren von Zwischenquell, die sich auch an diesem denkwürdigen Abend mit der durch die Anwesenheit des hohen Gastes ge­botenen Zurückhaltung an ihre gewohnten Plätze begaben. Das waren der alte Kralinger selbst, dann der Obermoser-Ander, der Speng­ler Georg Kofler, kurz Spengler-Schorsch ge­nannt, und der Hauser Valtl, der sich nach bestem Können bemühte, Tische, Bänke, Kä­sten und auch Särge zu machen für die, die sich an den Ecken und Kanten seines massiven Hausrats ein Leben lang genügend blaue Flecke gestoßen hatten. Andächtig sehen sie zu, wie sich der Amerikaner einen Berg gol­denen Schmarrns einverleibte. Auch beim Wein schien er keinen schlechten Zug zu haben. Die Bedienung hatte die Wirtin selbst übernom­men, während die Kellnerin Maria nur die minderen Gäste versorgen durfte.

Endlich war der letzte Bissen verschwunden und genießerisch wischte sich der Amerikaner den Mund ab. Nun konnte man vielleicht weitere menschliche Beziehungen mit ihm an­knüpfen.

Der Wirt wagte den ersten Vorstoß:Hats geschmeckt?

Ausgezeichnet Herr Kralinger, ausgezeich­net! Das Lob zauberte einen zufriedenen Schimmer in das Gesicht des Wirtes, daß es glänzte wie der Vollmond in einer lauen Maiennacht.

Überhaupt, fuhr der Amerikaner, frei­gebig sein Lob ausschüttend wie Spülwasser, fort, überhaupt muß ich sagen, ich fühle mich aufgehoben wie im Paradies. Das gemütliche Zimmer mit dem Blick auf den Dorfplatz und

sein beschauliches Leben, die herrliche Luft die allerdings an diesem Ort und zu dieser Stunde schon etwas eingedickt war und fast in Würfel geschnitten werden konntedas klare, vor Frische prickelnde Wasser, die Berge man sitzt wirklich zwischen den Quellen der irdischen Wohlgenüsse.

Leider gibt es wenig Leute, die das so zu schätzen wissen wie Sie, ließ Kralinger seine Propagandamaschine anlaufen. Aber sie kam vorläufig nicht in Schwung.

Nur Ihr Hausknecht scheint etwas unge­schliffen zu sein, kam nämlich ein kleiner Dämpfer für den Wirt, der in schmatzende Seligkeit hinuntergerutscht war wie eine grün- delnde Ente in den Schlamm.

Hausknecht? fragte er verwundert,Haus­knecht hab ich keinen, das mach ich selber.

Na, der Bursche eben, der mich hereinge­führt hat.

Ein Tritt auf das schönste und ausgewach­senste Hühnerauge hätte ihn vor Schmerz nicht so aufzucken lassen wie das Beschä­mende, das er über seinen Sohn vernehmen mußte. Groß war die Versuchung, diesen der­art weit vom Stamm gefallenen Apfel einfach zu verleugnen. Aber der Gast würde doch einmal draufkommen, was für einen Rüpel sich der Wirt herangezüchtet hatte, und So war es entschieden besser, der unvermeid­lichen Entdeckung von vornherein die Spitze abzubrechen.

Aber vornehmen würde er sich den Kerl gehörig!

Sie müssen schon entschuldigen, würgte der arme Vater heraus,das war mein Sohn, der Martin.

Ach, was Sie nicht sagen! Nun wußte offenbar der Amerikaner nicht, wie er seine etwas vorlaute und wenig schmeichelhafte Be­merkung auswetzen könnte. DerUngeschlif­fene war immerhin der Sohn des Hauses, in dem sich die von Amerikas Unrast herunter­gekommenen Nerven bei aufmerksamer Be­dienung erholen sollten.

Ja leider ist es so, druckste Kralinger weiter:Sie müssen nämlich wissen, der Mar­tin ist ein Dickschädel, der grantig wird, wenn man ihn von einer Arbeit, die er sich in den Kopf gesetzt hat, abhält.

Das kann ich aus meiner eigenen Erfah­rung heraus gut begreifen", erklärte der Fremde verzeihend; er fühlte wieder Ober­wasser, als er sah, wie verlegen der Wirt war.

Was hatte er denn so Wichtiges vor? fragt» er teilnahmsvoll weiter. O Himmel, auch da* noch! Verfluchter Mist!

Mistführen wollte er! schmetterte Kralin­ger verzweifelt mit der Wahrheit heraus, weil ihm so schnell eine brauchbare Ausrede nicht einfiel.

Der Amerikaner schluckte an dieser Ant­wort wie an einer bitteren Pille. Mit einem Mundvoll Wein spülte er den üblen Nachge­schmack hinunter.

Es war ein Glück, daß in diesem etwas kitz­ligen Zeitpunkt der Briefträger-Lois auf­kreuzte und mit sicherem Blick den ver- sprechendsten Platz der ganzen Stube erfaßte. Es war ein noch freier Stuhl am Tische de» Amerikaners. Obwohl der Lois sonst nicht an diesen bevorzugten Tisch gehörte, war diesmal der Wirt froh, daß er sich nicht an das übliche Zeremoniell hielt. Er brachte eine Ablenkung-

Mit Verlaub! Formhalber vergewisserte sich der Lois so, ob seine Anwesenheit ge­nehm sei. Man hätte auch nicht viel dagegen unternehmen können, denn während er fragte, saß er auch schon. Im gleichen Atemzug be­stellte er bei der Kellnerin, die nun auch die Betreuung dieser Ecke übernommen hatte, ein Viertel Tischwein. Dann stürzte er sich nu» der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit auf den Amerikaner

Wie gefällts Ihnen bei uns da herinnen, Herr Maria?

Myera Myera, stellte dieser richtig.

Entschuldigen Sie aber der Name wird mir schon geläufig werden, wenn ich Ihnen alle Tage einen Haufen Post bringen muß. 1

(Fortsetzung folg*)