SAMSTAG, 11. AUGUST 1951

NUMMER 124

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Bemerkungen zum Tage

Ersatz für Pressepolitik?

hf. Daß die Bundesregierung keine Presse­politik hat, ist ihr oft genug gesagt worden, und weder in den Regierungsparteien, noch im Kabinett gibt man sich in dieser Frage Täu­schungen hin. Doch wie am Beispiel der Or­ganisation und Arbeit des Bundespresseamtes sehr demonstrativ sichtbar wird, beseitigt wurde dieser Mangel nicht. Der Bundeskanzler selbst scheint kein starkes Gefühl für die Presse als Mittel der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit zu haben, sonst gäbe es schon eine Pressepolitik der Bundesregierung. Pläne und Anregungen sind genug an Dr. Adenauer herangetragen worden, aber in der Praxis ist es so, daß auf eine lange Periode, in der die Regierung gar kein klares Verhältnis zur Presse hatte, Bemühungen folgten, die eine einseitige Beeinflussung, Informierung oder gar Lenkung der Presse zum Ziele haben.

Einen eindeutig demokratischen Weg, auf dem sich die Regierung des Mittels der Presse bedient, ohne auf Abwege der Propaganda zu geraten, hat man damit freilich nicht gefun­den. Auch dadurch nicht, daß Form und Inhalt der offiziellen Informierung der Journalisten in Bonn eine gewisse Steuerung der Presse bedeuten. Jetzt wird nun versucht, über offi­ziöse oder der Regierung nahestehende publi­zistische Organe einen zusätzlichen Einfluß auszuüben. Ohne die Frage nach der Quali­tät dieser Korrespondenzen, Informations- und Zeitungsdienste beantworten zu wollen, muß festgestellt werden, daß sie kein Ersatz für eine Pressepolitik sein können.

Die Regierung mag antworten, die Oppo­sition habe auch keine Pressepolitik, und sie würde durchaus mit dieser Behauptung recht haben. Aber ist nicht das Problem der Presse­politik der Regierung abseits des parteipoliti­schen Kampfes zu sehen? Ist es nitfit eine Aufgabe im sogenannten Gesamtinteresse und ist es nicht ein Teil der Politik jeder Regie­rung im Inland und gegenüber dem Ausland? Wir bejahen diese Fragen und sehen daher mit einigem Staunen, daß die Bundesregierung keine Konsequenzen aus der ihr bekannten Situation zieht. Auf der einen Seite packt sie das Problem im Stile eines konservativen mi­nisteriellen Pressereferats an, auf der anderen Seite in einem Stil, der an die Wilhelmstraße und den Wilhelmplatz der jüngeren Vergan­genheit erinnert. Für den zweiten Weg scheint sich zumindest die erste Ausgabe derDeut­schen Korrespondenz entschieden zu haben, die Dr. Adenauer und Fritz Berg vom Bundes­verband der Deutschen Industrie als Leit- und Schlußartikler publiziert. Das ist interessant, aber eben: auch keine'Pressepolitik.

Plan für Ost-West-Handel

Deutsch-alliierte Besprechungen

BONN. Gemäß den Besprechungen, die Vize­kanzler Franz-B1 üeher am Donnerstagnach­mittag auf dem Petersberg mit den drei Ho­hen Kommissaren geführt hat, traten gestern alliierte und deutsche Sachverständige zusam­men, um einen Plan für den Ost-West-Handel auszuarbeiten. Da der Warenverkehr zwischen der Bundesrepublik und der Ostzone in der vergangenen Woche bis zum Inkrafttreten eines neuen Interzonenhandelsabkommens völ­lig eingestellt worden war, wurde ein vor­läufiger Plan bis zum Inkraftreten eines neuen Interzonenhandelsabkommens nötig. Das neue Abkommen ist bereits paraphiert.

Ein alliierter Sprecher betonte, es dürfe nicht der falsche Eindruck entstehen, als ob die Alliierten zum Nachgeben bereit seien; es solle nur klargelegt werden, welche Mindest­forderungen die Alliierten für den Fall eines Vertragsabschlusses zwischen der Bundes­republik und der Sowjetzone über den Ost- West-Handel erhöben. Der alliierte Sprecher fügte noch hinzu:Falls die Sowjets ihre Ein­stellung ändern, wollen wir einen fertigen Plan vorliegen haben.

Höchster Wehrhaushalt im Frieden

Kürzung des Auslandshilfeprogramms / Truman wird Schwernik antworten

WASHINGTON. Das amerikanische Reprä­sentantenhaus billigte am Donnerstag die Be­willigungsvorlage für die Verteidigungsausga­ben im neuen Finanzjahr in Höhe von 56 062 405 890 Dollar (235 462104 738 DM). Es ist dies der höchste Betrag, der jemals in Frie­denszeiten in den USA für militärische Zwecke bereitgestellt wurde. Im vergangenen Jahr be­lief sich der Wehrhaushalt auf rund 48 Mrd. Dollar. Selbst im zweiten Weltkrieg war der amerikanische Militärhaushalt nur in einem Jahr mit 94 Mrd. Dollar höher als der diesjäh­rige.

Mehr als die Hälfte der Mittel sind für die Anschaffung von Panzern, Flugzeugen, Ge­schützen, Raketenausrüstungen und anderes Kriegsmaterial für eine Armee von 3,5 Millio­nen Mann vorgesehen.

Vorher lehnte das Repräsentantenhaus einen Abänderungsantrag mit 141:84 Stimmen ab, der die Begrenzung der amerikanischen Streit­kräfte in Europa auf sechs Divisionen vorsah.

Der Außenpolitische Ausschuß des Repräsen­tantenhauses stimmte am gleichen Tage dem Auslandshilfeprogramm der USA in Höhe von 7 848 750 000 Dollar (rund 33 Mrd. DM) zu, blieb dabei aber um 651 Millionen Dollar hin­ter den Forderungen von Präsident Truman zurück. Gekürzt wurde hauptsächlich die mili­tärische und wirtschaftliche Hilfe für Europa. Außerdem wurde beschlossen, das gesamte Auslandshilfeprogramm einer neu zu bilden­denVerwaltung für gegenseitige Sicherheit zu unterstellen.

Auf Europa entfallen rund 5 Mrd. für mili­tärische und 1.335 Mrd. für Wirtschaftshilfe.

Präsident Truman forderte auf seiner all­

wöchentlichen Pressekonferenz die Sowjet­union auf, die Erschwerungen im Verkehr zwi­schen der Sowjetunion und dem Westen auf­zuheben. Er bezvg sich dabei auf die Freund­schaftsresolution, die ihm der Präsident des Obersten Sowjets, Schwernik, am vergan­genen Montag, zugehen ließ. Das Schreiben Schwerniks beabsichtige er zu beantworten.

Tag der jungen Mädchen

Westsektoren verpflegen FDJ BERLIN. DieWeltjugendfestspiele neh­men mit Massensportveranstältungen, Demon­strationszügen und demTag der jungen Mädchen ihren Fortgang. Der Zustrom der FDJ-Angehörigen nach Westberlin hält mitt­lerweile unvermindert an. Besonders auf dem Kurfürstendamm und in der Zoo-Gegend drin­gen immer wieder sächsische Laute an das Ohr des Spaziergängers, und in den Westberliner Jugendheimen herrscht nach wie vor Hoch­betrieb. Alle Absperrmaßnahmen der Volks­polizei an den Sektorengrenzen, selbst Strei­fen von FDJ-Führern nach Westberlin, kön­nen die Jungen und Mädchen aus der Ostzone nicht daran hindern, in WestberlinGespräche von Mensch zu Mensch zu führen. Wegen des starken Andrangs an den Stellen, an denen für die FDJ Essen ausgegeben wird, sind das Berliner Rote Kreuz und das Freitisch-Komitee in einer schwierigen Lage. Ihren Aufrufen wurde mit Geld- und Lebensmittelspenden durch die Westberliner schon Folge geleistet. Das holländische, luxemburgische und bel­gische Rote Kreuz haben in versiegelten Güter­wagen je2Vst Gemüse zur Verfügung gestellt.

Kleine Weltchronik

TÜBINGEN. Der Bundestagsausschuß für in- nergebietliche Neuordnung hat der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover den Auftrag auf Erstellung eines Gutachtens zur Durchführung des Artikels 29 des Grundgesetzes (Neugliederung des Bundesgebietes) erteilt. Die einzelnen deutschen Länder sind darum gebeten worden, zu dieser Frage Material zur Verfügung zu stellen und Auskünfte zu erteilen. Von seiten des Staatsministeriums Württemberg-Hohenzol- lern wurde Ministerialrat Prof. Dr. Eschen­burg hierfür bestimmt.

MÜNCHEN. Etwa 1500 Filmschaffende haben in einer leerstehenden Aufnahmehalle der Ba­varia-Filmkunst in Geiselgasteig gegen die ka­tastrophale Lage der Filmindustrie protestiert und die bayerische Regierung in einer Resolu­tion aufgefordert, durch Sofortmaßnahmen die Produktion von wenigstens 12 Spielfilmen noch in diesem Jahr zu sichern.

BERCHTESGADEN. Die Alpenvereinssektion Berchtesgaden hat die zuständigen bayerischen Regierungsstellen ersucht, das ehemalige Tee­haus Hitlers auf dem Kehlstein zu erhalten. Die Sektion will das Teehaus als Berghütte verwen­den und beruft sich darauf, daß der Alpenverein 1933 ohne finanzielle Abfindung vom Obersalz­berg verdrängt worden sei.

BAMBERG. Die Heroldsbacher Kinder, die seit annähernd zwei Jahren behaupten, Erscheinun­gen der Mutter Gottes zu haben, sind auf An­weisung des Hl. Offiziums in Romfür die Dauer ihrer Widersetzlichkeit gegen die Anwei­sungen der kirchlichen Obrigkeit vom Empfang der hl. Kommunion ausgeschlossen worden. Den sieben betroffenen Kindern wurde in Anwesen­heit ihrer Mütter die päpstliche Anordnung mit­geteilt.

-SIEGEN. Zehn Kommunisten aus dem Kreis Siegen, die eineVolksbefragung gegen Remili­tarisierung veranstaltet hatten, wurden vom Amtsgericht Burgach (Kreis Siegen) freigespro­chen. In der Begründung des Freispruchs heißt es. das Problem der unbeschränkten freien Mei­nungsäußerung sei in juristischen Kreisen noch völlig unklar. Man könne aber von dem ein­fachen Angeklagten nicht mehr verlangen als von ausgebildeten Juristen. Das Gericht sei der Ansicht, daß nicht der Bundestag, sondern nur

das Bundesverfassungsgericht in der grundle­genden Frage der freien Meinungsäußerung ent­scheiden könne.

BERLIN. Der Vorsitzende der SED-Kontroll- kommission, Hermann Matern, teilte im SED- Fressedienst mit, daß die Überprüfung aller SED-Mitglieder beendet sei. Die Ausgestoße­nen müßtennicht in jedem Fall gleichzeitig ihren Arbeitsplatz verlieren. Im Regierungsap­parat dulde die SED jedoch keinePartei- und Staatsfeinde. Die bestätigten Mitglieder erhiel­ten ein neues Parteibuch.

BERLIN. Vor einem Bukarester Militärgericht hat am Donnerstag ein neuer Prozeß gegen an­geblicheSpione und Hochverräter begonnen. Die Angeklagten werden des Versuchs beschuldigt, das volksdemokratische Regime zu stürzen, und sollen der britischen Gesandtschaft in Bukarest Informationen zugeleitet haben.

STOCKHOLM. Unter den Klängen des Deutsch­landliedes wurde am Donnerstag im Stockhol­mer Olympiastadion zur Eröffnung des deutsch- schwedischen Leichtathletikkampfes die schwarz- rot-goldene Fahne gehißt. Im Programm war unter der ÜberschriftDeutschlands neue Na­tionalhymne der Text der dritten StropheEi­nigkeit und Recht und Freiheit abgedruckt worden.

SAN REMO. Königin Narriman von Ägypten erwartet nach Berichten aus ihrem Gefolge ein Kind. Die seit Wochen kreisenden Gerüchte scheinen sich damit zu bestätigen.

TEHERAN. Das persische Außenministerium hat die Ernennung von Khalil Esfandiari Bakh- t i a r i zum diplomatischen Vertreter Persiens in der Bundesrepublik bekanntgegeben. Bakh- tiari ist der Vater der persischen Königin Soroya. Seine Frau ist gebürtige Deutsche. Bis zur Be­endigung des Kriegszustandes Persiens mit der Bundesrepublik wird der künftige Gesandte beim Petersberg akkreditiert sein.

WASHINGTON. Der größere Teil der ameri­kanischen Öffentlichkeit glaubt heute wie vor 10 Monaten daran, daß die USA in den nächsten Jahren in einen neuen Krieg verwickelt werden. Dies geht aus einer kürzlich durchgeführten Um­frage des Gallup-Instituts hervor.

Teilerfolg in Teheran

Britisch-persischer Unterausschuß gebildet

TEHERAN. Die britische und die persische Delegation für die Erdölgespräche in Teheran kamen einen Schritt weiter: Sie ernannten ei­nen Unterausschuß, der eine Einigung über die Tankerquittungen herbeiführen soll. Die Mei­nungsverschiedenheiten über die Form- der Quittungen, die die Tankerkapitäne für die übernommene Ölladung ausstellen müssen, ha­ben seit Ende Juni zu einem völligen Aufhören der Erdölexporte aus Persien geführt.

Im übrigen berichtete auf der dritten Zu­sammenkunft der beiden Delegationen am Donnerstag unter Führung von Lordsiegel­bewahrer Stokes und Finanzminister Va- rasteh der britische Verstaatlichungs­sachverständige Sir Donald Ferguson über Methoden der Verstaatlichung von Industrie­zweigen. Die persischen Delegierten ließen sich eingehend über die Entschädigung für die Be­sitzer verstaatlichter Betriebe unterrichten.

Während bei den britisch-persischen Ölver­handlungen in Teheran .eine freundschaftliche Atmosphäre herrschte und gewisse Fortschritte erzielt wurden, erhob der Leiter des persischen Ölverstaatlichungsausschusses, Hussein Makki, in Abadan unerhört scharfe Angriffe gegen Großbritannien. Makki beschuldigte diebri­tischen Imperialisten, Unruhen in Persien mit dem Ziel des Regierungssturzes anzuzetteln und die Verhandlungen zum Scheitern bringen zu wollen.

Das persische Parlament hat am Donnerstag einen Kredit der amerikanischen Export-Im­portbank in Höhe von 25 Millionen Dollar ge­billigt, der zum Ankauf von Straßenbau- und landwirtschaftlichen Maschinen verwendet werden soll.

SPD kritisiert Amerikaner

Kommunistische und nazistische Argumente

BONN. In einer außergewöhnlich scharfen Erklärung beschuldigte der SPD-Parteivor- stand die amerikanischen Besatzungsbehörden, sie versuchten, die SPD-Haltung zu einem möglichen Wehrbeitrag durchunverschämte" Propaganda-Pamphlete zu beeinflussen. Dia BroschüreFreiheit ist das höchste Gut, für die einAktionsausschuß zur Verteidigung so­zialistischer Freiheiten verantwortlich zeich­net, soll von amerikanischen Behörden herge­stellt oder zumindest entworfen und in Druck gegeben worden sein. In höchst demagogischer Weise werde in dem Flugblatt versucht, die SPD von ihrem Standpunkt in der Remilitari­sierungsfrage zugunsten alliierter Wünsche ab­zubringen. Die Schrift enthalte einebemer­kenswerte Mischung von Argumenten, wie sie bei ehemaligen Kommunisten und Nazis in ihren Angriffen auf die SPD üblich ist.

Das Vorstandsmitglied der SPD, Fritz Heine, sagte ergänzend AP gegenüber, die SPD erwäge einenoffiziellen Protest direkt in Washington, da ein Schritt beim amerikani­schen Hohen Kommissarsowieso keinen Zweck haben würde. Ein Sprecher der Presse­abteilung bei der amerikanischen Hohen Kom­mission in Frankfurt erklärte, daß ihm die Bro­schüre, die der SPD-Erklärung zugrunde liege, nicht bekannt sei.

Uiabstimmung

Über Lohnstreik in der Milchwirtschaft

KARLSRUHE. Die große Arbeitnehmertarif­kommission, in der sämtliche größeren Ver­sorgungsbetriebe Südwestdeutschlands ver­treten sind, hat am Donnerstag in Karlsruhe im Einvernehmen mit dem Landes Vorstand der IndustriegewerkschaftNahrung, Genuß, Gaststätten beschlossen, die milchwirtschaft­lichen Betriebe in Südwestdeutschland sofort zu einer Urabstimmung über eine Arbeitsnie­derlegung aufzurufen.

Die landwirtschaftlichen Genossenschaften von Württemberg und Baden sowie der milch­wirtschaftliche Verein in Württemberg-Hohen- zollern haben es am Mittwoch abgelehnt, sich dem vom württembergisch-badischen Arbeits­minister David S t e 11 e r vorgeschlagenen Schiedsverfahren zu unterwerfen.

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IM NECKARTAL

Ein fröhlicher Roman von Else Jung

12] Copyright by Verlag Bechthold

Ernst und streng, wie die verkörperte Göt­tin des Gerichts, saß Frau Thilde von Losch, Herrin der Burg Rabeneck am Neckar, in ih­rem hochlehnigen Sessel im Erker. Vor ihr stand Imma, ein wenig beklommen und schuld­bewußt, denn die sonst so gütige alte Dame hatte ihr ganz gehörig die Leviten gelesen.

Ich habe mir nicht anders zu helfen ge­wußt, Großmama, sagte sie trotzig, und zwei glitzernde Zomestränen rannen über ihre Wangen.Muschi ist ja in diesen widerlichen Schreyer ganz vernarrt. Ich habe gebeten und gebettelt, aber paß auf, sie macht Dummhei­ten! Der Mensch bringt es fertig und kriegt sie doch noch herum.

Frau von Losch machte eine abwehrende Handbewegung.

Du siehst Gespenster, mein Kind. Schließ­lich habe ich ja auch noch ein paar Augen im Kopf. Ich habe nichts bemerkt.

Glaub ich dir, Großmama, glaub ich dir aufs Wort! Die Worte sprudelten hastig über die Lippen des Mädchens.Vor dir lassen sie sich natürlich nichts merken. Wenn du dabei bist, benimmt sich Schreyer ganz korrekt, und Muschi behandelt ihn genau so wie alle anderen Angestellten. Aber wenn sie allein sind sie unterbrach sich und trock­nete schnell ihre Tränen,da sollst du sie mal sehen!

Unsinn!

Die alte Dame wurde ärgerlich.

Imma war mit ihren zweiundzwanzig Jah­ren noch ein halbes Kind. Sie hatte keine Er­

fahrung, und daß sie bei allen Dingen, mit denen sie allein nicht fertig wurde, gleich mit dem Kopf durch die Wand zu rennen ver­suchte, hatte ihre sinnlose Flucht bewiesen.

Was hast du eigentlich damit bezweckt? fragte Frau von Losch streng.

Imma schwieg. Sie sah auf den dicken Tep­pich hinab, der den Steinfußboden bedeckte, und zeichnete mit der rechten Schuhspitze das Muster nach.

Großmama wiederholte die Frage und drückte die Enkelin mit fester Hand auf den Fenstertritt zu ihren Füßen nieder.

Ich ich dachte, wenn ich weg bin, wird Muschi sich so um mich ängstigen, daß sie gar keine anderen Gedanken mehr hat als mich, antwortete Imma stockend und barg plötzlich aufschluchzend den Kopf im Schoß der Großmutter.

Na, das ist dir ja auch nach Wunsch ge­lungen.

Wirklich?

Imma richtete sich auf, und da sah sie, daß Großmama zum ersten Male wieder lächelte.

Seid ihr mir noch sehr böse? fragte sie mit einem betörend schelmischen Augenauf­schlag.

Großmama antwortete, daß sie allen Grund dazu hätte, und ehe sie ihr Absolution ertei­len könne, wolle sie erst wissen, wo sie sich volle zehn Tage ohne ausreichende Geldmittel herumgetrieben habe.

Imma nickte, vergewisserte sich noch einmal der in Großmamas Antlitz immer voller und wärmer aufsteigenden Gnadensonne und be­gann zu beichten.

Eine wildgewordene Kuh auf der Wiese eines Bauern, bei dem sie übernachtet hatte, machte den Anfang. Dann trat der Ritter Thilo von Stolzeneck auf. Er wurde in den glühendsten Farben und mit den beredesten Worten ausgemalt.

Großmama war eine kluge Frau. Sie hatte sehr aufmerksam beobachtet, während Imma erzählte, und es war ihr nicht entgangen, mit

welchem Eifer ihre Enkelin das Bild ihres jungen Retters und Reisebegleiters mit den liebenswertesten Eigenschaften ausgestattet hatte. Es fiel ihr nicht schwer, alles aus Imma herauszufragen, was sie erfahren wollte, und als es nichts mehr zu berichten gab, wußte sie genug.

Das Kind hatte sich verliebt, und weil ein solches Ereignis, besonders dann, wenn es ein junges Herz zum ersten Male überwältigt, sich immer wie eine leichte Krankheit äußert, be­schloß Frau Thilde von Losch, sehr behutsam mit Imma umzugehen.

Mit zärtlicher Hand strich sie ihr über das Haar und erklärte, daß sie die Absicht habe, den Ritter von Stolzeneck als Gast auf die Burg zu laden, aber zu ihrer Verwunderung widersprach Imma.

Gar so leicht dürfe man es ihm nicht ma­chen! Er müsse erst beweisen, ob er fähig sei, sich eine neue Stellung zu erobern und sich darin zu behaupten.

Ich habe ihn zu Muschi geschickt, sagte sie,und du kennst ja die Anforderungen, die sie stellt. Leicht wird er es nicht haben, doch gerade darauf kommt es mir an. Er kann eine ganze Menge, Großmama, das habe ich gleich auf den ersten Blick gesehen. Wenn er un­ter Muschis energische Hand gerät", Imma lachte spitzbübisch,dann drückt er diesen eingebildeten und ekelhaften Schreyer glatt an die Wand. Und siehst du, darauf kommt es mir ebenfalls an.

Großmama lächelte. Sie konnte den krau­sen Wegen, die Immas Gedanken wanderten, zwar nicht bis in die letzten Winkel folgen, aber das wurde ja auch nicht von ihr ver­langt. Sie war froh, daß sich das Kind wieder unter ihrer Obhut befand, und sollte es mit seinen scharfen, jungen Augen mehr gesehen haben als sie selber, woran sie immer noch zweifelte, dann würde Immas Flucht hoffent­lich nicht ohne Eindruck auf Angelika geblie­ben sein.

Geh. jetzt, Imma, sagte sie,nimm ein Rad und fahre zur Mutter hinunter. Für die Angst, die sie um dich ausgestanden hat, soll sie dir in meinem Auftrag eine kräftige Ohr­feige geben.

Imma lachte.

Gib sie mir lieber eigenhändig, Groß­mama, sagte sie schelmisch, worauf die alte Dame ärgerlich auffuhr und mit grimmiger Stimme drohte:Du weißt ganz genau, daß ich das nicht übers Herz bringe, du Radcer!

*

Richard Schreyer, seit einem Jahr Proku­rist der Neckartaler Kunsthandwerkstätten, saß in seinem Büro, das nur durch eine große Glaswand von dem Arbeitsraum der Betriebs­führerin Angelika Lorentzen getrennt war.

Wenn er aufsah, fiel sein Blick auf den mächtigen Schreibtisch nebenan, und der schöne Richard, wie ihn die weiblichen Mit­glieder der Angestellten und Arbeiter des Hauses nannten, schaute sehr oft hinüber, wenn Angelika drüben arbeitete. Nur schienen seine bewundernden und werbenden Blicke, die noch vor kurzer Zeit den Widerschein eines fraulichen Lächelns in Angelikas Antlitz gezaubert hatten, ihre Wirkung verloren zu haben.

Seit die dumme Göre, die Imma, vor etwa zehn Tagen in aller Herrgottsfrühe das Haus verlassen hatte, war Angelika Lorentzen wie verwandelt.

Hatte Schreyer es in diesen Tagen gewagt, ihr Ratschläge zu geben, so hatte sie ihn un­geduldig angefahren und ihn fühlen lassen, daß sie noch immer die uneingeschränkte Herrin des von ihr aus kleinen Anfängen zu beachtlicher Größe und Leistungsfähigkeit entwickelten Unternehmens sei.

Sie hatte ihm Prokura erteilt, nun ja. Aber das, was Richard Schreyer sich von diesem Vertrauensbeweis erhofft hatte, war bis jetzt nicht eingetreten.

(Fortsetzung folgt)