NUMMER 7«
13. MAI 1951
Bemerkungen zum Tage Verschärfte Spannung in Marokko
Pauschale Diskriminierung
kr. Als die Bundesregierung die kommunistische Volksbefragung gegen die Remilitarisierung verbot, war das ein Notwehrakt der jungen Demokratie zur Abwehr einer akuten Gefahr. Es wäre aber bedenklich, wenn nun grundsätzlich jede Diskussion über die Remilitarisierung als kommunistisch untersagt sein sollte. Es gibt auch durchaus ernstzunehmende pazifistische Organisationen in Westdeutschland — u. a. die „Deutsche Friedensgesellschaft“, der „Internationale Versöhnungsbund“ und der „Bund religiöser Sozialisten“ —, die nach wie vor für eine Volksbefragung über diese Frage plädieren. In einer Erklärung fordern sie die freie Einigung unseres Volkes und eine gerechte Wirtschaftsordnung zur Vermeidung der Wiederaufrüstung. Die Deutsche Friedensgesellschaft hat sich zudem mit der Forderung einer Volksabstimmung über die Oder-Neiße-Linie klar von der kommunistischen Politik distanziert. Es geht jetzt darum, daß gegenüber echten Pazifisten jede Diskriminierung unterbleibt. Gewiß, der gesunde Menschenverstand kann tausend Gründe für einen Verteidigungsbeltrag anführen und jedes Gegenargument als unsinnig abtun. Aber auch der gesunde Menschenverstand ist mitunter „von allen guten Geistern verlassen“. Es könnte nicht schaden, wenn man den „guten Geistern“ die eine gegenteilige Meinung vertreten, ihre Ehre und die Möglichkeit sich zu äußern in aller Freiheit ließe und im freien Spiel der Kräfte sich eine echte Demokratie bewährte.
Auch in Straßburg verboten
Keine Pressekonferenz der DPS STRASSBURG. Der französische Regierungspräsident von Straßburg hat eine für Freitagmorgen angesetzte Pressekonferenz der oppositionellen „Demokratischen Partei des Saarlandes“ (DPS) verboten und den Versammlungsort durch Polizei absperren lassen. Auf der Konferenz wollten Vertreter des Parteivorstandes der DPS gegen die Verletzung der politischen Freiheit an der Saar“ protestieren. Sie hatten auch Vertreter der Saarregierung und Saarabgeordnete in der Beratenden Versammlung eingeladen.
Vertreter der Partei hatten bereits vor einigen Tagen in einem Telegramm an den Europarat gegen die „Unterdrückung der demokratischen Freiheit im Saarland“ protestiert, nachdem die Saarregierung am letzten Sonntag eine Massenkundgebung der DPS wegen angeblich „verfassungsfeindlicher Tendenzen" verbot Die DPS vertritt in ihrem Programm die Umwandlung der Saar ln einen Regierungsbezirk, der mit Frankreich und der Bundesrepublik in gleicher Weise verbunden sein soll.
Kein Kautschuk für Rotchina
Washington begrüßt britisches Exportverbot
LONDON. Die britische Regierung hat die Kautschukausfuhr ihrer Kolonien nach Rotchina für den Rest dieses Jahres mit sofortiger Wirkung gesperrt. Handelsminister Shawcross erklärte dazu, die „abnorm hohen“ Kautschukexporte im ersten Jahresquartal 1951 dürften den zivilen Bedarf Rotchinas voll befriedigt haben. Die Entscheidung der britischen Regierung wurde im Unterhaus wenige Minuten nach einer Kritik Winston Churchills bekannt.
Das englische Exportverbot von Kautschuk nach Rotchina wurde in politischen und Wirtschaftskreisen der USA lebhaft begrüßt.
General Juin weitere sechs Monate Resident / Sturz des Sultans erstrebt
dsi. CASABLANCA. Der scheinbar beigelegte Konflikt Paris—Marokko lebt in einer anderen Form seit kurzem gefährlich wieder auf, nachdem in Nordafrika bekannt geworden ist, daß General Juin nach einer Unterredung mit General Eisenhower seinen Posten im Generalstab der Atlantikarmee während der nächsten fünf bis sechs Monate nicht antritt und somit weiterhin als General-Resident in Marokko bleibt. Das aber schließt die Absicht Juins in sich, den Sultan von Marokko. zu stürzen. Dagegen ist die Arabische Liga, die die Istiqlal-Partei unter allen Umständen stützt, mobilisiert worden.
Diese gefährliche neue marokkanische Krise strebt einem Höhepunkt ausgerechnet in dem Augenblick zu, ln welchem die Regierungskrise in Paris Tag für Tag neue Wellen schlägt und die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr de Gaulles ernsthafter denn je erörtert wird.
Das Verbleiben Juins auf seinem Posten als General-Resident war weder für ihn noch für die ihn in Paris stützenden Kreise leicht durchzusetzen. Denn schließlich war man sich nach den vorangegangenen schweren Auseinandersetzungen zwischen Juin und dem Sultan von Marokko, Sidi Mohammed Ben Youssef, darüber im klaren, daß der Sultan und seine Anhänger nach der eingesteckten Niederlage auf Rache sinnen würden.
Außenminister Robert Schuman vermutet, daß Juin nur in Marokko bleiben wolle, um eine sehr persönliche Politik durchzusetzen, die von derjenigen des Quai d’Orsay absolut verschieden Ist. Auch wurde Schuman davon unterrichtet, daß Juin eine sehr diskrete Zusammenkunft mit de Gaulle hatte, was natürlich den Verdacht Schumans nur unterstreichen konnte.
Ministerpräsident Queuille zögerte sehr lange mit der Bestätigung Juins in seiner verlängerten Tätigkeit als General-Resident, da
er sich ausrechnete, daß Juin als Resident unter allen Umständen über die nächste Wahl hinüber in Marokko sitzen werde — ganz gleich, zu welchem Zeitpunkt zwischen Juni und Oktober die Wahlen abgehalten werden. Auch hier waren also mißtrauische politische Spekulationen wirksam.
Innenminister Jules Moch stellte sich ebenso wie der Quai d’Orsay auf den Standpunkt, daß Juin einfach zu kneifen gedachte — und die etwas selbstherrliche Stellung als General-Resident der sehr nüchternen Tätigkeit eines untergeordneten Generalstabs-Mitglie- des unter Eisenhower vorziehe.
Trotz allem hat Juin sich durchgesetzt. Seine Absicht, den Sultan „abzuschießen“, geht soweit, daß in Nordafrika bereits die von Juin erwogenen oder abgelehnten Nachfolger des Sultans nach seinem Sturz offen genannt werden. Der Pascha von Marrakesch, El Glaoui, der Großwesir El Mokri und der Men- dub von Tanger, Tazi, alle sind sie Abkömmlinge des Propheten. Juin lehnt sie bisher ab, da ihnen heimliche Verbindungen zur Arabischen Liga oder zur Istiqlal nachgesagt werden. Faktisch ist daher das Fehlen eines geeigneten Nachfolgers augenblicklich das bemerkenswerteste Hindernis für den Sturz des Sultans von Marokko.
Juin ist jedoch der Auffassung, daß die nächsten Wahlen und die Rückkehr de Gaulles zur Macht ihn von den Verpflichtungen entbindet, die es gegenüber dem Quai d’Orsay vor einigen Tagen einging, eine Absetzung Sidi Mohammeds vorläufig zu vermeiden und keinen Umschwung in Marokko herbeizuführen ohne vorherige Zustimmung des Qual d’Orsay und genaue Planung im Rahmen der großen französischen Außenpolitik, Juin bereitet alles vor für den Tag, an welchem er auf den Quai d’Orsay keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht.
Kleine Weltchronik
MÜNCHEN. Die Lungenheilanstalt Gauting in Bayern soll jetzt von der IRO an deutsche Verwaltungsstellen übergeben und zu einer der größten Heilstätten in Europa ausgebaut werden. Die IRO hat für den Ausbau zwei Millionen DM zur Verfügung gestellt.
WÜRZBURG. Angestellte der Besatzungsmacht gelten als deutsche Beamte im Sinne des Strafrechts und sind den Bestimmungen des Strafgesetzbuches ln vollem Umfang unterworfen. Mit dieser rechtlich bedeutsamen Feststellung begründete die Große Strafkammer Würzburg ein Urteil gegen zwei deutsche Besatzungsangestellte, die der schweren passiven Beamtenbestechung beschuldigt wurden.
BONN. Wie das Bundespresseamt ^njitteilt, Ist das Vorstandsmitglied der Sozialistischen Reichspartei (SRP), Bundestagsabgeordneter Dr. Franz Richter, nach Schweden gereist, um an dem internationalen Faschistenkongreß in Malmö teilzunehmen. Richter hatte vorgegeben, eine Studienfahrt durch Schweden machen zu wollen.
BONN. Segelflugzeuge dürfen erst in Betrieb genommen werden, nachdem die Anordnungen, die eine Ausübung des Segelflugsportes bisher verhinderten, geändert und Bestimmungen für die Ausübung des Segelsports erlassen worden sind, teilt das Bundesverkehrsministerium mit. Verhandlungen mit den Alliierten zur Herausgabe dieser Bestimmungen sind bereits im Gange.
HAMBURG. Bei Zusammenstößen zwischen
der Polizei und rund 1200 demonstrierenden Hamburger Studenten gab es am Donneistag 69 Verletzte. Die Studenten hatten sich vor dem Gebäude der Hamburger Hochbahn versammelt, um gegen die hohen Fahrpreise zu demonstrieren. Die Polizei schritt mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern gegen die Demon- tranten ein. Zehn Studenten wurden festgenommen. 15 Polizeibeamten wurde zum Teil durch Messerstiche verletzt.
JERUSALEM. Israel feierte am Donnerstag den dritten Jahrestag seiner staatlichen Unabhängigkeit. Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten stand eine Parade der Land-, See- und Luftstreitkräfte in Jerusalem. Es wurde bekanntgegeben, die Bevölkerung des Lahdes habe sieh in den drei Jahren der Unabhängigkeit verdoppelt.
TAIPEH. Die in der vergangenen Woche von den Nationalchlnesen beschlagnahmte Ladung des deutschen Frachters „Mai Rickmers“ der Hamburger Reederei Rickmers wurde jetzt unter Polizeibewachung im Hafen von Kilung an der Nordküste Formosas gelöscht. Die „Mai Rickmers“ war mit einer Ladung photographischen Materials und medizinischer Instrumente auf dem Weg nach einem Hafen der chinesischen Volksrepublik.
NEW YORK. Das 51 500 BRT große amerikanische Passagierschiff „United States“ — der größte und schnellste bisher in den USA gebaute Passägierdampfer — wird am 23. Juni in Newport News (Virginia) vom Stapel laufen.
... in diesen Tagen
hr. In diesen Tagen flattert der Frühling mit seinem blauen Band. Der Krieg in Korea holt Atem. Die Vorkonferenz ist weniger uneins. Truman, MacArthur und die amerikanischen Senatoren haben eine Schnaufpause eingelegt. Selbst Niemöller schweigt. Es ist eine schöne Zeit und man hat — endlich wieder für die Liebe Zeit. Alle Welt heiratet und die große Welt geht, wie sich das so gehört, mit gutem Beispiel vorneweg. Ach wie wohl ist uns am Abend, wenn Er liest, daß der Habsburgersproß Otto in Nancy, dem ehrwürdigen Sitz seiner Ahnen, bürgerlich nach dem Code civile geehelicht worden ist — und Sie, am anderen Ende des Sofas, mit zartem Schauder die Beschreibung der Toiletten von Braut und Brautjungfern bei König Faruks Hochzeit genießt: 101 Salven während des großen Moments .;. „Weißt du noch, wie bei uns die Feuerwehrkapelle Webers Hochzeitsmarsch anstimmte? . . . Ach, ja.“
Alles wäre gut. Wenn da nicht noch ein kleiner, ein ganz kleiner Unsicherheitsfaktor wäre. Sie meinen, ob die Sowjetunion in Korea mit der Luftwaffe eingreift, und dann die Amerikaner ... und dann? Aber nein doch, es handelt sich um die neuen Ehepläne von Rita Hayworth, zurzeit noch nicht ganz geschiedene Frau Ali Khan. Sie hat sich immer noch nicht deutlich erklärt. Gegen wen wird sie wohl, der süße kleine Racker? Im Augenblick stehen ein französischer Sektbaron und ein persischer Prinz recht aussichtsreich. Aber auch einer der früheren Glückspilze, Orson Wel- les, soll als „dritter Mann“ unter Umständen für eine Überraschung gut sein. Fazit: Wir leben in einer herrlichen Zeit, die aber wiederum nicht so problemlos ist, daß man das Schreckgespenst der Langeweile an die Wand malen müßte. Vergnügte Pfingsten! Denn nachher kommt Umsatzsteuererhöhung und Lastenausgleich. Ja, sogar der Südweststaat- wahlkamf. Apropos, was wird denn dieser Staat für eine Fahne haben? Nein, schweig still mein Herze, weg mit den Sorgen!
Revolution in Panama
Präsident Arias verhaftet
PANAMA. Nach einer blutigen Belagerung des Regierungspalastes in Panama wurde der bisherige Präsident der mittelamerikanischen Republik, Arnulfo Arias, von der Polizei verhaftet. Zwischen der Polizei und den Anhängern des Präsidenten kam es vorher zu schweren Feuergefechten, bei denen zwölf Personen ums Leben kamen und mehrere Hundert verwundet wurden.
Zum neuen Staatsoberhaupt wurde der bisherige Vizepräsident von Panama, Alcibiades Arosemena, von der Nationalversammlung ernannt. --Er hat bereits den Eid auf die Verfassung vor dem Obersten Gerichtshof des Landes geleistet. Der mächtige Polizeichef R a- m o n, der über 3000 Mann gut ausgerüsteter Polizeiverbände verfügt, gab bekannt, daß er den neuen Präsidenten unterstützen werde.
Wie bereits berichtet, hatte die Krise in Panama am Montag durch einen Erlaß von Arias begonnen, der die alte Verfassung von 1941 mit weitgehenden Vollmachten für die Regierung wieder einführen und gleichzeitig das Parlament auflösen wollte. Das Parlament hatte darauf Arias unter Staatsanklage gestellt. __
NEW YORK. Ein riesiger Korruptionsskandal wurde von einem New Yorker Gericht aufgedeckt. 91 Polizisten sind angekiagt, Bestechungsgelder in Höhe von vielen Millionen Dollar von einem Wett- und Spieluntemehmen in Brooklyn angenommen zu haben.
Der verschlossene MUND
9J
Roman von Doris Eicke
Alle Rechte ¥ erlegthaut Reutlingen
„Gut“, sagte Merck mit Überwindung, „ich werde morgen erst dorthin gehen, obschon das Untersuchungsergebnis ja nichts an den Tatsachen ändert. Wenn ich krank bin — und es ist kaum daran zu zweifeln —, so wird kein Arzt der Welt das Wunder vollbringen, mich von heute auf morgen gesund zu machen.“ „Das nicht, aber vielleicht würde er Dir raten, die Zeit zwischen heute und dem ursprünglich festgesetzten Termin Deiner Rückkehr für Deine Genesung auszunützen.“
„Wie meinst Du das?“
„Andrea erwartet Dich nicht vor April.“ Merck starrte den anderen einen Augenblick betroffen an, dann brach er in ein gequältes Lachen aus.
„Du willst mir doch nicht im Ernst zumuten, daß ich Andry erst im Frühjahr Wiedersehen und mich inzwischen in ein Sanatorium verkriechen soll? Wie stellst Du Dir das eigentlich vor?“
„Nichts wäre leichter durchführbar als das“, beschwichtigte Syamken den Aufgeregten.
„Und — angenommen, ich würde mich auf einen solchen Vorschlag einlassen. Was versprichst Du Dir davon?“
„Alles", sagte Syamken lakonisch.
Merck stand mit einem Ruck auf und wan-
derte mehrmals unruhig durch das Zimmer.- Schließlich blieb er am Fenster stehen und starrte auf das Wasser herunter, ohne indessen etwas wahrzunehmen.
„Sehe ich denn wirklich so schlimm aus?“ fragte er, ohne sich umzudrehen.
„Schlecht genug, um Andrea zu erschrek- ken.“
„Ich kann ihr das nicht ersparen.“
„Erspare es vor allem Dir selbst. Andrea hat unter dieser langen Trennung entsetzlich gelitten, viel mehr als Du oder ich je für möglich gehalten hätten. Aber wie bei allen tief leidenschaftlichen Naturen hat sich ihr Schmerz eines Tages erschöpft und selbst aufgezehrt. Sie wurde auf einmal ruhig, unnatürlich ruhig Als ich sie nach der Ursache dieser glücklichen Wandlung fragte, sagte sie: ,Ich bin von Niels abgerückt 1 , nichts weiter. Das gibt mir zu denken. Andrea wird Dir nicht ohne weiteres wieder zufallen, sie betrachtet sich keineswegs mehr als Dein selbstverständliches Eigentum. Du wirst um sie kämpfen müssen, und ich überlasse Deinem gesunden Menschenverstand die Entscheidung, ob Du dazu heute in der Lage bist.“
Merck stand noch immer abgewandt und ließ Syamken nichts von der schweren Betroffenheit sehen, die in seinen Zügen arbeitete.
„Aber ich habe Andry doch gar nichts getan“, stieß er schließlich erbittert hervor.
„Du hast sie allein gelassen —
„Dieser Entschluß wurde in absolutem gegenseitigem Einvernehmen gefaßt.“
„Ich weiß, trotzdem trägst Du als der weit- schauendere und reifere Mann in ihren Augen die Verantwortung.“
Merck fuhr herum wie unter einem Hieb.
„Sagte sie Dir das?“ fragte er schneidend.
„Ich weiß, daß sie es denkt.“
„Das glaube ich nicht, nein, ich weigere mich einfach, das zu glauben! Ein solcher Gedanke verstößt gegen jede Logik.“
„Das Gefühl einer Frau steht jenseits von derartigen Gesetzen.“
„Aber Andry weiß doch, daß ich es nur für sie tat, für sie und für Detlev“, brach es fast schreiend aus Merck hervor. „In längstens drei Monaten wäre ich abgebaut worden und hätte stempeln gehen müssen. Ich wollte nicht zusehen, wie Andry hungert, ich fühlte mich verantwortlich für ihr Wohlergehen. Habe ich denn bei dieser Trennung nicht den schwereren Teil auf mich genommen? Andry und Detlev blieben sorglos in einem auf Jahre gesicherten Heim und hatten einander und alle Freunde dazu, die sich um sie kümmerten. Was aber geschah mit mir? Du brauchst mich nur anzusehen, um die Antwort zu wissen. Ich habe ein kaum tragbares Opfer für sie gebracht, es wäre ein himmelschreiendes Unrecht, mich jetzt wie einen Abenteurer hinzustellen, der leichtfertig Frau und Kind verließ.“
„Niemand verkennt Dich in dieser Weise, Niels. Das Tragische in Eurem Fall ist, daß Ihr im Grunde beide recht habt, jeder aus seiner Natur, seinem Gefühl und seiner Verantwortung heraus. Andrea ist eine so überaus weibliche Frau, daß sie damals die Führung ihres Mannes blind anerkannte. Da Dir dieses russische Angebot ein Ausweg aus den drückenden Zukunftsorgen schien, war er es auch für sie. Sie zweifelte nicht daran, daß
Du das Richtige wähltest. In diesem Sinn« war ihre Übereinstimmung mit Deinem Entschluß rein passiv. Da der Hunger ausblieb, vor dem sie sich gefürchtet hatte, und ihr die Sorge um die primitivsten Lebensbedürfnisse erspart blieb, fehlt ihr das Vorstellungsvermögen- für das Elend, vor dem Du sie bewahrt hast. Aus keinem anderen Grunde als diesem schätzt sie den Gewinn dieser Jahre niedriger ein, als er es verdient; den Preis aber, den sie dafür bezahlte, hat sie erlitten, und gespürt, darum ist er für sie das Vorstellbare, das einzig Existierende. Sie nährt ihren Groll gegen Dich mit dem Vorwurf, daß Du diese Entwicklung hättest voraussehen und ihr ersparen sollen.“
„Wer hat daran gedacht, mir etwas zu ersparen?“ fragte Merck mehr und mehr gereizt. „Wird sie den Mut haben, ihr Alleinsein noch als ein derartiges Unglück zu empfinden, wenn sie sieht, was diese Jahre aus mir gemacht haben?“
„Niels, Du denkst wie ein Mann und setzest auch bei ihr männliches Denken voraus. Wenn Andrea Dich sieht, werden ihre Gedanken eine ganz andere Richtung nehmen, als Du jetz denkst.“
„Und die wäre? Gib mir die bittere Pili* nur zu schlucken, es geht in einem hin.“
„Sie wird denken: Großer Gott, dafür habe Ich also diese schrecklichen drei Jahre durchgelitten, um meinen jungen, strahlenden Niel* als kranken, frühzeitig gealterten Mann wiederzubekommen! Genau so wird sie denken, < und das ganze Opfer wird sich ihr erst recht in einer vorher nicht wahrnehmbaren Sinnlosigkeit darstellen.“ (Fortsetzung folgt)
' \
•yy
JSr=i
JIM
W'"'' 1 / / Hl
w*
«
ifa*- ■
- 0 v,p 94845 •
DÜS SPEZIAIHAUS F II t OAMENBEKlEtOtlKGm
SOCTSMftMSSf)
jrjvsiir